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Schäuble will höhere Leitzinsen

 

Unser Finanzminister setzt sich in diesen Tagen dafür ein, im Verein mit seinem amerikanischen Kollegen die lockere Geldpolitik zu beenden, dass endlich die Zinsen steigen. Klar, es wäre aus Sicht der kleinen Sparer und der Versicherungen angenehmer, wenn es wieder Zinseinnahmen gäbe, aber so einfach ist die Sache nicht. Natürlich ist die EZB verantwortlich für die Leitzinsen. Sie könnte den Hebel einfach umlegen. Aber warum sind die Zinsen so niedrig, und wäre es nicht kontraproduktiv, sie jetzt zu erhöhen? Kann die EZB irgendetwas dafür, dass die Inflationsrate im Euroraum bei null liegt und sie dadurch mit ihrer Zinspolitik gegensteuern muss? Sehe ich nicht.

Vielmehr halte ich Herrn Schäuble, als Finanzminister der größten europäischen Volkswirtschaft, für mitverantwortlich, und zwar nicht nur ein bisschen, für die Null bei der Inflation und den Sparzinsen. Er hat, in seinem Stolz auf die schwarze Null, jahrelang eine unnötig restriktive Finanzpolitik betrieben und damit verhindert, dass sich im Euroraum die Lücke zwischen BIP und Produktionspotenzial schloss oder die Arbeitslosigkeit nachhaltig zurückging. Den großen finanzpolitischen Spielraum unseres Landes hat er zulasten der Nachbarländer, aber auch unserer künftigen Generationen einfach nicht genutzt.

Es ist doch so: Solange in den Fabriken und Büros der Währungsunion gewaltige Kapazitäten brachliegen und das Angebot an Jobs der Nachfrage deutlich hinterherhinkt – die Arbeitslosenquote beträgt immer noch mehr als zehn Prozent –, lassen sich weder Löhne noch Preise so erhöhen, dass es zu Inflation kommt. Dagegen kann die EZB, auf sich selbst gestellt, wenig machen. Wirtschaftspolitik ist nicht nur Geldpolitik, die Finanzpolitik gehört ebenso dazu wie eine Strukturpolitik mit Augenmaß. Ich kann nichts Gutes darin erkennen, in einer Zeit schwachen Wirtschaftswachstums und rekordniedriger Langfristzinsen das Hauptaugenmerk auf den Rückgang der Schuldenquote und einen Überschuss im Staatshaushalt zu richten.

Hat Deutschland nicht einen gewaltigen Nachholbedarf an öffentlichen Investitionen? Selbst wenn die Renditen der zehnjährigen Bundesanleihen als Folge einer staatlichen Investitionsinitiative von jetzt 0,1 Prozent auf zwei Prozent steigen sollten, wo wäre da der Nachteil? Die Anleger dürfte es freuen – und es würde etwas Gutes für die Sparer, die Sparkassen und Versicherungen erreicht, ganz wie es sich Herr Schäuble wünscht. Zur Erinnerung: Man kann nur sparen und Zinseinkommen erzielen, wenn etwas produziert wird. Anders ausgedrückt: Wenn die Wirtschaft wieder kräftiger expandiert, stimuliert durch einen Anstieg der staatlichen Nachfrage, nehmen die Einkommen wieder stärker zu, vermutlich sogar die Nachfrage nach Krediten, an der es augenblicklich so sehr fehlt.

Zugegeben: Wenn auf einmal die südlichen Länder der Währungsunion die Gunst der Stunde nutzten und ihrerseits finanzpolitisch Gas gäben, also eine neue Verschuldungsrunde einläuteten, wäre es erst mal nichts mit ihrer strukturellen Gesundung. Bei der nächsten Krise würden sie vielleicht wieder ins Schleudern kommen und müssten von uns Gläubigern gerettet werden. Ein Deal müsste daher folgendermaßen aussehen: Deutschland betreibt für ein paar Jahre eine aggressive Wachstumspolitik und die Länder mit geringem finanziellen Spielraum halten sich im Gegenzug zurück und setzen die Haushaltskonsolidierung fort. Beide Seiten würden gewinnen, die Inflation würde endlich wieder anziehen. Nur wenn Deutschland stärker expandiert, können die Krisenländer ihre Schulden durch vermehrte Exporte an uns (und die Niederlande, Österreich und Finnland) bedienen und auf diese Weise kreditwürdiger werden – und die Gläubiger bekämen mit größerer Wahrscheinlichkeit ihr Geld zurück.

Im Übrigen ist die Inflation möglicherweise auch deshalb so niedrig, weil sich die Zuwachsraten der Produktivität in den kapitalreichen Ländern der OECD stark vermindert haben, sodass sich die Löhne nicht mehr so anheben lassen, wie das früher üblich war. Ohne Lohninflation keine Inflation der Verbraucherpreise! Das Thema säkulare Stagnation wird unter Ökonomen zunehmend als ein strukturelles Phänomen wahrgenommen. Hinzu kommt, dass durch die immer intensivere internationale Arbeitsteilung ein globaler Arbeitsmarkt entstanden ist, auf dem die sogenannten Grenzanbieter in China und Indien bestimmen, wie stark die Löhne bei uns steigen können. Das gilt vor allem für einfache Arbeiten. Nicht nur Euroland, auch die USA, Japan und Großbritannien sind von solchen Entwicklungen betroffen – daher auch der sehr synchrone Rückgang der internationalen Inflationsraten und Leitzinsen. Die europäische Geldpolitik unterscheidet sich nicht qualitativ von der anderer Notenbanken. Sie haben alle mit ähnlichen Problemen zu kämpfen.

Was ich Herrn Schäuble auch vorwerfe: dass er nichts oder nicht erkennbar viel dafür tut, dass es mit der Bankenunion und der europäischen Fiskalunion vorangeht. Auf Dauer braucht die EZB einen Partner, nennen wir ihn mal eine Treasury, ein Schatzamt, das ihrer Politik Flankenschutz geben kann. Vor lauter Angst vor den Eurogegnern liegen solche Themen auf Eis. Erfahrungsgemäß bringt es aber nichts, den Kopf in den Sand zu stecken und auf bessere Zeiten zu hoffen. Politiker werden gewählt, um die Probleme des Gemeinwesens zu lösen und gelegentlich auch mal eine Perspektive zu entwickeln, die über die Vorteile sparsamen Haushaltens hinausgeht. Immer nur sparen, was bringt das denn auf Dauer?