Als am Freitag die ersten Meldungen über die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über den Ticker liefen, reagierte man an den Finanzmärkten und in der EZB erleichtert. Die Entscheidung über das Anleiheprogramm wurde an den Europäischen Gerichtshof verwiesen, damit schien die Gefahr eines Vetos aus Karlsruhe abgewendet.
Ich habe das zuerst auch so gesehen, inzwischen bin ich der Meinung, dass es sich dabei um eine Fehleinschätzung handelt. Diese Entscheidung ist für die EZB der GAU.
Gewiss: Der Fall liegt jetzt beim EuGH. Das ist auch sinnvoll, schließlich ist er für die Interpretation europäischer Normen zuständig. Doch zugleich hat das BVerfG keinen Zweifel daran gelassen, dass das OMT aus ihrer Sicht ein klarer Verstoß gegen europäisches Recht ist – eine Meinung, die ich nicht teile, aber das spielt hier keine Rolle.
Vorbehaltlich der Auslegung durch den Gerichtshof der Europäischen Union ist der OMT-Beschluss nach Einschätzung des Bundesverfassungsgerichts mit dem Primärrecht unvereinbar.
Deshalb ist die Überweisung kein Akt der Unterwerfung, sondern Zeichen eines Herrschaftsanspruchs. Ihr mögt formal zuständig sein, so die Botschaft der Richter aus Karlsruhe an ihre Kollegen in Luxemburg, aber wir sagen euch, wie ihr zu entscheiden habt. Und das BVerfG lässt keinen Zweifel daran, dass es, was deutsche Institutionen angeht, keine anderen Götter neben sich akzeptiert.
Die Bejahung eines Ultra-vires-Aktes in diesem Sinne löste Unterlassungs- und Handlungspflichten deutscher Staatsorgane aus. Diese sind vor dem Bundesverfassungsgericht jedenfalls insoweit einklagbar, als sie sich auf Verfassungsorgane beziehen.
Mit anderen Worten: Wenn die Argumentation des EuGH die Karlsruher Richter nicht überzeugt, können Sie die Bundesregierung und die Bundesbank mindestens dazu veranlassen, sich an einem eventuellen Programm der EZB nicht zu beteiligen. Ob die Notenbank unter diesen Umständen das OMT aktivieren würde?
Vielleicht spielt das keine Rolle, weil sich die Märkte so weit beruhigt haben, dass sie das Sicherheitsnetz nicht mehr brauchen. Politisch aber wird die Entscheidung den Kritikern der Notenbank in Deutschland Aufwind verleihen. Sie haben es praktisch mit Brief und Siegel, dass die EZB gegen Recht und Gesetz verstößt – die AfD reibt sich bereits die Hände.
Und eines ist klar: Was der EuGH zu der Sache sagt, interessiert zumindest an den deutschen Stammtischen niemanden, dort weiß man im Zweifel nicht einmal, was das ist. Das Bundesverfassungsgericht kennt jeder und es ist eine der angesehensten Institutionen im Lande.
Ich sehe schon die Wahlplakate vor mir. Nicht sehr schön, all das.