Mark Schieritz hat seinem Kommentar zum Jahresbericht der Bank für internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) die Überschrift „Der Fatalismus der BIZ“ gegeben. Recht hat er. Die BIZ und ihr prominenter Vordenker Claudio Borio nehmen offenbar hin, dass sich die Finanzkrise noch Jahre hinziehen wird und sich daran von Seiten der Politik auch nicht viel ändern ließe. Die BIZ plädiert für Strukturreformen, also Maßnahmen auf der Angebotsseite, die den Wettbewerb intensivieren und eine neue massive Fehlallokation von Ressourcen vermeiden helfen, außerdem für eine nachhaltige Stabilisierung des Finanzsektors, wie sie unter dem Stichwort „Basel III“ zur Zeit im Gange ist. Kurzfristig sei nichts zu machen, so die Botschaft. Das Wort „Fatalismus“ trifft daher den Nagel auf den Kopf.
Inzwischen ist der Begriff balance sheet recession, wie er von Nomuras
Richard Koo 2001 in seinem gleichnamigen Buch popularisiert worden ist, ein fester Bestandteil des Analyseinstrumentariums bei Zentralbanken. Immerhin. Eine solche Rezession geht nicht einfach so vorbei wie eine Null-Acht-Fünfzehn-Konjunkturdelle. In Japan hat sich gezeigt, dass es trotz massiver antizyklischer Finanzpolitik und Leitzinsen in der Nähe von Null zwei Jahrzehnte dauern kann, bis sich wieder so etwas wie normales Wirtschaftswachstum einstellt.
Wenn ich mir das obige Schaubild ansehe, das Borio in seiner Präsentation zur Jahrestagung der BIZ verwendet, komme ich zu dem Schluss, dass die Ungleichgewichte in der amerikanischen Wirtschaft vermutlich nicht vor 2020 beseitigt sein werden. So lange, so die Botschaft, wird das Wachstum schwächer sein als vor dem Beginn der Finanzkrise im Jahr 2007 – auch die Inflation könnte noch lange Zeit unter dem Zielwert der Fed verharren. Dabei ist im Privatsektor der Abbau der Schulden, das Deleveraging, in den USA rascher vorangekommen als im Euroraum – keine guten Aussichten für uns!
Für die BIZ war das Wirtschaftswachstum der vergangenen Jahrzehnte zu sehr schuldengetrieben, was sich nun rächt. Es war leicht, an billiges Geld zu kommen, weil die Notenbanken auf jede Abschwächung der Konjunktur mit expansiven Maßnahmen reagierten. Diese im Zeitverlauf asymmetrische Politik führte in vielen OECD-Ländern zu Schuldenorgien und einer Inflation der Immobilienpreise. In den reichen Ländern belaufen sich die Schulden immer noch auf 275 Prozent des BIP; sie sind damit höher als in den Jahren vor 2007. Neues Ungemach bahnt sich in den Schwellenländern an, die bisher weitgehend von der Krise verschont geblieben waren. Noch sind ihre Schulden vergleichsweise niedrig, sie nehmen aber rapide zu. Insgesamt hat die expansive Wirtschaftspolitik zwar die Nachfrage und damit die Beschäftigung stabilisiert, sie hat aber letztlich Kapital und Arbeit in Aktivitäten gelenkt, die nur wenig beitrugen zum Wachstum des Produktionspotenzials.
Die reichen Volkswirtschaften, so die BIZ, sind nicht nur deutlich, sondern wohl auch nachhaltig nicht mehr so dynamisch wie noch in den achtziger und frühen neunziger Jahren, eine Folge dieser Fehlallokationen. Wie dem folgenden Schaubild zu entnehmen ist, kam es bei der Produktivität in den letzten zwölf Jahren geradezu zu einem Einbruch – er begann also schon Jahre vor dem Beginn der Finanzkrise.
Rekordniedrige Zinsen bedeuten nicht notwendigerweise, dass Unternehmen mehr Schulden machen, in Maschinen, Anlagen und Software investieren und so das Wachstum des Produktionspotenzials wieder in Schwung bringen. Je höher die Schulden, desto mehr leidet die Zahlungsfähigkeit der Schuldner, wenn die Zinsen steigen oder ihre Gewinne zurückgehen. Ständig steigende Schulden führen nach Ansicht der BIZ nicht zuletzt zu einer zunehmenden Verunsicherung der Akteure. Niedrige Zinsen senken die Risikoaversion, aber es ist nicht klar, dass das zu einem Anstieg der produktiven Investitionen führen wird. Wichtiger noch, wenn die Zinsen zu lange auf einem ultra-niedrigen Niveau gehalten werden, könnten sie zu einem neuen Gleichgewicht des Schreckens führen – mit hohen Schulden, niedrigen Zinsen und magerem Wirtschaftswachstum. Für die BIZ muss die Politik alles tun, damit die Produktivität wieder rascher zunimmt. Von einer Stimulierung der Nachfrage mit fiskalischen Mitteln verspricht sie sich in dieser Hinsicht allerdings nichts. Angesichts der gewaltigen Outputlücken wäre es meiner – und Mark Schieritz‘ – Ansicht nach sehr förderlich, wenn gezielt Maßnahmen ergriffen würden, die die Investitionen und damit das Potenzialwachstum fördern. Vor allem Deutschland hat hier einen beträchtlichen Spielraum.
Im Übrigen wird es aus Sicht der BIZ für die Zentralbanken immer schwerer, ihre Politik zu normalisieren. Marktteilnehmer gehen inzwischen davon aus, dass die Geldpolitik auf viele Jahre hinaus außerordentlich locker bleiben wird. Ein früher Kurswechsel würde wie ein Schock wirken, was die Notenbanken wiederum zögern lassen dürfte, wirklich Ernst zu machen.
Trotzdem drängt die BIZ darauf, sich stärker mit einer Normalisierung der Geldpolitik zu beschäftigen. Die wichtigste Aussage des Jahresberichts ist vielleicht, dass sich angesichts nach wie vor weitverbreiteter Bilanzprobleme mit einer expansiven Geldpolitik nicht viel ausrichten lässt. Es sei daher an der Zeit, sich darüber klar zu werden, welche Risiken entstehen, wenn man es bei dem jetzigen „Immer weiter so“ belässt. Als altem Japan-Beobachter spricht mir das aus dem Herzen. Man müsste mal durchrechnen, was passiert, wenn etwa die Fed und die Bank of England beginnen, die Liquidität zu verknappen und die Leitzinsen anzuheben. Der EZB wäre es vermutlich recht – es käme dann endlich zur gewünschten starken Abwertung des Euro und damit zu Inflationsimport. Genau aus diesem Grund wird es aber so nicht laufen. Ohne einen international abgestimmten Kurswechsel wird es nicht gehen. Das Projekt ist aber leider noch nicht auf der Agenda.