Unbedachte Äußerungen von Zentralbankchefs können immense Folgen haben. Ben Bernanke hat das gerade gelernt. Am Mittwoch vor einer Woche hatte er ankündigt, das 85 Milliarden-Dollar-pro-Monat-Ankaufprogramm von Anleihen der (seit 2008 verstaatlichten) Immobilienfinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac sowie der US Treasury bis etwa Mitte 2014 auslaufen zu lassen. Und zwar dann, wenn es Anzeichen dafür gibt, dass sich der Wirtschaftsaufschwung selbst trägt und die Arbeitslosenquote auf etwa sieben Prozent sinkt – sie lag zuletzt bei 7,6 Prozent.
Die Marktreaktion war heftig, offenbar heftiger als Bernanke erwartet hatte. Die Rendite zehnjähriger Treasuries ist von 2,19 Prozent am 18. Juni auf 2,61 Prozent am 25. Juni geklettert. Das entspricht einem Kursverlust von etwa 3,5 Prozent. Seit dem Renditetiefpunkt von Anfang Mai sind es sogar rund 8,5 Prozent. In den letzten drei Tagen ist die Rendite auf 2,45 Prozent zurückgegangen, nachdem sich die Marktteilnehmer genauer angesehen hatten, was die Fed denn nun tatsächlich gesagt hatte – und nachdem die Fed selbst begonnen hatte zurückzurudern.
Nur selten kommt es an den Rentenmärkten innerhalb einer so kurzen Zeit zu so großen Kursverlusten. Die Akteure scheinen eine Trendwende zu befürchten, ein Ende der dreißigjährigen Rallye.
Nach einem Bericht der Financial Times vom 26. Juni hält etwa die Bank of America solche Staatspapiere in Höhe von 283,5 Milliarden Dollar. Sie hatte sie sich nicht zuletzt auf Empfehlung der Aufsichtsbehörden zugelegt, und weil die normale Kreditnachfrage einfach nicht anspringen will. Wenn sie die Papiere demnächst verkauft – wie das bei Handelsbeständen üblich ist –, käme es bei den aktuellen Kursen zu Verlusten in Milliardenhöhe. Kurzfristig werden die negativen Effekte auf ihren Gewinn und ihr Kapital größer sein als der Anstieg der Erträge durch eine profitablere Fristentransformation, also den größeren Abstand zwischen den unveränderten Geldmarktsätzen, zu denen sie sich refinanziert, und den deutlich höheren Renditen neu erworbener Anleihen. Es kommt zunächst zu einem Rückschlag bei der Sanierung der Bilanz. Anderen amerikanischen Banken wird es nicht anders gehen.
Wegen des engen Zusammenhangs zwischen dem amerikanischen Kapitalmarkt und den Kapitalmärkten im Rest der Welt kam es in Deutschland, Frankreich, selbst in der Schweiz und in Schweden ebenfalls zu starken, wenn auch nicht ganz so großen Kursverlusten an den Rentenmärkten. In den Krisenländern des Euroraums ging ein großer Teil der Kursgewinne, die vom letzten Sommer bis Anfang Mai erzielt worden waren, wieder verloren. Der jüngste Höhenflug des Euro wurde jäh gestoppt.
An den Aktienmärkten der Welt, bei den Währungen der Schwellenländer oder an den Rohstoffmärkten – überall kam es zu heftigen Kursverlusten. Mehr oder weniger unverändert blieben nur die Geldmärkte: Sie werden auf verlässliche Weise von der Fed, der EZB, der Bank von Japan und den anderen wichtigen Notenbanken kontrolliert. Die Aussage von Ben Bernanke war ja gewesen, dass die Fed Funds Rate mindestens bis 2015 nahe null Prozent bleiben wird; sie liegt nach wie vor bei 0,1 Prozent.
