Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Freut Euch, Sparer, die Zinsen steigen

 

Ob aus der kleinen Zinswende, zu der es Ende September kam, eine richtige, also nachhaltige Zinswende wird, lässt sich nur spekulieren. Jedenfalls mehren sich die Anzeichen, dass die superexpansive Geldpolitik nun doch anschlägt und es nicht mehr in Richtung Deflation geht. Ist der Kampf gewonnen? Der Arbeitsmarkt des Euroraums ist sichtbar in Schwung gekommen – die Anzahl der Beschäftigten nimmt kräftig zu –, die Stimmungsindikatoren liegen weit über den Durchschnittswerten der vergangenen Jahre und weisen nach oben. Das reale BIP nahm im dritten Quartal zwar weiterhin nur mit mickrigen 0,3 Prozent gegenüber dem Vorquartal zu, dürfte sich aber, wenn es nach dem neuen Gutachten des Sachverständigenrats geht, von nun an etwas beschleunigen. Für Deutschland könnten für das Gesamtjahr 2016 am Ende 1,9 Prozent herauskommen, für Euroland 1,6 Prozent. Die Inflation zieht an.

Grafik: ESI Wirtschaftsklima im Euroraum

Am Markt wird nicht mehr erwartet, dass die Geldpolitik weiter gelockert wird. Mario Draghi hatte auf seiner letzten Pressekonferenz durchblicken lassen, dass die Nettoanleihekäufe nicht weiter aufgestockt, sondern, Stand heute, nach dem März 2017 langsam reduziert werden würden. Zusätzliche stimulierende Maßnahmen hielt er nicht mehr für erforderlich, allerdings auch keine Zinserhöhungen. Das will nicht viel heißen, da letztlich nur zählt, wie sich die Daten entwickeln. Hinzu kommt, dass die US-Notenbank mit einer Wahrscheinlichkeit von etwa 70 Prozent im Dezember nun doch den nächsten Schritt tut und den Leitzins zum zweiten Mal in diesem Zyklus anhebt.

Bei den längeren Laufzeiten ist es sowohl im Euroraum, als auch in den USA in den vergangenen Wochen zu einem Anstieg der Renditen von rund 30 Basispunkten gekommen. Der Bund kann sich jetzt nicht mehr zu negativen Sätzen verschulden, aber er ist auch mit den 0,17 Prozent, die er für die Zehnjährigen bieten muss, sehr gut bedient. Es fällt ihm weiterhin sehr leicht, seine Schulden abzubauen. Ausreißer im negativen Sinne waren zuletzt Italien, wo es angesichts der Krise um die Großbank Monte dei Pasci einen Renditeanstieg von 50 Basispunkten gab, sowie das Vereinigte Königreich, wo die Flucht aus dem Pfund mit 56 Basispunkten zu Buche schlug.

Insgesamt sind die Renditekurven steiler geworden. Die Banken können mit Neugeschäften wieder mehr Geld verdienen. Gleichzeitig verursacht der Renditeanstieg am langen Ende allerdings Kursverluste auf der Aktivseite ihrer Bilanzen. Per Saldo verschlechtert sich dadurch ihre finanzielle Lage. Die ist bekanntlich ohnehin alles andere als rosig. Ein zu schneller Übergang von einer expansiven zu einer normalen Geldpolitik könnte mit einer neuen europäischen Finanzkrise einhergehen und erfordert daher Augenmaß, Einigkeit und Entschlossenheit seitens der EZB, des europäischen Stabilitätsmechanismus und der Finanzminister der 19 Mitgliedsstaaten.

Was die globale Konjunktur angeht, hat sich der Wind gedreht, nachdem in den USA inzwischen Vollbeschäftigung herrscht und das reale BIP dort im dritten Quartal mit annualisiert 2,9 Prozent gestiegen ist. Mindestens so wichtig ist, dass es in China, allen Unkenrufen zum Trotz, wieder gut läuft.

Nach wie vor ist die Fed die Notenbank, die den Ton angibt: Strafft sie die Zügel, wird die EZB bald folgen. Blieben die europäischen Leitzinsen unverändert, käme es vermutlich zu einer neuerlichen Abwertung des Euro, was angesichts der anziehenden Inflation, der einigermaßen robusten Konjunktur und des diesjährigen Überschusses in der Leistungsbilanz von fast 400 Milliarden Euro nicht gewünscht sein kann. Die europäischen Unternehmen sind bereits jetzt im internationalen Vergleich äußerst wettbewerbsfähig.

