Alle offiziellen Wirtschaftsprognosen sind sich in Einem einig: Die Expansion des realen Sozialprodukts wird in diesem Jahr zwar etwas geringer ausfallen als 2017, aber sie wird insgesamt auf absehbare Zeit ziemlich robust weitergehen, in den Schwellenländern mit durchschnittlichen Raten von etwa fünf Prozent, und mit rund 2,3 Prozent in den reicheren Ländern. Kein Grund zur Klage also, wenn man mal von den Krisenländern Venezuela, Argentinien, Brasilien und Türkei absieht.
Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), die sogenannte Zentralbank der Zentralbanken, hat ein gutes Gespür für das große Ganze. Sie hat in ihrem jüngsten Wirtschaftsbericht besorgt darauf hingewiesen, dass die globalen finanziellen Ungleichgewichte selbst dann weiter zunehmen dürften, wenn sich die diversen aktuellen Risiken als beherrschbar erweisen und es in der nahen Zukunft keine Rezession gibt. Insbesondere werden die Schulden weiterhin rascher zunehmen als das nominale Sozialprodukt. Wie die folgende Grafik zeigt, konnte in den vergangenen zehn Jahren von Schuldenabbau keine Rede sein. Zuletzt hatten die aggregierten Schulden der Staaten, der nicht-finanziellen Unternehmen und der privaten Haushalte rund 175 Billionen Dollar erreicht, nach 110 Billionen im Jahr 2007. Das entsprach nach den Berechnungen der BIZ 217 Prozent des Sozialprodukts der Welt (bewertet mit Kaufkraftparitäten).
Für die BIZ ist das gesamte System seit der Liberalisierung des Finanzsektors zu Beginn der achtziger Jahre krisenanfälliger geworden. Im Konjunkturzyklus würden realwirtschaftliche Tendenzen neuerdings von finanzwirtschaftlichen überlagert, wenn nicht sogar dominiert. Bei allen Risiken, die zurzeit eine globale Rezession auslösen könnten, spielen finanzielle Faktoren eine wichtige Rolle. Die BIZ nennt drei:
(1) Die protektionistischen Maßnahmen der USA dämpfen für sich genommen bereits die Investitionstätigkeit in Westeuropa und China; wenn nun eine weitere Dollaraufwertung hinzukommt, wird es noch schwieriger, einen Handelskrieg abzuwenden.
(2) Sollte die Inflation im Euroraum oder in den USA eines Tages unerwarteterweise so rasch ansteigen, dass die Notenbanken aus Sicht der Marktteilnehmer nicht umhin kommen, die geldpolitischen Zügel energisch zu straffen, würden die Bondrenditen vermutlich stark anziehen. Wie wir zu Anfang des Jahres erlebt haben, kann schon eine etwas höhere als die erwartete Lohninflation eine Panik auslösen, die zahlreiche Schwellenländer, die sich in den vergangenen Jahren angesichts der niedrigen Renditen vor allem in Dollar verschuldet hatten, in einen Strudel aus Abwertungen und Rezessionen ziehen würde.
(3) Irgendwann kann es zudem den Anlegern dämmern, dass die Risiken, die sie eingegangen sind, in keinem vertretbaren Verhältnis mehr zu den möglichen Erträgen stehen; vielleicht fallen die Unternehmensgewinne schlechter aus als gedacht, oder es kommen Zweifel an der Schuldentragfähigkeit einiger Entwicklungsländer oder Euroländer auf; dann käme es zu einer Flucht in sichere Anlagen und zu einer Ausweitung von Renditespreads.
Am wahrscheinlichsten ist jedoch, dass sich die Expansion der Weltwirtschaft nicht nennenswert durch die genannten Risiken aufhalten lässt. In den wichtigsten Industrieländern, ebenso wie in China, wird es bei der jetzigen, lockeren Geldpolitik bleiben, mit den Folgen, dass das Schuldenmachen attraktiv bleibt, dass Anleger verzweifelt auf der Suche nach Rendite sind und beim Risiko nicht so genau hinschauen, dass Unternehmen, die eigentlich aus dem Markt ausscheiden sollten, durch die niedrigen Zinsen am Leben gehalten werden (und so das gesamtwirtschaftliche Wachstum der Produktivität vermindern), und dass die Wechselkurse – und mit ihnen die Leistungsbilanzen – immer mehr aus dem Lot geraten, was auf lange Sicht kostspielige Korrekturen erforderlich macht.
Am gefährlichsten aber ist der immer höhere Schuldenberg. Klar ist, dass da, wo gespart wird, auch Schulden gemacht werden müssen. Die Schulden der Einen sind das Vermögen der Anderen. Das ist nur die statische Sicht und erklärt nicht, warum Schulden gefährlich sein können. Das ist immer dann der Fall, wenn die Erträge der schuldenfinanzierten Investitionen nicht mehr für den Schuldendienst ausreichen, beispielsweise wenn es zu einem Immobilienboom, gefolgt von einem Überangebot an Wohnraum und sinkenden Mieten kommt, oder wenn noch eine Shopping Mall gebaut wird, obwohl Amazon dieses Geschäftsmodell gerade zerstört, oder wenn weiterhin Diesel-SUVs entwickelt werden, obwohl die Zukunft dem Elektroantrieb gehört.
Grundsätzlich sinken die Grenzerträge von Investitionen, wenn bereits viel investiert wurde und der Kapitalstock entsprechend groß ist. Irgendwann muss daher Schluss sein mit dem Schuldenmachen. Wenn weite Teile der Wirtschaft nicht mehr in der Lage sind, ihre Schulden zu bedienen, oder die Schulden höher sind als der Wert von Aktienportefeuilles, führt das letztlich zu Zwangssparen, geringeren Ausgaben und einer lang anhaltenden Rezession, wenn nicht sogar zu einer Depression. Wenn es erst einmal so weit ist und die Leitzinsen zudem noch sehr niedrig sind, ist die Geldpolitik mit ihrem Latein am Ende. Da die staatlichen Schulden in vielen Ländern im vergangenen Jahrzehnt nicht nennenswert abgebaut wurden, ist dort auch der Spielraum für fiskalpolitische Maßnahmen gering. Das gilt nicht nur für Japan und Italien, sondern insbesondere auch für die USA.
Die BIZ empfiehlt daher, nicht überraschend, die niedrigen langfristigen Realzinsen zu nutzen, die Wachstumsrate des Produktionspotenzials zu erhöhen. Es muss alles daran gesetzt werden, damit der Handelskrieg, den die USA angezettelt haben, nicht eskaliert.
Da die Allokation der volkswirtschaftlichen Ressourcen nicht optimal ist, sollten die Märkte für Waren, Dienstleistungen und Arbeit außerdem flexibler gemacht werden, damit sie besser auf Preissignale reagieren. Das ist der übliche neo-liberale Ansatz, der die Effekte auf die Verteilung von Vermögen und Einkommen außer Acht lässt.
Und zu guter Letzt: Damit der Finanzsektor krisenresistenter wird, sollte die Reform der Bankenregulierung fortgesetzt und alles getan werden, damit die Banken profitabler werden.
Was genau das angesichts des niedrigen Zinsniveaus und der ebenso niedrigen Zinsmargen bedeutet, sagt die BIZ nicht. Ich vermute aber, dass es ohne ein merkliches Schrumpfen des Sektors nicht abgehen wird. Die FinTech-Firmen und die kalifornischen Technologie-Giganten stehen schon in den Startlöchern, um den Banken einen Teil ihres Geschäfts abzujagen.