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Doch, Bush hat gelogen!

Guten Morgen, Kollegen!

Heute teilt die Frankfurter Allgemeine Zeitung ihren Lesern – ein wenig schamhaft versteckt auf Seite 2 unten – folgendes mit:

„Das Weiße Haus hat nach Veröffentlichung der Medienberichte seine Darstellung verändert, seit wann Bush von den neuen Informationen wisse. Bushs Sprecherin bestätigte, dass der nationale Geheimdienstdirektor Mike McConnell Bush schon im August informiert habe, dass Iran ein verstecktes Atomprogramm habe, dieses aber womöglich unterbrochen habe. McConnell habe bei dieser Gelegenheit den Präsidenten zwar darauf aufmerksam gemacht, dass die nächste Nationale Geheimdiensteinschätzung anders ausfallen könnte; zugleich habe er den Präsidenten aber vor voreiligen Schlüssen gewarnt.“

Dazu kann ich nur sagen: ZEIT-Leser wissen mehr (und früher).

Mit anderen Worten: Bush hat bereits ein zweites Mal in dieser Sache gelogen – zunächst hat er über die Natur der iranischen Gefahr – nach dem besten ihm zugänglichen Wissen (das seiner 16 Geheimdienste) – gelogen und dann über die Frage, wann er informiert worden sei.

Dies war bereits am Dienstag mehreren seriösen amerikanischen Medien zu entnehmen. Die FAZ findet es aber erst jetzt mitteilenswert, nachdem die Regierung ertappt dasteht. Und selbst dann gibt sie 1:1 den Spin der Sprecherin weiter, Bush sei vor „voreiligen Schlüssen“ gewarnt worden.

Wahrscheinlicher ist es wohl, dass es bei den Bush-Leuten im Herbst noch die letzte Hoffnung gab, man könne die Geheimdienste ein weiteres Mal gefügig machen. Das läßt sich aus dem Bericht von Gareth Porter erschließen, der von einem Kampf um das NIE berichtet, der bereits über ein Jahr gedauert habe. Porter berichtet von mehreren Versuchen der Weissen Hauses, einen „passenden“ Geheimdienstbericht zu bekommen.

Und dann: Was macht Bush, wenn der Geheimdienstdirektor ihn angeblich vor „voreiligen Schlüssen“ warnt? Er eskaliert rhetorisch und spricht vom „Dritten Weltkrieg“.

Übrigens hat Bush in der Pressekonferenz, in der das Weltkrieg-Wort fiel, auch ganz nebenbei die Kriterien für den Iran hoch gesetzt. Präsident Bush ließ das Wort merkwürdig beiläufig fallen, als Journalisten ihn bedrängten, Putins Besuch in Teheran und das iranische Nuklearprogramm zu kommentieren. Ein „Dritter Weltkrieg“ drohe, sagte Bush, wenn Iran nicht gehindert werde, das Knowhow für eine Atombombe zu erwerben.

Im Licht unseres heutigen Wissens ist diese Verschiebung in der Iranpolitik bedeutsam. Sie spricht dafür, daß Bush schon wußte, dass es ein Programm nicht (oder nicht mehr) gab, und darum lenkte der den Focus auf das Knowhow, das der Iran ja auch ohne Programm erwerben kann.

Der Präsident hatte nicht mit drastischen Worten bloß die alte Position bekräftigt („alle Optionen auf dem Tisch“). Er hatte die rote Linie im Irankonflikt neu gezogen: Galt bisher der Erwerb der Bombe als „unakzeptabel“, sollte nun schon der nukleartechnische Wissenserwerb ein Kriegsgrund sein.

Nun denn, vorerst wird nichts daraus. Und eben dies, scheint mir, ist das Ziel des Aufstandes der Militärs und Geheimdienstler gegen ihren obersten Befehlshaber. Darum nämlich geht es hier. Das amerikanische Top Brass der größten Militärmaschine der Welt hat genug!

Wie ich schon sagte: Ein großartiges Land, die USA!

 

Der abgesagte III. Weltkrieg

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© Foto: Getty Images; Montage: Meike Gerstenberg

Mein Artikel über die Kehrtwende der amerikanischen Geheimdienste in der Frage des iranischen Atomprogramms ist jetzt hier komplett online.

