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Frankreich und Deutschland als gemeinsamer Motor für Europa?

 

Logo: Wirtschaftsdienst - Zeitschrift für WirtschaftspolitikExklusiv aus dem Wirtschaftsdienst: Im September hielt der französische Staatspräsident Macron eine viel beachtete Rede über die Zukunft der Europäischen Union und der Eurozone. Eine deutsche Antwort auf diese Rede war bisher kaum zu vernehmen. In der Februar-Ausgabe des Wirtschaftsdienst reflektieren Daniel Gros, Daniela Schwarzer, Wolfgang Glomb, Lars P. Feld, Wolf H. Reuter, Mustafa Yeter und Andrew Watt, das Miteinander Frankreichs und Deutschlands in der EU und in wie weit sie Impulse für ein starkes und stabiles Europa setzen können.

Daniel Gros, Direktor des Centre for European Policy Studies, stellt seinem Beitrag die Frage voran, was Frankreich und Deutschland voneinander lernen können. Dabei stellt er zunächst fest, dass die französisch-deutsche Partnerschaft immer dann besonders gut funktioniert hat, wenn die wirtschaftliche Lage in beiden Ländern ähnlich gewesen ist. Und tatsächlich seien die Unterschiede zwischen der deutschen und der französischen Wirtschaft weniger groß, als das gemeinhin vermutet wird. Der Eindruck der deutschen Stärke beruhe wesentlich auf den Erfolgen der letzen zehn Jahren, die aber zu einem guten Teil dadurch zu erklären seien, dass sich die deutsche Wirtschaft von den Problemen der Wiedervereinigung erholt habe. In der langfristigen Betrachtung hat Frankreich zum Beispiel beim BIP pro Kopf den Abstand zu Deutschland deutlich verringert und auch die Lohnstückkosten hätten sich über die vergangenen vier Dekaden recht ähnlich entwickelt, ebenso die Staatsverschuldung. Bei letzterem ist allerdings nach 2010 ein Strukturbruch festzustellen, ab da entwickeln sich die Schuldenquoten beider Länder entgegen gesetzt. Den markantesten Unterschied zwischen Deutschland und Frankreich sieht Daniel Gros deshalb in der Fiskalpolitik. Während sich Deutschland auf die Konsolidierung des Haushalts und das Einhalten der „schwarzen Null“ konzentriert hat, setzte Frankreich auf eine schuldenfinanzierte Fiskalpolitik, die die Nachfrage ankurbeln soll. Gros‘ Einschätzung nach, die er empirisch belegt, sei der deutsche Ansatz deutlich erfolgreicher gewesen. Deshalb sollte Macron versuchen, ebenfalls die öffentlichen Finanzen zu stabilisieren und sinkende Ausgaben mit einer geringeren Ungleichheit verbinden. „Eine starke Partnerschaft muss auf starken wirtschaftlichen Leistungen und sozialem Zusammenhalt basieren.“

Daniela Schwarzer, Direktorin der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, sieht – sofern es zur Großen Koalition in Deutschland kommt – eine günstige Gelegenheit, um eine deutsch-französische Integrationsinitiative für Europa anzustoßen. Ihrer Einschätzung nach wird der Fokus dabei auf einer Vertiefung der Eurozone liegen. Allerdings wird „[…] ein umfassender politischer Vorstoß nötig sein, der auch die Themen Migration, Sicherheit und Verteidigung umfasst, wenn es das Ziel ist, die Eurozone und die EU zu stärken und zusammen zu halten.“ Daniela Schwarzer hebt hervor, dass eine wesentliche Herausforderung für das deutsch-französische Tandem in der Überbrückung der Nord-Süd und Ost-West-Trennlinien innerhalb der Europäischen Union liegen wird: „In der Nord­Süd­Dimension, die vor allem die Eurozone betrifft, wird Berlin klar dem ‚Norden‘ zugeordnet, also einer Gruppe von stabilitätsorientierten Staaten, die bezüglich der Eurozone die Ziele Wettbewerbsfähigkeit, Eigenverantwortung und ‚keine Transfers‘ priorisieren. Frankreich nimmt eine Scharnierfunktion zwischen dem Norden und dem Süden ein, wobei Frankreich mit Macrons ambitionierter Reformagenda, die die Wettbewerbsfähigkeit Frankreichs bei erfolgreicher Umsetzung deutlich stärken dürfte, mehr in Richtung Norden rücken dürfte.“ Die Spannungen der Ost-West-Trennlinie machen sich vor allem an grundsätzlichen Prinzipien zu Rechtstaatlichkeit und Demokratie fest und manifestieren sich auch in einer unterschiedlichen Auffassung darüber, ob und wie die Integration der Europäischen Union vorangetrieben werden soll. „Frankreich und Deutschland sind sich einig, dass eine Verletzung der demokratischen und rechtstaatlichen Grundprinzipien in der EU geahndet werden muss“, analysiert Daniela Schwarzer. Wenn es aber um die Frage der weiteren Integration geht, treten Unterschiede zwischen Frankreich und Deutschland zutage: Deutschland sei an einer gemeinschaftlichen Lösung im Rahmen der EU27 interessiert, während Frankreich auch bereit sei mit den Staaten der Eurozone oder in noch kleinerem Kreis voran zu gehen.

