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Schon wieder neue Blasen

 

Wirklich? Diesmal sind die Schwellenländer an der Reihe, scheint mir. Überall wird auf Teufel komm raus Geld gedruckt, damit das System nicht kollabiert, zum großen Teil nicht zuletzt zur Finanzierung der Staatsausgaben, die inzwischen die regulären Einnahmen aus Steuern und Abgaben so stark übertreffen, wie sonst nur in Kriegszeiten. Noch nie war die Wirtschaftspolitik global so expansiv wie heute. Es ist wie nach der Implosion des Hedge Funds „Long Term Capital Management“ und später nach dem Platzen der New Economy-Blase: Da systemische Risiken drohen, also ganz Schreckliches passieren könnte, wenn wir nicht aufpassen, und die Inflation bei den Verbraucherpreisen (und Löhnen!) unter Kontrolle ist – der internationalen Arbeitsteilung sei Dank -, ziehen Notenbanken und Regierungen alle Register, um die potentielle Gefahr abzuwenden. Rezessionen darf es nicht geben, also auch keine richtigen Reinigungskrisen. Zudem ist Gas geben viel einfacher als eine wirkliche Sanierung des Bankensystems, bei der womöglich große Mitspieler von der Bühne verschwinden und gut bezahlte Arbeitsplätze dauerhaft verloren gehen. Es ist diese Kombination aus expansiver Geldpolitik und niedriger Inflation, die Blasen entstehen lässt.

Um mit der Inflation zu beginnen: Sie ist in der Tat immer noch kein Thema, obwohl mit aller Macht versucht wird, sie wiederzubeleben. Das gelingt deswegen nicht so leicht, wenn überhaupt, weil es für die wichtigsten Akteure weiterhin vordringlich darum geht, ihre Finanzen durch Sparen sowie den Verzicht auf Investitionen und unnötige Ausgaben generell wieder in Ordnung zu bringen. Weite Teile der Weltwirtschaft sind finanziell unter Wasser. Einerseits hatten sich Haushalte in vielen Ländern bis zum Anschlag verschuldet, ebenso wie die Banken und ein Großteil der übrigen Unternehmen – die Zinsen waren ja so niedrig -, andererseits war es zu einem Einbruch der Vermögenswerte gekommen, also der Aktienkurse und Immobilienpreise. Durch das Platzen der Blasen waren auf einmal die Schulden für viele höher als das Vermögen. Der scharfe Rückgang der Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen erklärt sich vor allem durch den Zwang, die Schuldenberge abzutragen. Seit dem Winterhalbjahr operiert die Weltwirtschaft deshalb auf einem äußerst niedrigen Niveau, so dass es nicht weiter überrascht, dass die Inflation einfach nicht anspringen will.

„Das ist aber nur eine Momentaufnahme“, wäre vermutlich der Kommentar einer Notenbank wie der EZB. Sie bestreitet schlichtweg, dass es zu einer Deflation kommen wird, also einem länger anhaltenden Rückgang des Verbraucherpreisniveaus (siehe dazu Kasten Nr. 5, S. 60ff. im jüngsten EZB Monatsbericht). Im Jahr 2010 soll die Inflation im Monatsmittel bereits wieder bei +1,2% liegen. Auch wenn ich, wie die EZB, wegen der sogenannten Basiseffekte bis zum Jahresende 2009 steigende, also positive Inflationsraten erwarte, ist das für mich nur eine kurze Unterbrechung des mittelfristigen Abwärtstrends.

Für die Europäische Zentralbank wird die Inflation schon deswegen anziehen, weil die Outputlücke aus ihrer Sicht gar nicht so groß ist, wie von Leuten wie mir immer behauptet wird. Der Hauptgrund sei, dass auf der Angebotsseite ganze Sektoren nachhaltig schrumpfen, insbesondere die Bauwirtschaft, die Banken und die Autoindustrie und nie mehr so rasch expandieren werden wie in der Vergangenheit. Und Ersatz sei nicht in Sicht. Da die echte Produktionslücke also kleiner ist als allgemein vermutet und sich zudem das mittelfristige Wachstum durch diese Krise vermindern dürfte, stößt die Wirtschaft schon früher an ihre Grenzen als gedacht und, bingo, schon haben wir wieder Inflation.

