Wenn es stimmt, was die Süddeutsche berichtet und was die Financial Times am heutigen Mittwoch als Hauptüberschrift auf ihrer Titelseite bringt, dann ist das reale Bruttoinlandsprodukt im zweiten Quartal saisonbereinigt gegenüber dem ersten um 1 Prozent zurückgegangen, nach angelsächsischem Usus also mit einer annualisierten Rate von rund 4 Prozent. Die USA, gemeinhin als der neue kranke Mann unter den Industrieländern bekannt, hatten es so gerechnet dagegen auf eine Zuwachsrate von plus 1,9 Prozent gebracht. Noch so ein Quartal, und wir steckten, wiederum nach angelsächsischem Verständnis, in einer Rezession. Wie ernst sollen wir das nehmen?
Zunächst einmal ist der Rückgang des Outputs im abgelaufenen Quartal nicht weiter überraschend: Selbst wenn die Produktion im Produzierenden Gewerbe im Juni gegenüber Mai um 1,2 Prozent zugelegt haben sollte (damit also wieder den Durchschnittswert von April und Mai erreicht), was nicht sonderlich wahrscheinlich ist, wenn man sich die Frühindikatoren ansieht, läge sie immer noch um 1,9 Prozent unter dem Wert des ersten Quartals; minus 1 Prozent beim BIP würden daher passen. Am Donnerstag um 12 Uhr wissen wir Genaueres.
Die Auftragseingänge an das verarbeitende Gewerbe für Juni sind soeben veröffentlicht worden. Sie weisen seit einem halben Jahr steil nach unten. Im zweiten Quartal lagen sie volumenmäßig um 5,3 Prozent Prozent unter dem Wert des vierten, was eine Verlaufsrate von -10,3 Prozent bedeutet.
Bisher hat sich die deutsche Wirtschaft sehr gut geschlagen und ist vorübergehend so etwas wie die Konjunkturlokomotive für unsere europäischen Nachbarn geworden. Während des Aufschwungs, der Anfang 2005 begann und jetzt wohl zu Ende geht, also während der vergangenen 3 ¼ Jahre, ist das reale BIP mit einer durchschnittlichen Rate von 2,7 Prozent gestiegen, die realen Ausgaben für Ausrüstungen und Bauten mit erfreulichen 6,3 Prozent und die Einfuhren von Gütern und Dienstleistungen sogar um 7,8 Prozent.
Endlich war auch der Arbeitsmarkt in Schwung gekommen Zwar liegt die Arbeitslosenquote immer noch bei 7,8 Prozent, es wurden aber zusehends mehr Jobs geschaffen, auch wenn man den Einwand gelten lassen muss, dass es nicht immer die tollsten waren und die Leute, an ihrem Konsumverhalten gemessen, dem Braten, also der Dauerhaftigkeit nicht wirklich trauten. Immerhin, vom vierten Quartal 2004 bis zum zweiten Quartal dieses Jahres ist die Beschäftigung um 1,4 Millionen auf 40,3 Millionen gestiegen, oder mit einer durchschnittlichen Rate von 1,0 Prozent. Obwohl nach wie vor mickrig, hat sich die Anzahl der bei den Arbeitsagenturen gemeldeten offenen Stellen zudem mehr als verdoppelt. Wie es zu dem kleinen Beschäftigungswunder kam, darüber wird gerade an anderer Stelle in diesem Blog gestritten – waren es die Arbeitsmarktreformen oder die gute Konjunktur in Kombination mit rückläufigen Reallöhnen? Ich tendiere mehr zur zweiten Sichtweise.
Ich bin ziemlich erstaunt darüber, wie gut sich der Arbeitsmarkt trotz des Einbruchs bei der Produktion gehalten hat. Im zweiten Quartal war die Beschäftigung saisonbereinigt gegenüber dem ersten um knapp 0,2 Prozent oder mit einer Verlaufsrate von immer noch 0,8 Prozent. Wenn es stimmt, dass das reale BIP um 1,0 Prozent gesunken ist und der Arbeitseinsatz um 0,2 Prozent gestiegen (übrigens sowohl auf Beschäftigten- als auch auf Stundenbasis, bei 27,2 Stunden pro Woche), dann muss die Stundenproduktivität gegenüber dem Winterquartal um 1,2 Prozent zurückgegangen sein, oder mit einer Verlaufsrate von 4,8 Prozent.
Was haben, frage ich mich, all die Arbeitsmarktreformen gebracht, wenn der Output pro Stunde sinkt. Hier sind nicht nur die Unternehmen gefordert, sondern auch die Politik. Sonntagsreden darüber, wie wichtig lebenslanges Lernen oder Forschung und Entwicklung sind, haben wir genug gehört. Die Qualifikation der Beschäftigten zu verbessern muss endlich die nationale Priorität werden, nicht die Wiedereinführung der Pendlerpauschale oder der Schutz von Landwirtschaft und Autoindustrie. Wir müssen auch die Rahmenbedingungen verbessern, dass gut ausgebildete Frauen und ältere Menschen eine Chance auf Arbeit haben. Um unsere Wirtschaft zukunftsfest zu machen, muss auch die Kapitalintensität wieder gesteigert werden – niedrige Inflationsraten und daher niedrige Realzinsen sind dafür wichtig, nicht weniger aber eine Umschichtung der Staatsausgaben in Richtung Infrastruktur. Die Nettoinvestitionsquote des Staates ist seit Jahren negativ! Ein anderes naheliegendes Projekt ist natürlich, die Produktion insgesamt weniger rohstoff- und energieintensiv zu machen. Die Marktsignale bewirken das natürlich weitgehend von allein, der Staat kann das aber flankieren. Zumindest sollte die Ungleichbesteuerung verschiedener Energieträger beendet werden.
Wie wird es mit der Konjunktur weitergehen? Der Abwärtstrend hat sich ziemlich etabliert. Von nun an werden die automatischen Stabilisatoren in der Finanzpolitik greifen, und die EZB wird die Zinsen nicht mehr weiter erhöhen, da die Inflationsraten auch im Vorjahresvergleich ab dem vierten Quartal sinken dürften. Davon gehen zusammengenommen aber keine starken Impulse aus. Es hilft, dass sich die Terms of Trade gerade stark verbessern, so dass sich der Kaufkraftverlust der Haushalte wieder vermindert. Leider sind allerdings die Preise für Strom und Gas wegen ihrer Kopplung an das Öl erst mal weiter im Aufwärtstrend, schmälern also das real verfügbare Einkommen. Glücklicherweise sind die Nahrungsmittelpreise seit Wochen rückläufig.
Die Verbraucher und die Unternehmen kämpfen aber gleichzeitig mit fallenden Aktienkursen, was bis auf Weiteres die Ausgabenneigung beeinträchtigt. Fallende Ölpreise könnten irgendwann die Wende bringen. Sie werden es zudem der EZB erlauben, demnächst wieder die Zinsen zu senken. Das wird aber vermutlich erst im nächsten Jahr auf die Agenda kommen.