Grafik: reale Wechselkurse von Euro und Dollar

Wer will, kann nach wie vor argumentieren, dass eine Schwalbe noch keinen Sommer macht und sich niemand zu früh freuen sollte. Es ist zugegebenermaßen unwahrscheinlich, dass die Inflationsraten jetzt zügig in Richtung zwei Prozent steigen und die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihen auf drei Prozent steigt – also einen Wert, der angesichts der niedrigen Zuwachsraten der Produktivität so etwas wie ein Gleichgewichtszins sein dürfte, wenn die Inflationserwartungen stabil bei zwei Prozent gehalten werden können. Dafür sind die gesamtwirtschaftlichen Kapazitäten immer noch zu wenig ausgelastet – und die Arbeitslosenquote liegt wie betoniert bei 10,1 Prozent.

Die nächste Grafik zeigt aber, dass Optimismus angebracht ist. Im Vorjahresvergleich haben die europäischen Verbraucherpreise inzwischen +0,5 Prozent erreicht, nachdem sie noch im April bei -0,2 Prozent lagen. Wenn ich mir nur die vergangenen sechs Monate anschaue und die Veränderung auf ein Jahr hochrechne, komme ich auf rund 1,5 Prozent und damit in die Nähe des Zielwerts der EZB. Es ist aufgrund eines starken sogenannten Basiseffekts wahrscheinlich, dass die Inflationsrate im Euroraum in den ersten Monaten des nächsten Jahres zwei Prozent erreichen wird.

Grafik: Inflation im Euroraum, 1997-Okt. 2016

Auf den vorgelagerten Stufen, bei den Preisen für Industrieprodukte und Einfuhren, ist mit gutem Willen ebenfalls eine Trendumkehr auszumachen. Stark sind die inflationären Impulse trotz des schwachen Euro jedoch nicht, dafür sind die sogenannten Outputlücken einfach noch zu groß – sie sind die Differenz zwischen dem, was produziert wird und dem, was bei Normalauslastung produziert werden könnte. Euroland leidet seit Jahren unter schwacher Nachfrage, nicht zuletzt, weil so viel Wert auf die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte gelegt wurde, die vor allem aus deutscher Sicht als sine qua non für den Erhalt des Euro gilt. Jedenfalls erschweren die unterausgelasteten Kapazitäten die Weitergabe steigender Kosten an die Endverbraucher. Der Wettbewerb ist hart.

Grafik: Produzentenpreise und Einfuhrpreise im Euroraum

Die Outputlücke ist auch dafür verantwortlich, dass die sogenannten Lohnstückkosten im Euroraum seit Jahren stagnieren. Das ist umso bemerkenswerter, als das schwache Wachstum der Produktivität, über das ich kürzlich an dieser Stelle geschrieben habe, für sich genommen inflationär wirkt. Davon ist nichts zu sehen. Abgesehen von Deutschland, wo die Löhne wieder mit Raten von etwa 2,5 Prozent zunehmen, gibt es im Euroraum nicht annähernd etwas, was sich mit dem Begriff Lohninflation beschreiben ließe. Da Einkommen generiert werden – das reale BIP nimmt langsam aber stetig zu –, verschiebt sich ihre Verteilung zugunsten der Kapitalbesitzer, was wiederum einen bremsenden Effekt auf die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen hat und so die Inflation in Schach hält.

Grafik: Lohnstückkosten im Euroraum

Was lernt der deutsche Sparer aus dieser Analyse? Es sieht nicht mehr so trist aus wie noch im Sommer, aber eine gute Rendite lässt sich mit Spareinlagen und Staatsanleihen nicht erzielen. Real, nach Abzug der Inflationsrate, sind die Erträge deutlich negativ. Es besteht die Chance, dass sich die europäische Konjunktur trotz Brexit weiter erholt, weil es seitens der Geldpolitik, neuerdings vielleicht auch der Finanzpolitik, der etwas robusteren Weltkonjunktur und des schwachen Euros Rückenwind gibt. Das Ganze trägt sich aber noch nicht selbst. Rückschläge sind nicht auszuschließen, vor allem, wenn es noch einmal zu einer Finanzkrise kommen sollte. Wer für sein Alter vorsorgen möchte, kommt wohl nicht darum herum, einen größeren Teil seiner Ersparnisse in Aktien zu stecken, zum Beispiel in ETFs, und sich so auf die Seite der Kapitalbesitzer zu schlagen. Niemand darf sich aber darüber wundern, wenn es mit den Kursen gelegentlich bergab geht.