Was treibt die Finanzmärkte wirklich? Volatilität oder Liquidität? Diese Frage muss nach dem Anschauungsunterricht der Tage seit dem Grauen Dienstag gestellt werden. Das Standardargument kennt jeder: die Notenbanken fluten die Märkte, pumpen Geld ins System. Es ist zu viel Suppe da und diese treibt dann die Kurse an den Finanzmärkten. So oder so ähnlich. Zumindest wird immer so getan, als würden die Notenbanken mit ihrer Geldpolitik die Liquiditätsbedingungen an den Finanzmärkten festlegen. Diese Sichtweise habe ich noch nie recht verstanden. Ist es nicht vielmehr die Volatilität, also die Schwankungsanfälligkeit der Kurse, die Blasen erzeugen kann, wenn die Vola niedrig ist?
Was ich am Standardargument nicht verstehe: die Geldmenge ist nicht exogen, und deshalb von den Notenbanken auch nicht zu steuern. Natürlich sorgen niedrigere Zinsen dafür, dass die Anreize größer werden auf Pump zu spekulieren, dass riskante Assets attraktiver erscheinen, weil sie mehr Rendite versprechen. Doch niemand würde sich nur wegen niedriger Zinsen stärker verschulden. Conditio sine qua non ist die Erwartung steigender Kurse. Und wie man sieht, haben die kräftigen Zinserhöhungen in den beiden größten Wirtschaftsräumen der Welt, in Amerika und Euroland, in keinster Weise dazu beigetragen, dass riskante Papiere unter Druck geraten wären. Im Gegenteil.
Immer nur dann, wenn plötzlich neue Risikofaktoren auftreten, wie im Mai 2006 die Sorge vor zu hoher Inflation in Amerika oder vor zwei Wochen die Sorge vor einer Rezession in Amerika, rummst es an den Märkten. Dann steigt plötzlich die Volatilität und alle müssen sich von den riskanten Assets trennen. Wie der Mechanismus funktioniert, die verborgene Dynamik der Finanzmärkte, habe ich in der aktuellen ZEIT aufgeschrieben.
Was haben Notenbanken mit der Volatilität zu tun? Eine ganze Menge. Sie waren es in der Vergangenheit, sagen wir bis vor zehn Jahren, die mit ihren unberechenbaren Aktionen Volatilität in die Märkte gebracht haben. Ich erinnere mich noch gut an meine Anfangszeiten bei der Börsen-Zeitung. Da ging die Saga immer so: Die Bundesbank will die Märkte überraschen. Wenn alle eine Zinserhöhung um 25 Stellen erwartet hatten, hieß es immer: Entweder es werden 50 Stellen oder die Bundesbank wartet zwei weitere Wochen. Auch Alan Greenspan hat in seinen Anfangszeiten darauf bestanden, nicht verstanden zu werden.
Diese Geheimniskrämerei gehört zum Glück der Vergangenheit an. Die Notenbanken sind heute viel transparenter und müssen sich auch stärker für ihre Entscheidungen rechtfertigen. Das führt aber dazu, dass sich die Herde an den Märkten die Reaktion der Notenbanker ausrechnen kann, nicht mehr überrascht wird und auch deshalb von geringeren Schwankungen profitiert, also von höheren Kursen für alle riskanten Assets.
Claudio Borio nennt es das „Paradox of Credibility“. Der Chefvolkswirt der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich BIZ bezeichnet damit die zunehmenden Instabilitäten an den Märkten, obwohl die Notenbanken Inflation und die Inflationserwartungen im Griff haben. Borio ist Vordenker derjenigen, die den Notenbanken empfehlen sich mit Zinserhöhungen gegen gefährliche Blasen an den Märkten zu lehnen. Eine ganz spannende Diskussion in Expertenzirkeln. Ich selbst halte das Zinsinstrument der Notenbanken im Kampf gegen Blasen für untauglich. Ähnlich sieht es wohl auch der Bundesbankpräsident, der heute in den Zeitungen mit ablehnenden Äußerungen zitiert wird, dass Notenbanken mit höheren Zinsen gegen Blasen vorgehen sollten.
Als weiterer Grund für die ungewöhnlich geringen Schwankungen an den Märkten kommt wahrscheinlich die viel bessere Informationsdichte, Stichwort Internet, in Frage. Wir alle, ob als Anleger, Händler, Journalisten oder Unternehmer sind heute viel mehr just in time mit unseren Daten, unser Produktion, unseren Entscheidungen.
Wenn dem aber so ist, kann die Vola heute einfach strukturell niedriger als in früheren Zeiten sein? (Was HERDENTRIEB noch nicht glaubt. Wir gehen von einer mean reversion aus). Dann gibt es meines Erachtens zwei Szenarien: Erstens, wir müssen uns einfach an höhere Kurse riskanter Assets gewöhnen, ohne gleich in Blasenmanie auszuarten. Dann wird das Leben der Verantwortlichen für Stabilität der Finanzmärkte einfach schwieriger, weil sie im Notfall ja rettend eingreifen müssen. Oder aber wir denken über neue Instrumente für Notenbanken nach, damit Übertreibungen gedämpft werden. Stellen das Dogma freier Kapitalmärkte in Frage. Vielleicht Kapitalverkehrskontrollen? „Wenn Sand im Getriebe nichts nutzt, wirf Steine hinein“, so hat es mal der große Ökonom Rüdiger Dornbusch formuliert.
Was meinen Sie? Höhere Kurse zulassen oder Steine suchen gehen?