Was ist los mit Ramin Jahanbegloo? Nach seiner Entlassung aus dem berüchtigten Teheraner Evin Gefängnis hat der international renommierte Philosoph mit einem „Geständnis“ große Verwirrung gestiftet.
Das Verhalten des Philosophen unmittelbar nach seiner überraschenden Freilassung wirft bei seinen Freunden und Unterstützern besorgte Fragen auf. Der Fall scheint mehr mit dem Kollisionskurs des Regimes zu tun zu haben, als man zunächst annehmen konnte, möglicher Weise sind sogar höchste Stellen in die Sache verwickelt.
Nach vier Monaten im Gefängnis (rechts unten: Eingangstor) – ohne regelrechte Anklage – wurde Jahanbegloo am 30. August ohne weitere Begründung auf Kaution entlassen. Angesichts der Schwere der Vorwürfe, die aus regierungsnahen Kreisen zirkuliert wurden – „Spionage“, „Vorbereitung einer samtenen Revolution im Iran“ – muss diese abrupte Entlassung verwundern.
Eine mögliche Erklärung mag darin liegen, daß am 31. August das Ultimatum des UN-Sicherheitsrates gegen Iran verstrich. Die Entlassung eines Dissidenten, der in der Folge gesteht, für den Westen gearbeitet zu haben, könnte das Regime als eine willkommene Ablenkung von dem Druck betrachtet haben, unter dem es sich befindet. Zugleich sollte es offenbar intern als Bestätigung der Regierungspropaganda über die feindlichen Bestrebungen westlicher Mächte inszeniert werden.
Jahanbegloo wurde, wie jetzt bekannt wurde, von Beamten des iranischen Sicherheitsapparats nach Hause begleitet – mit einer Schachtel Süßigkeiten versehen, wie es der traditionellen iranischen Weise entspricht, ein glückliches Ereignis zu feiern.
Sofort darauf suchte er die halboffizielle iranische Studenten-Nachrichtenagentur ISNA auf, um in einem „Interview“ über seine Haft zu berichten. ISNA genießt im Land eine gewisse Glaubwürdigkeit.
In diesem Interview sagte Jahanbegloo, Geheimdienstmitarbeiter gegnerischer Staaten hätten an Seminaren teilgenommen, die er im Ausland gegeben habe. Diese Agenten hätten ihn und seine Expertise über Iran zu feindlichen Zwecken benutzen wollen.
Er sagte, eine vergleichende Studie über die osteuropäischen Zivilgesellschaften und den Iran, die er für den transatlantischen Thinktank German Marshall Fund anfertigen wollte, hätte benutzt werden sollen, um den Umsturz im Iran zu planen.
(Dies ist grotesk: der GMF ist ein regierungsfernes, politisch pluralistisches Netzwerk von amerikanischen und europäischen Experten, das nichts mit eventuellen Regime-change-Plänen der US-Regierung zu tun hat.)
Weiter gestand Jahanbegloo, daß Websites, auf denen seine Arbeiten veröffentlich worden sind, von „Geheimdienstleuten“ unterhalten würden – was wiederum impliziert, daß diese Websites von Staaten betrieben werden, die dem Iran feindlich gesinnt seien. (Ebenfalls grotesk: Jahanbegloo hat einige Stücke bei openDemocracy veröffentlicht, einer unabhängigen, tendenziell sehr Bush-kritischen Website.)
Das selbsterniedrigende Interview überrraschte offenbar die ISNA-Reporter. Jahanbegloo betonte mehrmals, seine Arbeit enthalte das Potential zur Manipulation durch fremde Mächte. Er plädierte auch dafür, Seminare und Konferenzen innerhalb des Irans abzuhalten, um sich nicht Mißbrauch im Ausland auszusetzen. (Jahanbegloo hatte während der Jahre vor Ahmadinedschad viele westliche Denker in den Iran geholt, wie etwa Michael Walzer, Richard Rorty, Jürgen Habermas. Damit soll ganz offensichtlich Schluß sein, ja diese Besuche, die Teherans Studenten inspirierten, sollen im Nachhinein diskreditiert werden.)
Der unmittelbare Grund für seine Verhaftung, schreibt der Soziologe Rasool Nafisi (links) auf der Website openDemocracy, sei ein Projektaufriß, den Jahanbegloo für den German Marshall Fund geschrieben hatte. In diesem Papier habe er die iranischen und die osteuropäischen Intellektuellen verglichen und angeblich Mutmassungen über den Zusammenhang zwischen der Stärke der Zivilgesellschaft und den Umsturzwillen der Bevölkerung angestellt. Dieses Papier geschrieben zu haben, so Jahanbegloo in seinem „Interview“, sei ein Fehler gewesen.
