Die Wirtschaftsprognosen der letzten Monate waren durchgängig recht positiv. Ich argumentiere hier, dass sie nach unten korrigiert werden müssen. Selbst das Risiko einer neuen globalen Rezession ist nicht auszuschließen.
Der wichtigste Indikator dafür, dass es nicht so gut läuft, ist der Welthandel. Wenn ich mir die Außenhandelspreise, den Containerumschlag in den wichtigsten Häfen oder die internationalen Frachtraten ansehe, hat er offenbar seit einigen Quartalen stark an Dynamik eingebüßt, vielleicht schrumpft er inzwischen sogar. In den vergangenen Jahrzehnten ist es immer dann zu einer globalen Rezession gekommen, wenn er rückläufig war.
Das bedeutet, dass die Kapazitätsauslastung wieder sinkt und mit ihr höchstwahrscheinlich auch die Inflationsraten, mit der Folge, dass die führenden Notenbanken, einschließlich der amerikanischen, bei ihrer expansiven Politik bleiben werden; die EZB wird versuchen, zusätzlich Gas zu geben.
Auslöser der neuen Wachstumsschwäche war China, wo der Strukturwandel – weg von der Industrieproduktion, den Exporten und der Infrastruktur, hin zur Binnennachfrage und zu Dienstleistungen – Reibungsverluste mit sich bringt. Zudem war es während der Boomjahre zu Überinvestitionen und kreditgetriebenen Blasen bei Immobilien und Aktien gekommen. Die Verschuldung hatte gefährliche Dimensionen angenommen und hat jetzt offenbar zu einem Deleveraging geführt, also einem forcierten Schuldenabbau, der die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen hart getroffen hat. Das Wachstum des realen BIP hat sich von 10,5 Prozent in der Dekade bis 2012 auf weniger als sieben Prozent vermindert.
Weil sich China, der wichtigste Käufer von Rohstoffen, sichtbar zurückhält, sind die Preise für Erdöl, Kohle, Stahl und die meisten anderen Rohstoffe eingebrochen. Zudem hat sich das OPEC-Kartell de facto aufgelöst. Seit dem Sommer 2014 hat sich Erdöl der Sorte Brent um 72 Prozent verbilligt, ohne dass schon feststeht, dass es damit sein Bewenden haben wird. Wenn es auf einem Markt keine Kartelle gibt, richtet sich der Preis nach den Kosten des Grenzanbieters – und die dürften bei weniger als 15 Dollar liegen.
Alle wichtigen rohstoffexportierenden Länder wurden hart getroffen und sind jetzt gezwungen, ihre Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen einzuschränken. Andererseits profitieren die Importeure von Rohstoffen durch den Preiseinbruch – ihre Realeinkommen haben überraschend stark zugenommen. Das gilt vor allem für den Euroraum, mit Deutschland an der Spitze, aber auch für Japan. In China werden die Vorteile überlagert von den übrigen Problemen, mit denen das Land zurzeit zu kämpfen hat.
Die Anleihemärkte werden durch die anhaltend expansive Geldpolitik und die nach wie vor niedrigen Inflationsraten auf absehbare Zeit gut unterstützt; das schließt die USA ein. Aktien dürften zunächst einmal schwach bleiben: Den Anlegern wird wohl zunehmend klar, dass die Weltwirtschaft möglicherweise auf eine neue Krise zusteuert und die Gewinnprognosen zu optimistisch waren. Mit Zukäufen hat es keine Eile.
Ausführliches zu den globalen Risiken und den Aussichten für Aktien, Bonds und Währungen finden Sie in meinem neusten Investment Outlook:
Wermuth’s Investment Outlook – Global economy slows, deflation risks on the rise again, January 2016*) (pdf, 581 KB)
*) Der Investment Outlook von Dieter Wermuth ist in englischer Sprache verfasst und wird im Herdentrieb in loser Folge zum Herunterladen bereitgestellt. (UR)