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Warum die deutsche Wirtschaft stärker wachsen könnte

 

Die Wachstumsprognosen für dieses Jahr werden zurzeit immer optimistischer. Nach der neuen Schätzung des Sachverständigenrats dürfte das reale Sozialprodukt um knapp zwei Prozent zulegen, nach nur 0,4 Prozent im Jahr 2013.

Das klingt gut, aber warum reden wir nicht über drei oder vier Prozent Zuwachs pro Jahr?

Schließlich ist die Wirtschaft seit dem letzten zyklischen Hochpunkt (Anfang 2008) im Durchschnitt nur um 0,5 Prozent jährlich gewachsen, verglichen mit 1,6 Prozent im vorangegangenen zehnjährigen Konjunkturzyklus. Die Produktionslücke ist also nach wie vor gewaltig und bettelt geradezu darum, endlich wieder geschlossen zu werden. Inflationsrisiken bestehen nicht, weil der Wettbewerb in der jetzigen Situation so intensiv ist, dass die Unternehmen kaum Spielraum für höhere Preise haben.

In der Vergangenheit waren überdurchschnittliche Zuwachsraten unmittelbar nach dem Tiefpunkt der Rezession üblich – warum nicht auch in den kommenden Jahren? Die Unterauslastung ist erneut sehr niedrig, und die Wirtschaft befindet sich offenbar in der Nähe oder sogar kurz nach ihrem unteren Wendepunkt.

Grafik: Reales BIP im konjunkturellen Auf und Ab 1991Q1-2013Q4

Woran kann es liegen? Ich sehe vier Hauptgründe: der private Verbrauch lahmt, den Investitionen fehlt es an Dynamik, im Außenhandel läuft es noch nicht wieder so richtig und der Staat und die Banken bemühen sich vorrangig darum, Schulden abzubauen und die Bilanzrelationen zu verbessern. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich aber, dass es möglich sein sollte, einige dieser Blockaden zu beseitigen; einige dürften auch von allein verschwinden.

Das gilt vor allem für den Konsum. Schließlich nimmt die Beschäftigung weiterhin zügig zu, zuletzt, nach vielen guten Jahren, immer noch um 0,7 Prozent im Vorjahresvergleich. Das bedeutet nichts anderes, als dass das Jobrisiko stark abgenommen hat. Nachdem die Haushalte viele Jahre lang sehr sparsam waren, müssten sie eigentlich Nachholbedarf haben. An finanziellen Reserven fehlt es nicht, jedenfalls nicht im Durchschnitt. Und die Sparzinsen sind inzwischen so niedrig (real sind sie negativ), dass Sparen nicht besonders attraktiv ist.

Im Wohnungsbau waren die Zahlen zuletzt so gut, dass ich mir vorstellen kann, dass von dieser Seite demnächst starke Impulse auf den privaten Verbrauch ausgehen werden. Wohnungen wollen schließlich eingerichtet werden. Inflationsbereinigt übertrafen die Auftragseingänge im Dezember und Januar ihr Vorjahresniveau um 9,2 Prozent.

Grafik: Auftragseingang im Wohnungsbau,1991-2014M02

Der Sachverständigenrat vermutet, dass die privaten Konsumausgaben ihr Vorjahresniveau 2014 real um 1,4 Prozent übertreffen werden. Sie nehmen also langsamer zu als das Sozialprodukt und sind damit zurzeit eine Wachstumsbremse. Da sie 56,9 Prozent des BIP ausmachen, hängt die Wachstumsrate für die Gesamtwirtschaft ganz entscheidend davon ab, was die Haushalte mit ihrem Geld anfangen – sparen sie oder geben sie wieder einen größeren Teil ihres Einkommens für Konsum aus? Konsumieren ist ja keine Sünde, sondern vielmehr für einen Ökonomen wie mich der wichtigste Grund, warum die Leute überhaupt arbeiten. In den USA ist es übrigens wieder einmal genau anders herum: Im vierten Quartal hatte das reale BIP mit einer auf’s Jahr hochgerechneten Rate von 2,6 Prozent, der private Konsum dagegen mit einer von 3,3 Prozent zugenommen. So kann es auch gehen. Es ist ein Rätsel für mich, warum die Haushalte hierzulande nicht ebenfalls mit ihren Ausgaben den Takt für das gesamtwirtschaftliche Wachstum vorgeben. Die Unternehmen warten ja geradezu auf Signale vom Souverän der Volkswirtschaft: Je mehr sich die Verbraucher zurückhalten, desto weniger risikofreudig werden die Unternehmer bei ihren Investitionen sein.

