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Die BIP-Prognosen sind zu pessimistisch

 

In den vergangenen Wochen hatten sich die Ökonomen von Ifo, von der EU-Kommission und der Bundesregierung darauf eingeschossen, dass das reale BIP Deutschlands in diesem Jahr im Durchschnitt nur ein halbes Prozent höher sein wird als 2018. Nach den Zahlen, die jetzt vom Statistischen Bundesamt für das erste Quartal 2019 veröffentlicht wurden, dass es nämlich im Vorquartalsvergleich einen Anstieg von 0,4 Prozent gegeben habe, müsste das reale BIP in den folgenden drei Quartalen jeweils um weniger als 0,1 Prozent zunehmen, damit am Ende für das Gesamtjahr eine Zuwachsrate von 0,5 Prozent herauskommt.

Das ist im Grunde die Prognose einer Rezession und es wäre dann nicht unwahrscheinlich, dass die Arbeitslosigkeit nach vielen Jahren des stetigen Rückgangs wieder einmal steigt. Ich halte das aber für viel zu pessimistisch.

Grafik: reales Bruttoinlandsprodukt (Änderung gg. dem Vorquartal und dem Vorjahresquartal in Prozent)

Wie es aussieht, hatten wir es in der zweiten Jahreshälfte 2018 mit Sonderfaktoren in der Autoindustrie und der Rheinschifffahrt zu tun, keineswegs mit einer Trendwende. Vieles spricht dafür, dass inzwischen ein Aufholprozess begonnen hat, der uns wieder höhere Wachstumsraten bescheren wird. Rein von den Zahlen her: Wenn es in den kommenden drei Quartalen bei der Zuwachsrate des ersten Quartals bleibt (also bei 0,4 Prozent), ergibt sich für das reale BIP dieses Jahres eine Zuwachsrate von 1,0 Prozent; bei 0,8 Prozent pro Quartal wären es sogar 1,6 Prozent. 0,8 Prozent? Warum nicht? Für die USA wird beispielsweise für dieses Jahr trotz des festen Dollars, der hohen Leitzinsen und des Handelskriegs mit China mit einer Wachstumsrate von 2,5 bis 3 Prozent gerechnet. 0,8 Prozent ist nicht viel nach einer Zeit konjunktureller Schwäche.

Fundamental geht es der deutschen Wirtschaft immer noch ganz gut. Während die Unternehmer laut Ifo-Umfragen befürchten, dass es wegen des Brexits, der langsameren Zunahme des Welthandels, der Abkühlung in China und des hohen Ölpreises starken Gegenwind geben wird, beurteilen sie ihre wirtschaftliche Lage weiterhin deutlich positiv. Die Kasse stimmt, der Aktienmarkt brummt, die Zinsen sind real so negativ wie selten und die Arbeitnehmer geben sich mit moderaten Abschlüssen zufrieden.

Grafik: Ifo Geschaeftsklimaindex

Während die Wirtschaft im zweiten Halbjahr 2018 stagnierte und gerade so an einer Rezession vorbeischrammte, wurden unbeeindruckt davon kräftig neue Mitarbeiter eingestellt, ein Zeichen dafür, dass die Firmen ihren Expansionskurs beibehalten wollen und sich nicht von der Stagnation der Produktion beeindrucken lassen. Auf’s Jahr hochgerechnet wurden von Juni bis Dezember 1,2 Prozent neue Jobs geschaffen. Bei dieser Rate ist es auch im neuen Jahr geblieben. So etwas gibt es sonst nur in der Hochkonjunktur.

Grafik: Zahl der Erwerbstaetigen in Deutschland seit 1991

Zu einem Konjunkturmotor hat sich immer mehr der Bau entwickelt. Es fehlt an Wohnraum, die Mieten steigen vor allem in den Ballungszentren so stark wie seit Jahrzehnten nicht und Festzinsen von weniger als zwei Prozent bei Hypothekenkrediten animieren die Leute zum Schuldenmachen. Im letzten Jahr hat die Beschäftigung im Bausektor um knapp sechs Prozent zugenommen – seit drei Jahren geht das nun schon so. Wo gebaut wird, folgen Möbel und Haushaltsgeräte auf dem Fuße. Mit anderen Worten, Bauinvestitionen sind ein Katalysator für den privaten Verbrauch.

