Lesezeichen
 

Erika Steinbach – Gedenken mit Schmiss

Mir als Kind von Vertriebenen, die von ihrem Verlust nie großes Aufhebens gemacht haben, ist es schmerzhaft zu sehen, wie die Vorsitzende des „Bundes der Vertriebenen“ – Erika Steinbach – das Gedenken an die Verbrechen für ihre persönlichen Zwecke und für die ihres Verbandes instrumentalisiert.
Steinbach macht die Erinnerung an Vertreibung und Reintegration von Millionen schwierig. Sie diskreditiert ein Thema, das immer noch nicht zuende erfroscht und bedacht ist.
Vor fast 5 Jahren habe ich sie getroffen und porträtiert. Seit meinem Text von damals hat sich leider nichts verändert, wie die jetzigen Querelen um Steinbach zeigen. Darum hier noch einmal mein Text aus der ZEIT vom 27. Mai 2004:

Mit dem Naziüberfall kam Erika Steinbachs Vater nach Westpreußen. Dieses Detail ihrer Vertreibungsgeschichte wurde erst bekannt, als polnische Zeitungen darüber schrieben. Die CDU-Bundestagsabgeordnete und Vertriebenenfunktionärin Erika Steinbach hat das Pech, eine hoch gewachsene, elegante Blondine zu sein, die sich für antideutsche Propaganda der dümmsten Art geradezu anbietet. Im letzten Herbst prangte sie, in eine SS-Uniform montiert und auf dem Bundeskanzler reitend, auf dem Titel eines polnischen Nachrichtenmagazins. Hat es ihr nichts ausgemacht, derart zur Hassfigur stilisiert zu werden? „Ach, wissen Sie, ich kann einfach keinen Groll empfinden. Letztlich müssen die Polen selber damit klarkommen.“ So einfach liegen die Dinge nicht: Vor einigen Jahren hat ein anderes polnisches Blatt enthüllt, dass Erika Steinbachs Familie erst mit der deutschen Besatzung nach dem Überfall auf Polen ins westpreußische Rahmel gekommen war. Ihr Vater, aus Hanau stammend, war als Wehrmachtssoldat in Rahmel – polnisch Rumia – stationiert worden. Die Mutter war Anfang der vierziger Jahre aus Bremen übergesiedelt.

Warum hat Erika Steinbach, seit 1998 Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, nicht selber ihre Familiengeschichte offen gelegt? Was ihre Mutter mit zwei Kindern auf der Flucht über die Ostsee, nur ein Schiff nach der untergegangenen Gustloff, erlebt hat, ist ja auch so schlimm genug – Hunger, Enteignung, Erniedrigung. Erika Steinbach hätte aus einem offensiven Umgang mit ihrer Herkunft bei den Polen Vertrauen gewinnen können.

„Denen, die jetzt sagen, ich sei gar keine echte Heimatvertriebene, antworte ich: Ich würde mir wünschen, dass unser nächster Vorsitzender überhaupt keine familiäre Verbindung zu dieser Geschichte hat. Die Sache geht ohnehin alle Deutschen etwas an.“ Sie schaut einen intensiv und einvernehmend an, wenn sie solche Dinge sagt, und man merkt, dass sie das Thema damit wirklich für beendet hält. Wenn die Polen sich daran stoßen, dass die Tochter eines Besatzungssoldaten ihnen im Namen der Vertriebenen großmütig Vergebung anbietet, so fällt das, meint Steinbach, auf diese selbst zurück. Ach, wenn bloß die lästigen Polen nicht wären, das Gedenken wäre ein Kinderspiel.

Empathie ist nicht Erika Steinbachs Stärke. Aber sie hat gemerkt, daß irgendeine Geste in Richtung Polen an der Zeit ist. Daraus ist gleich wieder eine neue Gedenkidee entstanden: Die Vertriebenen wollen im Französischen Dom zu Berlin eine Gedenkfeier zum Warschauer Aufstand abhalten, der am 1. August vor 60 Jahren begann. „Wir wollen zeigen, dass wir Anteil nehmen auch an polnischem Leid“, sagt Erika Steinbach. Damit wäre den Gegnern des von ihr und Peter Glotz initiierten „Zentrums gegen Vertreibungen“, hofft sie, der Wind aus den Segeln genommen. Nur leider spielen die Polen wieder nicht mit. Steinbach ist es unbegreiflich, dass die Polen ihre Feier als ungehörige Instrumentalisierung eines nationalen Gründungsmythos betrachten. Beim Warschauer Aufstand wurden 200 000 Menschen, mehrheitlich Zivilisten, von den deutschen Besatzern getötet, anschließend die Stadt dem Erdboden gleichgemacht. Die geplante Gedenkfeier nennen selbst besonnene Kommentatoren wie der Deutschlandkenner Adam Krzeminski eine „Provokation“.

