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Target 2 – Versuch einer Bilanz

 

Wir haben uns sehr gefreut, dass Hans-Werner Sinn am Wochenende an der Debatte über die Target-Salden auf diesen Seiten teilgenommen hat. Es zeigt, dass er – und das war trotz vieler inhaltlicher Differenzen schon immer meine Meinung – tatsächlich eine Ausnahmeerscheinung in der grauen deutschen Ökonomenlandschaft ist. Die Auseinandersetzung, auch in den Kommentaren, kann ich nur empfehlen. Möge der Diskurs uns alle klüger machen, denn darum geht es in der Wissenschaft und in der öffentlichen Auseinandersetzung.

Ich möchte gerne vier Punkte machen:

1. Eine verstärkte Nutzung der Zentralbank im Süden führt, da sind sich jetzt alle einig, nicht zu einer durch eine Knappheit an Zentralbankgeld ausgelösten Kreditklemme im Norden. Sinn – und mit ihm Henry Kaspar – würden, wenn ich es richtig verstehe, argumentieren, dass in einer Vollbeschäftigungssituation sehr wohl Ressourcen des Nordens vom Süden beansprucht werden, weil im Norden nun Waren für den Export produziert werden, die ansonsten für den heimischen Konsum produziert werden könnten.

Mein Gegenargument: Wir haben noch keine Vollbeschäftigung und damit verdrängt zusätzliche Nachfrage aus dem Süden nichts, sondern sorgt für Auslastung von brach liegenden Ressourcen und ist damit willkommen. Wenn es tatsächlich zu einer Überbeanspruchung kommt, sollte sich die Verdrängung in Form von Inflation niederschlagen (es ist ja nicht weniger Einkommen da, sondern mehr Leute wollen den in Stuttgart produzierten Mercedes kaufen) und die EZB müsste gegensteuern. Es würden also weniger deutsche Konsumwünsche befriedigt als ohne Auslandsnachfrage, dafür baut Deutschland Forderungen an das Ausland auf. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass in einer solchen Situation das Angebot nicht reagiert – auch wenn die Arbeitskräftemobilität in Europa gering ist. 

2. Einigkeit besteht, dass die Geldpolitik der EZB mit Risiken für den Steuerzahler einhergeht. Strittig ist, wie sinnvoll die Target-Salden als Indikator für das Haftungsrisiko Deutschland sind. Die Position von Sinn ist bekannt:  Für das Ifo-Institut ist Target ein Element der Haftung, die es in seinem Haftungspegel veröffentlicht.

Ich halte es für zielführender, auf die ausstehenden Kredite der EZB aus den verschiedenen Fazilitäten zu schauen und diese mit einem Maß für die Qualität der Sicherheiten zu gewichten. Das Target-System ist letztlich doch nichts anderes als die Kehrseite der geldpolitischen Operationen der Notenbank. Und die Bilanz der EZB ist nur dann in Gefahr, wenn sowohl die ausleihende Bank kollabiert und die Sicherheiten sich nicht verwerten lassen. Übrigens kann Target hier die falschen Signale aussenden: Nehmen wir an, auch die deutschen Banken bieten beim nächsten LTRO kräftig mit und legen das Geld in Italien an. Dann sollte der deutsche Target-Saldo sinken – aber das bedeutet ja nicht, dass das Exposure der Notenbank in Südeuropa geringer wäre, wenn die italienischen Banken wie bisher weiterbieten (okay zu Ende gedacht würden sich dann die italienischen Anleihemärkte stabilisieren, die italienischen Banken gälten als sicherer und bräuchten weniger Geld von der EZB – aber warum so kompliziert wenn es auch einfach geht?).

Dabei sollte man nicht vergessen, dass die Notenbank – Kantoos hat darauf hingewiesen – erhebliche Abschläge auf das collateral vornimmt. Man darf die geldpolitischen Operationen nicht mit dem Anleiheankaufprogramm (SMP) verwechseln, für das andere Regeln gelten. Und Fabian Lindner hat völlig recht, dass diese Abschläge  AUF DEN MARKTWERT vorgenommen werden. Wenn also auf eine zehnjährige Griechenlandanleihe die bei 30 notiert ein Abschlag von rund zehn Prozent genommen wird, dann gibt es für eine Anleihe mit Nominalwert 100 nur noch 27 Euro Zentralbankgeld. Das ist ein erheblicher Puffer.

Ich glaube, dass man mit dem Weg über die EZB-Bilanz einfach präziser die Risiken messen kann. Wenn Griechenland keinen Cent mehr zurückbezahlt und alle griechischen Banken untergehen, dann wird man zu ähnlichen Ergebnissen kommen (Stand November belaufen sich die Ausleihungen der EZB in Griechenland auf 78 Milliarden Euro, der Target-Saldo laut Ifo auf 98 Milliarden). Aber wie sich ein Schuldenschnitt von 30, 40 oder 70 Prozent auswirkt, lässt sich mit Target nur schwer erfassen. (Nur am Rande: Bernd Klehn macht den interessanten Punkt, dass im Extremfall eines schmutzigen Austritts eines Landes auch die Frage der Banknoten berücksichtigt werden muss. Hier hat Deutschland offensichtlich Nettoverbindlichkeiten. Das müsste sich man einmal genauer anschauen).

3. Einigkeit besteht, dass ein negativer Target-Saldo vielfältige Ursachen haben kann. Es kann sich um einen gestörten Interbankenmarkt beziehungsweise Kapitalflucht handeln, aber auch um die Finanzierung eines Leistungsbilanzdefizits. Strittig ist, wie schädlich die Finanzierung eines solchen Defizits ist. Sinn argumentiert, dadurch werde eine Anpassung blockiert, Henry Kaspar und ich argumentieren, dadurch wird sie schonender und damit für alle Beteiligten (auch Deutschland) weniger kostspielig.

4. Uneinigkeit besteht, wie sich die Übertragung des Ausgleichssystems der amerikanischen Notenbanken auswirken würde. Sinn argumentiert, es würde den Aufbau von Ungleichgewichten verhindern beziehungsweise den Abbau beschleunigen. Kaspar weißt wie ich meine zurecht darauf hin, dass man Europa und die USA nicht vergleichen kann. Die Banken in Südeuropa nehmen die EZB ja nur deshalb in Anspruch, weil die Schwäche ihres Heimatstaates dazu führt, dass sie sich am Interbankenmarkt nicht refinanzieren können. Amerikanische Banken werden nicht mir ihrer Region identifiziert. Auch wenn Texas am Ende ist, werden die Banken in Texas die Fed nicht übermäßig stark in Anspruch nehmen müssen. Deshalb ist der Ausgleich der regionalen Notenbankbilanzen in den USA nicht relevant – in Europa hätte er aber möglicherweise gravierende Folgen.

to be continued…