Die jüngsten Inflationsdaten aus Deutschland sind bemerkenswert. Die Teuerungsrate ist im Mai nach deutscher Lesart auf 0,9 Prozent und nach europäischer auf 0,6 Prozent gefallen. Dabei wächst die Wirtschaft nun schon seit fünf Jahren, die Arbeitslosigkeit geht zurück und die Produktionslücke dürfte sich – trotz eines erweiterten Potenzials durch die Zuwanderung – allmählich schließen. Man würde also erwarten, dass die Inflation wenigstens in Deutschland sich dem Zielwert der EZB annähert, zumal sie eigentlich über zwei Prozent steigen sollte, wenn im Süden die Preise weniger stark steigen und die EZB ihr Ziel ernst nimmt. Tut sie aber nicht.
Ein möglicher Grund ist, dass die Auslastung der Kapazitäten geringer ist, als vielfach vermutet. Immerhin sind noch knapp drei Millionen Menschen ohne Arbeit, was den Anstieg der Löhne und damit die Inflation begrenzt.
Eine andere Erklärung wäre, dass der Schock der Agenda 2010 so tief sitzt, dass die Deutschen das Maßhalten so sehr verinnerlicht haben, dass sie sich auch durch verbesserte Rahmendaten davon nicht abbringen lassen. Ich meine damit unter anderem die Gewerkschaften, die nur einen moderaten Anstieg der Lohnstückkosten – laut EU-Kommission um 1,6 Prozent in diesem und im nächsten Jahr – hinbekommen. Oder die Teilnehmer am Immobilienmarkt, die trotz historisch niedriger Zinsen davor zurückschrecken, ihr Häuschen auf Kredite zu kaufen und vor allem Eigenkapital einsetzen. Denn wie die Bundesbank in ihrem letzten Finanzstabilitätsbericht schreibt:
Mit einer Jahresrate von 2,2% im dritten Quartal 2013 ist das damit verbundene Kreditwachstum jedoch weiterhin moderat
Das ist nur eine Vermutung, aber wenn es stimmt, dann verfügt die deutsche Volkswirtschaft über eingebaute Stabilisierungselemente, die zu einer atypischen Reaktion von Zinsen und Preisen führen. Das könnte auch die Persistenz des deutschen Leistungsbilanzüberschusses erklären. Mit anderen Worten: Wir können alles, außer Inflation (und weigern uns, die Früchte unserer Arbeit zu ernten).