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Ein ökonomischer Sturm im Wasserglas?

 

In den vergangenen Wochen war in der Flüchtlingsfrage eine Art Kulturkampf zu beobachten – auf der einen Seiten diejenigen, die in den steigenden Zahlen der Neuankömmlinge eine Jahrhundertchance sehen und auf der anderen Seite diejenigen, die den Untergang des deutschen Wirtschaftsmodells fürchten.

Das Gutachten des Sachverständigenrats ist insofern interessant, denn wenn die Wirtschaftsweisen richtig liegen, dann ist keines der beiden Szenarien korrekt. Dann ist die Flüchtlingskrise – rein ökonomisch betrachtet und zugespitzt formuliert – ein eher unbedeutendes Ereignis.

Hier die zentrale Grafik:

Die Flüchtlingskrise: Ein ökonomischer Sturm im Wasserglas?

Demnach verursachen die Flüchtlinge Zusatzausgaben für die öffentlichen Haushalte in Höhe von 9,0 bis 14,3 Milliarden Euro im kommenden Jahr. In den Jahren darauf dürften die Ausgaben dann allmählich sinken. Keine Frage: Das ist viel Geld – aber nichts, was einen fundamentalen Kurswechsel in der Finanzpolitik erzwingt, schon gar nicht beim jetzigen günstigen Zinsniveau.

Auch auf dem Arbeitsmarkt sind die Veränderungen demnach weniger dramatisch als bislang vermutet.

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Wie der Rat schreibt, erhöht sich bis zum Jahr 2020 die Zahl der Erwerbstätigen um etwa 250.000 bis 500.000 Personen. Dem stehen im gleichen Zeitraum kumuliert etwa 280.000 bis 350.000 arbeitslose, anerkannte Flüchtlinge gegenüber.

Hier gilt ebenfalls: Das sind eine Menge Menschen. Aber wir reden über etwa ein Prozent der Beschäftigen. Das wirft das Land nicht um – rettet aber anderseits weder unsere Rente noch beseitigt es einen möglicherweise vorhandenen Fachkräftemangel.

Wie realistisch ist die Prognose? Das hängt vor allem an der Frage, ob die Annahmen zutreffend sind. Der Rat geht in seinem Basisszenario davon aus, dass in diesem Jahr eine Million Menschen kommen und die Zahl bis 2020 auf 200.000 zurückgeht (für 2016 wird mit 750.000 Zuwanderern gerechnet). Davon werden erst knapp 50, dann 60 Prozent anerkannt. Im Schnitt dauert es demnach acht Monate, bis über die Asylanträge entschieden ist. Die Partizipationsquote am Arbeitsmarkt liegt bei Antragstellung bei 40 Prozent und steigt dann auf 70 Prozent nach fünf Jahren (mehr zu den Annahmen ebenfalls hier).

Wie realistisch dies ist, ist nach heutigem Stand schwer zu sagen. Mit Sicherheit setzt ein solches Szenario voraus, dass die Bemühungen der Politik um eine Begrenzung erfolgreich sind – dass also eher das Lager um Wolfgang Schäuble die Oberhand behält.

Wenn das nicht der Fall sein sollte, müssen die Annahmen entsprechend korrigiert werden. In jedem Fall ist es das Verdienst des Rates, einen Rahmen für die Analyse der ökonomischen Folgen der Flüchtlingskrise bereit gestellt zu haben.