Seit Anfang des Jahres hat der Euro kräftig aufgewertet, von 1,04 auf 1,17 Dollar, von 0,85 auf 0,91 Pfund, und von 1,07 auf 1,14 Schweizer Franken. Dennoch ist der Euro, wie die folgende Grafik zeigt, nach wie vor schwach. Im Vergleich zu Anfang 1999, als er eingeführt wurde, ist er aus deutscher Sicht – bezogen auf die deutsche Handelsstruktur und Preisentwicklung – real um etwa 13 Prozent gefallen, seit dem Beginn der Finanzkrise um rund neun Prozent.
Seine Schwäche ist der wichtigste Grund für die ausgezeichnete Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft, den gewaltigen Überschuss in der Leistungsbilanz und die robuste Konjunktur der vergangenen Jahre. In den Analysen der Wirtschaftsforschungsinstitute und der internationalen Organisationen spielt dieser Aspekt kaum eine Rolle, vor allem nicht in den wirtschaftspolitischen Empfehlungen. Eine Abwertung zur Lösung von ökonomischen Problemen vorzuschlagen kommt einem Stich ins Wespennest gleich. Sie könnte einen Währungskrieg auslösen.
Wie am Dienstag gemeldet, war das reale BIP Deutschlands im ersten Halbjahr mit einer annualisierten Rate von 2,5 Prozent gestiegen. Derweil brummt der Arbeitsmarkt: Die Anzahl der Erwerbstätigen übertrifft ihr Vorjahresniveau um 1,5 Prozent, und die Arbeitslosenquote ist auf unter sechs Prozent gesunken. Geht es nach den Auftragseingängen in der Industrie und im Bau, oder nach den Umfragen bei Unternehmen und Haushalten, wird sich die Konjunktur weiter verbessern.
Dabei sind Engpässe auf der Produktionsseite noch nicht in Sicht. Wie sonst lässt sich bei den Verbraucherpreisen eine seit Jahren stabile Kerninflationsrate von nur rund ein Prozent erklären? Die extrem expansive Geldpolitik und die Abwertung des Euro hätten ja unter normalen Umständen zu einer viel höheren Inflationsrate führen müssen. Selbst die Löhne sind ein Indiz dafür, dass es noch viele freie Kapazitäten gibt. Trotz des boomenden Arbeitsmarkts lag das Arbeitnehmerentgelt je Arbeitnehmerstunde laut Bundesbank zuletzt nur um 0,7 Prozent über seinem Vorjahresniveau. Außerdem ist die Zahl offener Stellen im Vergleich zur Arbeitslosigkeit weiterhin sehr niedrig.
Wechselkurse sind wichtig – weil die internationale Arbeitsteilung im Trend immer intensiver wird. Für den Euroraum insgesamt sind die Ausfuhren und Einfuhren von Gütern und Dienstleistungen seit Einführung des Euro von 29 Prozent des BIP auf 52 Prozent gestiegen, in Deutschland von 51 auf 87 Prozent. Die Schwäche des Euro hat diese Tendenz befördert, ist aber nicht allein dafür verantwortlich. In den USA zum Beispiel hat der feste Dollar nicht verhindert, dass der Außenanteil in diesem Zeitraum von 22 auf 27 Prozent zugenommen hat. Es handelt sich um ein weltweites Phänomen.
Wie eng die Korrelation zwischen realem Wechselkurs und Außenbeitrag, also dem Saldo aus Exporten und Importen, bisher gewesen ist, zeigt die nächste Grafik. Der Außenbeitrag ist eine Komponente des Bruttoinlandsprodukts. Wenn er zunimmt, leistet er einen positiven Beitrag zum Wirtschaftswachstum. Das war während des gesamten abgebildeten Zeitraums der Fall, wenn auch unter großen Schwankungen. Die Schwäche des Euro, seine reale Abwertung, ging einher mit einer stetigen Zunahme des Außenbeitrags und war daher mitverantwortlich für die Expansion des realen BIP.
Wohlgemerkt handelt es sich hier um keinen kausalen Zusammenhang. Andere Faktoren als der Wechselkurs haben ebenfalls einen Einfluss auf den Außenbeitrag, wie beispielsweise die Qualität der Produkte und Dienstleistungen, die Aktivitäten der internationalen Konkurrenz, die Weltkonjunktur oder die Zuverlässigkeit der Geschäftspartner. Wie genau was für eine Rolle spielt, ist nicht auseinander zu dividieren, aber es hilft offensichtlich, wenn das eigene Angebot auf den Weltmärkten nicht überteuert ist, sprich, wenn die Währung nicht überbewertet ist.
Es fragt sich, ab wann eine Aufwertung des Euro weh zu tun beginnt. Ich vermute, dass es bis dahin noch ein langer Weg ist. Irgendwo habe ich gelesen, dass die OECD einen Kurs von 1,35 Dollar für eine Art Gleichgewicht hält. Nach dem sogenannten Big Mac-Index des Economist ist der Euro etwa 20 Prozent gegenüber dem Dollar unterbewertet, das „angemessene“ Niveau wäre demnach etwa 1,40 Dollar. Wenn ich mir die erste Grafik ansehe, dürfte es für die deutsche Konjunktur erst ab einer realen Aufwertung von rund 15 Prozent kritisch werden.
Die EZB wird angesichts der immer noch zu niedrigen Inflationsrate ein Interesse haben, dass der Euro weiter schwach bleibt. Auch im Hinblick auf die Situation in den Krisenländern und den Zusammenhalt der Währungsunion dürfte ihr daran gelegen sein. Sie wird natürlich niemals zugeben, dass sie ein Wechselkursziel hat, aber die anhaltend expansive Geldpolitik bewirkt tendenziell eine Abwertung, die wiederum die Beschäftigung steigert und die Außenhandelspreise erhöht. Ich denke, der größte Widerstand gegen einen zu festen Euro wird daher von der EZB kommen. Für Deutschland sind das gute Nachrichten.