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Der Times-Square-Bomber: „a modern boy“

Der Attentäter vom Times Square kommt nach einem Bericht der pakistanischen Tageszeitung Dawn aus guter Familie:

Der Vater war ein höherer Offizier der Air Force Pakistans, die Familie lebte in dem Dorf Mohib Banda bei Peschawar in einem villenartigen Anwesen. Er wurde liberal erzogen und besuchte Eliteschulen und Universitäten wie üblich im pakistanischen Establishment. Die Familie hatte angeblich keine starken religiösen Bindungen, geschweige denn Kontakte zu Militanten.

“He was clean shaven here but I now see a change. He has grown beard in the United States,” said Ahmad, the 50-year-old former mayor of Mohib Banda.

 

Migranten gegen Einwanderung

Interessante Reportage aus Luton, 50 Meilen nordwestlich von London, einen Tag vor der Wahl in Großbrittanien, in der New York Times:

Einwanderung ist eines der wichtigsten Themen für die Wähler. Alle Parteien versprechen eine Limitierung der Einwanderungszahlen, die in den letzten Jahren besonders nach oben geschnellt sind durch die (ost)europäische Freizügigkeit. Und so stehen nun in Luton Menschen aus Bangladesch und Pakistan gegen die Polen, die dort in den vergangenen Jahren auf den Arbeitsmarkt gedrängt sind.

Gegen Einwanderung sind nicht mehr bloß die Weißen aus der Unterschicht wie in früheren Jahren, sondern auch Menschen wie Mr. Qurban, der vor der Moschee von Bury Park fogendes sagt:

“I think this country is coming overpopulated, too many people coming in from everywhere, especially Europe,” Mr. Qurban said, as fellow worshipers nodded in assent. In particular, he said, thousands of Poles in Luton were taking jobs from the children and grandchildren of a previous generation of immigrants like himself, those who arrived from Pakistan in one of Britain’s early waves of migration in the 1960s.

 

Die Grenzen der Politik

Ein super interessanter Aufsatz von David Brooks in der New York Times über die Grenzen der (Integrations- und Sozial-)Politik:

„Roughly a century ago, many Swedes immigrated to America. They’ve done very well here. Only about 6.7 percent of Swedish-Americans live in poverty. Also a century ago, many Swedes decided to remain in Sweden. They’ve done well there, too. When two economists calculated Swedish poverty rates according to the American standard, they found that 6.7 percent of the Swedes in Sweden were living in poverty.

In other words, you had two groups with similar historical backgrounds living in entirely different political systems, and the poverty outcomes were the same.

A similar pattern applies to health care. In 1950, Swedes lived an average of 2.6 years longer than Americans. Over the next half-century, Sweden and the U.S. diverged politically. Sweden built a large welfare state with a national health service, while the U.S. did not. The result? There was basically no change in the life expectancy gap. Swedes now live 2.7 years longer.

Again, huge policy differences. Not huge outcome differences…“

 

Innenminister will kein Burka-Verbot in Deutschland

Und Recht hat er: Bundesinnenminister Thomas de Maizière will auf der in zwei Wochen wieder stattfindenden Islam-Konferenz nicht über ein Burkaverbot in Deutschland reden. Er hält dies, wie er der Leipziger Volkszeitung sagte, schlicht für „nicht erforderlich“.

Womit sich für mich wieder einmal bestätigt, dass Deutschland der Hort der integrationspolitischen Vernunft in Europa bleibt, während unsere Nachbarn der Reihe nach durchdrehen.

Für die Koalition hat das eine bittere Pointe: Während  so genannte Liberale sich im Anti-Burka-Populismus ergehen, retten die Konservativen das liberale Staatsverständnis.