Er habe sich irreführen lassen, daß die Studie als eine wissenschaftliche Arbeit intendiert sei, während es in Wirklichkeit immer nur um die Durchkreuzung der nationalen Interessen des Iran gegangen sei – was er freilich niemals beabsichtigt habe. (Welche Demütigung für einen der renommiertesten Denker des Landes!)
Er wolle in Zukunft seine Arbeit in Indien fortsetzen und sich aus politischen Dingen heraushalten.
Er sei im übrigen im Evin-Gefängnis gut behandelt worden, die Zustände dort seien nicht vergleichbar mit Abu Ghraib oder Guantanamo. Er habe lesen und schreiben, Fernsehen schauen und einen Arzt konsultieren können.
Was hat dies alles zu bedeuten?
Rasool Nafisi glaubt, das Interview solle, genau wie die Verhaftung Jahanbegloos eine „Botschaft an die iranischen Intellektuellen schicken: Haltet Euch aus der Politik heraus, vermeidet Kontakt mit Ausländern, schreibt nicht für deren Medien. Dieser Ansatz paßt zu einer neuen Anordnung des Ministeriums für Islamische Führung, die Iranern verbietet, Interviews an Medien außerhalb der iranischen Republik zu geben.“
Ich möchte hinzufügen: Das Ganze ist auch eine wirksame Botschaft an eben jene westlichen Medien und Austausch-Organisationen. Wenn Ihr Leute wie ihn einladet, und mag der Anlaß auch noch so unverfänglich sein, dann gefährdet Ihr deren Leben. Also laßt es lieber.
Rasool Nafisi sieht in diesem Fall eine neue Taktik des Regimes gegen unabhängige, freie Denker – und zwar „eine, die wesentlich subtiler ist als Folter und Morde auf offener Straße. Neben den üblichen Methoden, iranische Intellektuelle zu diskreditieren, ruhig zu stellen oder außer Landes zu treiben, beinhaltet die Taktik eine Kombination von willkürlicher Verhaftung und finanziellem Druck. Es drohen schmerzhafte wirtschaftliche Folgen, wenn der Entlassene den Anordnungen der Behörden zuwider handelt.“
Nafisi weiß zu berichten, daß kritische Journalisten nach willkürlichen Verhaftungen und Verhören nur dann freigelassen wurden, wenn sie den Besitz ihrer Familie als Kaution hinterlegten. Eine Journalistin, die ihre kranke Mutter besuchte, wurde gezwungen, das Haus der Mutter als Kaution einzusetzen. Das Haus wird konfisziert, falls die Journalistin weiter kritisch schreibt und sich der Anordnung des Ministeriums entzieht, in den Iran zurückzukehren.
Diese neue Erpressungstaktik, meint Nafisi, sei viel effektiver als die altmodischen TV-Beichten, denen ohnehin niemand mehr glaubte – und von denen sich die Betroffenen später leicht distanzieren konnten.
Es scheint, so Nafisi, daß Jahanbegloo die Freiheit und ein Pass versprochen worden seien, falls er bereit sei, einer „Agentur seiner Wahl“ ein Interview mit seinem „Geständnis“ zu geben.
Das Angebot hatte allerdings einen Haken. Um sicher zu stellen, daß Ramin Jahanbegloo sich wirklich an den Deal hält, mußte er zwei Häuser als Kaution verpfänden: das seiner Mutter und sein eigenes.
Außerdem scheint der Fall noch weitere innenpolitische Implikationen zu haben. Payam Akhavan, Juraprofessor in Montreal und Menschenrechtsaktivist, will aus mehreren Quellen erfahren haben, daß Jahanbegloo in seiner Einzelhaft gezwungen wurde, ein Geständnis abzulegen, das politische Gegner Ahmadinedschads (vermutlich aus dem Reformlager) belastet. Dieses Geständnis soll benutzt worden sein, um von den Betroffenen politische Konzessionen zu erpressen.
Jahanbegloo leugnet gegenüber ISNA, ein solches Geständnis abgelegt zu haben. Dre iranischen Generalstaatsanwalt Najaf-Abadi allerdings hatte vor zwei Wochen behauptet, es existiere eine Bandaufzeichnung. Jahanbegloo habe der Ausstrahlung im Fernsehen zugestimmt. „Ob diese Ausstrahlung stattfindet, das isteine andere Frage,“ sagte Najaf-Abadi gegenüber Reportern.