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Gabriels Investitionskommission: viel heiße Luft

 

Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel steht vor der Quadratur des Kreises: Seit mittlerweile zwölf Jahren verfällt die öffentliche Infrastruktur stetig, aber der Minister hat keine Mittel, öffentliche Straßen, Kitas und Schulen instand zu halten oder sogar auszubauen. Die Steuereinnahmen reichen nicht; die Kreditaufnahme hat sich der Staat durch Schuldenbremse und Europäischen Fiskalpakt selbst verboten. Gleichzeitig scharren die Versicherungen und Banken mit den Füßen, weil die Zinsen auf Staatsanleihen auf historischen Niedrigständen liegen – das schmälert auch die Renditen der Riester-Rente.

Weil der Minister selbst keine Antwort wusste, setzte er eine Expertenkommission ein. Diese Kommission hat am Dienstag ihren Bericht zur „Stärkung von Investitionen in Deutschland“ vorgelegt. Das Ergebnis von 100 Seiten und sechs Monaten Arbeit: Es gibt leider keine wirkliche Lösung für das Investitionsproblem. So eindeutig haben es die Experten natürlich nicht hingeschrieben. Dafür haben sie aber teilweise am Problem vorbei wenig Konkretes, viel Undurchsichtiges und manchmal auch schlicht Falsches geliefert.

Die eigentliche Frage, die dem Bericht zugrunde liegt, ist: Wie umschiffen wir Schuldenbremse und Fiskalpakt, um doch noch per Kredit Infrastruktur finanzieren zu können? Die Kommission hat sich dazu einige, aber leider nicht genug Gedanken gemacht – vor allem haben die Experten offensichtlich wenig Ahnung davon, wie Schuldenbremse und Fiskalpakt überhaupt funktionieren. Das wäre allerdings eine notwendige Voraussetzung gewesen, um Investitionen an den Regelwerken vorbei zu finanzieren.

Knapp gesagt besteht die Kunst der Schuldengrenzenumgehung darin, eine öffentliche Organisation zu gründen, die zwar öffentliche Infrastruktur bauen und betreiben kann, aber in der Statistik nicht dem Sektor Staat zugeordnet wird. Dann würden Schulden und Defizite dieser Organisation nämlich nicht den öffentlichen Haushalten angerechnet werden und damit auch nicht unter die Schuldenbremse und den Fiskalpakt fallen. Bevor man die Blaupause für solche Organisationen aufzeichnet, muss man aber leider die Hemdsärmel hochkrempeln und sich tief ins Kleingedruckte wühlen. Also mal ran.

Nach den einschlägigen Eurostat-Regeln wird ein Unternehmen dem Staat oder dem Privatsektor zugeordnet, je nachdem, woher seine Einnahmen kommen (wer es genauer wissen will, kann die Regeln zur Abgrenzung zwischen Staat und Privat hier ab Seite 420 nachlesen). Nehmen wir als Beispiel die Deutsche Bahn: Sie gehört zwar zu hundert Prozent dem Staat, wird aber statistisch nicht dem Sektor Staat zugeordnet – und ihre Schulden damit auch nicht. Das liegt daran, dass sie ihre Einnahmen überwiegend über den Markt erzielt – was bei der Bahn vor allem der Ticketverkauf ist. Vor der Privatisierung galt das auch für Post und Telekom. Kommen die Einnahmen einer Organisation aber vor allem aus Steuergeldern oder anderen Abgaben, wird sie samt ihrer Schulden dem Staat zugeordnet.

Was heißt das jetzt für die öffentliche Infrastruktur? Ganz klar: Schuldenbremsenkonform kann man nur dann Schulden für Investitionen aufnehmen, die nicht dem Staat zugeordnet werden, wenn die Kosten des Unterhalts und des Betriebs dieser Infrastruktur über Nutzergebühren finanziert werden und nicht über Steuern. Wie soll das aber bei den Kommunen funktionieren, die laut Bundeswirtschaftsministerium einen Investitionsstau von 156 Milliarden Euro haben? Auf diese wesentliche Frage sucht man aber im Bericht vergebens eine Antwort. Kein Wort verliert die Kommission darüber, wer sich eigentlich Geld wie unter welchen Bedingungen auf der kommunalen Ebene leihen soll, wo doch Fiskalpakt und Schuldenbremse die Verschuldung drastisch einengen.