 

Neue jüdische Lobby: Besatzung und Siedlungen sind „moralische Fehler“

Dies ist ein bemerkenswerter Satz: „Systematic support of Israeli government policy is dangerous and does not serve the true interests of the state of Israel.“
Die systematische Unterstützung der israelischen Regierungspolitik ist gefährlich und dient nicht den wahren Interessen des Staates Israel.
Wer schreibt dies? Eine neue jüdische Lobbyorganisation names JCall, die es nicht länger den etablierten Lobbyisten überlassen will, die jüdische Stimme gegenüber den europäischen Institutionen zu sein.
Weiter heißt es in dem Manifest:

„Wir stellen fest, dass die Existenz Israels erneut gefährdet ist. Die Gefährdung von außen ist nicht zu unterschätzen, doch ist diese nicht die einzige Gefahr. Eine Gefährdung liegt auch in der Besatzung und in dem Auf- und Ausbau der Siedlungen im Westjordanland und in den arabischen Vierteln Ost-Jerusalems, die ein moralischer Fehler und ein politischer Irrtum sind und die u. a. zu dem inakzeptablen Vorgang der Delegitimierung Israels als Staat führen.“

Daher fordern die bisher 3666 Unterzeichner:

„1. Die Zukunft Israels bedingt notwendigerweise die Schaffung des Friedens mit dem palästinensischen Volk und die Gründung eines palästinensischen Staates gemäß dem Prinzip « zwei Staaten für zwei Völker ». Wir alle sind uns dessen bewusst, dass dieses Anliegen dringend ist. Bald wird Israel sich mit zwei katastrophalen Alternativen konfrontiert sehen: Entweder werden die Juden eine Minderheit in ihrem eigenen Land sein oder es wird im Lande ein Regime entstehen, das Israel beschämen und die Gefahr eines Bürgerkrieges heraufbeschwören wird.
2. Es ist daher von größter Wichtigkeit, dass die Europäische Union gemeinsam mit den Vereinigten Staaten von Amerika Druck auf beide Parteien ausübt und ihnen hilft, eine vernünftige und schnelle Regelung des israelisch-palästinensischen Konflikts zu erreichen. Trägt doch Europa angesichts seiner Geschichte die Verantwortung für diese Weltregion.“

Es haben bereits einige der entschiedensten Unterstützer Israels unter den französischen Intellektuellen unterzeichnet – Alain Finkielkraut und Bernard-Henri Lévy. Auch Daniel Cohn-Bendit ist mit von der Partie. (Haaretz-Bericht hier.)

Als Vorbild für diese neue Form der kritischen Israelunterstützung kann man JStreet in den USA ansehen. Anders als JStreet, die in einer überwältigend israelfreundlichen Öffentlichkeit agiert, findet sich JCall in Europa in einer Situation vor, in der Israelkritik sehr verbreitet ist (und nicht immer aus den reinsten Motiven geübt wird). Man kann die Initiative als einen Versuch sehen, sich weder von der israelischen Seite noch von der Warte der reflexhaften Israelkritiker vereinnahmen zu lassen.

JCall hat den offenen Brief am gestrigen Sonntag dem europäischen Parlament zugestellt. Das ist etwas Neues: Juden fordern Europa auf, Israel wegen der Siedlungspolitik unter Druck zu setzen – und sie tun dies aus Loyalität zu Isarel und der zionistischen Idee eines lebensfähigen jüdischen Staates inmitten seiner Nachbarn.


 

Warum ein Burkaverbot in Deutschland falsch wäre

Nach dem Burka-Verbot in Belgien (das allerdings noch durch den Senat des zerstrittenen Landes muss) wird jetzt auch von deutschen Politikern gefordert, ein ähnliches Gesetz in Deutschland einzuführen. Es zeichnet sich der Wunsch nach einer europaweit einheitlichen Regelung ab.

Am Wochenende hat die FDP-Europaabgeordnete Silvana Koch-Mehrin sich für ein deutsches Gesetz zum Verbot der Vollverschleierung stark gemacht. Und weil Frau Koch-Mehrin die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments ist, hat ihre Stellungnahme ein Gewicht über Parteipolitik hinaus:

„Ich begrüße diesen Beschluss ganz ausdrücklich. Ich wünsche mir, dass auch in Deutschland – und in ganz Europa – das Tragen aller Formen der Burka verboten wird.

Wer Frauen verhüllt, nimmt ihnen das Gesicht und damit ihre Persönlichkeit. Die Burka ist ein massiver Angriff auf die Rechte der Frau, sie ist ein mobiles Gefängnis.

