Gemessen an der Anzahl der Seiten, die den verschiedenen Politikbereichen im 185-seitigen Koalitionsvertrag gewidmet sind, ist die Bankenunion nicht weit oben auf der Prioritätenliste. Sie ist so ziemlich das Unwichtigste. Die Umwelt- und Energiepolitik etwa bringen es zusammen auf 16 Seiten, die Bankenunion kommt nicht einmal auf ein Zehntel davon, nämlich auf eineinhalb Seiten. Zugegebenermaßen handelt es sich um ein trockenes und sperriges Thema, aber für die Zukunft des Landes hängt viel davon ab, wie mit ihm umgegangen wird. Die Bankenunion ist ein notwendiger Baustein im europäischen Einigungsprozess – ohne sie wird es keine Fiskalunion geben, und ohne die dann auch keine politische Union, die ja immer noch das erklärte Endziel ist.
Nicht zuletzt reden wir über eine Menge Geld, potenziell über viel mehr als beim Klimaschutz und bei der Energiewende. Die deutschen Steuerzahler können, wenn die Politiker nicht aufpassen, mit gewaltigen Summen für die Schulden der anderen herangezogen werden, ohne dass sie bei deren Entstehung etwas zu sagen hätten. Demnächst werden deutsche Hoheitsrechte im Finanzsektor, einem Schlüsselbereich der Wirtschaft, an zentrale Instanzen der Währungsunion übertragen. Die Risiken sind groß, die Vorteile einer solide konstruierten Bankenunion überwiegen allerdings. Wenn durch eine solche Union die Unsicherheiten über die Zukunft des Euro endlich ad acta gelegt werden könnten, käme es voraussichtlich zu einem Wachstumsschub. Euroland verfügt angesichts der gewaltigen Outputlücke und der 19 Millionen Arbeitslosen über fast unbegrenzte Kapazitätsreserven und könnte jahrelang inflationsfrei mit viel höheren Raten expandieren als wir es seit 2009 gewohnt sind.
Grundsätzlich befürworten die Koalitionspartner die Bankenunion, bestehend aus einer „einheitlichen Bankenaufsicht, einem einheitlichen Regelwerk und einem einheitlichen Mechanismus zur Bankenabwicklung“. Die Aufsicht, mit der die Europäische Zentralbank betraut wird, ist bereits beschlossen und kommt bis zum nächsten Herbst. Allerdings sollen „kleine und regional tätige Institute“, also Sparkassen und Genossenschaftsbanken, nach den Vorstellungen von Union und SPD nicht unter direkte EZB-Aufsicht gestellt werden. Ich glaube, die Sache ist aber bereits entschieden: Auch wenn die kleinen Banken zunächst weiterhin national beaufsichtigt werden, müssen die Aufseher die Weisungen der EZB befolgen, werden also nicht mehr unabhängig sein. So sollte es sein. Eine gemeinsame Geldpolitik erfordert auch eine gemeinsame Aufsicht, ohne Ausnahmen, finde ich.
Beim Abwicklungsmechanismus sind die Würfel auf europäischer Ebene noch nicht gefallen. Die Koalitionäre wünschen sich, dass Bankenrettungen künftig möglichst ohne Steuergelder erfolgen: Erst werden die Eigentümer und die Gläubiger, einschließlich der Kontoinhaber, zur Kasse gebeten (wobei Guthaben bis 100.000 Euro geschützt bleiben). Das ist das sogenannte bail-in. Dann folgt der jeweilige Staat, dann der noch zu schaffende einheitliche europäische Abwicklungsfonds, der vollständig durch Bankenabgaben finanziert werden soll, und schließlich das 60 Milliarden Euro-Bankenprogramm des ESM, des Europäischen Stabilitätsmechanismus. Das nennt sich Haftungskaskade.
Soweit es sich um ausländische Institute handelt, kämen die deutschen Steuerzahler also erst am Schluss dran, falls der ESM ins Spiel kommt. Ihr Anteil daran entspricht dem deutschen Gewicht im BIP Eurolands. Maximal geht es um 18 Milliarden Euro. Es könnte allerdings sein, dass die 60 Milliarden Euro angesichts der prekären Lage des europäischen Bankensektors nicht ausreichen. Der Abwicklungsmechanismus muss möglicherweise finanziell viel besser ausgestattet werden, als es sich die Koalitionäre zurzeit vorstellen. Es führt aber kein Weg daran vorbei: Zur gemeinsamen Geldpolitik und Aufsicht gehört eine zentrale Stelle, die Banken nach einheitlichen Regeln sanieren und abwickeln kann. Nur wenn sie finanziell sehr tiefe Taschen hat, wird sie dazu in der Lage sein. Der Koalitionsvertrag drückt sich um solche Aussagen.
Das Thema „Bankenunion“ wird verständlicherweise vor allem durch die nationale Brille betrachtet, ich hätte mir aber gewünscht, dass zusätzlich auch eine europäische Perspektive aufgezeigt worden wäre. Von Begeisterung für das europäische Projekt ist jedenfalls vor lauter Erbsenzählerei nichts zu spüren. Schade.