Exklusiv aus dem Wirtschaftsdienst: Am 10. Juni 2018 stimmen die Schweizer über die Volksinitiative „Für krisensicheres Geld: Geldschöpfung allein durch die Nationalbank!“ (Vollgeld-Initiative) ab. Die Initiative fordert, das bestehende Buchgeld in Zahlungsverkehrskonten zu überführen, die außerhalb der Bankbilanzen verwaltet werden. So würde Geschäftsbanken die Schaffung von elektronischem Geld untersagt. Die Gewinne aus der Geldschöpfung sollen Bund, Kantonen und Bürgern zugutekommen. In der Mai-Ausgabe des Wirtschaftdienst erläutern Alexander Rathke, Jan-Egbert Sturm und Klaus Abberger von der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich, weshalb sich aus ihrer Sicht die Schwächen des gegenwärtigen Finanzsystems durch andere Instrumente zuverlässiger beheben lassen als durch die vorgeschlagene Reform.
Im heutigen System gibt es verschiedene Arten von Geld. Neben dem von der Zentralbank emittierten Bargeld und den von der Zentralbank geschaffenen Sichtguthaben, die die Banken bei ihr halten (beides zusammen wird auch als Zentralbankgeld bezeichnet), gibt es noch das von den Banken im Zuge ihrer Kreditvergabe geschaffen Buchgeld – die Sichteinlagen, die Haushalte und Unternehmen bei den Banken halten.
Das Buchgeld stellt „kurzfristige Darlehen des Privatsektors an die Banken dar“, die unter anderem damit im Rahmen der Fristentransformation längerfristige Aktiva finanzieren. Buchgeld unterliegt von daher einem Ausfallrisiko. „Um das Risiko in angemessenem Rahmen zu halten, gibt es eine große Menge an Regulierungsvorschriften, welche die Zusammensetzung der Bilanz betreffen. […] Die Vollgeldinitiative sieht nun vor, das bestehende Buchgeld in Zahlungsverkehrskonten zu überführen, die neu außerhalb der Bankbilanzen verwaltet werden. Dies kann als eine weitere Beschränkung der Zusammensetzung der Bankbilanzen interpretiert werden, da die Banken sich bei einer Einführung nicht mehr kurzfristig (auf Sicht) verschulden können, indem Sie Buchgeld schöpfen“, so die drei Autoren.
Durch die Reform der Vollgeld-Initiative wäre das Ausfallrisiko des in Zahlungsverkehrskonten transformierten Buchgelds zwar gebannt, doch sei eine stabilisierende Wirkung auf das Finanzsystem darüber hinaus ungewiss. Die Gefahr von Bankruns bliebe bestehen, da alle Spar- und Anlagekonten bei den Banken „weiterhin risikobehaftet sind.“ Gleiches gelte für Kreditzyklen und Vermögensblasen, deren „wichtigste Ursachen […], wie unterschätzte Risiken und übertriebene Preiserwartungen, durch einen Systemwechsel nicht berührt“ würden. Auch könne es im Falle einer Krise weiterhin zu einer Kreditklemme kommen.
Da durch die Reform, die Möglichkeit der Geldschöpfung allein bei der Schweizer Nationalbank liegen würde, sollen die „resultierenden Gewinne (Seigniorage) Bund, Kantonen und Bürgern mehr zugutekommen als bisher“. Insbesondere ist auch ein „schuldfreies“ Inumlaufbringen von neuem Geld vorgesehen. Es würde so „eine Art ‚Helikoptergeld‘ institutionalisert“, schreiben die Autoren. Sie sehen hierin die Gefahr, dass es zu hohen Inflationsraten und den damit verbundenen negativen Effekten kommt, und dass das Vertrauen in die Geldwertstabilität sinkt, wenn die Schweizer Nationalbank auf diesem Weg staatliche Defizite finanzieren würde, was aktuelle per Gesetz verboten ist, nicht zuletzt um die Unabhängigkeit der Zentralbank zu sichern. Außerdem wäre die Zuteilung von Geld an die Bürger eine politische Frage, die nicht in den Bereich der Geldpolitik gehöre.
Rathke, Sturm und Abberger warnen vor der „extremen Unsicherheit“, die eine mit der Reform in Richtung Vollgeldsystem verbundene Umgestaltung des Finanzsystems mit sich bringen würde. Dazu käme die Unsicherheit über die Effekte der neuen, bislang unerprobten Instrumente auf die Transmissionssmechanismen der Geldpolitik. Das Vertrauen in den Franken könnte beeinträchtigt werden.
Daher sind sich die drei Autoren sicher, dass Anpassungen im bestehenden System die bessere Wahl sind: „Die Schwächen des gegenwärtigen Finanzsystems lassen sich durch schrittweise Reformen und Adjustierung von bestehenden Instrumenten zuverlässiger beheben als durch einen Umbau des Systems mit ungewissem Ausgang. Beispiele sind Maßnahmen bei der Einlagensicherung oder im bankregulatorischen Bereich. Auch für eine Diskussion über die Höhe der Ausschüttungen vonseiten der Schweizerischen Nationalbank ist kein Systemwechsel nötig.“
Lesen Sie hier exklusiv vorab ausführlich den Beitrag von Alexander Rathke, Jan-Egbert Sturm und Klaus Abberger zur Schweizer Vollgeld-Initiative aus der Mai-Ausgabe des Wirtschaftsdienst:
„Vollgeld-Initiative“ gefährdet Geldwertstabilität, in: Wirtschaftdienst 5/2018, S. 362-364