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Der Euro – eine Erfolgsgeschichte?

 

Logo: Wirtschaftsdienst - Zeitschrift für WirtschaftspolitikExklusiv aus dem Wirtschaftsdienst: Am 1. Januar 1999 wurde der Euro als Buchgeld eingeführt. Schon ein halbes Jahr zuvor war die Europäische Zentralbank gegründet worden. Die Europäische Währungsunion hat mittlerweile einige Krisen überstanden. Probleme gab es vor allem, weil die gesetzten Rahmenbedingungen ihre Wirkung nicht (voll) entfalten konnten. Nun ist es an der Zeit, Reformen durchzuführen und Regeln und Mechanismen zu entwickeln, mit dem Ziel die Währungsunion krisenfest zu machen. Im aktuellen Zeitgespräch der Dezember-Ausgabe des Wirtschaftsdienst diskutieren Marcel Fratzscher, Alexander Kriwoluzky, Stefan Schäfer, Ulrike Neyer, Gerhard Illing und Otmar Issing die Erfolge, Probleme und Aussichten der Europäischen Währungsunion.

Marcel Fratzscher und Alexander Kriwoluzky vom Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) geben in ihrem Beitrag zunächst einen Überblick über die ökonomische Bedeutung des Euro und die Entwicklung vor der Finanz- und Staatsschuldenkrise. Dabei heben sie die Rolle der gemeinsamen Währung bei der Förderung der wirtschaftlichen Prosperität, der Intensivierung des Wettbewerbs und Finanzmarktintegration hervor. „[D]er Euro ist eine notwendige Voraussetzung für einen funktionierenden europäischen Binnenmarkt für Güter, Dienstleistungen und Kapital“, stellen die Autoren fest und verweisen außerdem auf die Vorteile des Euro als internationale Währung.

Die erste Dekade der Währungsunion wurde allgemein „als großer wirtschaftspolitischer Erfolg gewertet“, auch wenn sich in dieser Zeit Ungleichgewichte und in einigen Mitgliedsländern spekulative Blasen bildeten. Mit dem Wirtschaftseinbruch im Zuge der globalen Finanzkrise der Jahre 2007/2008 kam es dann zu beträchtlichen ökonomischen Verwerfungen. Aus der Belastung der Staatshaushalte durch die Finanzkrise wurde schließlich eine Staatsschuldenkrise. Die Bezeichnung „Euro-Krise“ sei jedoch falsch. Zum einen wurde die Krise von Finanzinstituten und nicht vom Euro verursacht, zum anderen hätten die Länder des Euroraums, obwohl sie nicht darauf vorbereitet waren, schnell reagiert.

Ein Austritt aus der Währungsunion, wie manche sich das vorstellen, ist für kein Land eine Lösung der Krise. Die Konsequenzen wären Staatsbankrotte und Insolvenz-Wellen, schreiben Fratzscher und Kriwoluzky. Im Gegenteil, die Lösung vieler Probleme liege im Euro. Gemeinsam mit einer Gruppe von deutschen und französischen Wirtschaftswissenschaftlern haben sie ein Reformprogramm vorgeschlagen, das mit geeigneten Regeln die Eigenverantwortung der nationalen Regierungen stärken und die Risikoteilung sowie die Koordination der Wirtschaftspolitik verbessern soll.

Stefan Schäfer von der Wiesbaden Business School beschreibt in seinem Beitrag die Entwicklung des Regelwerks der Europäischen Währungsunion vor dem Hintergrund des Spannungsverhältnisses zwischen den deutschen Euroskeptikern und dem voranschreitenden Integrationswillen in der Union. Dieses Spannungsverhältnis manifestiert sich im Gegensatz zwischen der „Krönungstheorie“ und der „Grundsteintheorie“. Erstere sieht eine gemeinsame Währung als den Abschluss der politischen Integration, letztere sieht sie als die Basis, auf der die politische Integration voranschreiten kann. „Maastricht“, so Schäfer, sollte beide Positionen zusammenführen. Dabei entsprach die Festlegung auf einen fixen Einführungstermin dem Gedanken der Grundsteintheorie und der „Katalog der Beitrittskriterien“ griff die Bedenken der Skeptiker auf.

Den nächsten Kompromiss habe es bei der Diskussion um den insbesondere von der Bundesbank geforderten Stabilitätspakt gegeben, der das 3%-Defizitkriterium auch für die Zeit nach dem Beitritt zur Währungsunion festschreiben sollte und Defizitsünder mit Sanktionen belegen wollte. Heraus kam auf Drängen der französischen Regierung der Stabilitäts- und Wachstumspakt mit einer „Priese ‚Wachstumsförderung'“, so Schäfer. Die Skeptiker waren dadurch aber nicht zufrieden gestellt. Die Währungsunion kam für sie immer noch zu früh.

