Die Erhöhung der Mittel des Eurorettungsfonds EFSF hat Angela Merkel Ende September nur knapp mit ihrer eigenen Regierungsmehrheit durchbekommen. Nach dem politischen Kraftakt stand fest: Mehr als 440 Milliarden Euro sollte der Fonds nicht einsetzen, um die Eurozone zu retten. Nur wurde dann doch recht schnell klar, dass 440 Milliarden Euro nicht reichen, um auch Italien oder Spanien zu retten, die mittlerweile in den Fokus der Finanzmärkte geraten sind.
Also kamen die Euroretter auf die „Hebel“-Lösung. Das heißt, die begrenzten Mittel des Fonds sollen so eingesetzt werden, dass man seine Wirkung vervielfacht. „Hebeln“ – leveraging – heißt bei Banken eigentlich, dass sie selbst mehr Schulden aufnehmen, um noch mehr Kredite vergeben zu können. Wenn die Staaten also nicht bereit sind, höhere Mittelaufnahmen des EFSF zu garantieren, hätte eine Möglichkeit darin bestanden, dem Fonds einen Zugang zur EZB zuverschaffen. Das wäre eine gute Lösung gewesen. Mit der Möglichkeit der EZB-Finanzierung bliebe der EFSF immer liquide und könnte theoretisch jede denkbare Menge Geld erhalten. Sie könnte bei Liquiditätsproblemen der Staaten der Gläubiger der letzten Instanz sein und direkt Euroanleihen aufkaufen. Das hätte die Euro-Gläubiger beruhigt, denn sie hätten ihre Anleihen in letzter Instanz eben immer an den EFSF verkaufen können. Damit hätte der Fonds die Anleihekurse stützen und die Zinsen senken können – so dass die Staaten gar nicht erst zum Opfer stetig steigender Zinsen werden. Je mehr finanzielle Kraft der EFSF hat, desto glaubwürdiger kann er Marktpaniken entgegen treten und desto unwahrscheinlicher wird er in Anspruch genommen.
Das Moral Hazard-Problem, das bei den jetzigen Anleihekäufen durch die EZB vermutet wird, hätte der EFSF durch die Konditionalität seiner Hilfen begrenzen können. Denn die Möglichkeit, Bedingungen an ihre Unterstützungsmaßnahmen zu knüpfen, ist der Vorteil, den der EFSF gegenüber der EZB hat. Die Zentralbank kann und soll keine politischen Vorgaben für ihre Liquiditätshilfen machen, der EFSF tut das dagegen jetzt schon. Aber zu dieser Lösung kommt es nicht – die deutsche Angst vor einer Zentralbank, die nicht ausschließlich der Preisstabilität verpflichtet ist, und die absolute Blockade gegen eine Aufstockung der EFSF hat diese gute Lösung verhindert.
Was jetzt unter dem Etikett „Hebeln“ beschlossen werden soll, ist dagegen eine Katastrophe (Details hier). Die neue Versicherungslösung erhöht das tatsächliche Risiko von Verlusten des EFSF und wird damit die Eurokrise verschärfen. Das Hebeln erfolgt jetzt nicht über eine zusätzliche Verschuldungsmöglichkeit, sondern darüber, dass der Fonds einen Teil der Staatsschulden versichert – es gibt eine Teilkaskoversicherung von Staatsschulden. Damit hat man zwar der politischen Vorgabe gehorcht, die Mittel über die der EFSF verfügen kann, nicht zu vergrößern, aber man hat das Risiko von Verlusten mit einem Schlag massiv erhöht.
Wie funktioniert die Versicherung? Ein Teilbetrag neu emittierter Anleihen – etwa Italiens oder Spaniens – soll versichert werden. Zehn oder zwanzig Prozent sind im Gespräch. Wenn ein Investor einen italienischen Bond hält und Italien einen Schuldenschnitt durchführen würde, bekäme der Investor die ersten zehn oder zwanzig Prozent durch den EFSF ersetzt. Der Investor hätte bis zur versicherten Summe gar keine Verluste, der EFSF würde bis zu dieser Summe alle Verluste tragen.
Was sind die Probleme? Zwei Probleme gibt es, eines vor dem eventuellen Schuldenschnitt und eines danach. Wenn nur ein Teil der Schulden abgesichert wird, tragen Investoren weiterhin das Risiko, dass der Schuldenschnitt mehr als die versicherte Summe treffen kann. Wie hoch zukünftige Schuldenschnitte sein werden, kann heute niemand sagen. Im Falle Griechenlands war man mit 21 Prozent gestartet und verhandelt jetzt über 50 oder 60 Prozent. Damit wird die Versicherungslösung die Märkte nicht beruhigen können und der Zinsaufschlag, den Investoren für das Risiko fordern, wird weiterhin hoch bleiben. Die Lösung wäre also keine Lösung, denn hohe Zinsen machen einen möglichen Zahlungsausfall wahrscheinlicher, da der betroffene Staat mehr für den Zinsdienst aufwenden muss. Das Risiko einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung der Zahlungsunfähigkeit bleibt ähnlich hoch, wie es jetzt schon ist.
Was passiert, wenn ein Land dann tatsächlich den Schuldenschnitt durchführt? Der Rettungsfonds und seine Garantiegeber– also die Eurostaaten – haften vollständig. Sie müssen die Verluste der Halter der Staatsanleihen tragen. Hätte der EFSF selbst die Anleihen gekauft, würde er immerhin noch einen Restwert besitzen, nämlich den Teil der Schulden, der nach dem Schuldenschnitt noch übrig bliebe. Das wissen auch die Investoren, die den EFSF finanzieren. Sie werden wegen des höheren Verlustrisikos höhere Zinsen vom EFSF selbst verlangen. Der Witz bei der Einrichtung des Rettungsfonds war aber gerade, dass er sich durch die Garantien zu niedrigen Zinsen hätte verschulden können. Die Versicherungslösung mit ihrem Totalverlust macht diesen Vorteil zunichte.
Ergo wird die Versicherungslösung die Märkte nicht beruhigen können, aber das Risiko für die Garantiegeber – und unter diesen vor allem Deutschland – massiv erhöhen. Am Ende wird alles nichts helfen: Wenn die Eurozone nicht auseinanderbrechen soll, muss die EZB im viel stärkeren Maß auf den Anleihemärkten intervenieren. Die Chance, den passenden institutionellen Rahmen für solche Interventionen zu setzen und damit wirklich glaubwürdig etwas gegen die Krise zu tun, haben die Europäer vor allem wegen der deutschen Fundamentalopposition vertan. Wieder ist eine Gelegenheit verpasst worden, den Euro auf eine sichere Grundlage zu stellen und der Panik auf den Finanzmärkten etwas entgegenzusetzen. Die Krise schwelt weiter, der Flächenbrand wird immer wahrscheinlicher und damit das Ende des Euro.