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Der Irrweg der 1:1 Lösung: Hat sich Angela Merkel verzockt?

 

Angeblich wollte ein britischer Gouverneur vor vielen Jahren eine Kobraplage in Indien beenden. Er belohnte deshalb jede tote Schlange mit einer Prämie. Alles schien gut zu laufen – es wurden jede Menge Exemplare abgeliefert. Irgendwann fand man aber heraus, dass die Kobras gezüchtet wurden, um das Geld zu kassieren.

Die Episode stammt aus einem Buch des Ökonomen Horst Siebert und gilt als Musterbeispiel für die Bedeutung von Anreizen in der Politik.

Womit wir beim Thema wären – nämlich der Vereinbarung, die die EU unter der Führung Angela Merkels mit der Türkei getroffen hat. Kernbestandteil der Absprache ist die so genannte 1:1 Lösung: Für jeden illegalen syrischen Flüchtling, den die Türkei aus Europa zurücknimmt, darf ein anderer syrischer Flüchtling aus einem türkischen Lager legal nach Europa einreisen.

Wie zu hören ist, wurde diese Lösung im deutschen Kanzleramt erdacht – und man verspricht sich viel von ihr. Tatsächlich könnte sie dazu führen, dass die illegale Migration drastisch zurück geht. Für Syrer ist damit der Anreiz gering, sich in ein Boot nach Griechenland zu setzen. Im Zweifel würde dadurch der Weg nach Europa erst einmal versperrt.

Die große Frage ist, wie sich die Türkei verhält. Denn aus türkischer Sicht ist die Anreizwirkung eine völlig andere. Die 1:1 Lösung ist nämlich so etwas wie eine flexible Quote. Je mehr Menschen die türkischen Behörden in der Ägäis aus dem Wasser fischen, desto mehr Flüchtlinge dürfen sie nach Europa schicken. Wenn die Türkei also – weil sie sich überfordert sieht, weil sie Europa unter Druck setzen will oder warum auch immer – nun einen Teil ihrer Flüchtlinge los werden wollte, dann hätte sie einen Anreiz, so viele Menschen wie möglich in Boote zu setzen, um damit im Gegenzug möglichst viele Flüchtlinge nach Europa abschieben zu können.

Konkret: Wenn Ankara 10.000 Flüchtlinge aus ihren Lagern an die Europäer abgeben will, dann würde man einfach 10.000 andere Flüchtlinge an die Küste karren. Wie das gehen soll? Ich glaube, da sind der Kreativität im Zweifel keine Grenzen gesetzt: Prämien für diejenigen, die die Überfahrt wagen, gefälschte Papiere, so dass sich im Prinzip die gleiche Gruppe mehrmals auf den Weg macht. Bei der teils engen Vernetzung der Schleuser mit lokalen Behörden würde den Türken da schon etwas einfallen.

Wie realistisch ist dieses Szenario? Die Frage kann ich nicht beantworten. Aber meine Erfahrung aus fast zehn Jahren Finanzkrisenberichterstattung sagt mir: Incentives matter – gerade in Verträgen mit anderen Staaten.

Noch fehlen die Details und vielleicht hat man sich im Kanzleramt über diese Problematik schon Gedanken gemacht. Wenn nicht, sollte man sehr schnell damit beginnen. Aus meiner Sicht ist diese Lösung ein Irrweg. Viel besser wäre es gewesen, die Türkei dazu zu vergattern alle Flüchtlinge aufzunehmen und davon unabhängig feste Kontingente zu vereinbaren, die den Türken direkt abgenommen werden. Aber dann hätte man natürlich dem deutschen Publikum erklären müssen, warum eine Obergrenze schlecht ist, ein Kontingent aber gut.