Doch Erika Steinbach sieht sich im Recht, und sie wird ihre Sache durchziehen, mit allen Schikanen der deutschen Gedenkkultur, ob es den Polen passt oder nicht. Was auch immer Steinbach anpackt, verfolgt sie mit terminatorhafter Entschlossenheit. Bei dem Zentrumsprojekt komme man gut voran, man stehe in Verhandlungen um eine Immobilie in Berlin: „Nur weil die Polen sich aufregen, können wir dieses große Thema doch nicht fallen lassen.“

Soeben ist Erika Steinbach zum dritten Mal als Präsidentin wiedergewählt worden. An diesem Pfingstwochenende, bei den traditionellen Vertriebenentreffen, wird sie gefeiert werden. Tatsächlich hat sie den Bund der Vertriebenen aus der politischen Paria-Existenz geführt. An die Stelle des Muckertons der frühen Jahre ist in ihrer Amtszeit ein selbstbewusster, konfrontativer Stil getreten. Es ist kein geringes Verdienst, die Vertriebenenverbände zugleich aus der Ecke der Ressentimentpolitik geholt zu haben. Steinbach hat erstmals einen notorischen Auschwitzleugner als Funktionsträger abwählen lassen („Glauben Sie mir, das war nicht einfach!“). Sie hat ihren Verband mindestens verbal von der „Preußischen Treuhand“ distanziert, einem Club Ewiggestriger, der in den Beitrittsländern mit Restitutionsforderungen Angst und Schrecken verbreitet (siehe Dossier, Seite 15-18). Es ist ihr mit großem Geschick gelungen, das seit der Ostpolitik eingefrorene Verhältnis zur Sozialdemokratie aufzutauen. Sie hat Otto Schily und Gerhard Schröder als Gastredner auf dem „Tag der Heimat“ gewinnen können. Peter Glotz sitzt mit ihr gemeinsam der Stiftung vor, die das „Zentrum“ errichten will. Ralph Giordano, Joachim Gauck und Lothar Gall unterstützen das Vorhaben. Weiter„Erika Steinbach – Gedenken mit Schmiss“

 

Das erste Opfer des Deals mit den Taliban

Der journalistische Kollege Musa Khankhel arbeitete für THE NEWS und Geo TV. Er hat versucht, den „Friedensmarsch“ von Sufi Mohammed zu filmen, als der mit seinen Anhängern im Swat-Tal einzog, um den Deal mit der pakistanischen Regierung zu feiern.
Am Rand des Marsches wurde Khankhel entführt. Seine Leiche wurde unterdessen – durchsiebt von 32 Schüssen und enthauptet – aufgefunden.
Khankhel wird als mutiger Vollblutreporter geschildert, der sich nicht einschüchtern ließ. Er hat immer wieder kritisch über die Talibanisierung seines Landes berichtet. Er wußte, dass sein Job extrem gefährlich war und hat seine Ermordung gegenüber Kollegen antizipiert.

Musa Khankhel, mit 28 Jahren von den pakistanischen Taliban ermordet

Dieser barbarische Akt läßt das Wort „Teufelspakt“ in einem neuen Licht erscheinen. Der pakistanische Staat hat sich mit dem Deal mit Sufi Mohammed auf ein gefährliches Terrain begeben.

 

Kilcullen über Afghanistan (und Pakistan)

David Kilcullen ist der intellektuelle Kopf hinter der „Surge“-Strategie im Irak. Der australische Offizier und Antiterror-Spezialist, der die „Counterinsurgency“-Planung (Bekämpfung von Aufständen) modernisiert hat, wird nun auch zum Fall Afghanistan gerne angehört. kürzlich hat er vor dem Auswärtigen Ausschuss des Senats ein Statement abgegeben, das nun vom „Small Wars Journal“ publiziert wurde. Hier die wichtigste Passage:

Afghanistan is on the brink of failure. Violence is up 40% on last year and 543% on 2005. Large parts of the country, perhaps 70% of Afghan territory, are no-go areas for security forces and government officials. Narcotics production has coalesced into enormous tracts of poppy in Taliban-controlled areas, heroin production has spiked, government legitimacy is collapsing, food and water are critically short, the insurgency is spreading and intensifying, and the Afghan Presidential elections – scheduled for 23rd August, at the end of what promises to be a fighting season of unprecedented intensity – will bring everything to a head.