Zu den Investitionen: Bei den Ausrüstungen war es in den beiden Vorjahren real zu Rückgängen um 4,0 und 2,4 Prozent gekommen, jetzt visiert der Sachverständigenrat eine Zuwachsrate von real 6,3 Prozent an. Nur auf den ersten Blick ist das eine respektable Zahl – vom Niveau her werden sie dann aber immer noch um 11,2 Prozent unter dem Durchschnitt der Quartale 4/2007 bis 3/2008 liegen, dem letzten zyklischen Hoch.

Grafik: Ausrüstungsinvestitionen und Bauinvestitionen, 1991-2013Q4

Wenn ich den alten Trend der Ausrüstungsinvestitionen extrapoliere, komme ich ohne Mühe zu dem Schluss, dass sie zurzeit um mehr als ein Viertel darunter liegen (110/150: 110 aktuell, 150 als Trendwert). Es gibt also noch sehr viel Luft nach oben, auch dann noch, wenn die Investitionen im Jahr 2014 tatsächlich um die prognostizierten 6,3 Prozent steigen. Obwohl sie zuletzt nur einen Anteil von 6,3 Prozent am nominalen BIP haben, spielen sie zum Einen die entscheidende Rolle für die Zuwachsrate des Kapitalstocks, die Produktivität und den Wachstumspfad des potenziellen BIP, zum Anderen weisen sie, wie im obigen Schaubild zu sehen, in Expansionsphasen oft mehrere Jahre hintereinander Zuwachsraten von fast 10 Prozent auf – so zuletzt geschehen in den Jahren 2005, 2006 und 2007. Sie sind gewissermaßen der Turbo der Konjunktur. Sie sind die Komponente der Nachfrage, die im Abschwung überproportional stark einbricht und im Aufschwung überproportional stark expandiert.

Ich denke, wir könnten wieder einmal ordentliche Zuwachsraten bekommen: Dafür sprechen allerdings bisher noch nicht die inländischen realen Auftragseingänge bei den Investitionsgüterproduzenten (+4,3% in Nov./Jan. gg. Mai/Juli annualisiert), dafür aber der Modernisierungsbedarf, der sich in den vergangenen sechs Jahren aufgestaut hat. Die Kapitalkosten sind zudem so niedrig wie selten, vor allem was das Fremdkapital angeht. Aber auch Eigenkapital ist zurzeit billig, gemessen am durchschnittlichen Kurs-Gewinnverhältnis oder dem Kurs-Buchwertverhältnis der börsennotierten Unternehmen.

In Deutschland spielt im Übrigen das Auf und Ab der Auslandsnachfrage eine wichtige Rolle für die Investitionen. Die Unternehmen wissen, dass sie im Wettbewerb nur bestehen können, wenn sie modernste Produktionsverfahren einsetzen. Da der Welthandel laut neuem Zwischengutachten des Sachverständigenrats 2014 real um 5,6 Prozent zunehmen wird, nach 2,8 Prozent im Jahr 2013, müssen sie allmählich aktiv werden.

Wie sieht es im Außenhandel aus? Vor allem weil die deutsche Konjunktur besser läuft als in den übrigen Ländern der Währungsunion – auf die etwa 36 Prozent der Warenexporte und 39 Prozent der Importe entfallen – nehmen die Einfuhren 2014 rascher zu als die Ausfuhren, so dass es anders als in ähnlichen Phasen der Vergangenheit nur einen geringen positiven Beitrag des Außenhandels zum gesamtwirtschaftlichen Wachstum geben dürfte (0,1 Prozentpunkte schätzt der Sachverständigenrat). Bei den handelsgewogenen Wechselkursen des „deutschen Euro“ ist es seit Mitte 2012 zudem zu kräftigen Aufwertungen gekommen, die die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen beeinträchtigt haben. Das ist im Übrigen ein weiterer Grund, weshalb mehr investiert werden sollte.

