„Leben wie Gott in Frankreich“ war einmal. Der Lebensstandard ist zwar immer noch einer der höchsten der Welt, im Vergleich zu Großbritannien, Italien und Spanien, vor allem auch im Vergleich zu Deutschland hat er aber in den vergangenen Jahren nur sehr langsam zugenommen. Die Bevölkerung hat den Eindruck, dass ihr Land wirtschaftlich auf der Stelle tritt und ständig an Einfluss verliert. Vor allem deswegen hat der populistische, fremden- und europafeindliche Front National am Wochenende in der ersten Runde der Regionalwahlen so außerordentlich stark zugelegt. Es kann nicht mehr ausgeschlossen werden, dass Marine Le Pen die nächsten Präsidentschaftswahlen gewinnt.
Einmal mehr zeigt sich, dass hohe Arbeitslosenzahlen ein Nährboden für rechtsextreme Parteien sind. In der Weimarer Republik war der Höhenflug der NSDAP eng korreliert mit dem explosionsartigen Anstieg der Arbeitslosigkeit – im Jahr 1932 war sie zeitweise auf mehr als 6 Millionen gestiegen; hinzu kamen etwa 2 Millionen nicht-registrierte Arbeitslose sowie zahlreiche Kurzarbeiter. Landauf landab wurden die Löhne gesenkt, während gleichzeitig die Verbrauchssteuern erhöht wurden. Von Juni 1929 bis Januar 1933 war die Anzahl der beschäftigten Arbeitnehmer von 18,6 auf 11,5 Millionen zurückgegangen, also fast um 40 Prozent. Kurz darauf, am 24. März, stimmten mehr als zwei Drittel der Abgeordneten im Reichstag für Adolf Hitlers Ermächtigungsgesetz – damit war der Weg frei für den Diktator. Es war der Auftakt für das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte.
Etwas Ähnliches ist in Frankreich nicht zu befürchten: Dafür ist die Demokratie zu gefestigt. Zudem ist eine allgemeine Verelendung wie zur Zeit von Weimar wegen der soliden sozialen Sicherungssysteme nicht zu befürchten. Die Wähler strafen die etablierten Parteien dennoch ab. Eins scheint die französische Wirtschaft nämlich nicht mehr zu schaffen – ausreichend neue Jobs. Seit dem letzten zyklischen Höhepunkt zu Beginn des Jahres 2008 bis heute stagniert die Anzahl der Beschäftigten mehr oder weniger, während gleichzeitig in Deutschland 6,0 Prozent mehr Arbeitsplätze entstanden. Die Jugendarbeitslosigkeit bewegt sich in der Größenordnung von 25 Prozent. Aus dem einstigen Wirtschaftswunderland ist inzwischen der kranke Mann Europas geworden.
Für den Front National und seine Wähler gibt es zwei Hauptschuldige für das Elend: die schlecht integrierten Einwanderer aus dem Maghreb und Schwarzafrika sowie Deutschlands Europapolitik. Das Insistieren auf den haushaltspolitischen Vorgaben des Maastrichtvertrags hat der Finanzpolitik auf pro-zyklische Weise Fesseln angelegt, so dass es weder möglich ist, die Konjunktur durch niedrigere Steuern und zusätzliche Ausgaben zu stimulieren, noch überfällige Strukturmaßnahmen zu ergreifen. In diesem Jahr wird das gesamtstaatliche Haushaltsdefizit immer noch bei 4,1 Prozent des BIP liegen. Der Präsident vertritt zudem neuerdings die Meinung, dass ein Sieg über die Islamisten wichtiger sei als so etwas vergleichsweise Irrelevantes wie ein ausgeglichener Haushalt.
Die Lage ist ernst. Wenn es mit der Renationalisierung der Wirtschaftspolitik so weitergeht, steht das europäische Projekt auf der Kippe. Die deutsche Politik hat mit ihrer Fixierung auf die schwarze Null mit dazu beigetragen, dass die europäische Wirtschaft so schlecht läuft. Der Berliner Koalition fehlt jedes Verständnis dafür, was die Sparpolitik im Rest des Währungsraums anrichtet, beziehungsweise welche Chancen dadurch vergeben werden. Der Haushaltsüberschuss von Bund, Ländern, Kommunen und Sozialversicherung betrug in den ersten drei Quartalen des Jahres 1,65 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Auch der Finanzminister denkt vor allem in nationalstaatlichen Kategorien. Sparen hilft nicht immer – zurzeit ist es kontraproduktiv, jedenfalls was das europäische Projekt angeht.