Kilcullen im Irak

Whatever our long-term strategy, if we don’t now stabilize the situation, stop the rot and regain the initiative, there will be no long-term. Once the situation is stabilized there will be time for the new administration to work through its strategic choices in concert with allies and the Afghan government. If we fail to stabilize Afghanistan this year, there will be no future.

To stabilize Afghanistan, we need a surge of political effort, we need a surge of civilian expertise and financial resources, and we need to re-focus the military and police on a single critical task: protecting the population ahead of the elections. The strategic aim for 2009 should be to deliver an election result that restores the government’s legitimacy, and with it the credibility of the international effort. Which candidate gets elected matters less than ensuring the outcome meets international standards for transparency and fairness. This is a huge task. To do it we need to stop chasing the Taliban around, and focus instead on protecting Afghans where they live, partnering with the Afghan people in a close and genuine way that gives them a well-founded feeling of security, and ensuring fair elections that restore hope for a better future.

This is the critical task for 2009.

Hier ein Interview mit Kilcullen über Irak aus dem Winter 2007.

 

Wie erkenne ich einen islamistischen Extremisten?

In England ist ein neuer Kriterienkatalog in Vorbereitung, der es ermöglichen soll zu bestimmen, was ein „islamistischer Extremist“ ist. 

Der Name des durchgesickerten Dokuments ist „Contest 2“.

Extremisten, heisst es darin

– propagieren ein Kalifat, einen pan-islamischen Staat, der viele Länder umfassen solle,

– sie vertreten das Schariarecht,

– sie glauben an die Berechtigung des Dschihad, oder bewaffneten Widerstands, überall auf der Welt, inklusive des bewaffneten Widerstands gegen das israelische Militär,

– sie behaupten, dass der Islam die Homosexualität verbiete, weil sie eine Sünde gegen Gott darstelle,

– sie verurteilen nicht die Tötung britischer Soldaten in Irak oder Afghanistan.

Das ist ein problematischer Katalog. Das Scharia-Recht wird vom britischen Staat als zivilrechtliche Schlichtungsinstanz geduldet, ebenso wie das religiöse Recht der Juden in den Beth-Din-Instanzen.

Will man von Muslimen etwa die Ablehung jeglichen bewaffneten Widerstands in jedem Fall verlangen? Das wäre eine bizarre Forderung in einem Land, das selber in Anspruch nimmt, in Irak und Afghanistan sein Recht auf Selbstverteidigung gegen die Dschihadis wahrzunehmen. Kriterium sollte die aktive Unterstützung einer Terrororganisation sein, nicht die absolute Absage an „bewaffnetem Widerstand“ in jedem Fall.

Die Ablehung der Homosexualität empfinde ich persönlich als falsch und abstoßend und gegen Gottes Liebesgebot gerichtet. Aber ich möchte nicht in einem Staat leben, der religiösen Minderheiten (gleich welcher Couleur) vorschreibt, wie liberal sie zu sein haben. Bizarr.

Und auch die Verurteilung der Tötung britischer Soldaten in Irak und Afghanistan kann man nicht verlangen. Die Meinung, es sei Afghanen erlaubt, sich gegen eine Besatzungsmacht zu wehren, ist nicht zu zensieren, sondern zu widerlegen: Indem man auf das Mandat hinweist, unter dem die internationelen Truppen agieren – und indem man darauf achtet, dass die Vorgehensweise der Truppen dort ihren Auftrag nicht delegitimiert.

Grossbritannien macht beängstignde Schritte in die Unfreiheit: Erst Wilders nicht einreisen lassen, jetzt die politische Debatte unter Muslimen durch einen Islamistenkodex regulieren – das sind alles keine zielführenden Massnahmen.

Gegen die Terroristen und ihre Unterstützer brauchen unsere Gesellschaften auch die konservativen Muslime auf unserer Seite – also auch Vertreter des Schariarechts und solche, die Homosexualität ablehnen.

Es wäre falsch und kontraproduktiv zu suggerieren, dass es hier ein Kontinuum zum internationalen Terrorismus gebe. Man kann illiberale Ansichten zur Homosexualität haben und das Schariarecht befürworten und dennoch Terrorismus ablehnen.

