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Was passiert, wenn sich die US-Regierung nicht mehr verschulden darf

 

Der 17. Oktober rückt näher, der Tag, an dem die Schulden der amerikanischen Bundesregierung ihr gesetzliches Limit von 16,7 Billionen Dollar erreichen werden. Danach dürfen keine neuen Schulden mehr gemacht werden – der Staat kann nur so viel ausgeben, wie an laufenden Einnahmen hereinkommt. Die Ausgaben liegen in diesem Jahr bei etwa 3,85, die Einnahmen bei 2,70 Billionen Dollar. Etwa 30 Prozent der Bundesausgaben werden also auch heute noch, vier Jahre nach dem Ende der Rezession, mit Schulden finanziert. Vermutlich werden die Exekutive, also der demokratische Präsident, und das Repräsentantenhaus, die untere Kammer der Legislative, in letzter Minute einen Kompromiss finden oder sich auf Übergangslösungen einigen. Wenn aber nicht, was dann?

Wenn das Defizit von 1,15 Billionen Dollar auf einen Schlag verschwinden soll, müssten entweder die jährlichen Ausgaben um so viel sinken, oder die Steuern und anderen Einnahmen müssten um 42,5 Prozent (!!) erhöht werden, oder es gibt eine Kombination aus Beidem. Da die Republikaner, die im Repräsentantenhaus die Mehrheit haben, höhere Steuern scheuen wie der Teufel das Weihwasser, dürfte es vor allem darum gehen, die Ausgaben zu vermindern. So oder so käme es wegen des gewaltigen Nachfrageausfalls zu einem finanzpolitischen Schock, also zu einer neuen Rezession, mit stark steigender Arbeitslosigkeit und sinkendem Preisniveau.

Die Fed würde dann die Politik des Quantitative Easing nicht nur fortsetzen, sondern intensivieren: Da die Leitzinsen bereits seit Langem, nämlich seit Dezember 2008, bei 0,125 Prozent liegen, also nicht mehr gesenkt werden können, kann die Konjunktur geldpolitisch nur durch eine massive Expansion des Zentralbankgelds stimuliert werden. Schon heute kauft die Fed netto Emissionen der Washingtoner Bundesregierung und der staatlichen Hypothekenfinanzierer in Höhe von 1,02 Billionen Dollar pro Jahr – wenn es bei den 85 Milliarden Dollar pro Monat bleibt. Nach wie vor hat es die amerikanische Geldpolitik mit starkem Gegenwind zu tun. Die Baby Boomers, die heute 48 bis 67 Jahre alt sind, machen sich Sorgen um ihre Altersversorgung und sparen ziemlich aggressiv, und viele Jüngere versuchen, die Kredite zurückzuzahlen, mit denen sie ihr Studium finanziert hatten. Der Rückgang der Hauspreise hat zudem vielen von ihnen die persönlichen Bilanzen verhagelt. Wohnimmobilien sind immer noch um 21,3 Prozent billiger als 2006, als sie ihren bisherigen Höchstwert erreicht hatten. Beide Bevölkerungsgruppen sind auch durch noch so niedrige Zinsen nicht dazu zu bewegen, neue Schulden aufzunehmen. Nicht zuletzt wegen der Priorität, die der Schuldenabbau bei vielen hat, sind die amerikanischen Bankkredite seit letztem Mai mit einer Jahresrate von etwa drei Prozent gesunken.

Der Staat kann nicht einfach alle seine Ausgaben um 30 Prozent senken. Bei vielen Kategorien geht es überhaupt nicht. Manche Zahlungsverpflichtungen muss die Regierung einfach erfüllen – zum Beispiel lässt sich nicht vermeiden, pünktlich die Zinsen auf die Staatsschuld zu bezahlen. Ein Verzug würde zum Staatsbankrott führen. Das ist schwer vorstellbar, weil es an den Finanzmärkten zu einer Panik käme, die die Folgen der Lehman-Pleite wie einen Sturm im Wasserglas erscheinen lassen würde. Ausländer halten nicht weniger als rund 5,5 Billionen Dollar der amerikanischen Staatsschuld – das sind etwa 7,5 Prozent des Sozialprodukts der Welt. Die nächste Bankenkrise wäre ebenso vorprogrammiert wie die nächste Krise der Schwellenländer, vor allem der osteuropäischen.

Der US-Zinsendienst macht zurzeit etwas mehr als 300 Milliarden Dollar oder knapp zwei Prozent des BIP aus. Er ist trotz der Bundesschuld von 16,7 Billionen Dollar relativ niedrig, weil das Zinsniveau in den letzten Jahren stark gesunken ist. Zurzeit kann sich die US Treasury zu Sätzen zwischen 0,04 Prozent (dreimonatige Treasury Bills) und 3,76 Prozent (30-jährige Treasury Bonds) verschulden. Zwar ist der Anteil der kurzfristigen Schulden vergleichsweise hoch, der Anteil der lang laufenden Papiere aber auch. Die relativ hohen Zinsen, die vor Jahren am langen Ende zu zahlen waren, wirken nach (die durchschnittliche Laufzeit der ausstehenden Papiere ist etwas mehr als vier Jahre). Da, wie erwähnt, ein großer Teil der Staatsschulden von Ausländern gehalten wird, kommt die Aufrechterhaltung des Schuldendienstes nur teilweise der US-Wirtschaft zugute. Jedenfalls müssten die anderen Ausgaben entsprechend stärker gekürzt werden.

In einem Katastrophenszenarium, aber unter der Annahme einer fortgesetzten Bedienung der US-Staatsschuld, hätten die Anleger mit Folgendem zu rechnen:

  • wegen der deflationären Tendenzen kommt es zu einem neuen Boom am Treasury-Markt;
  • da sich eine globale Rezession nicht vermeiden lässt, brechen überall die Aktienmärkte ein,
  • ebenso die Rohstoffmärkte – einschließlich Erdöl und Gold;
  • der Welthandel und die Frachtraten schrumpfen;
  • die Währungen der Schwellenländer werten stark ab;
  • die Banken kommen erneut ins Schleudern, viele müssen verstaatlicht werden;
  • die Regierungen Eurolands sind gezwungen, die Banken- und Fiskalunion schneller voranzubringen als erwartet.

Wie gesagt: ein Katastrophenszenarium. Mittelfristig wäre eine Radikalkur der amerikanischen Staatsfinanzen vielleicht gar nicht schlecht. Bill Clinton hat so etwas Mitte der neunziger Jahre in einer ähnlichen Situation gut hinbekommen. Nach dem „government shutdown“ sanken die Staatsdefizite drastisch, es kam in der Folge sogar zu Überschüssen (1998 bis 2001) und die Wirtschaft brummte. Allerdings waren die Finanzen damals im Ausgangszeitpunkt nicht so aus dem Gleichgewicht wie heute.

Bleibt zu hoffen, dass wir nicht alle wirtschaftlich tot sind, bevor sich die positiven Wirkungen einer globalen Strukturbereinigung einstellen.