Woher kommt die neue  Einschätzung? Heute schreibt die New York Times (Auszug):

American intelligence agencies reversed their view about the status of Iran’s nuclear weapons program after they obtained notes last summer from the deliberations of Iranian military officials involved in the weapons development program, senior intelligence and government officials said on Wednesday.

The notes included conversations and deliberations in which some of the military officials complained bitterly about what they termed a decision by their superiors in late 2003 to shut down a complex engineering effort to design nuclear weapons, including a warhead that could fit atop Iranian missiles.

The newly obtained notes contradicted public assertions by American intelligence officials that the nuclear weapons design effort was still active. But according to the intelligence and government officials, they give no hint of why Iran’s leadership decided to halt the covert effort.

Ultimately, the notes and deliberations were corroborated by other intelligence, the officials said, including intercepted conversations among Iranian officials, collected in recent months. It is not clear if those conversations involved the same officers and others whose deliberations were recounted in the notes, or if they included their superiors.

The American officials who described the highly classified operation, which led to one of the biggest reversals in the history of American nuclear intelligence, declined to describe how the notes were obtained.

 

Puh, doch kein Weltkrieg!

Ich habe für die morgige Ausgabe mit einigen Kollegen in Brüssel, Iran, Moskau, Tel Aviv und Washington eine Titelgeschichte geschrieben. Daher die Zurückhaltung hier. Verzeihung.
Der Artikel handelt von dem ungeheuerlichen Vorgang eines amerikanischen Geheimdienstberichts, der den US-Präsidenten de facto  als Lügner und Kriegshetzer dastehen läßt, während er seinen weltpolitischen Konkurrenten – Achmadinedschad und Putin – Recht gibt in deren Darstellung des „iranischen Problems“. Eine Ungeheuerlichkeit, wie gesagt, die einen Amerika wieder lieben läßt.

– Ein Geheimdienst betreibt Selbstkritik vor der Weltöffentlichkeit.

– Die kriegsmüden Militärs und die ihrer Instrumentalisierung überdrüssigen Spione fallen dem eigenen Präsidenten in den Arm.

– Der gesamten Iran-Politik der Bush-Regierung wird der Teppich unter den Füßen weggezogen.

– Mehr noch: Wer braucht ein Raketenabwehrsystem, wenn es kein Bombenprogramm gibt.

– Der Dritte und der Vierte Weltkrieg werden einfach abgesagt.

– Bush ist am Ende, finito, kaputt.

– Der Erzfeind, angeblich ein apokayptisches Irrenregime, wird zurückgestuft zu einer regionalen Mittelmacht, die auch nur im Rahmen ihrer Rationalität ihre Interessen verfolgt und auf Anreize anspricht.

– Militärs und Geheimdienste setzen auf Diplomatie.

Sagenhaft. Mehr morgen im Print an einem Kiosk Ihres Vertrauens.

 

Der unaufhaltsame Aufstieg des Kopftuchs

In einer breit angelegten Studie hat die die türkische Tageszeitung MILLIYET die Entwicklung bei der Häufigkeit des Kopftuchtragens in der Türkei messen lassen. Die heutige Europa-Ausgabe präsentiert die Ergebnisse als Aufmacher.
Innerhalb der letzten vier Jahre hat sich die Zahl der „Türban“-Trägerinnen sich vervierfacht. (Der Türban wird eng gewickelt und bedeckt auch den Hals der Trägerin. Er ist klar neo-islamistisch geprägt, im Unterschied zum – in ländlichen Gebieten traditionell getragenen – normalen Kopftuch.) So tragen insgesamt 69,4 Prozent der Frauen ein Kopftuch (im Gegensatz zu 64,2 im Jahre 2003) und 16,2 Prozent davon den Türban (im Gegensatz zu 3,5 Prozent im Jahre 2003). Auffällig ist zudem, dass sich innerhalb der jüngeren Generation der Türban immer stärker durchsetzt. So sind 19,7 Prozent unter den 18 bis 28-jährigen Türban-Trägerinnen, während die über 44-jährigen nur zu 12,6 Prozent das islamisch geprägte Kopftuch tragen. Das Tragen bei beiden Formen des Kopftuches ist dabei stark vom Bildungsstand abhängig, so die Studie. Während nur 2,2 der Akademikerinnen ein Kopftuch tragen, sind es unter den Grundschulabsolventinnen mit 51,4 Prozent mehr als die Hälfte.