 

Unser Mann für AFPAK

Aus der ZEIT von morgen mein Text zur Benennung Bernd Mützelburgs als Sonderbeauftragter des Auswärtigen Amtes:

 

Dies Wort muss man sich merken: AFPAK. Das ist Diplomatenjargon für das schlimmste Sicherheitsproblem der Welt. AFPAK steht für die Problemzone -Afghanistan und Pakistan. Sie besteht aus einem Rumpfstaat um Kabul, dessen Aufbau nicht vorankommt, während bei seinem atomar bewaffneten Nachbarn ein beängstigender Staatszerfall stattfindet. Und weil beide Entwicklungen unauflöslich miteinander zusammenhängen, hat AFPAK jetzt auch einen Sonderbeauftragten in der Bundesregierung – den Karrierediplomaten Bernd Mützelburg, der bis zum Wochenende Botschafter in Indien war. 

Bernd Mützelburg    Foto: AA

Noch ein Sonderbeauftragter hätte kaum jemanden gekümmert. Doch der Krach in der Regierung, der sofort losbrach, als Außenminister Steinmeier seine Wahl Mützelburgs am Wochenende bekannt machte, bezeugt: Dies hier ist etwas anderes. Es geht nämlich um nicht weniger als die Personifizierung eines Politikwechsels. Und Steinmeier war diesmal schneller. Er hat das Kanzleramt nicht einbezogen und auch nicht die anderen mit Afghanistan befassten Ministerien – Verteidigungs-, Innen- und Entwicklungsministerium. Der Außenminister und Kanzlerkandidat tut dieser Tage viel, um dem Publikum einen Eindruck davon zu geben, wie es wäre, wenn er schon an Merkels Stelle regierte. Während das Kanzleramt sich noch über Steinmeiers eigenmächtige Kür des AFPAK-Gesandten ärgerte, war der Minister bereits am Dienstag in Bagdad und eröffnete vor den Kameras gleich noch ein weiteres Kapitel deutscher Diplomatie.

Der Ärger über Steinmeiers Tour de Force kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass weder die Kanzlerin noch die Ministerkollegen ernsthaft dem neuen Ansatz widersprechen möchten, für den mit Bernd Mützelburg jetzt auch endlich einer der besten Diplomaten des Landes steht. Es ist ein Gemeinplatz geworden, dass der Schlüssel zum afghanischen Problem in Pakistan liegt – wo Taliban und al-Qaida Rückzugsräume finden – und umgekehrt Pakistan nicht zur Ruhe kommen kann, solange es einen failed state zum Nachbarn hat.

Es besteht Hoffnung, dass nach dieser Erkenntnis nun auch gehandelt wird. Präsident Obama hat gleich nach Amtsantritt Richard Holbrooke als seinen Emissär für die Region benannt. Nicht zuletzt auf Holbrookes Drängen bei der Münchner Sicherheitskonferenz kürte Steinmeier Mützelburg. 

Bernd Mützelburg kennt Holbrooke lange. Er war im Auswärtigen Amt an der Vorbereitung der Petersberg-Konferenz für den afghanischen Wiederaufbau beteiligt, später als Ministerialdirektor im Kanzleramt in den deutschen Militäreinsatz am Hindukusch eingeweiht und hat nun drei Jahre in Indien die Region kennengelernt. Kompetenter geht es nicht, und darum wird der ehrpusselige Streit um die Benennung wohl bald vergessen sein.

Im Auswärtigen Amt hofft man, dass Holbrooke und Mützelburg aus der informellen »Freundesgruppe« Pakistans bei den Vereinten Nationen eine regionale Friedenskonferenz entwickeln können – mit möglichst starker Beteiligung islamischer Staaten. Auf dem Balkan ist es schon mal gelungen, eine »Kontaktgruppe« friedenswilliger Staaten zu bilden. Auch da war Holbrooke federführend. 

