Wenn Sparer in diesen Tagen Geld verdienen möchten, müssen sie bereit sein, Risiken einzugehen. Mit ihren Sparbüchern kommen sie nicht weit. Wenn sie die Inflationsrate vom Zins abziehen, schreiben sie rote Zahlen. Aktien mit hohen Dividendenrenditen sind daher heute – noch mehr als sonst – eine attraktive Anlagealternative. Ich denke, mit einem einigermaßen breit gestreuten Portefeuille lässt sich vor Steuern verlässlich eine Rendite von 3,5 bis 4 Prozent erreichen. Das haut denjenigen nicht um, der denkt, unter 10 Prozent macht er es nicht, aber real sind das, gerechnet mit der aktuellen deutschen Inflationsrate von 1,0 Prozent, immer noch 2,5 bis 3 Prozent und damit mehr als die wahrscheinliche mittelfristige Zuwachsrate des realen Sozialprodukts. Aus den inflationsgesicherten Bundesanleihen lässt sich ablesen, dass die Marktteilnehmer für die nächsten fünf Jahre eine durchschnittliche Inflationsrate von 1,05 Prozent erwarten, die künftige Inflationsrate für die Anleger also real etwa so viel übrig lassen wird wie heute.
Das muss natürlich nicht so eintreten – wir wissen alle, dass Marktteilnehmer nicht immer rational vorgehen und es lieben, der Herde zu folgen. Sie machen ständig Fehler. Trotzdem gibt es starke Gründe für die Annahme, dass die Inflation auf Jahre hinaus unter Kontrolle bleiben wird, die Dividenden also nicht von der Geldentwertung aufgefressen werden. Selbst die EZB befürchtet neuerdings ein Abgleiten in die Deflation und wird daher bei ihrer expansiven Politik bleiben. Aus deutscher Sicht ist Deflation vielleicht kein so großes Risiko, für Euroland insgesamt aber durchaus: Die Arbeitslosenquote beträgt fast 12 Prozent und die Produktionslücke, die Differenz zwischen aktuellem BIP und „normalem“ BIP, ist gewaltig – sie kann nur sehr langsam geschlossen werden. Höhere Löhne und Preise lassen sich in einer solchen Situation nur schwer durchsetzen: Laut Monatsbericht der EZB war das Arbeitsentgelt pro Stunde zuletzt nur 1,3 Prozent höher als vor einem Jahr, während die industriellen Erzeugerpreise um 1,7 Prozent, die Einfuhrpreise sogar um 1,9 Prozent niedriger waren. Im Produktionsprozess Eurolands herrscht auf den vorgelagerten Stufen bereits Deflation.
Die niedrigen Notenbankzinsen sorgen dafür, dass die Renditen von Staatsanleihen bis auf weiteres kaum steigen werden. Sie sind wie ein Gummiband, das verhindert, dass sich die Zinsen am langen Ende zu sehr von den kurzfristigen Sätzen entfernen. Die Bondrenditen könnten sogar noch um Einiges sinken, wenn sich die Dinge so weiterentwickeln wie es Japan vorgemacht hat. Für 10-jährige Bundesanleihen gibt es noch 1,5 Prozent, für 10-jährige japanische Staatsanleihen aber lediglich 0,6 Prozent!
Eine Umschichtung von Anleihen in Aktien ist in professionell gesteuerten Portefeuilles angesichts dieser Aussichten in vollem Gange. Die durchschnittliche Dividendenrendite der 30 DAX-Werte beträgt immerhin 2,85 Prozent, und wenn man sich auf die Aktien mit überdurchschnittlichen Dividenden konzentriert, wie ich es vorschlage, dürfte ein voller Prozentpunkt an Zusatzrendite drin sein.
