Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Obacht! Japan entdeckt den Zins wieder

 

Heute Morgen ist der globale Kapitalismus wieder ein Stückchen normaler geworden. Heute Morgen hat nämlich die Bank of Japan (BoJ) das Ende ihrer „quantitativen Lockerungspolitik“ verkündet. Damit stehen die Zeichen gut, dass die Deflation in der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt allmählich der Vergangenheit angehört. Seit sieben Jahren liegen die Notenbankzinsen im Land der aufgehenden Sonne bei nullkommanull Prozent. Seit fünf Jahren hat die BoJ sich nicht anders zu helfen gewusst, als Monat für Monat Billionen Yen in das Bankensystem zu pumpen, um den Kollaps abzuwenden.

Genau diese Notfallmaßnahme, nämlich dem Aufkauf von Wertpapieren aus den Portfolios der Banken, hat die Notenbank nun abgeschworen. Denn seit drei Monaten ist die Inflationsrate endlich wieder positiv. Über die kommenden Monate möchte die BoJ die Überliquidität abschmelzen. Zur Zeit halten die Banken umgerechnet rund 250 Milliarden Euro bei der Zentralbank, das ist sechsmal so viel, wie sie eigentlich dort parken müssen. Aber nur durch diese produzierte Geldschwemme ist es in den vergangenen Jahren gelungen, der Wirtschaft wieder Dynamik einzuhauchen. Nur weil die Banken derart mit Zentralbankgeld ausgestattet worden sind, konnte der Zins als Steuerungsinstrument ausgeschaltet werden, hatten die Banken genug Puffer, um einer Liquiditätskrise zu entgehen. Zur Zeit wächst Japan schneller als die beiden anderen großen Wirtschaftsblöcke USA und Euroland.

Bis auf weiteres behält die Notenbank ihre Nullzinspolitik bei, genauso wie den monatlichen Ankauf von 1,2 Billionen Yen Staatsschulden (umgerechnet: gut acht Milliarden Euro). Damit soll der Entzug der Droge „billiges Geld“ langsam über die Bühne gehen. Zu Recht. Damit sollen auch die Zinssätze für langlaufende Staatspapiere noch eine Weile lang niedrig gehalten werden. Auch das ist extrem wichtig, um keinen Schock auszulösen. Denn zehnjährige japanische Staatspapier rentieren zur Zeit gerade mal mit 1,63 Prozent, zweijährige mit 0,47 Prozent.

Doch an einer Erkenntnis kommt niemand vorbei: Die Spielregeln am internationalen Kapitalmarkt werden sich durch die Normalisierung stark ändern. Und da die Herde an den Finanzmärkten in der Regel nach vorne schaut, wird sie nicht warten, bis der erste Zinsschritt von null auf 0,1 oder 0,2 erfolgen wird, sondern rennt schon vorher los. Bislang war Japan der große Finanzier aller Carrytrader, die sich Geld „kostenlos“ in Japan geliehen haben und dann damit auf den anderen Märkten Papiere gekauft haben. Ein großer Teil der hohen Preise für Highyields und Emerging-Market-Anleihen sowie –Aktien geht auf die „kostenlose“ Finanzierungsquelle Japan zurück. Droht dort ein Ausverkauf?

Und was heißt es, dass Japan allmählich den Zins zur Steuerung seiner Wirtschaft wieder entdeckt? Werden die Anleihepreise jetzt auch in Amerika und Europa stärker steigen? Wird Japan der Schlüssel zur Lösung des Greenspan’schen „Rätsel“ sein? Und welche Spuren werden die Kursverluste japanischer Anleihen in den Bankbilanzen hinterlassen?

Auf alle diese Frage habe ich noch keine abschließende Antwort. Allerdings glaube ich fest, dass der heutige Tag für den globalen Kapitalismus, für das Ausbalancieren der Ungleichgewichte noch wichtiger war, als die Ankündigung der Chinesen im Frühsommer vergangenen Jahres, den Wechselkurs zu flexibilisieren. Überall neue Unsicherheiten, neue Erwartungen, neue Wetten, die die Kurse massiv beeinflussen können.

Schon seit ein paar Wochen habe ich das komische Gefühl, dass die Entwicklung am japanischen Kapitalmarkt für die Geschehnisse in Euroland fast wichtiger geworden ist, als die Vorgaben der Wall Street. Ich mag mich irren, habe mir keine Korrelationen angeschaut. Aber irgendetwas tut sich. Irgendetwas ganz Großes verändert sich gerade.