Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Weniger Leistungsbilanzüberschüsse, mehr Wohlstand

 

Logo: Wirtschaftsdienst - Zeitschrift für WirtschaftspolitikExklusiv aus dem Wirtschaftsdienst: Die hohen deutschen Leistungsbilanzüberschüsse werden nicht erst seit Donald Trump scharf kritisiert. Auch die europäischen Nachbarn, der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Europäische Kommission rufen Deutschland dazu auf, Maßnahmen zu ergreifen, um diese zu reduzieren. Fabian Lindner, Sabine Stephan und Rudolf Zwiener vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) zeigen in der September-Ausgabe des Wirtschaftsdienst, wie es mit einer geeigneten Wirtschaftspolitik gelingen kann, die Außenhandelsüberschüsse abzubauen und gleichzeitig positive Effekte auf Wachstum und Beschäftigung zu erzielen und die Schuldenquote des Staates zu senken.

Der IWF empfiehlt die Lohnentwicklung zu stärken, die EU Kommission empfiehlt die inländische Nachfrage anzuregen. Eine expansive Lohnpolitik in Deutschland soll es den anderen Ländern erleichtern ihre preisliche Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern und eine expansive Fiskalpolitik soll über höhere öffentliche Investitionen die Binnenkonjunktur stimulieren und zu höheren realen Importen führen. Allerdings sind die Effekte beider Politiken auf den Leistungsbilanzsaldo in der theoretischen Betrachtung nicht eindeutig oder stehen in einem Spannungsverhältnis zu andern wirtschaftspolitischen Zielen.

Höhere Löhne dämpfen über steigende Preise zwar das Exportvolumen, ob die für den Außenhandelssaldo relevanten nominalen Exporte tatsächlich sinken oder sogar steigen und dies mehr oder weniger als die nominalen Importe, hängt aber davon ab, ob dieser Mengeneffekt durch die höheren Exportpreise nicht konterkariert wird. Es handelt sich, wie die Autoren feststellen, um eine empirische Frage. Gleiches gilt für die Frage, ob eine expansive Fiskalpolitik in Deutschland zwar den Leistungsbilanzüberschuss entsprechend den europäischen Regeln begrenzt im Endeffekt aber zu einem Anstieg der Defizit- und Schuldenquote führt und die Regeln in dieser Hinsicht verletzt.

Beide Fragen überprüfen Lindner, Stephan und Zwiener durch die Simulation zweier Szenarien mit Hilfe des makroökonometrischen Modells des IMK.

Im ersten Szenario werden die Ausgaben des Staates sukzessive über einen Zeitraum von 15 Jahren in vier Stufen um jeweils 12 Mrd. Euro angehoben. In der letzten Stufe beträgt der fiskalische Impuls also 48 Mrd. Euro. Die zusätzlichen Ausgaben werden zu gleichen Teilen in den folgenden drei Bereichen verwendet:

  1. Bildung, öffentliche Verwaltung und Pflege
  2. öffentliche Infrastruktur
  3. öffentlicher Wohnungsbau, wobei jeweils die Hälfte in Neubau bzw. den Kauf bestehender Wohnungen investiert wird

Die fiskalischen Maßnahmen des ersten Szenarios werden im zweiten Szenario noch durch eine expansive Lohnpolitik ergänzt. Dabei wird unterstellt, dass sich die Löhne über den gesamten Zeitraum gemäß einer verteilungsneutralen lohnpolitischen Regel stärker entwickeln und entsprechend der Summe aus durchschnittlichem Produktivitätszuwachs und dem Inflationsziel der EZB von knapp zwei Prozent wachsen. Als Reverenz für beide Szenarien gilt ein Basissimulation in der diese fiskalpolitischen beziehungsweise fiskal- und lohnpolitischen Maßnahmen nicht stattfinden.

Die gesamtwirtschaftlichen Effekte beider Szenarien werden in der folgenden Abbildung als Abweichungen von der Basissimulation am Ende des Simulationszeitraums dargestellt.