 

Ein Bär namens Mohammed

Wer sagts denn: Alle namhaften britischen Moslemverbände protestieren gegen das Urteil, das eine britische Lehrerin im Sudan getroffen hat, die einen Teddybären Mohammed genannt hatte.

Die britischen Muslime haben allen Grund, sich zu engagieren. Diese Affäre ist längst noch nicht überstanden. Denn zugleich gingen heute tausende Muslime im Sudan nach dem Moscheebesuch auf die Straße. Sie forderten die Todesstrafe für die Lehrerin, weil ihre Imame ihnen gerade vermittelt haben, das barbarische Urteil sei zu weich.

(Was ein kleines Freitagsgebet doch alles bewirken kann.)

Gillian Gibbons, eine Lehrerin, war gestern von einem sudanesischen Gericht zu 15 Tagen Haft verurteilt worden. Ihr Verbrechen: Sie hatte in einem Brief an die Eltern mitgeteilt, in der Klasse gebe es einen Teddybär, „den wir Mohammed nennen“. Ein Lehrer-Kollege hatte sie bei den Behörden in Khartum angezeigt.

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Gillian Gibbons Foto: privat

Das Urteil hat eine Welle öffentlicher Empörung in England ausgelöst. Der sudanesische Botschafter war einbestellt worden. Aussenminister David Milliband hat sich eingeschaltet und protestiert.

Sogar der zuletzt heftig kritisierte Muslim Council of Britain gehört zu den Kritikern des Urteils. Zitate:

„A disgraceful decision and defies common sense“ – MCBs statement
Additional statements from Muslim community organisations:

Federation of Muslim Organisations,Leicestershire
„…[the] only thing we can do to prevent some Muslims making a complete mockery out of Islam is to disassociate ourselves from such acts done in the name of Islam“
Abdulkarim Gheewala, Chair of FMO, endorsing the call made to Sudanese President on behalf of the UK Muslims to free Ms. Gibbons.

Federation of Students Islamic Societies
„We are deeply concerned that the verdict to jail a school teacher due to whats likely to be an innocent mistake is gravely disproportionate. What we have here is a case of cultural misunderstandings, and the delicacies of the matter demonstrate that it was not in the intention of Gillian Gibbons to imply any offense against Islam or Muslims. We hope that the Sudanese authorities will take immediate action to secure a safe release for Gillian Gibbons.“
Ali Al-Hadithi, FOSIS President

Merksatz: Einige Muslime machen „einen völligen Witz aus dem Islam“ – schön, dass dies endlich auch von anderen Muslimen gesehen wird.

 

Papst lädt Muslime zum Dialog in den Vatikan

Es geht voran im Dialog der Weltreligionen. Die Regensburger Rede des Papstes hat zwar zuerst wütende Gegenreaktionen ausgelöst, erweist sich aber zusehends als Startsignal eines ernsthaften Gesprächs nach dem Ende des Scheindialogs zwischen Christen und Muslimen.

Der Papst hat gestern auf den Brief der 138 islamischen Gelehrten geantwortet. Das bedeutet, dieser Mann

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hat Post bekommen – seine Königliche Hoheit Prinz Ghazi bin Muhammad bin Talal von Jordanien, der Initiator der beiden Briefe an den Papst. (Der Prinz ist auch Leiter des in Amman arbeitenden AAl-Al-Bayt-Instituts für Islamisches Denken, auf dessen Website der Appell der 138 veröffentlicht wurde.)

Der Papst erklärt seine Bereitschaft, eine Delegation der Unterzeichner zu empfangen und bietet an, eine Arbeitsgruppe aus Gelehrten beider Religionen ins Leben zu rufen.

Das sind gute Nachrichten! Die Wiederkehr der Diplomatie in die Kulturkämpfe unserer Tage ist nicht nur auf die Politik im engeren Sinn beschränkt. Es entwickelt sich endlich eine Art Religionspolitik, die es damit aufzunehmen versucht, dass einige der heißesten weltpolitischen Konflikte heute religiös eingefärbt sind. Um das Fernziel der Entpolitisierung der Religion zu erreichen, muss sich die gemäßigte Religion erst einmal politisieren, um den Extremisten etwas entgegen zu halten.