Wolfgang Glomb, Mitglied des Kuratoriums des Instituts Thomas More, ist die Stabilisierung der Eurozone ein zentrales Anliegen. Für ihn gilt es als sicher, dass die Große Koalition in Deutschland zustande kommen wird. Kritische Töne findet er für das Kräfteverhältnis zwischen den Partnern: Mit der große Koalition „wird auch das deutsch­französische Tandem weiterfahren, und zwar wie bisher mit Frankreich am Lenker und in die von Frankreich gewünschte Richtung.“ Für Wolfgang Glomb ist die Kredithilfe an das „insolvente Griechenland“, die von Frankreich 2010 initiiert worden sei, der erste „Sündenfall“, durch den das geltende Recht und das „No-Bailout-Prinzip“ ausgehebelt worden seien. Deutschland trug diese Politik aus Sicht von Glomb mit, um die deutsch-französische Freundschaft zu sichern, habe dabei aber die eigenen stabilitätspolitischen Grundsätze geopfert. Auch mit Blick auf die wirtschaftliche Lage Frankreichs zeichnet Glomb ein düsteres Bild: „Bei fast allen wichtigen Konjunkturindikatoren bildet Frankreich das Schlusslicht in der Eurozone. Das Grundübel ist der überdimensionierte öffentliche Sektor, der rund 57% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) absorbiert und die in der EU höchste Abgabenquote (Steuern und Sozialabgaben) von rund 48% des BIP.“ Die nötigen Reformen, um Frankreich zurück auf den Pfad ökonomischer Prosperität zu führen, bezeichnet er als „Herkulesarbeit“. Den der EWWU zugrunde liegenden Maastrichter Vertrag hält er in der jetzigen Form für gescheitert, weil bei Nichteinhaltung keine Sanktionen eingeleitet würden. Daher fordert Wolfgang Glomb eine Rückbesinnung auf die Disziplinierung durch den Markt: „Der wirksame Weg für eine effektive Kontrolle der nationalen Wirtschafts­ und Haushaltspolitiken ist der Marktmechanismus, dem sich kein Staat entziehen kann, d.h. die Sanktionierung unsolider Wirtschafts­ und Finanzpolitiken durch die Kapitalmärkte in Form höherer Risikoprämien bzw. Zinssätze, die im Vertrag verankerte Stabilitätssicherung der EWWU. Demnach muss künftig wieder mehr Konzentration auf Marktintegration statt auf institutionelle Integration im Vordergrund stehen.“

