Gestern hat Ben Bernanke seine letzte – eindrucksvolle – Pressekonferenz gegeben und eine Erholung der amerikanischen Wirtschaft in Aussicht gestellt. In der Nacht haben sich die europäischen Finanzminister auf eine Bankenunion geeinigt, die das Papier nicht wert ist, auf dem sie steht. Was haben die beiden Ereignisse miteinander zu tun?
Sie zeigen, dass wir in einer Welt leben, in der Politik im Schatten allmächtiger Notenbanken stattfindet. Das ist natürlich das große Thema von Bundesbankpräsident Jens Weidmann – aber dazu später mehr.
Bernanke hat gestern dargelegt, wie es der Fed gelungen sei, den in der derzeitigen konjunkturellen Lage hochgradig kontraproduktiven restriktiven Impuls der Finanzpolitik (der ein Ergebnis des paralysierten Kongresses ist) durch eine aggressive monetäre Lockerung auszugleichen. Worauf es an dieser Stelle ankommt: Die Fed wird zum Reparaturbetrieb für das Versagen der Politik.
Und in Europa scheint es die Finanzmärkte nicht zu stören, dass die neuen Regeln zur Bankenunion weder eine effiziente Entscheidungsfindung im Fall einer Schieflage eines Kreditinstituts ermöglichen, noch auf europäischer Ebene die nötigen Mittel für eine geordnete Abwicklung bereitstellen. Die Kosten wird weiter das jeweilige Heimatland der Bank tragen. Deshalb werden Banken in schwachen Ländern weiter im Nachteil gegenüber Banken in starken Ländern sein und die Fragmentierung der Kreditmärkte wird nicht überwunden werden.
Der Europäischen Zentralbank wird deshalb nichts anderes übrig bleiben, als durch neue unkonventionelle Maßnahmen die Kreditversorgung in der Peripherie sicherzustellen – und möglicherweise die Pleite von Banken zu verhindern, für die es kein angemessenes Auffangnetz gibt. Auch sie springt ein, wo die Politik versagt. Man kann diesen Gedanken noch weiterführen: Ohne das Versprechen von Mario Draghi, den Euro im Ernstfall zusammenzuhalten, hätten wir heute möglicherweise so etwas wie eine Fiskalunion in Europa.
Aber weil die EZB die Märkte ruhig hält, können sich die Regierungen zurücklehnen. Anders gesagt: Wolfgang Schäuble hätte gestern Nacht nicht stolz verkünden können, er habe die deutschen Steuerzahler und Sparer davor bewahrt, für ausländische Banken in Haftung genommen zu werden, wenn er nicht gewusst hätte, dass am Ende Mario Draghi schon die Rechnung bezahlt.
Ich halte diesen institutionellen moral hazard für viel gefährlicher als die von der Bundesbank in diesem Zusammenhang oft beschworene Gefahr, dass in Südeuropa Reformen ausbleiben. Die Koexistenz von aktivistischen Zentralbanken und einem dysfunktionalen politischen System führt dazu, dass die Probleme unserer Zeit mit monetären statt fiskalischen Instrumenten angegangen werden.
Dabei – und das ist das Fatale – wären fiskalische Instrumente häufig zielgenauer. Jedenfalls wäre es zumindest in den USA oder Großbritannien deutlich sinnvoller und nachhaltiger, eine Nachfragelücke durch ein groß angelegtes kreditfinanziertes öffentliches Investitionsprogramm zu überwinden als über steigende Immobilienpreise den Konsum anzukurbeln. Das Problem ist also nicht, dass der Staat stabilisierend eingreift, sondern wie er es tut.
Was ist der Ausweg? Ehrlich gesagt: Ich weiß es nicht. Man macht es sich zu leicht, wenn man wie viele konservative Ökonomen die Schuld den Zentralbanken gibt. Sie haben ein Mandat und wenn das Versagen der Politik zur Folge hat, dass die relevanten ökonomischen Variablen von ihrem Zielwert abweichen, dann müssen sie handeln – ganz egal was die Ursache dieser Abweichung ist. Sonst würden sie ihrem Auftrag nicht gerecht. Es wäre Amtsanmaßung, den Weltuntergang herbeizuführen, nur um es der Politik einmal so richtig zu zeigen.
Andererseits lässt sich – und das übersehen viele progressiven Wissenschaftler – nicht abstreiten, dass die politische Ökonomie der gegenwärtigen Arbeitsteilung zu suboptimalen Ergebnissen führt. Vielleicht müssen wir uns grundsätzlich über das institutionelle Zusammenspiel zwischen Politik und Notenbank unterhalten. Der jetzige Zustand jedenfalls ist unbefriedigend.