Hier der Volltext des Päpstlichen Briefes, überliefert durch den Staatssekretär des Vatikans, Tarcisio Bertone:

Seine Königliche Hoheit
Prinz Ghazi bin Muhammad bin Talal
The Royal Palace
Amman
Jordanien

Aus dem Vatikan, am. 19. November 2007

Ihre Königliche Hoheit,

Am 13. Oktober 2007 unterzeichneten 138 muslimische religiöse Führer, darunter auch Sie, Ihre Königliche Hoheit, einen Offenen Brief an Seine Heiligkeit Papst Benedikt XVI. und andere christliche Hirten. Sie wiederum waren so gütig, ihn Bischof Salim Sayegh vorzulegen, dem Vikar des Lateinischen Patriarchen von Jerusalem in Jordanien, mit der Bitte, ihn Seiner Heiligkeit zukommen zu lassen.

Der Papst hat mich gebeten, Ihrer Königlichen Hoheit und allen, die den Brief unterschrieben haben, seinen Dank zu übermitteln…. Weiter„Papst lädt Muslime zum Dialog in den Vatikan“

 

Rice: Ich verstehe die Palästinenser – wegen meiner Kindheit in Alabama

Erstaunlich, was da alles nach oben kommt über Annapolis:

Condoleezza Rice hat arabischen Teilnehmern  hinter verschlossenen Türen gesagt, sie verstehe das Leiden der Palästinenser, weil es sie an ihre Jugend im segregierten Süden der USA erinnere.

Aber auch die Angst der Israelis vor dem Selbstmordterror weckt bei ihr Erinnerungen.

Bericht hier.


 

Olmert: Ohne Zweistaatenlösung „wäre Israel am Ende“

Ein erstaunliches Interview des israelischen Premiers in Haaretz: Wenn die Zweistaatenlösung im Nahostkonflikt nicht kommt, sagt Ehud Olmert nach dem Annapolis-Gipfel in Washington, „dann sehen wir einem Kampf nach südafrikanischem Muster für das Wahlrecht auch in den besetzten Gebieten entgegen – und dann ist Israel am Ende“.
Warum? Weil dann die amerikanische Israel-Lobby aufhören würde einen solchen Staat zu unterstützen, der seinen Bürgern keine Demokratie und kein Wahlrecht für alle geben könne.

Zitat: „If the day comes when the two-state solution collapses, and we face a South African-style struggle for equal voting rights (also for the Palestinians in the territories), then, as soon as that happens, the State of Israel is finished,“ Prime Minister Ehud Olmert told Haaretz Wednesday, the day the Annapolis conference ended in an agreement to try to reach a Mideast peace settlement by the end of 2008.

„The Jewish organizations, which were our power base in America, will be the first to come out against us,“ Olmert said, „because they will say they cannot support a state that does not support democracy and equal voting rights for all its residents.“

Wer sagt da, der Mann meint es nicht ernst? Er spricht von Südafrika und zieht damit die Apartheids-Parallele! Der Premier Israels bringt sein eigenes Land in Vebindung mit der Rassenunterdrückung gegen die Schwarzen! Bei alle, was schief läuft, ist Israel eben doch ein tolles, freies Land.
Der Rest des Interviews findet sich hier.

 

