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Wirtschaft wächst, Staatsfinanzen im Plus – dem Euro sei Dank

 

Während in den Ländern ringsum verzweifelt, aber bislang erfolglos nach Mitteln gesucht wird, wie sich Rezessionen lindern oder beenden lassen, erfreut sich die deutsche Wirtschaft zwar nicht mehr bester, aber immer noch guter Gesundheit. Im zweiten Vierteljahr expandierte das reale Bruttoinlandsprodukt gegenüber dem ersten um 0,3 Prozent und lag damit um 1,0 Prozent über seinem Vorjahresniveau. Im selben Zeitraum schrumpfte die Wirtschaftsleistung des Euro-Raums ohne Deutschland vom ersten aufs zweite Quartal um 0,4 Prozent und war 0,9 Prozent niedriger als vor einem Jahr. In der Währungsunion läuft die Konjunktur gefährlich auseinander. In Griechenland ist das reale BIP binnen Jahresfrist um 6,2 Prozent eingebrochen; in den vergangenen vier Jahren waren es insgesamt 17,5 Prozent. Das Wort für so etwas heißt „Depression“.

Grafik: Wachstumsraten des BIP qoq,yoy 1999Q1-2012Q2
Wachstumsraten des dt BIP qoq,yoy 1999Q1-2012Q2

Der Anstieg des deutschen BIP um 0,3 Prozent entsprach genau dem Wachstumsbeitrag des Außenbeitrags, so dass von der Inlandsnachfrage per Saldo keine positiven Impulse ausgingen – die inländischen Faktoren hoben sich gegenseitig auf: Die einigermaßen optimistischen Verbraucher gaben mehr aus als im Vorquartal, die Unternehmen und der Staat sparten aber genauso viel an den Investitionen.

Grafik: Wachstumsbeitraege zum dt BIP, qoq
Wachstumsbeitraege zum dt BIP, qoq

Die Ausrüstungen sind jetzt drei Quartale in Folge geschrumpft, wenn auch im Vergleich zur Rezession 2008/2009 noch recht moderat. Darin spiegelt sich der Rückgang der Geschäftserwartungen seit Anfang 2011: Das Abflauen der Auslandskonjunktur und die eskalierende Euro-Krise schlagen aufs Gemüt der Unternehmer. Die rekordniedrigen Zinsen vergrößern natürlich die Menge der Investitionen, die sich rechnen, letztlich aber kommt es darauf an, dass mit steigenden Umsätzen gerechnet werden kann. Daran hapert es in diesem unsicheren Umfeld.

Grafik: Wachstumsraten der Ausruestungsinvestitionen qoq,yoy 1999Q1-2012Q2
Wachstumsraten der Ausruestungsinvestitionen qoq,yoy 1999Q1-2012Q2

Es ist auch nicht so, dass die Verbraucher euphorisch sind – sie sind nur nicht mehr so pessimistisch wie in den vergangenen zwei Jahrzehnten: Die Anzahl der Beschäftigten übertrifft ihr Vorjahresniveau um geradezu sensationelle 1,2 Prozent, die Arbeitslosenquote pendelt bei 6,8 Prozent, nachdem sie vor einem knappen Jahrzehnt noch bei 12 Prozent lag, und endlich steigen die Löhne etwas rascher, wenn auch nur um etwa 2,5 Prozent auf Stundenbasis. Aber das Produkt aus Lohnsteigerungen, etwas längerer Arbeitszeit und dem kräftigen Anstieg der Beschäftigung ergab zuletzt sowohl brutto als auch netto gegenüber dem Vorjahr eine Zunahme der gesamtwirtschaftlichen Lohnsumme um 3,9 Prozent. Leider scheint sich der Wind am Arbeitsmarkt zu drehen, weil Deutschland mit seiner Exportquote von 52 Prozent (des Sozialprodukts) keine Insel ist – mit der günstigen Konsumkonjunktur könnte es bald vorbei sein.

