Viele Anleger machen sich Sorgen, dass die immer flachere amerikanische Zinskurve, abzulesen etwa am stetigen Rückgang der Renditedifferenz zwischen zehn- und zweijährigen Treasuries, ein Frühindikator für eine Rezession sein könnte. Sollte es dazu kommen, wäre die gesamte Weltwirtschaft betroffen, weil immer noch rund ein Viertel des globalen Outputs, bewertet mit aktuellen Wechselkursen, auf die USA entfällt und die USA darüber hinaus eine führende Rolle im internationalen Handel mit Waren und Dienstleistungen sowie im Kapitalverkehr haben. Ginge eine US-Rezession einher mit einem Einbruch der inzwischen sehr teuren Aktien- und Rentenmärkte, wäre eine tiefe Rezession nicht auszuschließen. Auch die deutschen Wachstumshoffnungen müssten begraben werden.
Wie ernst ist die Sorge zu nehmen, dass eine neue globale Rezession ins Haus steht? Die obige Grafik zeigt ziemlich eindrucksvoll den zeitlichen Zusammenhang zwischen der Abflachung der Treasurykurve und den Zuwachsraten des realen Bruttoinlandsprodukts. Praktisch vor jeder Rezession war die Renditekurve sehr flach oder sogar negativ geworden. Allerdings betrug der Abstand zwischen den Wendepunkten in der Entwicklung des Zinsspreads und der Konjunktur fast immer mindestens ein Jahr. Es gibt aber auch Ausnahmen: So war die amerikanische Renditedifferenz von Oktober 1992 an um mehr als 200 Basispunkte geschrumpft. Ende 1994 hatte sie 22 Punkte und damit ihren unteren Wendepunkt erreicht, und es war dennoch nicht zu einer Rezession gekommen. Erst sechs Jahre später war es so weit.
In Deutschland gab es seit den fünfziger Jahren laut Statistischem Bundesamt nur sechs richtige Rezessionen, definiert als Jahre, in denen das reale BIP niedriger war als im Jahr zuvor: 1967, 1974/75, 1981/82, 1993, 2002/03 und 2008/09. Im Augenblick haben wir, wie die folgende Grafik zeigt, immer noch eine recht steile Zinskurve. Auch sonst gibt es keinerlei Anzeichen, dass eine Rezession bevorstehen könnte (außer vielleicht die prekäre Lage auf den Wertpapiermärkten). Insgesamt ist die Neigung der Zinskurve in Deutschland noch weniger ein verlässlicher Frühindikator für die Konjunktur als in den USA.
Dass der Zinsspread überhaupt ein Thema bei der Konjunkturprognose ist, hat mit seiner Bedeutung für das amerikanische Umfeld zu tun, und damit indirekt auch für uns. Wenn die Amerikaner husten, bekommen wir Schnupfen. Neben den Realzinsen, dem realen Wechselkurs, der Geldmenge, den Krediten und dem Kursniveau an den Wertpapiermärkten ist der „term spread“ (die Differenz zwischen der Rendite langlaufender und kürzer laufender Staatsanleihen) ein wichtiger Indikator dafür, wie expansiv oder restriktiv die Geldpolitik ausgerichtet ist. Je größer er ist, desto stimulierender ist ceteris paribus das monetäre Umfeld.
Hier die Begründung: Der Gewinn der Banken hängt zwar zunehmend von ihren Erträgen aus Gebühren ab, aber immer noch mindestens so sehr davon, wie sich die Differenz zwischen den Zinsen, die sie erhalten und den Zinsen, die sie zu zahlen haben, entwickelt. Je größer der Abstand zwischen den Einnahmen aus Krediten und Wertpapieren und den Ausgaben für Kundeneinlagen, Verbindlichkeiten am Geldmarkt und Bankschuldverschreibungen, desto besser. Banken verdienen dann am meisten und sind dann am großzügigsten in ihrer Kreditvergabe, wenn die Gewinnquelle „Zinsmarge“ kräftig sprudelt. Sind die Spreads groß, können sich die Leute leichter Geld leihen als zu anderen Zeiten. Die Wahrscheinlichkeit einer Rezession ist entsprechend gering.