Und der läuft ebenfalls ungewohnt gut. Im ersten Quartal lagen die Einzelhandelsumsätze preisbereinigt um nicht weniger als 1,7 Prozent über dem Durchschnitt des vierten Quartals – was einer annualisierten Rate von 6,8 Prozent entspricht. Wann hat es das schon mal gegeben? Dass so fröhlich konsumiert wird, bedeutet, dass sich kaum Jemand Sorgen um die Sicherheit seines Arbeitsplatzes zu machen scheint. Hinzu kommt, dass die realen Stundenlöhne gegenüber dem Vorjahr um rund 1,3 Prozent zugelegt haben, ähnlich rasch wie die Beschäftigung. Und jetzt werden die staatlichen Renten zur Jahresmitte um mehr als drei Prozent angehoben, was sowohl real als auch nominal mehr ist als in den Vorjahren.

Das Statistische Bundesamt hat heute vorab schon mal angedeutet, dass nicht nur in Bauten, sondern auch in Ausrüstungen deutlich mehr investiert wurde als im vierten Quartal. Genaue Zahlen gibt es erst am 23. Mai. Obwohl die Auftragseingänge in der Industrie bis zuletzt stark rückläufig waren, hat das den weiteren Aufbau des Kapitalstocks offenbar nicht gebremst. Fragt sich, ob wir es bereits mit Überinvestitionen zu tun haben, also mit Investitionen, die sich angesichts einer möglicherweise überschätzten Endnachfrage demnächst nicht mehr rechnen, was dann nach aller Erfahrung der Auslöser für eine Rezession sein könnte. Dagegen spricht, dass von einer allgemeinen Euphorie bislang nichts zu sehen ist und die Kosten für Eigenkapital und Fremdkapital äußerst gering sind, so dass es mit dem Schuldendienst für’s Erste keine Probleme geben dürfte.

Der wichtigste Faktor, der bei der Inlandsnachfrage einen Boom noch verhindert, ist der staatliche Konsum, der laut Statistischem Bundesamt im ersten Quartal rückläufig war, aus welchen Gründen auch immer. Da die Staatseinnahmen weiter sprudeln, erwarte ich nicht, dass der Staat dauerhaft bremsen wird. Eine anti-zyklische Finanzpolitik ist nicht zu erwarten und wäre angesichts der gewaltigen Haushaltsüberschüsse auch vollkommen unangebracht. Vielleicht wollten die Finanzminister einfach klarstellen, dass es auch in diesem Jahr eine schwarze Null geben wird. Ich glaube ihnen und vermute, dass sich staatliche Ausgaben im weiteren Jahresverlauf zu so etwas wie einem Turboeffekt für die Konjunktur entwickeln werden.

Dass die Konjunktur nicht noch viel besser läuft als ohnehin, liegt am Außenhandel: Die Einfuhren von Waren expandierten zwischen dem vierten und ersten Quartal real mit einer Jahresrate von acht Prozent, die Ausfuhren dagegen nur mit etwas mehr als vier Prozent. Der Beitrag des sogenannten Außenbeitrags zum BIP-Wachstum dürfte von daher negativ gewesen sein. Vor allem spiegeln sich darin wohl die Probleme der Autoindustrie, insbesondere der starke Rückgang der Nachfrage nach Dieselautos.

Wir haben es dort mit einem Strukturbruch zu tun, der seine Zeit braucht. Am Wechselkurs kann es jedenfalls nicht gelegen haben – gegenüber dem Dollar will die Abwertung des Euro einfach nicht enden. Es sieht auch nicht danach aus, als ob die internationale Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig gelitten hätte. Abgesehen von der Tech-Industrie sind deutsche Firmen fast überall Weltmarktführer. Mit anderen Worten: Ich halte es für wahrscheinlich, dass der Export auf Dauer wieder zu seiner traditionellen Rolle als Konjunkturlokomotive finden wird.

Insgesamt sehe ich überwiegend Anzeichen für einen breit angelegten Aufschwung, wobei die Risiken vorläufig vor allem auf der Außenseite liegen. Es ist nicht schlecht, dass es diesmal die Inlandsnachfrage ist, die die Expansion der Produktion bestimmt – sie ist weniger schwankungsanfällig als der Außenhandel. Und es freut unsere Handelspartner, weil es ihnen leichter fällt, ihre Leistungsbilanzen auszugleichen und ihre Auslandsschulden zu vermindern. Die neue Struktur der deutschen Nachfrage stabilisiert nicht zuletzt den Euro.