Bushs Kehrtwende in Annapolis

Annapolis – Bescheidenheit war bisher keine Tugend der Bush-Regierung. Doch vor der Nahost-Friedenskonferenz in Annapolis waren der Präsident und die Aussenministerin manchmal bemüht, den Anspruch so weit herunterzudefinieren, dass es schon fast ans Absurde grenzte. Von einem „Gipfel“ durfte längst nicht mehr die Rede sein. Annapolis, hieß es, sei nur ein „Meeting“.
Das kontrastierte merkwürdig mit der Tatsache, dass Monate damit verbracht worden waren, jene Delegationen aus 49 Ländern nach Washington einzuladen, die am Montag und Dienstag das politische Leben und den Verkehr in der amerikanischen Hauptstadt lahmlegten.
Hinter der strategischen Bescheidenheit steckte die allzu berechtigte Angst vor einem Scheitern auf offener Bühne. Bis zuletzt war unter Druck von Condoleezza Rice an einer gemeinsamen Erklärung der Israelis und der Palästinenser gearbeitet worden. Zugleich bemühten sich die Spin Doctors des Weissen Hauses, die Erwartungen an eine solche Erklärung so weit wie möglich herunterzuschrauben.
Sie ist dann doch gelungen, zu allgemeinem Erstaunen, denn sie enthält eine Festlegung beider Seiten, auf die schon nicht mehr zu hoffen war. Am Dienstagmittag trat Präsident Bush sichtlich erleichtert und stolz mit Abbas und Olmert vor die Kameras und verkündete die Bereitschaft beider Seiten zu sofortigen Verhandlungen über „alle offenen Fragen“ – also Terrorismus, israelische Siedlungen, Grenzen eines palästinensischen Staates, Status Jerusalems und Rückkehrrecht für palästinensische Flüchtlinge – und zwar in der Absicht, bis zum Ende 2008 eine Übereinkunft zu erreichen. Die Steuerungskomittees aus beiden Parteien soll schon am 12. Dezember 2007 zum ersten Mal tagen. Olmert und Abbas umarmten sich zwar nicht, aber es gab doch einen herzlichen Händedruck.
Das taktische Erwartungsmanagement der Amerikaner ist aufgegangen. Dass es zu einer gemeinsamen Erklärung gekommen ist, die ein Datum nennt, an dem der Prozeß sich wird messen lassen müssen, ist „zwar noch kein Durchbruch“, wie Aussenminister Steinmeier in Washington sagte, „aber eine gute Grudlage für die schwere vor uns liegende Arbeit“. Es gibt nun zwar keinen klaren Zeitplan, aber doch ein Limit für Verhandlungen, das durch das Ende der Amszeit Bushs gegeben ist. Die Israelis waren vor Annapolis strikt gegen eine solche Festlegung.
In Annapolis ist kein einziges Problem des Friedensprozesses auch nur in Umrissen gelöst worden, wie alle Beteiligten zugestehen. Vielleicht war es aber auch weise, das gar nicht erst zu versuchen. Denn weder Abbas noch Olmert wären stark genug, ihren Völkern jetzt schon die schmerzhaften Zugeständnisse abzuverlangen – Aufgabe des Rückkehrrechts hier, Aufgabe eines Teils Jerusalems und vieler Siedlungen dort – , ohne die ihr Einverständnis am Ende null und nichtig wäre. Eine substantiellere gemeinsame Erklärung als die in Annapolis gefundene Formel – so paradox ist die Lage – könnte beide gefährden, weil sie dann von ihren jeweiligen Extremisten zuhause als Verräter und Ausverkäufer abgestempelt würden.
Die Riesen-Inszenierung von Annapolis drehte sich nicht um die strittigen Endstatusfragen, sondern eigentlich nur um ein Commitment für kommende Verhandlungen. So bot sich das seltsame Schauspiel einer Konferenz mit Rekordbeteiligung – von der arabischen Welt bis nach Senegal, Griechenland und Brasilien – von der alle Beteiligten eifrig versicherten, sie selbst sei gar nicht so wichtig wie der durch sie angestoßene Prozeß.
Annapolis aber war, wie es jetzt scheint, keineswegs nur eine Art Meta-Ereignis, eine Konferenz über die Unmöglichkeit einer Konferenz. So hatten es abgebrühte Beobachter wie jener israelische Delegierte erwartet, der Annapolis sarkastisch zur „Mutter aller Gruppenfotos“ erklärte. Zweifellos sei es auch darum gegangen, die finstere Nahost-Bilanz von Bush und Rice aufzuhellen, war in der deutschen Delegation zu hören. Aber die verbreitete zynische Lesart der Konferenz laufe Gefahr, betonten deutsche Diplomaten, dass ein veritabler Politikwechsel durchs Wahrnehmungsraster falle.