Grafik: Wachstumsraten des Privaten Konsums qoq,yoy 1999Q1-2012Q2
Wachstumsraten des Privaten Konsums qoq,yoy 1999Q1-2012Q2

Dass es im Außenhandel so gut läuft, ist zudem ein zweischneidiges Schwert. Die deutschen Überschüsse sind die Defizite der Anderen, vor allem der Partner im Euro-Raum. Unsere Wirtschaft hat bisher auf zweifache Weise vom Euro profitiert: Zum einen hat die Lohndisziplin und die Senkung der Lohnstückkosten anders als früher nicht zu einer Aufwertung der Währung geführt. Vor 1999, also vor dem Euro, hatten hohe Überschüsse in der Leistungsbilanz das fast zwangsläufig mit sich gebracht – Wettbewerbsvorteile wurden regelmäßig durch eine festere D-Mark neutralisiert. Innerhalb der Währungsunion ist das nicht mehr möglich. Zweiter Punkt: Durch die Schuldenkrise in den Ländern an der südlichen Peripherie des Euro-Raums ist das Risiko gestiegen, dass der Euro auseinanderfliegt. Er hat seine Attraktivität als Reservewährung seit einiger Zeit eingebüßt und wird von vielen ausländischen Anlegern nur mit der Zange angefasst. Mit anderen Worten, er hat sich handelsgewogen real und nominal kräftig abgewertet. Aus Sicht der deutschen Unternehmen war das per saldo eine gute Sache – bis zuletzt hat sich ihre Wettbewerbsfähigkeit dramatisch verbessert.

Grafik: Reale effektive Wechselkurse für Deutschland, 1991Q1-2012Q1
Reale effektive Wechselkurse für Deutschland, 1991Q1-2012Q1

Auch in anderer Hinsicht ist Deutschland mit dem Euro bisher ausgezeichnet gefahren. Über die gewaltigen Zinsvorteile hatte ich schon einige Male geschrieben – das Ausland schenkt deutschen Schuldnern zurzeit und vermutlich noch etwas länger de facto jährlich Geld in der Größenordnung von zwei Prozent des Sozialprodukts. Es ist der Lohn für eine vergleichsweise solide Finanzpolitik, oder vielleicht auch nur dafür, dass es hierzulande zu keinen Immobilienblasen gekommen war, und damit auch zu keinem kritischen Deleveraging (vergessen wir mal die abenteuerlichen Strategien der HypoRealEstate in diesem Bereich). Ohne die Euro-Krise wären die Zinsen nicht über alle Laufzeiten hinweg so niedrig: Der Bund kann sich über dreimonatige BuBills zu -0,125, und über 30-jährigen Anleihe heute zu 2,18 Prozent verschulden. Nur in der Schweiz, in Japan und Skandinavien gibt es ähnlich günstige Konditionen.

Am Donnerstag wurden auch die Ergebnisse der deutschen Finanzstatistik für das erste Halbjahr 2012 veröffentlicht. Der Finanzierungssaldo des Staates wies einen Überschuss in Höhe von 0,6 Prozent des BIP auf, verglichen mit einem Defizit von 0,3 Prozent im ersten Halbjahr 2011. Es ist wahrscheinlich, dass im Gesamtjahr ein Überschuss herauskommt. Die wichtigsten Gründe für diese positive Entwicklung sind die rückläufigen Zinsaufwendungen (dem Euro sei Dank), die stark gestiegenen Lohnsteuereinnahmen und Sozialbeiträge als Folge des Beschäftigungsanstiegs, sowie im Übrigen einer sehr restriktive Ausgabenpolitik – die Staatsausgaben erhöhten sich im Vergleich zum Vorjahr nur um 0,8 Prozent, waren also nach Abzug der Inflationsrate rückläufig.

Grafik: Halbjährlicher Finanzierungssaldo des Staat 1991H1-2012H1
Halbjährlicher Finanzierungssaldo des Staat 1991H1-2012H1

Da die Kapazitäten in Deutschland nach wie vor deutlich unterausgelastet sind, bedeutet der kleine Überschuss im aktuellen Staatshaushalt, dass der sogenannte strukturelle Überschuss sehr groß ist, je nach Ansatz zwischen drei und sechs Prozent des BIP. Mit anderen Worten, es gibt einen gewaltigen Spielraum für eine expansivere Finanzpolitik. Er sollte genutzt werden, allein schon um den Nachbarländern zu helfen und den Euro zu stabilisieren. Es fehlt im Übrigen nicht an nützlichen Projekten, die das Wachstumspotenzial der Wirtschaft steigern könnten. Dabei denke ich nicht an eine neue Abwrackprämie oder an Anreize, wieder mehr Häuser zu bauen!