Lars P. Feld, Wolf H. Reuter und Mustafa Yeter vom Sachverständigenrat für Wirtschaft warnen in Ihrem Beitrag vor den Gefahren einer möglichen Haftungsunion auf europäischer Ebene. Die Autoren zeigen mögliche Fehlanreize eines fiskalischen Risikoausgleichs auf. Ein solcher Ausgleich wurde sowohl von Macron als auch Juncker gefordert. „Der Vorstoß Macrons und das Nikolauspaket Junckers zielen […] auf einen fiskalischen Risikoausgleichsmechanismus für den Europäischen Währungsraum ab. Hierbei könnte ein makroökonomischer Ansatz, wie etwa bei einem Schlechtwetterfonds, oder ein mikroökonomischer Ansatz, wie etwa bei einer gemeinschaftlichen Arbeitslosen(rück)versicherung, verfolgt werden. […] Damit einhergehende Fehlanreize werden jedoch oft in den Hintergrund gedrängt. Dabei dürften die konzeptionellen oder politökonomischen Probleme die begrenzten Vorteile der Konjunkturstabilisierung überwiegen.“ Feld, Reuter und Yeter sind sich sicher, dass die dauerhafte Stabilität des Euroraums nicht von einem fiskalischen Risikoausgleichmechanismus abhängt. Die Schwächen liegen aus Ihrer Sicht vor allem darin, dass es keinen Mechanismus gibt, der dauerhafte Transfers ausschließt und frei von Fehlanreizen ist. Selbst wenn es einen funktionierenden Risikoausgleichmechanismus geben könnte, halten die Autoren dessen stabilisierende Wirkung für gering. Sie machen einen Gegenvorschlag, der aus Ihrer Sicht besser geeignet ist, die gewünschte Stabilität zu gewährleisten: „Statt eines Transfers von fiskalischen Ressourcen an oder durch die europäische Ebene zur Schockabsorption sollten die fiskalischen Spielräume der Mitgliedstaaten vergrößert werden. Insbesondere der Schuldenabbau auf nationaler Ebene trägt zu einer Versicherung gegen konjunkturelle Schocks bei. Dahingehend gibt es genügend Möglichkeiten, die Reformanstrengungen auf europäischer Ebene zu intensivieren. Der institutionelle Rahmen kann durch eine Kombination aus besseren Regeln und Überwachung, gepaart mit einem glaubhaften Insolvenzmechanismus, dazu beitragen, die Einheit von Haftung und Kontrolle in der EU zu stärken.“

Andrew Watt, stellvertretener Direktor des IMK, analysiert in seinem Beitrag einen umfassenden Vorschlag zur Reform des Euroraums, den Anfang des Jahres eine deutsch-französischen Expertengruppe vorgelegt hat. Die ökonomischen Bedingungen für längerfristig angelegte Governance-Reformen schätzt Watt dabei zurzeit als sehr günstig ein. Bemerkenswert an dem Expertenpapier ist auch, dass ihm die Philosophie zugrundeliegt, das Prinzip einer Kollektiv-Versicherung und Risikoteilung, also den französischen Ansatz, mit dem deutschen Ansatz regelgebundener nationaler Politiken und Marktdisziplin zu verbinden. Denn „beide großen Nationen (und ihre jeweiligen Partner) wollen ihre Vorstellungen im Reformprozess wiederfinden.“ Die konkreten finanz- und fiskalpolitischen und institutionellen Vorschläge des Expertenpapiers adressieren insbesondere die „fundamentale Instabilität“ des Euroraums, die ihre Ursache in der „gegenseitigen Abhängigkeit von (nationalen) Bankensystemen und Staaten“ und dem zu geringen Stabilisierungspotenzial auf nationaler Ebene hat. Andrew Watt hält das vorgeschlagene Bündel an Maßnahmen für grundsätzlich geeignet die Eurozone zu stabilisieren und sieht zumindest eine Chance dafür, dass diese Vorschläge auch politisch umgesetzt werden können. Uneingeschränkt ist sein Lob für den Vorschlag dennoch nicht: „Die geringe Bewertung, die wettbewerblichen und Leistungsbilanz­Ungleichgewichten beigemessen wird, ist aber eine ernste analytische Schwäche.“ Positiv bewertet Andrew Watt, dass der „Disziplin-durch-Bestrafung-Ansatz“ überwunden werden soll und dazu keine Zentralisierung nötig wäre, die politisch ohnehin nicht zu erreichen sei. Resümierend hält Andrew Watt fest: „Die Vorschläge sind gewiss ein Ausgangspunkt für eine Debatte.“

Lesen Sie hier exklusiv vorab ausführlich das aktuelle Zeitgespräch aus der Februar-Ausgabe des Wirtschaftsdienst:

Frankreich und Deutschland – starke Partner für ein stabiles Europa?, in: Wirtschaftsdienst 2/2018 (mit folgenden fünf Beitragen: „Was können Frankreich und Deutschland voneinander lernen?“ von Daniel Gros; „Ein deutsch-französischer Impuls für Europa – Inhalte und Rahmenbedingungen“ von Daniela Schwarzer; „Stabilisierung der Eurozone: marktwirtschaftliche Konvergenz versus institutionelle Vertiefung“ von Wolfgang Glomb; „Die Fehlanreize fiskalischer Risikoausgleichsmechanismen“ von Lars P. Feld, Wolf Heinrich Reuter und Mustafa Yeter; „Vorschlag einer deutsch-französischen Expertengruppe zur Reform des Euroraums – Analyse und Bewertung“ von Andrew Watt)