Ich kann der These etwas abgewinnen, dass sich das Trendwachstum der Weltwirtschaft seit 2010 deutlich verlangsamt hat. Wenn das so ist, ist die Outputlücke, also die Unterauslastung der Produktionskapazitäten, nicht so groß, wie ich es bisher vermutet hatte – so dass dann auch das Deflationsrisiko geringer ist.
Warum sollte es dazu gekommen sein? Durch die Finanzkrise hat sich das Gewicht des Wohnungsbaus und des Finanzsektors deutlich vermindert, ohne dass bisher gleichwertiger Ersatz gefunden worden wäre. Ein Nebeneffekt waren die übermäßigen Defizite der öffentlichen Hand, die die Staaten zwangen, durch sparsames haushalten ihre Kreditwürdigkeit wiederherzustellen.
Zwei weitere wichtige Branchen sind ebenfalls im Umbruch und verlieren an Bedeutung: der Einzelhandel durch das Internet, und alle Industrien, die mit fossilen Brennstoffen zu tun haben, durch die zunehmende Energieeffizienz und das Vordringen alternativer Energiequellen.
Das Deflationsrisiko besteht aber nach wie vor. Zum Einen ist der Schuldenabbau noch nicht beendet. Zum Anderen zeigen die meisten Rohstoffpreise und die Frachtraten, dass man noch nicht von einem endgültigen Aus der Deflation sprechen kann.
Immerhin ist es wahrscheinlicher geworden, dass es in den Industrieländern mit der Konjunktur wieder aufwärts gehen wird. Die expansive Wirtschaftspolitik beginnt Wirkung zu zeigen. In den USA ist die Arbeitslosenquote auf 5,5 Prozent gesunken, die Beschäftigung nimmt mit Raten von über zwei Prozent zu und das reale BIP steigt auf absehbare Zeit mit Raten von fast drei Prozent. Die Fed jedenfalls ist dabei, die Zinswende einzuleiten. Nach einer Abstinenz von über sechs Jahren wird sie die Zinsen dieses Jahr wieder anheben. Von den Inflationsraten und insbesondere dem Wechselkurs her brauchte sie das nicht zu tun – es ist ihr aber wichtig, den Kontakt zwischen boomender Wirtschaft und den Leitzinsen nicht abreißen zu lassen.
Im Euroland sieht es auch etwas besser aus, als ich bisher gedacht hatte. Der schwache Euro, die niedrigen Ölpreise, das Ende der finanzpolitischen Restriktionen und die kommenden massiven Wertpapierkäufe der EZB beginnen Wirkung zu zeigen. Vor allem in Deutschland läuft die Wirtschaft auf immer höheren Touren. Im Januar lagen die realen Einzelhandelsumsätze um 5,3 Prozent über ihrem Vorjahreswert, während die Industrieproduktion zu Beginn des Jahres so kräftig angesprungen ist, dass auch im ersten Quartal mit einer Zuwachsrate von 0,7 Prozent oder mehr gegenüber dem Vorquartal zu rechnen ist.
An den europäischen Bondrenditen zeigt sich bislang noch nicht, dass die EZB die Inflationsrate auf knapp unter zwei Prozent treiben will. Sie hat aber, dass sollte man nicht vergessen, die Mittel dazu. Ich denke, es wird dann zu einer Wende bei den zurzeit rekordniedrigen Renditen kommen, wenn der Abstand zu den steigenden amerikanischen Renditen zu groß geworden ist.
Insgesamt ist an den US-Märkten zunächst mit einer flacheren Renditekurve zu rechnen, an den Euro-Märkten mit einem weiteren Rückgang der Spreads und über kurz oder lang mit steileren Renditekurven. Die Aktienmärkte werden ihren Aufschwung spätestens dann beenden, wenn die Fed mit der Zinswende ernst macht.
Ausführliches zur Einschätzung der Deflationsrisiken und den Aussichten für Aktien, Bonds und Wechselkurse in meinem neusten Investment Outlook:
Wermuth’s Investment Outlook – Some Green Shoots, March 2015*) (pdf, 654 KB)
*) Der Investment Outlook von Dieter Wermuth ist in englischer Sprache verfasst und wird im Herdentrieb in loser Folge zum Herunterladen bereitgestellt. (UR)