Kursverluste gehören natürlich zum Geschäft und zu den Märkten. Wer sie nicht verkraften kann, sollte sich mit anderen Dingen beschäftigen. Sie sollten aber vermieden werden, wenn sie fundamental nicht gerechtfertigt sind und später von ähnlich großen Kursgewinnen abgelöst werden. Wenn die Signale ständig wechseln, steigen bei Wertpapieren die Risikoprämien und mit ihnen die Realzinsen. Darüber freuen sich die Sparer, aber die Sachinvestitionen und der kreditfinanzierte Konsum gehen zurück, die Konjunktur leidet. Zentralbanker müssen daher ein Gefühl dafür haben oder entwickeln, wie ihre Worte im Markt aufgenommen werden. Sie sollten keine unerwünschten Kursbewegungen auslösen, lieber zu vorsichtig als zu hektisch sein.
Innerhalb der Fed gab es allerdings abweichende Einschätzungen der Lage, was eine klare Aussage natürlich erschwert: Richard Fisher von der Fed in Dallas begrüßte ausdrücklich, dass die Anleihekäufe demnächst zurückgefahren werden sollen, vorausgesetzt die Wirtschaftsprognosen erweisen sich als zutreffend. James Bullard von der Fed St. Louis hatte hingegen gegen die Mehrheit gestimmt: Für ihn hätte die Fed stärker betonen sollen, dass sie vor allem bestrebt sei, ihr Inflationsziel von zwei Prozent zu erreichen. Das sei wichtig, weil die Inflationsrate des privaten Verbrauchs (PCE) – daran orientiert sich die Fed – unter ein Prozent liegt, und die Kerninflationsrate auch nur knapp über ein Prozent. Bullard kritisierte außerdem die Vorgabe eines ziemlich präzisen Zeitplans für die kommenden Anleihekäufe – das sei ein Fehler gewesen. Man brauche überzeugendere Statistiken als die bisher vorliegenden.
Das finde ich auch. Die Situation am Arbeitsmarkt ist viel schlechter als die Arbeitslosenquote suggeriert. Erstens ist die Beschäftigung immer noch um Einiges niedriger als vor Beginn der Finanzkrise, nämlich um 1,8 Prozent (Deutschland plus 3,4 Prozent), zum anderen hat sich Anzahl der Arbeitslosen dadurch stark vermindert, dass diejenigen, die aufgehört haben, einen Job zu suchen, nicht mehr mitgezählt werden. Die Erwerbsquote ist dramatisch gesunken. Ohne diesen Effekt dürfte die Arbeitslosenquote immer noch bei zeh Prozent liegen.
Was die Inflation angeht, ist der Trend weiterhin deutlich nach unten gerichtet. Angesichts von positiven Zuwachsraten bei der Produktivität bedeuten durchschnittliche Steigerungen der Stundenlöhne von etwas unter zwei Prozent, wie sie seit einigen Jahren zu beobachten sind, dass es von der Lohnkostenseite keinerlei Inflationsdruck gibt.
Die Inflationserwartungen, wie sie sich aus den inflationsindizierten Treasury-Anleihen ableiten lassen, sind sowohl im fünfjährigen als auch im zehnjährigen Bereich seit Beginn des Jahres deutlich unter zwei Prozent gefallen.
Es ist klar, dass die Fed irgendwann einmal aufhören muss, ihre Bilanz derart stark auszuweiten. 85 Milliarden Dollar pro Monat bedeuten 1.020 Milliarden Dollar pro Jahr oder 6,4 Prozent des diesjährigen Bruttoinlandsprodukts. Aber bislang sind die Erfolge bei der Beschäftigung ebenso ausgeblieben wie eine Beschleunigung der Geldentwertung. Die amerikanische Wirtschaft ist weit entfernt von Vollauslastung. Ganz im Gegenteil, es geht in die andere Richtung. Daher stimme ich im Übrigen mit Narayana Kocherlakota, dem Präsidenten der Fed Minneapolis, überein, dass die Leitzinsen von zurzeit 0,1 Prozent nur dann angehoben werden sollten, wenn die Arbeitslosenquote auf 5,5 Prozent gesunken ist. Die Fed hat bislang verkündet, dass sie bereits bei 6,5 Prozent aktiv werden wolle.
Die Marktteilnehmer kommen allmählich zu der Einsicht, dass es die Fed nicht so gemeint haben dürfte, wie es am 19 Juni klang. Sie beruhigen sich zusehends. Die Wirtschaft braucht angesichts der sehr restriktiven Finanzpolitik jede Unterstützung, die sie bekommen kann.