Grafik: Effektive Wechselkurse für Deutschland, 1999-2014M02

Die Situation der Weltwirtschaft und der Wechselkurs sind exogene Faktoren, auf die weder die deutsche Wirtschaftspolitik noch die Unternehmen einen Einfluss haben und die daher hinzunehmen sind. Allerdings habe ich die Erfahrung gemacht, dass sich die deutsche Wirtschaft im internationalen Wettbewerb meist besser schlägt, als das aufgrund der Datenlage zu erwarten ist. Mit anderen Worten, vielleicht kommt beim Außenbeitrag am Ende doch ein höherer Wert heraus als zurzeit erwartet wird.

Grund Nummer vier, warum die deutsche Konjunktur nicht so richtig in die Gänge kommt, hat mit dem sogenannten Deleveraging zu tun, mit dem Abbau des Schuldenanteils, der objektiv oder subjektiv als zu hoch empfunden wird. Es ist die Reaktion auf vorangegangene Exzesse, als Schuldenmachen als risikolos und opportun angesehen wurde. Das war, wie dem folgenden Schaubild zu entnehmen ist, vor allem seit der Jahrtausendwende der Fall.

Grafik: Private Verschuldung in ausgewählten Länder, 1992-2013

Während das Deleveraging in den USA seit 2009 gut vorangekommen ist und an den Kreditmärkten wieder so etwas wie Normalität herrscht, stagniert das Schuldenniveau der Banken, anderer Unternehmen und der Haushalte Eurolands mehr oder weniger auf hohem Niveau und behindert eine neue Expansion der Kreditvergabe und damit der Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen, also die Konjunktur. Die EZB hat am Donnerstag berichtet, dass die Kredite an den privaten Sektor in den drei Monaten bis Februar gegenüber dem Vorjahr um 2,3 Prozent zurückgegangen sind, real also um etwas mehr als drei Prozent. Der Schuldenabbau läuft also noch – und er kann viele Jahre anhalten, wie das nach einer großen Finanzkrise oft so ist. In den Ländern der sogenannten Peripherie Eurolands bleibt es das dominierende Thema.

Deutschland ist weniger betroffen. Es hatte hierzulande glücklicherweise keine schuldengetriebenen Blasen an den Märkten für Aktien und Immobilien gegeben. Es konnten daher auch keine Blasen platzen. Das ist ein wichtiger Grund, warum unser Land konjunkturell relativ gut dasteht. Das Deleveraging betrifft im privaten Sektor allein die Banken – Haushalte und sonstige Unternehmen haben keine nennenswerten Schuldenprobleme. Die Banken hatten ihre Bilanzen in den Jahren seit etwa 2000 auf der Suche nach attraktiven Renditen mit sogenannten Asset Backed Securities vorwiegend amerikanischer Provenienz vollgeladen. Seit dem Sommer 2007 hatten diese rapide an Wert verloren. Zahlreiche deutsche Banken standen kurz vor dem Ruin und konnten nur mit staatlicher Hilfe gerettet werden. Alle waren in der Folgezeit gezwungen, den Anteil des Eigenkapitals an ihrer Bilanzsumme zu erhöhen. Eine Methode bestand darin, die Aktivseite zu verkleinern, vor allem also weniger Kredite zu vergeben. Der Prozess ist noch nicht abgeschlossen und behindert damit den Konjunkturaufschwung.

Ein anderer wichtiger Akteur, der Deleveraging betrieb, war der deutsche Staat. Seine Haushaltsdefizite waren 2009 und 2010 geradezu explodiert und hatten bei der Regierung, weniger bei den Wählern, Panik ausgelöst. Sie fürchtete um ihre Bonität an den Kapitalmärkten und hatte daher mitten in der Krise damit begonnen, diese Defizite abzubauen. In den Jahren 2012 und 2013 waren die gesamtstaatlichen Haushalte ausgeglichen; voraussichtlich wird das auch 2014 so sein. Im Vergleich zum Bruttoinlandsprodukt sinken die staatlichen Schulden – liegen allerdings immer noch weit über der (im Grunde irrelevanten) 60-Prozent-Grenze des Vertrags von Maastricht. So oder so, das Deleveraging des deutschen Staates ist de facto abgeschlossen. Allein die Tatsache, dass die Defizite nicht weiter reduziert werden müssen, ist aus konjunktureller Sicht eine gute Nachricht.

Insgesamt spricht Einiges dafür, dass die Wachstumsprognosen in den kommenden Monaten weiter angehoben werden und dass am Ende bei der Zuwachsrate für das reale BIP in diesem Jahr eine Drei vor dem Komma stehen könnte.