Deutsche und andere europäische Aktien sind bereits gut gelaufen und nicht mehr billig. Der DAX hat in den vergangenen zwei Jahren 44 Prozent zugelegt, der EuroStoxx50 immerhin noch 37 Prozent. In derselben Zeit sind die durchschnittlichen Gewinne je Aktie wegen der schwachen Konjunktur leicht gesunken, so dass die KGVs (die Kurs-Gewinn-Verhältnisse) der beiden Indices zurzeit sehr hoch sind. Eine Korrektur der Aktienkurse würde nicht überraschen.
Es wird aber nicht zu einem Crash kommen, es sei denn, aus dem Konflikt zwischen Russland und der Ukraine wird am Ende doch noch ein Krieg. Ansonsten rechne ich damit, dass die Gewinne der europäischen Unternehmen kräftig steigen werden. Hauptgrund: Nachdem das reale BIP Eurolands in den Jahren 2012 und 2013 um 0,7 und 0,5 Prozent zurückgegangen ist, wird es nach der jüngsten Prognose des Internationalen Währungsfonds 2014 eine positive Zuwachsrate von 1,2 Prozent geben; das ist ein Swing von immerhin 1,7 Prozentpunkten. Für Deutschland erwarte ich einen noch größeren Swing, von +0,5 im letzten Jahr auf +3,2 Prozent in diesem; ich bin nach den jüngsten Konjunkturzahlen deutlich optimistischer als der Währungsfonds, der für 2014 nur mit 1,7 Prozent rechnet. Für die USA erwartet der IWF übrigens ein Wachstum von 2,8 Prozent, nach 1,9 Prozent im vergangenen Jahr, also nur eine verhältnismäßig geringe Verbesserung.
Mit anderen Worten, es sieht danach aus, dass die Gewinne in Europa inzwischen so stark steigen, dass sie die hohen Aktienkurse rechtfertigen. Ich denke, die kommenden Berichte über die Ergebnisse des ersten Quartals werden das belegen.
Im Übrigen sprechen zwei Phänomene dafür, warum Aktien mit hohen Dividenden grundsätzlich attraktiv sind: 1. Unternehmen, die einen überdurchschnittlichen Teil ihres Ertrags als Dividenden auszahlen, weisen in der Regel eine hohe Zuwachsrate bei den Gewinnen aus. Warum? Wenn sie nicht so viele Mittel für Reinvestitionen zur Verfügung haben, gehen sie sorgfältig damit um, was wiederum den Grenzertrag der Investitionen steigert. Von Analysten, die in Wachstumsaktien verliebt sind, wird dieser Aspekt gewöhnlich unterschätzt. 2. Die Kurse von Dividendenwerten schwanken weniger stark als der Markt und eignen sich daher für Anleger, die kein übermäßig großes Risiko eingehen wollen. Die Kehrseite ist allerdings, dass diese Papiere in Bullmärkten weniger gut laufen als der Markt insgesamt. Das ist jedoch zurzeit kein Thema, vermute ich. Die Indices befinden sich vielmehr nach ihrem guten Lauf jetzt in einer Konsolidierungsphase.
Anleger sollten vermeiden, sich zu sehr auf Aktien von Versorgern und Telecom-Unternehmen zu konzentrieren, die bekanntlich sehr hohe Dividenden ausschütten. Der Strukturwandel setzt den früheren Marktführern vielfach arg zu. Es lohnt ein Blick auf andere Branchen, etwa auf Versicherungen, Banken, Logistik, die Autoindustrie oder Konsumgüter. Wer zahlt in einer bestimmten Branche die höchsten Dividenden, und wurde in jedem der vergangenen fünf Jahre eine Dividende gezahlt, vielleicht sogar mit steigender Tendenz? Die Frage muss gestellt werden, ob Unternehmen auch in der Zukunft in der Lage sein werden, Dividenden zu zahlen.
Was schließlich das Timing angeht, besteht kein Grund zur Eile. Bald haben wir Mai, und da gilt bekanntlich „sell in May and go away„. Es wird demnächst vermutlich noch günstigere Kurse geben als heute.