Die vollständige Verhüllung von Frauen ist ein aufdringliches Bekenntnis zu Werten, die wir in Europa nicht teilen.

Und ich gebe offen zu: Wenn mir auf der Straße voll verschleierte Menschen begegnen, bin ich irritiert. Ich kann nicht einschätzen, wer da mit welcher Absicht auf mich zukommt. Ich habe keine Angst, aber ich bin verunsichert.

Niemand soll in seiner persönlichen Freiheit und in seiner Religionsausübung eingeschränkt werden. Die Freiheit darf aber nicht so weit gehen, dass man Menschen öffentlich das Gesicht nimmt. Jedenfalls nicht in Europa.“

Der migrationspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, der Abgeordnete Serkan Tören, schließt sich Koch-Mehrin an und ergänzt ihre Argumente noch um ein eigenwilliges sicherheitspolitisches:

„Auch in Deutschland sollten wir nun über ein konkretes Verbot der Burka auf allen öffentlichen Plätzen nachdenken, insbesondere in Schulen, Universitäten und Gerichten.

Als Gläubiger Muslim sage ich: Die Burka ist ein bewegliches Frauengefängnis und ein politisches Symbol der Unterdrückung der Frau.

Das Tragen der Burka kann auch nicht mit dem grundrechtlich garantierten Schutz der inneren und äußeren Glaubensfreiheit gerechtfertigt werden.

Wir schicken Soldaten nach Afghanistan, damit dort junge Mädchen zur Schule gehen können und ihnen eine Perspektive eröffnet wird, ihr Leben frei verantwortlich zu gestalten. Und in der Bundesrepublik Deutschland lassen wir unter dem Deckmantel der Religionsfreiheit eine Abgrenzung zur Gesellschaft und zur Demokratie zu.“

Ich bin von beiden Stellungnahmen nicht überzeugt. Ein „aufdringliches Bekenntnis zu Werten, die wir in Europa nicht teilen“ mag einen verunsichern. Und es mag auch dazu führen, dass man diesen Werten politisch oder kulturell den Kampf ansagt. Aber es kann kein Grund für das Verbot einer bestimmten Kleidung sein.

Ich könnte ein allgemeines Vermummungsverbot in der Öffentlichkeit akzeptieren, obwohl ich Schwierigkeiten habe, mir seine Durchsetzung vorzustellen. Es dürfte aber nicht auf Kleidung ausgerichtet sein, die bestimmte missliebige religiöse „Werte“ zum Ausdruck bringt. Wo kommen wir denn da hin, wenn der Staat Listen mit Kleidungsstücken macht, die nicht genehm sind, weil sie die falschen Werte unterstützen? Unglaublich, dass ausgerechnet Liberale hier dem staatlichen Interventionismus das Wort reden! Wollen wir dann auch Lonsdale-Tshirts und Fred Perry-Polos verbieten, weil Nazis sich an denen erkennen? Oder Springerstiefel? Oder die schwarzen Kapuzenkappen der Autonomen?

Eine liberale Gesellschaft muss ihre Teilnehmer darin trainieren, Verunsicherung auszuhalten und ihre Konflikte auszutragen, statt dem Staat die Rolle der allmächtigen Gouvernante zuzuweisen. Dass eine führende Liberale dafür jedes Gespür verloren hat, sagt etwas über die inhaltliche Aushöhlung des deutschen Liberalismus, der dem Volk bloss noch nach dem (vermuteten) Maul redet, statt auch unpopuläre Dinge über die Grenzen des Staates zu sagen. (Das fällt denen nur noch ein, wenn es um Steuern geht.)

Die Nikab-Trägerin hat kein Recht darauf, nicht mit der möglichen Ablehnung dieser Art Kleidung konfrontiert zu werden. (Allerdings hat auch sie ein Recht auf den Schutz vor Belästigung und Beleidigung.) Ebenso hat auch der den Nikab ablehnende Bürger kein Recht darauf, dass der Staat ihn vor „Verunsicherung“ schützt. (Allerdings hat er ein Recht darauf, dass die Nikab-Trägerin genau wie alle anderen gescannt und abgetastet wird um auszuschließen, dass Terroristen sich diese Vermummung zunutze machen.)