Als Deutschland und Frankreich ungestraft das Defizitkriterium verletzten, sahen sich die Skeptiker bestätigt. „Wer sollte sich jetzt noch an das Regelwerk der Eurozone halten?“ Als Reaktion auf die Staatsschuldenkrise wurden die Regeln nicht zuletzt auf Betreiben der deutschen Regierung mit dem Fiskalpakt verschärft. Aber auch hier melden die Skeptiker Vorbehalte an. Stefan Schäfer teilt die Kritik. Die Währungsunion sei weit von jeglicher Normalität entfernt. „Die Krise ist Dauerzustand“, schreibt er und fordert „ein konsistentes Regelwerk“, das, erstens, die Einheit der Haftung und Kontrolle gerade in der nationalen Finanzpolitik gewährleistet. Zweitens müsse die EZB zu ihrer im engeren Sinne geldpolitischen Rolle zurückkehren und drittens „muss die Ordnungspolitik endlich über der Prozesspolitik stehen.“

Ulrike Neyer von der Heinrich-Heine Universität Düsseldorf konzentriert sich in ihrem Beitrag auf die Analyse und Bewertung zweier Programme der Europäischen Zentralbank (EZB), in deren Rahmen sie Staatsanleihen von Ländern des Euroraums auf dem Sekundärmarkt kaufen kann: die „Geldpolitischen Outright-Geschäfte“ (OMT) und das „Programm zum Ankauf von Wertpapieren des öffentlichen Sektors“ (PSPP). Obwohl beide Instrument über den Ankauf von Staatsanleihen wirken, dienen sie doch unterschiedlichen Zielsetzungen, haben unterschiedliche Wirkungskanäle und sind mit unterschiedlichen Kosten verbunden.

Die OMTs wurden im September 2012 eingeführt, um eine potentielle Systemkrise zu vermeiden. Dabei kann die EZB unbegrenzt Anleihen eines Landes kaufen, wenn dieses sich in einem Programm des Rettungsschirms ESM befindet und die damit verbundenen Auflagen erfüllt. Die EZB fungiere hier als „Lender of Last Resort für Staaten“, schreibt Neyer. „OMTs sind damit ein Instrument zur Vermeidung einer mit hohen Kosten verbunden Systemkrise in der Form eines ungeordneten Staatsbankrotts und/oder eines ungeordneten Auseinanderbrechens der Währungsunion“. Sie seien von daher grundsätzlich als positiv zu beurteilen, und die negativen Effekte eines Lender-of-Last-Resort-Einsatzes seien in Kauf zu nehmen.

Anders schätzt Ulrike Neyer den Ankauf von Staatsanleihen im Rahmen des PSPP ein. Dies ist ein Instrument des Quantiative Easing, das der Erhöhung einer zu niedrigen Inflationsrate dient. Seit März 2015 kauft die EZB im Rahmen dieses Programms im großen Umfang Staatsanleihen. Quantitative Easing wirkt über eine Vielzahl von Wirkungskanälen auf die gesamtwirtschaftliche Nachfrage, die Inflation und das reale Wachstum. In einer Reihe von Studien werden zwar grundsätzlich positive Effekte identifiziert, allerdings seien diese Effekte mit großen Unsicherheiten behaftet. Dagegen gäbe es erhebliche Risiken und unerwünschte Nebeneffekte: die Unabhängigkeit der Zentralbank sei gefährdet, der Druck auf die Staaten, notwendige strukturelle Reformen durchzuführen, würde vermindert, auch gäbe es Risiken für die Finanzstabilität. Das Wertpapierkaufprogramm PSPP sei daher eher kritisch einzuschätzen.

Gerhard Illing von der Ludwig-Maximilians-Universität München zieht in seinem Beitrag eine Bilanz der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank. Durch den Vertrag von Maastricht dem Ziel der Preisstabilität verpflichtet, schien die Politik der EZB gemessen an den ersten zehn Jahren eine echte Erfolgsgeschichte zu werden. Im Durchschnitt lag die Inflationsrate nur etwas über zwei Prozent bei einem Ziel von „unter, aber nahe 2 %“. In den 10 Jahren nach Ausbruch der Finanzkrise wurde diese Zielgröße dann aber mit im Durchschnitt 1,2 Prozent deutlich unterschritten.

