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Insolvenzregime für Euro-Staaten? Ein gefährlicher Irrweg

 

Logo: Wirtschaftsdienst - Zeitschrift für WirtschaftspolitikExklusiv aus dem Wirtschaftsdienst: Fabian Lindner vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) analysiert in der Februar-Ausgabe des Wirtschaftsdienst den Vorschlag der Euro-Finanzminister ein Insolvenzverfahren für die Mitgliedstaaten des Euro zu schaffen. Lindner hält den Vorschlag für ökonomisch falsch und politisch hoch gefährlich.

In einem im Dezember 2018 veröffentlichten Papier zur Reform des European Stability Mechanism (ESM) schlagen die Finanzminister der Eurozone vor, dass der ESM einem Mitgliedsstaat nur noch dann finanzielle Mittel zur Verfügung stellt, wenn dessen Schuldentragfähigkeit festgestellt ist. Sonst droht der Schuldenschnitt. Die Androhung der Insolvenz soll die No-Bail-Out-Klausel des EU-Vertrags stärken und die Staaten der Disziplinierung durch die Finanzmärkte unterwerfen. Kein Land soll die Hoffnung haben, wenn es sich übermäßig verschuldet, im Zweifel von der Gemeinschaft gerettet zu werden.

Aus Sicht Lindners enthält dieser Vorschlag allerdings wesentliche Schwächen: Zum einen ist das Konzept der Schuldentragfähigkeit ein systematisch unklares Kriterium für Insolvenz und zum anderen erhöht die Einrichtung eines solchen Verfahrens selbst dauerhaft das Zahlungsausfallrisiko von Staaten im Euroraum mit der Folge systematisch höherer Zinsen und negativer Effekte auf Wachstum und Beschäftigung. Daher fordert Lindner: „Um den Euroraum nicht politisch und ökonomisch zu destabilisieren, muss die Europäische Zentralbank ein indirekter ‚Lender of Last Resort‘ für Staaten werden.“

Weiter kritisiert er: „Die Einführung eines Insolvenzverfahrens würde […] die Gefahr in sich bergen, die in der Eurokrise ab 2010 zu beobachtende volatile Zins­ und Wirtschaftsentwicklung wiederzubeleben. Die Mitglieder des Euroraums würden sich somit ohne Not in die Lage von Entwicklungsländern begeben, die die ‚Ursünde‘ begangen haben, sich in einer Währung zu verschulden, die sie selbst nicht kontrollieren können. Genau durch diese ‚Ursünde‘ sind diese Entwicklungsländer in die Abhängigkeit von ausländischen Gläubigern und dem IWF geraten – so wie viele Euromitgliedstaaten in der Eurokrise.“

Da Staaten nicht, wie Unternehmen, mangels Eigenkapital insolvent werden können, würde durch das von den Finanzministern vorgeschlagene Verfahren das Kriterium der Schuldentragfähigkeit zum Kriterium über die Solvenz eines Staates erhoben. Allerdings, so Lindner, sind mit der Schuldentragfähigkeitsanalyse eine Reihe von Problemen verbunden, die die Schuldentragfähigkeit abhängig vom Verfahren selbst machen und das Kriterium somit nicht nur wertlos wird, sondern es große Gefahren berge, wenn man es anwendet. Das Kriterium Schuldentragfähigkeit habe mit Solvenz nichts zu tun.

All das heiße nicht, dass Staaten nicht zahlungsunfähig werden können. „Ganz im Gegenteil. Staaten hängen andauernd von den Finanzmärkten und deren Bereitschaft zur Kreditverlängerung ab. Bleibt diese aus, können Staaten akut zahlungsunfähig, also illiquide, werden. Das hat aber wenig mit ihrer fundamentalen Zahlungsfähigkeit, also ihrer Solvenz, zu tun“, schreibt Lindner. Daher sei die Solvenz für Staaten generell kein geeignetes Kriterium, an dem man einen Schuldenschnitt festmachen könnte. „Ob ein Staat zahlungsunfähig wird, hängt nicht von der Höhe seiner Schulden relativ zum BIP ab, sondern von der Art der Finanzierung“, konstatiert Lindner. Und weiter: „Wer in einer Währung verschuldet ist, die er nicht kontrollieren kann, ist immer auf den guten Willen der Finanzmärkte angewiesen.“

Der Vorschlag der Euro-Finanzminister impliziert einen massiven Einschnitt in die nationale Souveränität: Die Mitgliedstaaten würden zu subnationalen Einheiten, die im Falle einer „Insolvenz“ den Eingriff von außen akzeptieren müssten. „Natürlich muss die (Teil­)Aufgabe von Souveränität nicht automatisch problematisch sein. Ein Staat kann Teile seiner Souveränität freiwillig an andere, übernationale Ebenen abgeben. […] Massive Eingriffe von Gläubigern in das Haushaltsrecht zu ermöglichen, die zumeist zu starker Austerität und den damit verbundenen negativen Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft führen, dürfte aber kaum einen Anreiz zum freiwilligen Verzicht auf Souveränität geben“, führt Fabian Lindner aus.

Lindner zieht den Status quo im Euroraum einem Insolvenzregime vor und wirbt dafür diesen „Irrweg“ nicht zu beschreiten. Stattdessen hebt er die Rolle der EZB hervor: „Die Unabhängigkeit der EZB, das Verbot einer direkten Staatsfinanzierung und das EZB­Mandat, vor allem die Inflation zu stabilisieren, können einen guten Ausgangspunkt für die EZB als – indirekten – ‚Lender of Last Resort‘ für Staaten geben“.

Abschließend hält Fabian Lindner zur entscheidenden Rolle der EZB fest: „Wesentlich für das hier entwickelte Argument war, dass die Volatilität der Zinssätze und damit der Wirtschaftsentwicklung zu großen Teilen von der Möglichkeit einer Staatspleite abhängen. Die EZB ist für die Erfüllung ihres in den Europäischen Verträgen festgehaltenen Mandats darauf angewiesen, dass der ‚Transmissionmechanismus‘ der Geldpolitik wirkt: D.h., Änderungen der von ihr gesetzten kurzfristigen Zinssätze müssen zu gleichgerichteten Änderungen der langfristigen Zinssätze führen, die wesentlich für die wirtschaftliche Entwicklung – darunter auch die Inflation – sind. Weil die Zinssätze für Staatsanleihen und die darauf beruhenden Zinssätze für Privatkredite in der Krise kaum mehr auf die Veränderung der EZB-­Leitzinsen reagiert haben, waren die EZB-­Käufe von Staatsanleihen notwendig, um die langfristigen Zinsen zu beeinflussen und zur Aufrechterhaltung des Transmissionsmechanismus.“

Lesen Sie hier exklusiv vorab ausführlich den Beitrag von Fabian Lindner aus der Februar-Ausgabe des Wirtschaftsdienst:

Insolvenzregime für Staaten: Ein gefährlicher Irrweg für den Euroraum, in: Wirtschaftsdienst 2/2019, S. 133-140