Was sage ich dazu? Ich sehe, dass sich das Arbeitskräftepotential von Euroland (zur Zeit rund 161 Millionen Menschen) weiterhin, also auch im Verlauf dieser Rezession, mit jährlichen Raten von ein bis eineinhalb Prozent vergrößert. Nicht nur das, auch der Kapitalstock nimmt weiter kräftig zu: Die Bruttoinvestitionen liegen bei 21,7, die Abschreibungen bei 15,1, die Nettoinvestitionen also bei 6,6 Prozent des BIP. Solange die Nettoinvestitionen positiv sind, wachsen, wie wir wissen, Kapitalstock und potentieller Output. Bisher hat die EZB immer ausgerechnet, dass das Potentialwachstum bei 2 1/4 Prozent pro Jahr liegt. Zudem hat es immer Strukturwandel gegeben und es ist nicht einzusehen, warum er diesmal ausbleiben sollte. Heißt: Die Outputlücke kann ernsthaft nicht wegdefiniert werden. Sie liegt in der Nachbarschaft von 7 Prozent (reales BIP zu Produktionspotential). Hinzu kommt ja noch, dass die Arbeitslosigkeit für eine Weile steigen dürfte, so dass der Lohndruck, der schon heute sehr gering ist, weiter abnehmen wird.

Solange ein Aufschwung nur vom Wiederaufbau der Lagerbestände und einer expansiven Finanzpolitik lebt, wird er nicht von Dauer sein. Die Haushalte, die Banken und die Investoren müssten mitmachen – tun sie aber nicht. Die Inflation wird also niedriger ausfallen als es die EZB zur Zeit wahrhaben will. Sie wird daher bald wieder über einen großen Handlungsspielraum verfügen. Der wird es ihr erlauben, die expansive Politik beizubehalten und bei Bedarf sogar auf eine expansivere Linie einzuschwenken. Mancher würde sagen, sie sei ohnehin nicht sonderlich expansiv. Ein Beispiel: Gemessen an der sogenannten Taylor Rule, die den jeweils angemessenen Notenbankzins auf der Grundlage der Outputlücke und der Differenz zwischen aktueller und angestrebter Inflationsrate ermittelt, müssten die Notenbankzinsen heute eigentlich negativ sein.

Was für Euroland gilt, gilt auch im großen Ganzen für den Rest der Welt. Die Verbraucherpreise steigen kaum und werden vermutlich nach einer Weile sogar erneut sinken. Wohin also mit dem ganzen Geld, das die Notenbanken in die Welt setzen (gemessen an der Expansion ihrer Bilanzsummen)? Ich wage es kaum zu sagen – es kann außer in mehr oder weniger zinslose Kurzfristanlagen nur in die Assetmärkte wandern. Überall sind die Aktienmärkte, die Rohstoffmärkte und die Märkte für Anleihen von Unternehmen und Schwellenländern wieder im Aufwind. Die alten Höchststände sind zwar noch nicht wieder erreicht, aber es geht in die Richtung.

Ich schätze, über den Daumen gerechnet, dass die Aktienindices wichtiger Schwellenländer um die folgenden Prozentsätze über ihren langfristigen Trendwerten liegen: Brasilien 135, Mexiko 110, Schanghai 38, Korea 55, Taiwan 10, Indonesien 140, Indien 180 und Vietnam 50. Das Gleiche noch mal für Rohstoffmärkte: Gold 100, Erdöl 140, Nickel 20, Kupfer 150, Aluminium 10 Prozent. Der Bondreturn-Index von JPMorgan für Schwellenländer (EMBI+, auf Dollarbasis) zeigt, dass der Zinsaufschlag, den die Regierungen dieser Länder gegenüber amerikanischen Staatsanleihen zahlen müssen, von 8,8 Prozentpunkten im vergangenen Herbst – Lehman! – stetig auf 3,8 Prozentpunkte gesunken sind. Im Jahr 2007, als kein Anleger Angst vor irgendetwas hatte, betrug dieser sogenannte Zinsspread nur 1,5 Punkte. Wenn der Optimismus der Anleger weiter so zunimmt wie seit einem Jahr, wird dieser Wert im kommenden Frühjahr erreicht sein. Vielleicht ist Optimismus das falsche Wort: Es kann sich schlicht darum handeln, dass es angesichts der Liquiditätsschwemme einen Anlagenotstand gibt.

Inwieweit das, was ich gerade hier berechnet habe, die genauen Größenordnungen trifft, kann ich nicht sagen. Die Amerikaner nennen so etwas „back-of-the-envelope calculations“. Es sollte mehr auch nicht sein. Die Zahlen belegen trotzdem einigermaßen überzeugend, schon durch ihre Fülle, dass sich neue Blasen entwickelt haben. Wenn die jetzt noch dicker werden und dann ebenfalls wieder platzen, möchte ich gern wissen, was dann zu tun ist, wie lang die globale Rezession dann letztlich dauern wird. Es ist ja auch nicht so, dass die Aktien in den Industrieländern unterbewertet wären – die Kurs-Gewinn-Verhältnisse liegen durchgängig irgendwo zwischen 13 und 20. Da könnte auch noch einiges platzen.