Und nun zu den  Frauenrechten: Frau Koch-Mehrin nennt die Burka ein „Gefängnis“. Das kann man so sehen. Was aber macht man mit den Frauen, die sich freiwillig in dieses Gefängnis begeben? Muss der deutsche Staat sie befreien? Auch hier sage ich: Nein. Das ist mit unserer Verfassung nicht vereinbar. Wo man aber nachweisen kann, dass eine Vollverschleierung gegen den Willen der Trägerin erzwungen wird, kann der Staat handeln. Ein generelles Verbot halte ich nicht für wünschenswert. (Und auch nicht für notwendig wegen der geringen Zahl der Fälle, aber das ist ein anderes Thema.)

Vollends haarsträubend wird es, wenn wir das Verbot des Vollschleiers hierzulande mit dem Einsatz in Afghanistan zu begründen versuchen. Damit rücken wir den dortigen Kampf gegen den Terrorismus ins Licht einer westlichen  Kampagne gegen eine bestimmte Lebensform. Leichter können wir denjenigen, die uns dort als „Kreuzzügler“ darstellen wollen, die Arbeit nicht machen. Wir sind nicht in Afghanistan, um dort die Frauen zu befreien – so wünschenswert das sein möge. (Und wir können natürlich auf Kollateralerfolge hoffen.) Wenn man nun wie Serkan Toeren argumentiert, es gebe einen Widerspruch zwischen unserem militärischen Vorgehen gegen die Taliban und dem Dulden des Vollschleiers hier, geht man selbst einer Talibanlogik in die Falle.

In diese Falle hat sich auch der Kollege Haubrich in der WELT begeben, wenn er schreibt:

„Auch in Deutschland muss die Diskussion darüber geführt werden. Es mag nur um wenige Fälle gehen. Aber an dieser Frage entscheidet sich exemplarisch, ob liberale Demokratien bereit und fähig sind, ihre eigenen Werte durchzusetzen.“

Das ist geradezu bizarr: Von ein paar Burkaträgerinnen wollen wir uns vorgeben lassen, ob wir „fähig sind, unsere eigenen Werte durchzusetzen“? Die liberale Demokratie soll sich daran beweisen, ob sie diesen paar Frauen das Tuch wegnehmen kann? Das könnte gewissen Scheichs so passen.

Es muss immer wieder gesagt werden – und es war einmal Teil des liberalen Selbstverständnisses – dass eine offene Gesellschaft Gedanken, Worte und Symbole dulden muss, auch wenn sie den Werten der Mehrheit nicht entsprechen.

Die Grenzen dafür müssen möglichst weit gezogen werden – so weit es die öffentliche Sicherheit zulässt.

 

71000 Kommentare

So sah es eben auf meiner WordPress-Seite aus.

Auch wenn ich mich manchmal aufrege und (wirklich nur) ganz gelegentlich Teilnehmer ausschließe, weil sie die offene Debattenatmosphäre kaputtmachen: Die meisten der Mitblogger liefern hier Beiträge ab, von denen ich immer wieder sehr profitiere – weil sie meine eigenen Reaktionen herausfordern, weil sie auf meine blinden Flecken hinweisen oder einfach weil sie aus eigener Erfahrung oder aus selbst erworbenem Wissen die Debatte erweitern. Vielen Dank dafür.

Wenn ich richtig rechne, kommen im Schnitt 51 Kommentare auf jeden Beitrag. Erfreulich viel.

Mittlerweile werde ich immer öfter auf das Blog angesprochen, das als journalistische Form eigenen Rechts von mehr und mehr Lesern erkannt wird. Gut so. Für mich ist das Bloggen eine Arbeitsform geworden, die sich gar nicht mehr fein säuberlich von der sonstigen journalistischen Arbeit trennen lässt. Ein Blog bietet die Möglichkeit, Dinge wie in einem Tagebuch kurz festzuhalten, Ideen und Meinungen auszuprobieren und Zusammenhänge herzustellen, die im gedruckten, unverlinkten Text so nicht funktionieren. Und man bekommt sofort Kontra für Dummheiten und Schwachheiten.

