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Wie sich Hans-Werner Sinn bei der Bankenunion verrennt

 

Wie vielleicht bekannt ist, schätze ich Hans-Werner Sinn, auch wenn ich mit ihm häufig nicht einer Meinung bin. Er ist einer der wenigen deutschen Ökonomen mit internationalem standing, er hat sein Institut nach vorne gebracht und ist soweit ich es beurteilen kann ein angenehmer Mensch.

Nur wenn es um den Euro geht, gehen ihm regelmäßig die Pferde durch. Wie gestern in der FAZ, wo er einen Kommentar über die Bankenunion veröffentlicht hat. Es beginnt schon im ersten Absatz:

Während die Nation den Fußballsieg über Brasilien bejubelt, beschloss das Bundeskabinett, die Mittel des gemeinsamen Rettungsfonds ESM für die Finanzierung der maroden Banken der Krisenländer verfügbar zu machen. 

Das suggeriert, die Regierung habe sozusagen die Gunst der Stunde genutzt um heimlich ein Gesetz durch den Bundestag zu peitschen. Aber ist Schäuble ein Hellseher oder woher soll er bei der Terminierung gewusst haben, dass Deutschland Brasilien vernichten würde?

Und so geht es weiter, denn Sinn argumentiert, dass den Steuerzahlern in Europa durch die Bankenunion neue Milliardenrisiken aufgebürdet würden. Dazu macht er folgende Rechnung auf: Die Selbstbeteiligung der Gläubiger, Einleger und Kunden im Krisenfall liegt bei mindestens 8 Prozent der Bilanzsumme, dazu kommt ein Beitrag aus dem neuen, von der Finanzbranche finanzierten und mit 55 Milliarden Euro gefüllten Rettungsfonds, in Höhe von 5 Prozent. Macht also 13 Prozent. Es verbleibe eine „Deckungslücke“ von 87 Prozent der Bilanzsumme.

Dafür dürfen nun im Falle des Falles die Steuerzahler geradestehen, und zwar nicht nur die Steuerzahler der betroffenen Länder selbst, sondern in gemeinschaftlicher Haftung auch die Steuerzahler anderer Länder. Angesichts einer Bilanzsumme der Banken der Krisenländer von 9131 Milliarden Euro ist dies keine Kleinigkeit, sondern ein großes Risiko für die finanzielle Stabilität der Bundesrepublik Deutschland. Deutschland haftet im Prinzip für 28 Prozent von 87 Prozent dieser Summe, also für 2145 Milliarden Euro. 

Deutschland hafte also für 2145 Milliarden Euro. Das wäre tatsächlich eine ganze Menge – wenn es denn stimmen würde. Denn zunächst einmal steht im Gesetz zur Bankenunion ja gerade nicht, dass fortan für alle Bankverbindlichkeiten eine gemeinsame Haftung gilt. Wenn die Branchenmittel aufgebraucht sind, muss in der Regel der betroffene Staat einspringen, der sich dann, wenn er alleine zu schwach ist, beim ESM Geld borgen kann. Das kann man nun kritisieren, es ist aber jetzt – siehe Spanien – bereits gängige Praxis. Es gibt hier keine zusätzliche, gesetzlich vorgeschriebene Haftung. Nur in Ausnahmefällen kann der ESM direkt rekapitalisieren und auch hier sind die Mittel begrenzt und der Bundestag muss zustimmen. Mit anderen Worten: Das wird nie passieren.

Wenn Sinn also schreibt, dass bei Bankenpleiten die Steuerzahler geradestehen, dann mag das stimmen. Aber das tun sie immer und es hat mit der Bankenunion nichts tu tun. Wenn überhaupt dann wird durch diese die Inanspruchnahme der Steuerzahler durch die Eigenbeteiligung des Finanzsektors verringert – ob das sinnvoll ist, ist eine andere Frage.

Irreführend ist es auch, in diesem Zusammenhang mit dem Bilanzvolumen der Banken zu argumentieren. Banken geraten in Schwierigkeiten, wenn sie Verluste erwirtschaften und Abschreibungen tätigen müssen. Dadurch wird ihr Eigenkapital aufgezehrt und irgendwann kommt das Moratorium der Aufsicht.

Für die Kosten der Rettung ist also entscheidend, wie groß die Verluste sind und wie gut die Kapitalausstattung ist – und nicht, wie groß die Bilanzsumme ist. Natürlich könnte man argumentieren, dass die Bilanzsumme sozusagen so etwas wie die maximal mögliche Kapitallücke angibt. Aber das stimmt nur, wenn das Vermögen komplett wertlos ist. Das ist nicht nur unwahrscheinlich, sondern schlicht kaum vorstellbar. Und selbst wenn es so käme, würde man eine solche Bank wahrscheinlich abwickeln und nicht sanieren.

Sinn scheint zu ahnen, dass er sich hier etwas weit aus dem Fenster lehnt, denn er räumt ein, dass bislang die 13 Prozent in den meisten Fällen ausgereicht hätten. Bei der Commerzbank hätte der bail in ohne den Fonds damals übrigens rund 80 Milliarden Euro ausgemacht – das hätte locker gereicht, um ohne Staatshilfe auszukommen. Aber Sinn will sein Argument retten, und schreibt:

Die Risiken könnten alles sprengen, was man bislang hat beobachten können.

Stimmt: Wenn uns der Himmel auf dem Kopf fällt, sind wir alle tot. Aber jetzt packt Sinn noch ein Argument aus:

Das Hauptproblem bei der Risikoübernahme ist allerdings nicht das Eintreten des Risikos selbst, sondern die Erpressbarkeit der Garantie gebenden Staaten. Um die Risiken klein und die Abschreibungsverluste von vornherein unter 13 Prozent der Bilanzsumme halten zu können, werden die haftenden Länder gezwungen sein, die Rekapitalisierung der Banken Südeuropas durch eine exzessive Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank noch sehr lange hinzunehmen.

Auch hier gilt: Das stimm nur, wenn die Deutschen tatsächlich unbegrenzt haften würden. Das tun sie aber nicht. Und übrigens dürfte auch ohne Bankenunion keine Bundesregierung zusehen, wie in Südeuropa massenweise Banken kollabieren. Interveniert wird und wurde in solche Fällen, wenn man sich einen  Nutzen davon verspricht und nicht aufgrund irgendwelcher Abmachungen. 

Man kann an der Bankenunion sicher viel kritisieren – aber Sinn kritisiert nicht das diese Woche vom Kabinett verabschiedete Gesetz, sondern ein Zerrbild desselben.

Update: Stephan Ewald hat das Szenario sehr schön beschrieben, dass eintreten müsste, damit die Bilanzsumme die relevante Größe für die Kosten der Bankenrettung ist.