Abbildung: Gesamtwirtschaftsliche Effekte von Fiskal- und Lohnpolitik
Quelle: Wirtschaftsdienst 9/2018, S. 647

Es zeigt sich, dass der Effekt auf den Leistungsbilanzsaldo im Szenario „Fiskal- und Lohnpolitik“ (Szenario 2) mit -2,4 Prozentpunkten deutlich größer ist als im Szenario „Fiskalpolitik“ (Szenario 1), wo der Rückgang im Vergleich zum Basisszenario nur 1,4 Prozentpunkte beträgt. (siehe zu diesen und den folgenden Zahlen auch Tabelle 1 auf S. 649) Die Autoren folgern: „… die Kombination der beiden wirtschaftspolitischen Maßnahmen ist notwendig, um den deutschen Leistungsbilanzüberschuss aus dem Jahr 2017 in Höhe von 7,9% knapp unter die von der EU vorgegebene Obergrenze von 6% zu senken.“ Und schreiben zur Erklärung: „Obwohl bei einer expansiven Lohnpolitik die nominalen Exporte steigen, was dem Ziel einer Reduzierung des Exportüberschusses zuwiderläuft, ist die Kombination aus Fiskal- und Lohnpolitik in Bezug auf die Reduzierung des Exportüberschusses letztlich erfolgreicher als die reine Fiskalpolitik, weil sie zu einer stärkeren Erhöhung der nominalen Importe führt.“

Wie steht es mit dem möglichen Zielkonflikt zwischen der Begrenzung der Leistungsbilanzüberschüsse und der Einhaltung der europäischen Fiskalregeln? Im Szenario 1 kommt es zu einem leichten Anstieg der Defizitquote (+0.4 Prozentpunkte gegenüber der Basissimulation) und zu einem deutlichen Anstieg der Schuldenquote (+3,2 Prozentpunkte gegenüber der Basissimulation). Damit würde eine reine Fiskalpolitik zwar den „Außenhandelsüberschuss verringern, ohne die deutsche Wettbewerbsfähigkeit zu verschlechtern“, könnte aber je nach Ausgangslage „die europäischen oder nationalen Regeln zur Begrenzung der Defizit- und Schuldenstandsquoten verletzten“. Dadurch sei der fiskalische Spielraum sehr begrenzt.

Anders verhält es sich in Szenario 2. Die Kombination aus Fiskal- und Lohnpolitik hat im Vergleich zur Basissimulation weder einen positiven noch einen negativen Effekt auf die Defizitquote und einen deutlich positiven Effekt auf die Schuldenquote, die um 7,4 Prozentpunkte sinkt. Die Erklärung hierfür sehen die Autoren in der höheren Dynamik der Binnenkonjunktur aufgrund steigender Löhne und Einkommen der privaten Haushalte. So nehmen die Beschäftigung und das reale BIP deutlich stärker zu als in Szenario 1, ebenso wie die Einnahmen des Staats und das nominale BIP, das noch zusätzlich durch einen stärkeren Preisanstieg getrieben wird.

Deutschland könnte also um den Preis einer höheren Inflation und „einer (leicht) verringerten preislichen Wettbewerbsfähigkeit, die ihrerseits aber wieder zur Stabilisierung der Währungsunion beitragen würde“, die fiskalischen Handlungsmöglichkeiten des Staates erweitern, so die Autoren.

Die in Szenario 2 verfolgte wirtschaftpolitische Strategie wäre demnach geeignet sich unabhängiger vom Export und den Unwägbarkeiten der US-Handelspolitik zu machen, den Leistungsbilanzüberschuss zu verringern und gleichzeitig „[würden] wichtige soziale und wirtschaftliche Investitionen voran gebracht, ohne dabei die europäischen Regeln in Bezug auf Staatsschulden und -defizit zu verletzen.“

Lesen Sie hier exklusiv vorab ausführlich den Beitrag von Fabian Lindner, Sabine Stephan und Rudolf Zwiener aus der September-Ausgabe des Wirtschaftsdienst:

Dringend gebraucht – aktive Wirtschaftspolitik, um Außenhandelsüberschüsse abzubauen, in: Wirtschaftsdienst 9/2018, S. 644-650