Der papierenen Zeitung gebührt allerdings der Dank dafür, dieses Forum hier mit zu finanzieren und mir die Zeit dafür zu lassen.

 

Nur die Burka hält Belgien noch zusammen

Ein europäisches Kernland, das zu den Gründungsmitgliedern der Europäischen Union gehörte, als sie noch EGKS und dann EWG hieß; das Land, das in der europäischen Hauptstadt die wichtigsten Institutionen beherbergt – Europäische Komission, Rat und Nato – steht vor dem Zerfall. An einem Wahlkreis, der zwischen flämischen und wallonischen Belgiern gespalten ist, hat sich die Regierung zerlegt. Es macht sich immer stärkerer Hass zwischen niederländisch und französisch geprägten Volksgruppen breit.

Nur eines hält das Land noch zusammen, nur eine Maßnahme hat das Parlament noch in dieser Woche des Zerfalls mit nahezu völliger Übereinstimmung verabschieden können: ein Verbot der Vollverschleierung, vulgo „Burkaverbot“.

Das ist die letzte Frage, in der sich das im Bruderhass zerfallende Land noch einigen kann: Die geschätzten mehreren Dutzend Vollschleier (meist eher Nikab als Burka) sind des Übels und müssen mit Geldbußen uns Gefängnis verboten werden.

Was für ein trauriges Bild Europa in diesen Tagen abgibt! Flamen hassen Wallonen, Deutsche geben nichts für Griechen, Griechen halten Deutsche eh für Nazis, Franzosen schimpfen auf Deutsche. Der Euro wird zur Hölle gewünscht, die Erweiterung für falsch erklärt. Ein Bild der Verzagtheit und des Kleinmuts.

Ist Belgien ein treffendes Symbol dieser Verzaghheit? Nur für ein Burkaverbot reicht die Energie noch, bevor das Land  zur Hölle fährt. Man ist zwar nicht in der Lage, einen Wahlkreis gerecht unter Flamen und Wallonen aufzuteilen – man kommt also schon mit der Herausforderung des innereuropäischen Multikulturalismus nicht klar. Aber wenn es gegen ein Symbol des unheimlichen Islam geht, ist plötzlich wieder ein Konsens da.

Hoffentlich ist, was sich im europäischen Kernland Belgien abspielt, kein Menetekel für ganz Europa.

(Bericht hier, Bekenntnis einer Burkaträgerin hier.)

 

Erlebnisse eines Duisburger Pfarrers an der Integrationsfront

Mitblogger cwspeer hat dies in einem anderen Thread gepostet. Es verdient gesonderte Aufmerksamkeit:

„In zehn Jahren etwa 1000 muslimische Schüler. Da gab es ein sehr breites Spektrum. EINMAL in 10 Jahren wurde ich als “Ungläubiger” bezeichnet und fünf (!) Schüler haben sich in der Zeit aus religiösen Gründen vom Religionsunterricht abgemeldet. Einer war sogar mal in meinem Sonntagsgottesdienst (ich bin ev. Schulpfarrer). Sein Vater habe ihn dazu ermutigt: “Man soll sich alles mal ansehen.” Die verschiedenen Richtungen haben manchmal Konflikte in den Klassen über theologische und ethische Fragen. Oft haben sie dadurch auch schon Vorurteile abgebaut. (Z.B. zwischen Türken und Kurden, Strenggläubigen und Liberalen, Sunniten und Aleviten). Ich kann so gut wie kein wirklich unangenehmes Erlebnis referieren. Die Mädchen flippen oft ein wenig aus, ob Kopftuch oder nicht, weil sie in der Schule freier sind als im häuslichen Umfeld. Das ist aber auch nicht bei allen so. Insgesamt sind es alles tolle Jugendliche voller Energie und Einfallsreichtum und vor allem für praktische Dinge äußerst motivierbar, genau wie unsere Kinder auch. Das ist ein Schatz für unsere Gesellschaft. Wir sollten sie nicht argwöhnisch betrachten, sondern fördern, wo es nur geht! Da passiert einfach zuwenig, das ist das Problem!!!

