Will denn diese Rezession gar nicht enden? Die Marktteilnehmer können und wollen nicht glauben, was da täglich an schlechten Nachrichten auf sie einprasselt. Es muss doch irgendwann Licht am Ende des Tunnels zu sehen sein. Alles ist doch so unglaublich billig und die Geldpolitiker und Finanzminister geben so viel Gas wie noch nie, da müssten doch Nachfrage, Konjunktur und – natürlich – auch die Aktienkurse endlich wieder anspringen.
Surprise, surprise, es hat sich tatsächlich etwas getan, das Flehen wurde erhört.
In den vergangenen Tagen gab es aus verschiedenen Gründen nämlich ein Kursfeuerwerk: Der DAX ist gegenüber seinem Tiefpunkt um etwa 9%, der S&P 500 um 15% und der Nikkei um 13% gestiegen. Ben Bernanke, der Chef der amerikanischen Notenbank, hatte in einem Interview am Wochenende Optimismus verbreitet: „Der Abschwung wird sich verlangsamen und wir werden bald Anzeichen für eine Stabilisierung sehen.“ Dazu passt, dass sich die Rohstoffpreise gefangen zu haben scheinen: Erdöl der Sorte Brent hat sich seit Ende vergangenen Jahres um 36% erholt, Kupfer um ein Drittel, die Nickelpreise bewegen sich seit Wochen seitwärts, beim Stahl hat sich der Abwärtstrend verlangsamt, und der Baltic Dry Index, der wichtigste Indikator für Hochseefrachten, ist seit Anfang Dezember letzten Jahres um sage und schreibe 198% geklettert – danach sieht es so aus, als würde der Welthandel wieder anspringen.
Positives auch aus China, das uns ja alle retten soll, nachdem die amerikanischen Verbraucher diese Rolle nicht mehr spielen wollen: Dort nimmt die Geldmenge M2 mit einer Rate von 20,5% (ggVj) zu, die Industrieproduktion immer noch mit einer von 11%, und der Einkaufsmanagerindex steigt seit zwei Monaten und liegt jetzt nur noch knapp im Abschwungsbereich. Zu guter letzt sind dann im Februar auch noch die amerikanischen Housing Starts saisonbereinigt um 22,2% egenüber dem Januar angesprungen.
Die Rentenmärkte taten derweil, was sie tun müssen, wenn wir es wirklich mit einem neuen Aufschwung zu tun haben sollten: Sie verloren an Boden und signalisierten damit, dass das Inflationsrisiko wieder zunimmt. Die Renditen zehnjähriger US Treasuries stiegen auf 3,0%, die der zehnjährigen Bundesanleihen auf 3,21%, nach 2,05% und 2,89% um die Jahreswende. Nur in Japan wollen und wollen die Inflationserwartungen nicht anspringen – nicht verwunderlich angesichts des annualisierten Rückgangs des realen BIP von 12,1% im vierten Quartal und des Einbruchs der Industrieproduktion von 31,0% (Januar, ggVj).
Wenn wir wirklich an einem Wendepunkt wären, müssten die Daten so oder so ähnlich aussehen, wenn wir mal Japan außen vor lassen. Irgendwann endet jede Rezession, und je tiefer der Absturz, desto wahrscheinlicher wird das. Auch nach den Rallyes der letzten Tage und Wochen sind die Märkte und die Realwirtschaft immer noch auf Rezessionsniveau, wenn nicht gar Depressionsniveau. Sie haben allerdings auch ein enormes Aufholpotential.
Dazu noch mal ein Satz Zahlen, wenn ich darf (dann höre ich auf damit): Wo befinden sich die Indikatoren, die ich oben genannt habe, im Vergleich zu ihren jüngsten Höchstständen? DAX -50%, S&P 500 -50%, Nikkei -56% (und -80% gegenüber Ende 1989!!), Brent -68%, Kupfer -57%, Nickel -81%, Stahl -48%, der Baltic Dry Index -83% und die US Housing Starts -74%. Seit dem zweiten Weltkrieg hat es solche Zahlen nicht mehr gegeben.