„Die Finanzkrise stellte die EZB vor schwere Zerreißproben“, stellt Illing fest. Anders als die Federal Reserve und die Bank of England reagierte die EZB anfänglich nur zögerlich. Noch 2011 erhöhte sie den Leitzins und war bestrebt die Expansion der Geldbasis möglichst einzudämmen. Die Fed und die Bank of England hatten dagegen ihre Zinsen gleich zu Beginn der Krise aggressive gesenkt und mit Erreichen der Nullzinsgrenze die Geldbasis mit unkonventionellen Maßnahmen massiv ausgeweitet (sog. Quantitative Lockerung, Quantitative Easing). „Während sich die konjunkturelle Entwicklung in vielen anderen Industriestaaten ab 2011 allmählich beruhigte, kam es im Euroraum nochmals zu einem weiteren massiven Einbruch.“

Erst danach ergriff die EZB vehement unkonventionelle Maßnahmen, verfolgte eine Niedrigzinspolitik und stieg Anfang 2015 auch in das Quantitative Easing ein. Nicht nur in Europa auch in den USA gab es zahlreiche Kritik an dieser Art der Geldpolitik. Aber, so Illing: „Gerade in den USA erwiesen sich die neuen Instrumente jedoch als überraschend erfolgreich“ und „[m]it dem massiven Einsatz unkonventioneller Maßnahmen hat sich auch im Euroraum die Wirtschaftsaktivität stabilisiert.“

In einem Umfeld niedriger langfristiger Zinsen, das sich in den vergangen zwei Dekaden heraus gebildet hat, werde die EZB auch in Zukunft vor der Herausforderung stehen, das die Geldpolitik weniger effektiv ist, wenn die Nullzinsgrenze zur bindenden Restriktion wird. Es läge daher Nahe auf den Vorschlag zurückzugreifen, die durchschnittlich angestrebte Inflationsrate nicht zu niedrig anzusetzen. Mit einer angepeilten Inflationsrate von 2,5 bis drei Prozent könnte die EZB der Gefahr entkommen, vermutet Illing.

Wie und weshalb die EZB zu der geldpolitischen Strategie kam, die sie im Prinzip bis heute verfolgt, erläutert Otmar Issing (Präsident des Center for Financial Studies) in seinem Beitrag. Als Direktoriumsmitglied der neugegründeten EZB war Issing 1998 maßgeblich am Entwurf dieser Strategie beteiligt. Dabei stellte die neue Währungsunion in jeder Hinsicht eine Terra Incognita dar und es galt ein extremes Ausmaß an Unsicherheit bezüglich der wirtschaftlichen Lage, der Struktur der Wirtschaft und der zu verwendeten Modelle zu berücksichtigen, beschreibt Issing die Ausgangslage.

Obwohl er noch als Bundesbanker die Verfolgung eines expliziten Geldmengenziels, wie es die Bundesbank betrieb, auch für die EZB propagiert hatte, stellte er sich dann ausdrücklich gegen eine Strategie der Geldmengensteuerung und stand auch dem als „State of the Art“ der Geldpolitik geltenden Inflation Targeting kritisch gegenüber.

Als Ergebnis einer ausgiebigen Diskussion mit einer Vielzahl von Experten wurde schließlich eine „stabilitätsorientierte geldpolitische Strategie“ entwickelt, die den Unsicherheiten der Ausgangslage gerecht wurde. Sie enthielt drei Elemente: die mittelfristige Vorgabe einer Inflationsrate von unter zwei Prozent, einen „Referenzwert für das Wachstum eines breiten Geldmengenaggregats“ und „eine breit angelegte Analyse der Aussichten für die Preisentwicklung und der Risiken für die Preisstabilität“. Diese Strategie wurde als „Zwei-Säulen-Strategie“ bekannt.

Die Überprüfung der Strategie im Jahre 2003, bei der die Definition der Preisstabilität präzisiert und die jährliche Überprüfung des Referenzwertes für M3 aufgegeben wurde, habe ihren Erfolg bestätigt, schreibt Issing. Außerdem wurde die Reihenfolge bei der Präsentation der monetären und ökonomischen Analyse bei den Pressekonferenzen des EZB-Präsidenten getauscht. Die geldpolitische Strategie sei aber unverändert geblieben. Issing stellt abschließend fest: „Die geldpolitische Strategie der EZB hat sich aber nicht nur als geeignet erwiesen, die schwierige Startphase zu meistern, diese Strategie war von Anfang an auch als eine zukunftsweisende Konzeption angelegt.“

Lesen Sie hier exklusiv ausführlich die fünf Beiträge des aktuellen Zeitgesprächs zur 20 Jahren Euro aus der Dezember-Ausgabe des Wirtschaftsdienst:

20 Jahre Euro: eine Erfolgsgeschichte?, in: Wirtschaftsdienst 12/2018 (mit folgenden Beiträgen: „Der Euro als Erfolgsgeschichte“ von Marcel Fratzscher und Alexander Kriwoluzky; „Dem Euro fehlt ein konsistenter ordnungspolitischer Rahmen“ von Stefan Schäfer; „Der Ankauf von Staatsanleihen durch das Eurosystem – Lender of Last Resort und Quantitative Easing“ von Ulrike Neyer; „Geldpolitik am Limit: die Herausforderungen der EZB an der Zinsuntergrenze“ von Gerhard Illing; „EZB – eine erfolgreiche geldpolitische Strategie“ von Otmar Issing)