Außerdem habe ich insgesamt vier Kollegen von 90 (2 Türken, eine Türkin ohne Kopftuch, einen Palästinenser, dessen Frau Professorin an der Uni in Duisburg ist). Aller vier völlig entspannt, aufgeklärt, interessiert an anderen Religionen und Meinungen. Nur bei Geburtstagsbuffets lassen sie die Schnittchen mit Schweinefleisch und den Sekt links liegen. That´s it! Das ist vielleicht nicht repräsentativ, aber schon ein gewisser Einblick und ich kann aus meiner Sicht nur dringend empfehlen: Aufhören mit diesem ätzenden Argwohn, stattdessen weiter alles Positive für die Integration tun, was wir tun können.

Und vor allem: Aufhören mit diesen “Moscheen Nein Danke”- Gemeinheiten! Ich habe in Marxloh bei der Einweihung der Moschee die Großväter meiner Schüler gesehen, die alten Recken aus der ersten Generation. Würdige Patriarchen, die sich hier seit 1956 den Rücken krumm gearbeitet haben ohne Tariflöhne und mit tausenderlei Demütigungen. Die hatten Tränen in den Augen, als sie auf diesem wunderschönen Teppich unter dem großen Messingleuchter standen. Haben die sich das nicht irgendwie ein bisschen verdient, dass sie auf ihre alten Tage in einem schönen Raum beten können???

Soweit mein Eindruck als Berufsschulpfarrer in Duisburg.“

 

Lässt Deutschland die iranischen Oppositionellen im Stich?

Mein Text aus der ZEIT vom 29.4.2010, S. 11:

