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Kleines deutsches Produktivitätswunder

 

Von einer säkularen Stagnation, wie sie für die USA von Ökonomen an die Wand gemalt wird, kann in Deutschland keine Rede sein. Die Produktivität nimmt wieder sehr kräftig zu, dank des Hineinwachsens des realen BIP in die reichlich vorhandenen Kapazitätsreserven und des Anspringens der Ausrüstungsinvestitionen. Der Nachfrageboom bewirkt inzwischen Wunder auf der Angebotsseite. Das schafft Spielräume für höhere Lohnsteigerungen, ohne dass dadurch unmittelbar Gefahren für die Preisstabilität drohen.

Grafik: Produktivitätszuwächse der deutschen Wirtschaft seit 1992

Hier einige Zahlen: Das reale BIP pro Erwerbstätigenstunde, die Produktivität, war im vierten Quartal 2017 um 1,6 Prozent höher als vor einem Jahr – seit zwei Jahren ist das die durchschnittliche Zuwachsrate. In den 15 Jahren zuvor war es nur ein Prozent. Da die Beschäftigung seit drei Jahren mit Raten von rund 1,5 Prozent expandiert und die Arbeitsmarktzahlen, die heute früh veröffentlicht wurden, nicht erkennen lassen, dass sich diese Dynamik abschwächt, scheint das reale BIP zurzeit mit einer Verlaufsrate von etwas über drei Prozent zuzunehmen. Endlich lässt die Wirtschaft auf der Outputseite die tiefe Rezession der Jahre 2008 und 2009 hinter sich.

Wenn Kapazitäten nicht voll ausgelastet sind, kann der Output gesteigert werden, ohne dass der Einsatz von Arbeit nennenswert zunehmen muss. Der Maschinenpark wird besser genutzt. Das kann von heute aus gesehen für eine Weile so weitergehen, weil gesamtwirtschaftlich noch keine Engpässe in Sicht sind. Mit anderen Worten: Die Produktivität wächst kräftig, weil die große Outputlücke das zulässt, und sie wird weiter kräftig zunehmen, weil diese Lücke nach wie vor groß ist. Das Erfreuliche ist, dass gleichzeitig wegen der positiven Absatzerwartungen noch zusätzliches Personal eingestellt wird. Daraus ergibt sich die fast perfekte Kombination von starkem Produktivitätswachstum, Beschäftigungsboom und Preisstabilität, die wir gerade erleben.

Hinzu kommt, dass der Kapitalstock wieder zügig zunimmt. Im vierten Quartal übertrafen die Ausrüstungsinvestitionen ihren Vorjahreswert real um 8,1 Prozent und setzten damit beschleunigt den Trend fort, der seit dem Herbst 2013 zu beobachten ist. Dadurch werden die Kapazitätsgrenzen weiter nach oben verschoben und es wird wahrscheinlicher, dass sich das neue Produktivitätswunder fortsetzt – und die Inflation moderat bleibt.

Warum es derzeit so gut läuft, ist nicht zuletzt der expansiven Geldpolitik – also den niedrigen Realzinsen – und dem schwachen Euro zu verdanken, letztendlich also der EZB. Die Aufwertung des vergangenen Jahres vermindert zwar etwas den positiven Effekt auf die preisliche Wettbewerbsfähigkeit, aber per Saldo ist diese nach wie vor sehr gut. Es sollte nicht vergessen werden, dass die Wirtschaft noch vor wenigen Jahren mit Wechselkursen von fast 1,6 Dollar zurechtkommen musste.

Der andere Glücksfall, der den Boom möglich gemacht hat, ist der Arbeitsmarkt: Zum Einen haben die Schröderschen Reformen trotz aller berechtigten Kritik an Einzelaspekten die relativen Arbeitskosten gesenkt und Angebot und Nachfrage durch das Prinzip des „Förderns und Forderns“ besser zusammengebracht als in der Vergangenheit und so für mehr Beschäftigung gesorgt, zum Anderen hat der Zuzug von Osteuropäern und vermutlich auch von Flüchtlingen bewirkt, dass es bisher keine Engpässe beim Arbeitsangebot gibt. Bis jetzt haben die offenen Grenzen der deutschen Wirtschaft mehr genutzt als geschadet.