Im negativen Sinne am wirkungsvollsten ist eine Abflachung der Renditekurve dann, wenn die Notenbank die Leitzinsen aggressiv in die Höhe treibt, als Antwort oder im Vorgriff auf unerwünscht hohe Inflationsraten. Dann kann es sogar dazu kommen, dass die Renditen am Bondmarkt wegen rückläufiger Inflationserwartungen zurückgehen und damit den Effekt auf den „term spread“ vom langen Ende her verstärken: Die Marktteilnehmer lassen sich von der Entschlossenheit der Notenbank beeindrucken und erwarten, dass der Kampf gegen die Inflation Erfolg haben wird.
Was die aktuelle Situation in den USA angeht, hat die Fed mehr oder weniger deutlich klargemacht, dass sie die Spanne des Leitzinses bis Ende 2018 von jetzt 1,00 – 1,25 Prozent in vier Schritten auf 2,00 – 2,25 Prozent anheben wird. Die Marktteilnehmer halten das für übertrieben und erwarten in diesem Zeitraum lediglich eine Zinserhöhung, vielleicht auch zwei. Insgesamt sind sie sehr gelassen. Am langen Ende des Bondmarkts befinden sich die Renditen seit Ende vergangenen Jahres sogar in einem leichten Abwärtstrend; für 10-jährige Treasuries gibt es heute 2,35 Prozent, Zweijährige liegen bei 1,7 Prozent.
Von einer Trendwende beim Spread ist bisher nichts zu sehen. Am wahrscheinlichsten finde ich, dass der „term spread“ für mindestens ein weiteres Jahr, möglicherweise sogar deutlich länger schrumpfen wird, und erst dann gäbe es das Signal, dass in einem weiteren Jahr eine Rezession ansteht – oder auch nicht.
Es kommt aus konjunktureller Sicht weniger auf die Neigung der Zinskurve an, sondern darauf, wie hoch die Realzinsen sind und welche in der Zukunft erwartet werden. Angesichts von Inflationsraten um die zwei Prozent sind die kurzen Zinsen in Amerika real entweder negativ oder knapp positiv, während die langen bis in den Laufzeitenbereich von 15 bis 20 Jahren hinein real unter ein Prozent liegen. Von einer geldpolitischen Konjunkturbremse kann nicht die Rede sein.
Nicht allein die günstigen Inflationsaussichten und die moderaten Fed Funds-Raten sind verantwortlich für die niedrigen amerikanischen Bondrenditen – ein anderer Grund sind die sehr niedrigen langen Zinsen in Europa. Amerikaner verstehen die Welt nicht mehr, wenn sie sehen, dass der italienische Staat für zehnjährige Anleihen über 50 Basispunkte weniger zahlen muss als die Treasury, das US-Schatzamt. Jedenfalls scheint es für manche Anleger attraktiv zu sein, europäische Bonds in amerikanische zu tauschen. Diese Zusatznachfrage drückt auf die Renditen der Treasuries.
Während die Anleger vom „term spread“ her also erst einmal keinen Anlass haben, sich auf eine Rezession in den USA vorzubereiten, gilt das für die Währungsunion noch viel weniger. Die EZB will ja mindestens ein weiteres Jahr lang warten, bis sie über höhere Leitzinsen nachdenkt. Das bedeutet, dass sich das kurze Ende der Zinskurve kaum bewegen wird. Ziehen die Inflationserwartungen eines Tages dann endlich an, dürften die langen Zinsen steigen – und die Kurve damit steiler werden. Das wiederum vermindert für sich genommen das Risiko einer europäischen Rezession. Nein, weder die amerikanische noch die europäische Geldpolitik wird eine Rezession auslösen. Der Anstoß wird aus einer anderen Ecke kommen.