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Ein Vorschlag für ein demokratisches Europa

 

Logo: Wirtschaftsdienst - Zeitschrift für WirtschaftspolitikExklusiv aus dem Wirtschaftsdienst: Um den europäischen Einigungsprozess ist es derzeit nicht gut bestellt: Die Auseinandersetzungen über die Flüchtlingspolitik trennen Ost und West und der Streit über die Wirtschafts- und Finanzpolitik Nord und Süd; der Brexit belegt die Fliehkräfte, denen die Union ausgesetzt ist. Wolfram Richter, emeritierter Professor für Ökonomie, und Henrik Müller, Professor für wirtschaftspolitischen Journalismus, (beide TU Dortmund) sehen Europa am Scheideweg. Soll die EU nicht erodieren, sondern die Integration voranschreiten, müsse sie sich zu einem föderalen Bundesstaat entwickeln, der seine demokratische Legitimierung durch ein „echtes“ Europäisches Parlament erhält. Einen Vorschlag dazu präsentieren sie in der aktuellen Ausgabe des Wirtschaftsdienst.

Als das wesentliche Hindernis bei der Lösung ihrer Probleme identifizieren die Autoren die „intergouvernementale Basis“, auf der die Zusammenarbeit und Entscheidungsfindung in der Europäischen Union fußt. Die EU wird als Plattform zur Durchsetzung nationaler Interessen begriffen, was regelmäßig zu nächtlichen Verhandlungsmarathons und bürokratischen Prozessen führt. Dieses Bild präge die öffentliche Wahrnehmung. Daran ändert auch ein Europaparlament nichts, das sich in seiner Zusammensetzung an nationaler Herkunft orientiert. So sehen Müller und Richter im Scheidern der Verfassungsinitiative von 2005 auch nicht ein Votum gegen eine Vertiefung der europäischen Integration als vielmehr ein Verweigerung der Zustimmung zu einem Staatenbund, der an einem „unübersehbaren Legitimierungs- bzw. Demokratiedefizit“ leidet.

Insbesondere zeigt sich diese Problematik bei Verteilungskonflikten, wie sie beispielweise die gemeinsame Geldpolitik mit sich bringe – zwischen Schuldnern und Gläubigern und zwischen Ländern, die vom jeweiligen geldpolitischen Kurs eher profitieren und denen die darunter leiden. Eine gemeinsame Geldpolitik kann da kaum neutral sein, und bedürfe daher notwendig der Flankierung durch ausgleichende Transferzahlungen. Die Erfahrung zeige allerdings: „Ohne demokratische Mitsprache kann es keine nennenswerten Nettotransferzahlungen zwischen den Mitgliedstaaten der EU geben“.

Die Institution, die demokratisch legitimierte Ausgleichslösungen zwischen den Ländern finden kann, so der Vorschlag der Autoren, müsse ein „echtes“ Europaparlament sein, das mit einer entsprechenden Budgetkompetenz ausgestattet ist. Echt meint dabei, dass es nach der Regel „one man, one vote“ gewählt wird, also jede Wählerstimme gleich im Parlament repräsentiert ist, die Überrepräsentation der kleinen Länder damit verschwindet, und sich Parteien länderübergreifend zur Wahl stellen müssen. Dieses Parlament wäre dann eine Vertretung der europäischen Bevölkerung, „gewissermaßen der Europäische Bundestag“. Der Europäische Rat träte in die Funktion einer Länderkammer.

Während der Aufgabenbereich und die Ausgabenkompetenz des Parlaments zunächst unspezifiziert bleiben sollen, um sich nach und nach in einem politischen Prozess herauszubilden, ist der Vorschlag bei der Zuweisung der Steuerkompetenz konkret. Ausgehend von der Idee einer dualen Einkommenssteuer soll die Kompetenz der Besteuerung von Erwerbseinkommen wie bisher bei den nationalen Parlamenten liegen, während die Kapitaleinkommen gemeinschaftlich besteuern werden, was nicht zuletzt der hohen Mobilität von Kapital Rechnung trägt.

Mit der Übertragung der Kapitalbesteuerung an das Europäische Parlament wäre zudem eine umfassende Unternehmenssteuerreform verbunden, da nur „Gewinnanteile, die sich als Verzinsung von Kapital deuten lassen“, einheitlich wie Zinsen besteuert werden sollen, und „darüber hinausgehende Gewinnanteile dagegen wie Erwerbseinkommen progressiv“ durch die Länder besteuert werden.

Lesen Sie hier exklusiv vorab ausführlich den Beitrag von Henrik Müller und Wolfram F. Richter aus der Juli-Ausgabe des Wirtschaftsdienst:

Europa am Scheideweg – ein Vorschlag zur politischen Weiterentwicklung, in: Wirtschaftsdienst 7/2017, S. 484-489