Noch vor wenigen Monaten, sagte der deutsche Aussenminister Steinmeier in Washington, wäre es undenkbar gewesen, dass Olmert und Abbas auch nur diesen ersten Schritt gehen würden. Nun haben sie Verhandlungen eröffnet, flankiert und unterstützt von „Staaten, die nicht einmal diplomatische Beziehungen miteinander unterhalten“ (Steinmeier). Steinmeier machte sich in Washington für den „Post-Annapolis-Prozess“ stark. Am Dienstagnachmittag gelobte er in seiner Rede für die deutsche Seite Unterstützung bei der Gestaltung des „Follow-Up“.
Annapolis, so sieht es Steinmeier, hat sich schon im Vorfeld der Konferenz positiv ausgewirkt. Das zeige die Freilassung palästinensischer Gefangener durch Israel und „eine spürbare aber noch nicht ausreichende Verbesserung in den palässtinensischen Gebieten“. „Noch nie habe ich so viel Willen zum Erfolg gesehen wie hier“, sagte Steinmeier in Washington. Deutschland will helfen, die palästinensischen Sicherheitskräfte besser auszustatten und auszubilden. Die Deutschen prüfen bereits Wirtschaftshilfe-Maßnahmen für die palästinensischen Gebiete, wie etwa die Entwicklung eines Industrieparks im nordpalästinensischen Dschenin.
Neben der überraschenden Einigung in letzter Minute regt vor allem die Teilnahme der Syrer die politische Phantasie an, noch so eine Undenkbarkeit, die in letzter Minute kurzerhand umgestoßen wurde.
Steinmeier verfolgt seit Jahren das Ziel, Damaskus einzubinden und hat sich dafür harsche Kritik eingefangen. Wenn er die Einladung der Syrer nach Annapolis als Sieg der pragmatischen Vernunft über die Freund-Feind-Logik der früheren Bush-Politik lobt, dann ist darin auch ein wenig Eigenlob enthalten. Steinmeier kann sich durch die Wende der Amerikaner zu Recht bestätigt fühlen, hat er doch schon für die Einbeziehung Syriens plädiert, als dies noch tabu war. Aus Washington – und auch aus dem Kanzleramt – hatte es seinerzeit massive Kritik an seiner Reisediplomatie nach Damaskus gegeben. Er sei aber „niemals naiv“ an die Syrer herangegangen, sagt er heute mit sichtlicher Genugtuung. Die deutschen Damaskusbesuche waren keine Umarmungsstrategie, sondern Tests der syrischen Bereitschaft, Teil einer Lösung des Nahostkonflikts statt nur Teil des Problems zu sein, heißt es in der deutschen Delegation. Die Entsendung des syrischen Vizeaußenministers nach Annapolis wird als Zeichen gedeutet, dass Damaskus immerhin darüber nachdenke, „ob sein Glück auf Dauer an der Seite Teherans liegen kann“, sagt ein deutscher Diplomat. Der Aussenminister liest die syrische Gesprächbereitschaft auch als Signal an die Hamas, dass die Putschisten von Gaza sich ihrer syrischen Freunde nicht allzu sicher sein sollen.
Für Steinmeier hat es auch einen innenpolitischen Nebeneffekt, dass die Amerikaner nun die syrische Karte spielen wollen – er sieht in dem Umdenken von Rice und Bush einen Beleg für die Richtigkeit seiner Haltung, dass die Aussenpolitik „mehr dürfen und mehr versuchen“ muss, Gespräche mit „schwierigen Partnern“ inklusive. Ein Schelm, wer darin ein Echo der Debatte zwischen Steinmeier und Merkel um den Umgang mit Chinesen und Russen erkennt.
Es sei bei den arabischen Teilnehmern sehr positiv aufgenommen worden, sagte Steinmeier an der Kaimauer der Naval Academy, daß Olmert nicht nur zum eigenen Volk geredet habe, sondern „sehr verständnisvolle Worte für das Leiden der Palästinenser gefunden“ habe. Es könnte „ein Signal der Hoffnung für die Region ausgehen“, sagt der Aussenminister. Für den geborenenen Pathos-Feind Steinmeier ist das schon hart an der Grenze: Von einem wirklichen Durchbruch, schiebt er denn auch gleich nach, könne man aber erst dann reden, „wenn wir bei den Grundproblemen echte Fortschritten auf beiden Seiten sehen“.
In Wahrheit aber ist Annapolis ein höchst riskanter Versuch, dieses Kalkül hinter sich zu lassen. Die nach Syrien ausgestreckte Hand ist ein Indiz dafür. Ein anderes liegt darin, dass an die Stelle jener unerfüllbaren Vorbedingungen – „totales Ende des Terrors“, „völliger Baustop in den Siedlungen“, die beiden Seiten immer wieder als bequeme Ausrede fürs Nichtstun dienen konnten, jetzt sofortige, voraussetzungslose Verhandlungen über die Kernfragen treten sollen. George W. Bush hat in letzer Minute etwas Erstaunliches getan: Er hat sein politisches Schicksal mit einem neuen Friedensprozess verbunden, der mit der Logik seiner bisherigen Nahostpolitik bricht.