Das ist vielleicht kein Wunder, denn die Antwort ist politisch nicht sehr bequem für den Minister. Sie würde nämlich lauten: Wir bräuchten eine Kommunalmaut, aus der neu zu gründende kommunale Straßenbauunternehmen ihren Zinsdienst leisten müssten. Dann würde vor der gemütlichen Fahrt über die Landstraße erst mal eine Gebühr fällig. Auch mittelständische Unternehmen in ländlichen Gebieten würden sich herzlich bedanken. Noch drastischer wäre es für Schulen und Kindergärten. Die Kommunen müssten dann Schul- und Kindergartengebühren erheben, wenn sie über Schulden die zunehmend verfallenden Einrichtungen sanieren wollten.

Über einen viel unwesentlicheren Bereich lassen sich die Experten aber in epischer Breite aus: Sie diskutieren nämlich verschiedene neu zu gründende Fonds, die sich von Banken, Versicherungen und Bürgern Geld leihen sollen, das sie dann den Kommunen für die Finanzierung weiterverleihen könnten.

Dieser Vorschlag ist aus zwei Gründen verwunderlich: Erstens schweigt sich die Kommission ja darüber aus, wem diese Fonds denn das ganze Geld leihen wollen, wenn die Kommunen es sich wegen der Schuldenbremse gar nicht leihen dürfen. Und zweitens gibt es so einen Fonds schon seit längerer Zeit: Er nennt sich Finanzagentur der Bundesrepublik Deutschland und leiht sich bei Banken, Versicherungen und Bürgern Geld, mit dem der Staat einen Teil seiner Ausgaben finanziert.

Warum man also neue Fonds braucht, mögen nur die in der Kommission vertretenen Mitglieder der Deutschen Bank, der Allianz und der Ergo Versicherungsgruppe wissen. Sie rechnen sich vielleicht aus, dass sie diese neuen unsinnigen Fonds betreiben können, um dann an den Gebühren zu verdienen – die wiederum die Kommunen und in letzter Instanz die Bürger zu bezahlen hätten.

Ehrlicher wird die Kommission allerdings, wenn es um Autobahnen geht. Da fordern die Experten eine Auslagerung der Autobahnen in eine eigene Gesellschaft, die zwar wie die Bahn noch dem Staat gehört, sich aber vor allem über die Maut finanziert, sodass ihre Schulden nicht dem Schuldenpakt und der Schuldenbremse unterliegen. Ein ähnliches Modell betreibt auch Österreich.

Hier erlaubt sich die Kommission aber einen empfindlichen Schnitzer. Explizit fordert sie, dass der Staat für die Schulden dieser Gesellschaft keine Garantie aussprechen darf. Denn damit, so die Experten, würden die Schulden doch wieder dem Staat zugerechnet werden. Das ist allerdings schlicht falsch – und die Experten hätten es wissen müssen, weil es an anderer Stelle ihres Berichts eigentlich richtig steht.

In einer Box über die mautfinanzierten österreichischen Betreibergesellschaft der Autobahnen (ASFINAG) steht ganz explizit im Bericht: „Zur Kreditaufnahme gibt die ASFINAG Anleihen aus, die mit einer Garantie der Republik Österreich ausgestattet sind. Die ASFINAG wird nicht dem österreichischen Staatssektor zugeordnet.“

Da es bei der statistischen Abgrenzung von Staat und privat keine Unterschiede zwischen Österreich und Deutschland gibt, würde auch eine deutsche Autobahngesellschaft nicht dem Staat zugerechnet werden, selbst wenn er Garantien aussprechen würde. (Wie das mit den Garantien ist, hätten die Experten hier nachlesen können.)

Nun ist das nicht nur eine Kleckerfrage, sondern gehört zum berühmten Kleingedruckten, das man besser sehr genau lesen sollte. Denn wenn der Staat keine Garantie ausspricht, könnten die privaten Gläubiger höhere Zinsen verlangen – und die Autofahrer müssten höhere Mautgebühren bezahlen. In Österreich führt die Staatsgarantie dazu, dass sich die ASFINAG fast so günstig wie der Staat finanziert. Aber genau dagegen spricht sich die Kommission aus. Höhere Zinsen zu kassieren dürfte aber genau der Grund sein, warum die private Finanzwirtschaft so prominent in der Kommission vertreten ist.

Was bleibt nun vom Bericht der Experten? Im günstigsten Fall ist es medial inszenierte heiße Luft: Man beschäftigt sich mit dem Investitionsstau, der Minister kann zeigen, dass er denken lässt, aber es wird nichts dabei herauskommen. Im ungünstigsten Fall wird der Bericht eine Blaupause für die schrittweise Gebührenfinanzierung der öffentlichen Infrastruktur sein, von Kommunalmaut bis Schulgebühren. So mancher hatte ja schon vor solchen Folgen der Schuldenbremse gewarnt …