Es regt sich zunehmend Widerstand unter jungen Ökonomen gegen die einseitige Lehre in der Volkswirtschaftslehre. Die wird von der Neoklassik dominiert, in der der stets rationale Homo Oeconomicus wohl definierte Vorlieben für Millionen unterschiedlicher Waren hat, deren Preise er kennt und dabei noch die Fähigkeiten eines Super-Statistikers hat, zukünftigen Ereignissen präzise Wahrscheinlichkeitswerte zuzuordnen. Dass diese Modell-Welt die reale Welt weitgehend ausblendet, müssen viele Wirtschaftswissenschaftler ausblenden, wenn sie lukrative Professorenposten ergattern wollen. Denn dafür brauchen sie Veröffentlichungen in renommierten Fachzeitschriften, in denen man eben neoklassische Modelle durchrechnen muss. Dass Professoren sich irgendwann vielleicht doch mit der realen Welt auseinandersetzen, ist dann eher Zufall als gezieltes Ergebnis der ökonomischen Ausbildung.
Studierende aus 19 Ländern wehren sich jetzt: Sie glauben, dass die intellektuelle Monokultur in der Volkswirtschaftslehre durchbrochen werden muss. Dazu haben sie die Internationale studentische Initiative für Pluralismus in der Ökonomie (ISIPE) gegründet und einen Aufruf gestartet, in dem sie mehr Vielfalt in der Ökonomie fordern: Die Neoklassik soll nicht aus den Lehrplänen verschwinden, aber die Studenten wünschen sich auch die Konfrontation mit alternativen Ansätzen – wie sie übrigens in jeder anderen Sozialwissenschaft gang und gäbe ist.
Alternative Ansätze gibt es, etwa die Post-Keynesianische Schule, die klassische (zu der Ricardo und Marx zählen), die institutionelle, ökologische oder feministische Tradition in der VWL. Darüber fordern die Studierenden mehr Geschichte in den Lehrplänen, sowohl die Geschichte der ökonomischen Entwicklung als auch der ökonomischen Lehre selbst. Dann würde einem nämlich klarer, wie abhängig auch die ökonomische Lehre vom jeweiligen historischen Zusammenhang ist. Mit mehr Offenheit in der Ökonomenausbildung würden Studierende das bekommen, auf das viele Wirtschaftswissenschaftler immer gerne ein Hohelied singen: Das Recht der freien Wahl.
Wie nötig eine breite Ökonomenausbildung ist, hat die immer noch schwelende Finanzkrise gezeigt, die 2007 zuerst als Subprime- und jetzt als Eurokrise Finanzmärkte und Realwirtschaft durcheinanderwirbelt. Zum Beispiel hatte der von den meisten Ökonomen schlicht ignorierte Post-Keynesianer Hyman Minsky schon in den achtziger Jahren die Hypothese der Finanziellen Instabilität aufgestellt, nach der Finanzkrisen grundlegend zum Kapitalismus gehören und die Finanzmärkte immer wieder zur Übertreibung führen. Der Ökonomen-Mainstream war zur gleichen Zeit der Effizienzmarkthypothese verfallen, in der Finanzkrisen nicht auftauchen können und nach der die Finanzmärkte am besten allein gelassen werden sollten.
Dass der Glaube an effiziente Finanzmärkte dazu geführt hat, dass viele Mainstreamer nach der Krise meinten, man hätte sie nicht voraussehen können, ist nicht verwunderlich. Darüber hinaus haben Neoklassiker auch die destabilisierende Rolle von Schulden ignoriert. Wenn überhaupt mal Schulden in den gängigen Modellen auftauchten, brachten sie mehr Stabilität: Da die immer optimal handelnden Homines oeconomici über ihr zukünftiges Einkommen Bescheid wüssten, würden sie heute Schulden aufnehmen, die sie morgen aus ihrem rational antizipierten Einkommen problemlos bedienen könnten. Überschuldung findet in solchen Modellen nicht statt.
Im Gegensatz dazu stehen Schulden, ihr Entstehen und ihre Probleme im Mittelpunkt der Post-Keynesianischen Schule. Von den Rändern der etablierten Wirtschaftswissenschaften hatten viele Vertreter dieser Schule vor der kommenden Krise gewarnt, wie Dirk Bezemer belegt.
Dass nach der Krise auch der eine oder andere Neoklassiker die Lehren Minskys und anderer Exoten in die neoklassischen Modelle aufgenommen hat, hat deren Ideen mehr verwässert als geklärt. So haben etwa Paul Krugman und Gauti Eggertsson ein Modell entwickelt, in das sie angeblich die Lehren von Minsky eingearbeitet haben. Das Problem: Im Modell gibt es keine Banken, und die Menschen leihen sich untereinander Güter, nicht Geld. Damit blenden die beiden die ganze Dynamik der Finanzmärkte aus, in der Geschäftsbanken per Federstrich (oder Mausklick) Geld und Kredit herstellen und damit Finanzmarktblasen aufpusten können. Genau auf diese konkreten Details der realen Welt kam es aber Minsky an, wie der australische Ökonom Steve Keen gezeigt hat.
Dabei sind Krugman und Eggertsson nicht die einzigen, die das Geld einfach ignorieren. In den meisten neoklassischen Modelle werden nur Güter verliehen und kein Geld. So kommt es auch, dass in den Einführungsbüchern der Volkswirtschaftslehre die Irrlehre verbreitet wird, es müsste mehr gespart und weniger konsumiert werden, damit jemand einen Kredit bekommt.
In der Welt der Güterleihe ist das richtig: Wenn ich mein Getreide aufesse, kann ich es nicht verleihen – und wenn ich es nicht an den Bauer verleihe, kann der die Samen nicht pflanzen und wir beide müssen morgen verhungern. In der realen Welt aber bekommt der Bauer wie jeder andere Unternehmer einen Kredit von der Bank. Und die schöpft den Kredit neu, ohne dass jemand auf seinen Brotverzehr verzichten muss. Kreditschöpfung und Konsumverzicht haben schlicht nichts miteinander zu tun in der modernen Wirtschaft. Was die Neoklassiker in ihren Lehrbüchern verschweigen, hat zum Glück neulich die Bank of England in einem schönen Artikel aufgeschrieben.
Wer in seinem Studium nur der Neoklassik ausgeliefert war, versteht nicht, wie Geld in die Welt kommt und wie eine Bank funktioniert – keine guten Voraussetzungen, um Finanzkrisen erkennen und vermeiden zu können. Im Gegensatz dazu ist bei Post-Keynesianern das „endogene Geld“ – also die Geldschöpfung durch die Geschäftsbanken – Kern der Theorie. Studenten sollten ein Recht darauf haben, auch solche Theorien kennenzulernen.
Es ist also überfällig, dass Studierende den Aufstand üben und mit vollem Recht Realismus und Vielfältigkeit in der Volkswirtschaftslehre fordern. Denn falsche ökonomische Lehren haben reale Konsequenzen für viele Millionen Menschen, die durch die Finanzkrise Arbeit und Existenz verloren haben.