Noch sieht es nicht danach aus. Aber es ist sicher, dass es demnächst zu einer Wende kommen wird. Der Hauptgrund: drei Jahrzehnte lang war es infolge der Öffnung Chinas und der früheren kommunistischen Länder Osteuropas sowie der steigenden Erwerbsquoten von Frauen und Älteren global zu einem Überangebot an Arbeit gekommen und damit zu sehr geringen Lohnsteigerungen und Inflationsraten.
Niedrige Fertilitätsraten und die zunehmende Lebenserwartung führen inzwischen dazu, dass der aktive Teil der Bevölkerung einen immer größeren inaktiven Teil versorgen muss. Arbeit wird knapp und damit teurer. Da Löhne der wichtigste Kostenfaktor sind, zieht dann auch die Inflation wieder an. Die Unternehmen reagieren auf diesen Wandel indem sie ihre Investitionen forcieren, womit sie wiederum bei der Produktivität für höhere Zuwachsraten sorgen. Von dieser Seite wird es daher zu höheren Realzinsen kommen. Die Furcht vor einer säkularen Stagnation der Produktivität dürfte sich damit als gegenstandslos erweisen.
Auf kurze Sicht ist das noch nicht relevant. In Europa bleibt zunächst die EZB die Herrin des Geschehens. Und möchte durch rekordniedrige Zinsen den Schuldendienst des Staates und der privaten Schuldner verringern, die Konjunktur stimulieren, den Euro unterbewertet halten und insgesamt die wirtschaftliche Lage der Haushalte und Unternehmen verbessern. Die Leitzinsen werden daher real niedrig oder sogar negativ bleiben.
Da die Kapazitätsreserven offenbar größer sind als das von der OECD oder dem Sachverständigenrat berechnet wird, erhöhen sich Löhne und Preise trotz des schwachen Euro nach wie vor moderat. Im Euroraum liegt die Kerninflationsrate seit mehr als vier Jahren wie festgemauert bei ein Prozent, also weit unterhalb der Zielmarke. Die EZB wird nicht im Vorgriff auf die kommende Trendwende die Zinsen erhöhen, sondern sie für mindestens ein weiteres Jahr, vermutlich sogar länger, in der Nähe von Null halten. Sie verhindert damit, dass die Bondrenditen nach oben ausbrechen.
Aktien sind historisch gesehen sehr teuer, aber nicht so sehr im Vergleich zu festverzinslichen Wertpapieren. Mangels guter Alternativen sieht es eher danach aus, als sei die Rallye noch nicht zu Ende. Bisher führt jeder Rückschlag zu Nachkäufen. Für Anleger ist es beruhigend, dass die Konjunktur so robust ist und die Gewinne weiter kräftig steigen. Ein Indikator für die erfreuliche Gewinnentwicklung ist die Tatsache, dass die Lohnstückkosten in etwa stagnieren, während die Erzeugerpreise inzwischen fast um drei Prozent über ihrem Vorjahresniveau liegen – der Umsatz steigt deutlich rascher als die Kosten. Das gilt sowohl für die USA als auch für Euroland.
Irgendwann wird es bei Bonds und Aktien zu einem größeren Rückschlag kommen. Aber abgesehen davon, dass beide Assetklassen sehr teuer zu sein scheinen, ist bisher nicht zu erkennen, was denn der Auslöser sein könnte.
Die ausführliche Analyse zu den Aussichten für Aktien, Bonds und Wechselkursen finden Sie in meinem neusten Investment Outlook:
Wermuth’s Investment Outlook – „Still the same story: strong growth, low inflation, exuberant stock markets“, December 2017*) (pdf, 665 KB)
*) Der Investment Outlook von Dieter Wermuth ist in englischer Sprache verfasst und wird im Herdentrieb in loser Folge zum Herunterladen bereitgestellt. (UR)