Wenn ich mir die längerfristigen Graphiken ansehe, gab es immer mal wieder Phasen, in denen sich Kurse und Preise im Verlauf eines Abwärtstrends für eine Weile berappelten. Von daher ist das, was wir zur Zeit erleben, für sich genommen kein Anlass, euphorisch zu werden und die jüngsten Daten zu extrapolieren.
Was wir brauchen, sind plausible Argumente dafür, dass wir es mit etwas Nachhaltigem zu tun haben.
Um mit den Rohstoffpreisen anzufangen: Weil sie so stark gefallen sind, hat sich das Realeinkommen der Verbraucher gegenüber der Situation im letzten Sommer deutlich erhöht. Das zeigt sich an der Diskrepanz zwischen der (sehr niedrigen) Inflation der Verbraucherpreise und der (größeren) Zunahme der Nominallöhne. In Deutschland werden in diesem Jahr sogar die Rentner – ausnahmsweise – einen Schub bei ihren real verfügbaren Einkommen erleben. In den USA ist der Effekt wegen des starken Dollars sogar noch ausgeprägter. Das hilft also. Allerdings: Wat den een sin Uhl is den annern sin Nachtigall (wie die Norddeutschen sagen) – die Rohstoffproduzenten in Russland, Kanada, Australien, Südafrika und in der OPEC leiden entsprechend. Da die aber im Weltmaßstab nur eine kleine Gruppe sind, kommt für die globale Konjunktur per saldo etwas Positives heraus.
Vielleicht wirken auch schon die niedrigen Zinsen? Das sehe ich eher weniger. Real sind sie am kurzen Ende selbst in den USA noch leicht positiv. Sie stimulieren die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen daher nicht so sehr wie in früheren „normalen“ Rezessionen, in denen sie regelmäßig negative Werte erreichten. Am langen Ende sind die Realzinsen sogar richtig hoch, jedenfalls angesichts der tiefen Rezession. Bisher stören sich die Anleger bei Staatsanleihen noch etwas an den explodierenden Schulden und den Aussagen mancher Notenbanker, dass jetzt Gelddrucken die richtige Medizin ist. Besonders Länder wie Griechenland, Irland, Spanien, Italien oder selbst Frankreich, die als unsichere Kandidaten gelten, leiden unter hohen realen Bondrenditen. Bei Unternehmensanleihen haben wir es nach wie vor, vielleicht sogar zunehmend, mit Bonitätsproblemen zu tun. Die schlechte Konjunktur drückt die Gewinne und erhöht damit das Risiko, dass die Anleihen nicht zurückgezahlt werden. Das führt zu hohen Realrenditen und erschwert es den Unternehmen, ihre Investitionen zu finanzieren – was wiederum die konjunkturelle Situation verschlechtert. Noch sind die Zentralbanken nicht bereit, Unternehmensanleihen minderer Qualität aus dem Markt zu nehmen und damit die Renditen zu drücken. Vor allem gilt das für die EZB.
Die Geldpolitik ist auch deshalb bis auf Weiteres nicht so schlagkräftig wie gewohnt, weil es sich für die Verbraucher in einer Phase sinkender Preise für Güter und Dienstleistungen lohnt, erst einmal abzuwarten – morgen könnte alles noch etwas billiger zu haben sein. Bei Immobilien ist das besonders ausgeprägt: Kaum jemand ist bei einem Hauskauf unter großem zeitlichen Druck. Das gilt auch für Autos, Wohnungseinrichtungen oder Urlaubsreisen, die sogenannten big ticket items. Bei ihnen gehen als Folge solcher Käuferstrategien die Preise besonders stark zurück, häufig mit zweistelligen Raten.
