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Die BIP-Zahlen sind unplausibel niedrig

 

Warum ist das reale Sozialprodukt im ersten Quartal nur um 0,3 Prozent gegenüber dem vierten Quartal gestiegen? Ich hatte zwar kürzlich erklärt, die Stimmung sei viel besser als die Zahlen, und könnte mich für diese Überschrift beglückwünschen, aber dass eine so mickrige Zuwachsrate herauskommen würde, hatte ich dann doch nicht gedacht.

Grafik: Bruttoinlandsprodukt 2015Q1

Klar, die Beschäftigung hat in den ersten Monaten des Jahres saisonbereinigt stagniert, ebenso wie die Industrieproduktion, am Bau jedoch brummt es. Wie die Statistiker in ihrer vorläufigen Analyse des Geschehens anmerkten, läuft es im Inland ganz gut, aber im Ausland scheint es Probleme gegeben zu haben. Das reale BIP der Welt hatte offenbar in Q1 nur mit einer annualisierten, also aufs Jahr hochgerechneten Rate von 2,1 Prozent zugenommen, verglichen mit Raten von 3,5 bis 4 Prozent in den Vorquartalen – vor allem bei den Schwergewichten der Weltwirtschaft, den USA, China und Japan, lief es schlechter als erwartet. Die Zuwachsraten lagen bei 0,2 Prozent, 5,4 Prozent und 0,6 Prozent und damit deutlich unter den mittelfristigen Trendwerten. Probleme gab es natürlich in Russland, wo eine tiefe Rezession begonnen hat (-8,9 Prozent), verbunden mit einer starken Abwertung des Rubel. Auch Brasilien, ein anderes wichtiges Schwellenland, befindet sich in einer Rezession.

Dass die Partnerländer in der Währungsunion beim Wachstum positiv überraschten, reichte angesichts des Gegenwinds aus der übrigen Welt nicht aus. Insgesamt hat der Außenhandel das deutsche Wachstum gebremst. Ich frage mich, was erst passiert, wenn der Euro wieder einmal kräftig aufwerten sollte. Sollen wir uns Sorgen machen? Wahrscheinlich ist es noch viel zu früh dafür.

Sehr erfreulich ist dagegen, was sich beim privaten Verbrauch tut. Auf ihn entfallen immerhin 55,3 Prozent des BIP. Wir wissen noch nicht, wie hoch hier die Zuwachsrate war, aber die Einzelhandelsumsätze und der Autoabsatz lassen erwarten, dass sie kaum niedriger gewesen sein dürfte als im vierten Quartal, als sie (real) bei 0,8 Prozent gelegen hatte. Warum sollte der wichtigste Wachstumsimpuls in einem großen und reichen Land wie Deutschland nicht auf Dauer vor allem von der Konsumnachfrage ausgehen? Schließlich arbeiten wir ja vor allem, weil wir uns vom Lohn etwas kaufen wollen. Die Löhne steigen stärker als in der Vergangenheit, die Kaufkraft hat durch den Verfall des Ölpreises kräftig zugenommen und die Jobrisiken sind vergleichsweise moderat, auch wenn die Luft am Arbeitsmarkt ein bisschen raus ist. Und es fehlt – wen überrascht es? – nicht an Ersparnissen. Der Außenbeitrag ist wohl auch deswegen rückläufig gewesen, weil die Einfuhren als Folge der robusten Binnennachfrage stark zugelegt haben. Deutschland als Konjunkturlokomotive für die Nachbarländer, wer hätte das gedacht?

Es sieht zudem so aus, als ob auch der Staat wieder einmal spendabler war als üblich. Warum auch nicht? Schließlich wird es 2015 zum vierten Mal in Folge einen Haushaltsüberschuss geben, sodass allmählich der Punkt gekommen ist, an dem forciertes Sparen kontraproduktiv wäre. Nur wenn Gläubiger genügend Geld ausgeben, haben Schuldner wie Griechenland eine Chance, ihre Verbindlichkeiten zu vermindern – was tendenziell den Euro stabilisiert. Übrigens entfallen in nominaler Rechnung auf die Konsumausgaben des Staates nicht weniger als 19,3 Prozent des BIP, sodass der private und öffentliche Konsum zusammengenommen 74,6 Prozent des BIP ausmachen. Hier spielt die Musik, was die kurzfristigen Konjunkturaussichten angeht.

Gespannt bin ich, ob die Ausrüstungsinvestitionen trotz der weiterhin niedrigen Kapazitätsauslastung tatsächlich so kräftig zugenommen haben wie vom Statistischen Bundesamt angekündigt. Hier haben wir es (real) seit (gefühlt) ewigen Zeiten nicht nur mit einer Stagnation, sondern mit einem deutlichen Rückgang zu tun, was nicht zuletzt erklärt, warum das Potenzialwachstum und die Produktivität im vergangenen Jahrzehnt so stark gelitten haben. Deutschland war – oder ist noch – dabei, wegen seiner rückläufigen (Netto-)Investitionsquote seine Zukunftsfähigkeit zu verspielen.

Nicht überrascht wäre ich, wenn die Bauinvestitionen erneut einen großen Beitrag zum gesamtwirtschaftlichen Wachstum geleistet hätten. Der Nachholbedarf, die rekordniedrigen langfristigen Zinsen und die vergleichsweise gute Lage am Arbeitsmarkt sind plausible Argumente für eine solche Annahme. Wenn jetzt der Eindruck entsteht, dass die Hypothekenzinsen wieder steigen, könnte das viele Haushalte und Unternehmen dazu animieren, ihre Baupläne vorzuziehen, was dann der Konjunktur noch einmal einen Schub geben würde.

Wenn ich mir ansehe, was ich bis hierher geschrieben habe, bin ich doch ziemlich überrascht, dass das BIP tatsächlich nur um 0,3 Prozent gestiegen sein soll. Ich würde mich daher nicht wundern, wenn die BIP-Zahlen bei der nächsten Revision nach oben korrigiert werden.