Als Hunderttausende Iraner im vergangenen Sommer in Teheran friedlich gegen die gefälschten Wahlen protestierten, konnten sie sich der Sympathie der ganzen Welt sicher sein. Erst recht, als das Regime seine Schläger losschickte, in die Menge schießen ließ und schließlich Tausende seiner Bürger in Gefängnisse warf.
Auch Angela Merkel kritisierte die Brutalität der Sicherheitskräfte und versicherte »den Angehörigen der Opfer meine Anteilnahme«.
Wie viel ist das Mitgefühl der deutschen Regierung wert? Das müssen sich heute jene fragen, die Tod, Folter und Gefängnis in Iran mit knapper Not entkommen konnten. Seit Monaten schon setzen sich Menschenrechtler dafür ein, dass die Bundesrepublik wenigstens einige besonders stark gefährdete und traumatisierte Oppositionelle aufnehmen soll. Die Exil-Iraner Mehran Barati und Farin Fakhari, beide Gegner des Schahregimes und der Mullahs und deshalb schon seit vielen Jahren in Deutschland, haben zusammen mit dem Berliner Professor Hajo Funke den Kontakt der Flüchtlinge zu deutschen Behörden hergestellt.
Es sind Studenten darunter, die im Gefängnis mit Stöcken vergewaltigt wurden. Einem wurden mehrere Wirbel zertrümmert. Wieder ein anderer war schlimmem Psychoterror ausgesetzt – man zwang ihn, Fäkalien zu essen –, infolge dessen er unter asthmatischen Angstattacken leidet. Die Türkei duldet diese Menschen in armen Satellitenstädten am Südostrand des Landes. Dort kämpfen sie ohne Einkommen und ausreichende ärztliche Betreuung ums Überleben, in steter Angst vor dem iranischen Geheimdienst.
Der Bundesregierung liegt bereits seit Januar eine Liste mit etwa 80 Namen und Fallgeschichten vor – darunter die vieler Journalisten, Blogger und studentischen Aktivisten der »grünen Bewegung«. Doch die deutschen Stellen bemühten sich zunächst, die Liste der Kandidaten für eine Aufnahme auf höchstens 20 zusammenzustreichen. Selbst diese geringe Zahl will im zuständigen Innenministerium niemand bestätigen. Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr nahmen alleine die USA aus der Türkei 1169 iranische Flüchtlinge auf, Kanada 255, Australien 89 und Schweden immerhin 45.
Am 8. März schien kurzzeitig Bewegung in die Sache zu kommen. Vor der Bundespressekonferenz kündigte die Sprecherin des Bundesinnenministers an, Deutschland werde »eine Reihe von begründeten Einzelfällen« aufnehmen. Sieben Wochen später teilt das Ministerium auf Anfrage der ZEIT wortgleich mit, man habe »im Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt entschieden, in einer Reihe von begründeten Einzelfällen Schutz suchende iranische Staatsangehörige aus dem Ausland, vor allem der Türkei, in Deutschland aufzunehmen.« Mit anderen Worten: Es ist in sieben Wochen nichts passiert.
Der Politologe Hajo Funke hat den Eindruck, dass das Innenministerium auf eine Strategie der Entmutigung setzt – gegenüber den Betroffenen und denjenigen, die sich für sie einsetzen. Es solle offenbar deutlich werden, »dass eine restriktive Praxis fortgeführt wird«. Weil man zu Zeiten des Schahs und später des Ajatollah Chomeini viele Iraner aufgenommen habe, hieß es im Ministerium. Jetzt seien erst mal andere Nationen dran. Und übrigens brauche man die Bereitschaft der Bundesländer zur Aufnahme der Flüchtlinge. Für Funke sind das alles schlechte Ausreden: Nicht nur handeln andere Nationen bereits viel aufgeschlossener – Norwegen etwa will 140 Iraner ins Land lassen. In Deutschland haben zudem drei Bundesländer – Nordrhein-Westfalen, Hamburg und Berlin – signalisiert, insgesamt deutlich mehr als 20 Schutzsuchende aufnehmen zu können. »Bremst das Bundesinnenministerium allzu ›gutmenschliche‹ Länderinnenminister aus?«, fragt Funke.
Soll nur ja nicht der Eindruck entstehen, die schwarz-gelbe Regierung praktiziere eine großzügige Asylpolitik? Der CDU-Außenpolitiker Ruprecht Polenz setzt sich nicht nur aus menschenrechtlichen Gründen für die iranischen Flüchtlinge ein. Für ihn steht die Glaubwürdigkeit der deutschen Iranpolitik auf dem Spiel. Es müsse den Richtern und Staatsanwälten in Iran, die sich an der Unterdrückung der Opposition beteiligt haben, deutlich gemacht werden, »dass wir ihre Schandurteile nicht hinnehmen«, sagt Polenz. Deutschland solle sich an der Lösung des Flüchtlingsproblems beteiligen, um Iran deutlich zu machen, dass man sich durch Teherans Atompläne nicht von den Menschenrechtsverletzungen ablenken lasse.
Im Fall von Flüchtlingen aus dem Irak hat die  Bundesrepublik seit 2008 fast 2500 unbürokratisch übersiedelt. Das hängt offenbar mit dem großen C der Regierungspartei zusammen. Zuerst sollten nur Christen Aufnahme finden, die im Irak besonders brutal verfolgt werden. Dann fiel auf, dass dies rechtlich – und moralisch – heikel war: Wie christlich ist es, nur Christen zu helfen? So kamen auch Iraker anderer Religionen in den Genuss der Einreiseerlaubnis.
Die Iraner können darauf nicht hoffen. Schon die geringe Zahl von 20 Flüchtlingen der »grünen Bewegung« löst heftige Abwehrreflexe aus. In der kommenden Woche könnte das richtig peinlich werden. Am 7. Mai nimmt in Hamburg der Iraner Maziar Bahari den Henri-Nannen-Preis in Empfang, den wichtigsten Preis des deutschen Journalismus – stellvertretend für seine iranischen Kollegen, wie es in der Begründung heißt, »die in ihrem Land schwersten Repressalien ausgesetzt sind«. Das ist eine schöne Geste gegenüber Bahari, der selber verhaftet worden war und erst nach vehementen Protesten nach London ausreisen durfte.
Dass Baharis Leidensgenossen – deren Artikeln, Videos, Blogs und Tweets die deutsche Öffentlichkeit ihr Wissen von der grünen Revolution verdankt – gleichzeitig von der deutschen Regierung im Stich gelassen werden, wäre eine bittere Pointe.