Ein Aufschwung könnte auch durch eine anhaltende Rallye bei Aktien ausgelöst werden, wenn man einigermaßen sicher sein könnte, dass die Gewinne nicht weiter zurückgehen. Die Kurs-Gewinnverhältnisse mögen niedrig sein, wenn aber im weiteren Verlauf der Rezession die Gewinne sinken oder der Cash Flow schrumpft, können sich die Bewertungen im Handumdrehen verschlechtern. Die Aktienkurse sind nicht umsonst so niedrig. Zudem: Die Aktien mögen aus Sicht der potentiellen Käufer billig sein, aus der Sicht der Unternehmen bedeutet das vor allem, dass die Kosten der Eigenfinanzierung hoch sind. Auch das dämpft die Neigung, zu investieren und Arbeitskräfte einzustellen.
Von der Finanzpolitik gehen ohne Zweifel expansive Impulse aus. Bisher ist aber alles, was entweder schon auf den Weg gebracht wurde oder geplant ist, gering im Vergleich zu den Produktionsausfällen, die wir gerade erleben. Ein großer Teil der Maßnahmen wirkt außerdem nur mit großer zeitlicher Verzögerung. Daneben gilt das Argument, das ich hier im Blog schon öfter angeführt habe, dass nämlich die Struktur der Staatsausgaben gänzlich anders ist als die des privaten Sektors und dessen Nachfrageausfall daher nur unzureichend ausgeglichen werden kann. Eine mutige Senkung der indirekten Steuern würde rascher und zielgenauer wirken, trotz der Lecks durch Ersparnisse und Importe. Von einer solchen Strategie ist wenig zu sehen.
Also, wie kann es dann doch schließlich zu einem Aufschwung kommen? Wenn die Finanzpolitik – bei uns und überall – so zaghaft bleiben sollte, wie ich es vermute, wird sich die Rezession noch eine Weile hinziehen. Wir haben es dann nach japanischem Muster mit einer L-shaped recession zu tun. Wir könnten uns gegenwärtig sogar noch auf dem senkrechten Arm des Buchstabens befinden.
Irgendwann sind unsere Autos aber schrottreif, in unsere Häuser regnet es rein, urlaubsreif sind wir nach all den Sorgen auch, billiger dürfte es auch nicht mehr werden, da selbst bei niedriger Endnachfrage Kapazitätsengpässe aufkommen und die Lager geräumt sind. Gleichzeitig sind unsere Ersparnisse hoch (wenn auch nur bei denen von uns, die noch Arbeit haben), die Schulden sind getilgt, wir sind wieder kreditwürdig, überall gibt es Schnäppchen und Schuldenmachen ist nicht teuer.
Das ist das Eine. Zur Rettung trägt auch, wie gesagt, der Verfall der Rohstoffpreise bei, genereller gesprochen der Rückgang der Einfuhrpreise relativ zu den Ausfuhrpreisen. Es könnte auch sein, dass China das Umschalten von exportgetriebenem auf Binnennachfrage-getriebenem Wachstum letztlich doch gelingt – an Ersparnissen und Währungsreserven herrscht kein Mangel. Auch der Nachholbedarf der Bevölkerung ist gigantisch. Im vergangenen Jahr war das BIP je Einwohner in Deutschland immer noch 11,9 mal größer als in China (gerechnet mit dem heutigen Wechselkurs). Schon um zu überleben, muss die Regierung alles tun, damit es zu keiner Rezession kommt. Vielleicht gelingt es ja.
Leider werden die endogenen Kräfte in Deutschland wieder einmal zu schwach sein für eine konjunkturelle Wende. Das gilt auch für Euroland insgesamt. Man wartet wieder mal auf den Export, also darauf, dass die anderen vorausgehen. Das ist eine sehr riskante Strategie. Sie wird vor allem dann nicht aufgehen, wenn der Euro wieder stärker aufwertet oder wenn es, horribile dictu, zu einem Abwertungswettlauf kommen sollte. Insbesondere den USA ist an einem Switch von konsumgetriebenem zu exportgetriebenen Wachstum gelegen. Dazu passt ein schwächerer Dollar. Auch China, Japan und Großbritannien könnten auf die Abwertungskarte setzen. Das wäre eine Katastrophe, weil es dann nur Verlierer geben würde.