Doch AFPAK ist eine Problemzone unvergleichlicher Art, wie zwei Nachrichten zeigen, die am Tag von Mützelburgs Ernennung publik wurde: Im letzten Jahr sind in Afghanistan nach UN-Angaben über 2000 Zivilisten getötet worden – 40 Prozent mehr als im Vorjahr. Jeder zweite Tote starb durch das Feuer der afghanischen oder internationalen Truppen. Währenddessen verliert die pakistanische Regierung immer mehr den Zugriff auf die nordwestliche Grenzregion zu Pakistan. Islamabad verkündete am Montag, man werde ein System islamischer Gerichtsbarkeit im Gegenzug für einen Waffenstillstand mit den Taliban im Swat-Tal akzeptieren. Im Klartext: Der pakistanische Staat, der die Taliban militärisch nicht besiegen kann, überlässt die Kontrolle über die Stammesgebiete den -Islamisten und den ihnen genehmen Rechtsgelehrten – in der Hoffnung auf deren Entgegenkommen. Die pakistanische Regierung versucht, die Frommen von den militanten Taliban zu spalten, indem man ihnen die ersehnten Scharia-Gerichte zugesteht. Ein Sprecher der säkularen Anwälte nennt dies »Selbstaufgabe im Angesicht der Feinde unseres Staates«.

Die westlichen Regierungen sehen diese Entwicklung mit Schrecken und haben doch auffällig wenig Neigung, Pakistan für den Deal mit ebenjenen Kräften zu kritisieren, deren Brüder im Geiste man im Nachbarland Afghanistan immer brutaler bekämpft. Das kommt nicht nur daher, dass niemand ein Interesse daran hat, Islamabad in seiner ganzen Schwäche auf der Weltbühne vorzuführen. Die Wahrheit ist: Jeder neue Ansatz zur regionalen Lösung wird Teufelspakte mit jenen Taliban beinhalten, die »nur« die Scharia wollen und nicht die pakistanische Atombombe.

Bernd Mützelburg, der dieser Tage in Berlin sein Team aufbaut, sagt nicht ohne Grund, dass nun die »schwerste Aufgabe meines Lebens« vor ihm liege.

 

Ditib als langer Arm Erdogans?

Die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB) gerät zunehmend in die Kritik wegen ihrer Nähe zum türkischen Staat und der regierenden AKP. HÜRRIYET zitiert heute auf ihrer Titelseite die SPD-Abgeordnete Lale Akgün: Die AKP versucht, über die DITIB Einfluss auf die türkischen Bürger in Deutschland auszuüben.  In der Vergangenheit habe sich die Organisation neutral für die Ausübung der Religion in Deutschland eingesetzt. Seitdem die AKP regiert, gibt es zudem eine engere Zusammenarbeit mit der Milli Görüs. Dies kam in der Vergangenheit nie vor, so Akgün.

 

Gerechtigkeit für Harvey Milk

Ab und zu darf ich in meiner Zeitung auch über die Dinge schreiben, die mir wirklich wichtig sind. Filme zum Beispiel. Ich sehe im Schnitt jährlich weit über 300 Filme. Idealerweise jeden Tag einen.

Und dies hier ist mein Kommentar zur diesjährigen Oscar-Saison aus der morgigen ZEIT:

 

Eine Nachricht an die Damenwelt vorweg: Dieser Oscar-Jahrgang ist ein Triumph der Kerle. Lange gab es nicht mehr so viele interessante Männerrollen. Zwei alte Bekannte – Sean Penn und Mickey Rourke – feiern großartige Comebacks, als schwuler Bürgerrechtler der eine, als abgehalfterter Profi-Wrestler der andere. Zwei Kämpfe um männliche Würde: Dem einen wird sie von der Mehrheitsgesellschaft abgesprochen, dem anderen droht sie beim Abstieg im Alter zu entgleiten. Wenn es mit rechten Dingen zugeht, muss Sean Penn als Harvey Milk, der erste offen schwule Politiker Amerikas, den Oscar bekommen. Und Gus Van Sant für seine historisch genaue und politisch mitreißende Regie gleich noch die Trophäe für den besten Film dazu. 

Milk, der jetzt in unsere Kinos kommt, ist mit Abstand der bedeutendste amerikanische Film des Jahres. Und der einzige, der seine Nominierung wirklich verdient. Wahrscheinlich werden Slumdog Millionaire und Benjamin Button das Rennen machen – zwei Märchen für Erwachsene, die bedeutsam tun, gerade weil sie eher schlicht gestrickt sind. Doch an Milk wird man sich noch lange erinnern. Und Sean Penn ist sein Kraftzentrum: Er hätte den Märtyrer Harvey Milk – erschossen von einem konservativen -Expolitiker – als heiligen Sebastian der Schwulenbewegung spielen können. Das Thema hat einen enormen Sog zum Kitsch, weil Milk längst kein Mensch mehr ist, sondern eine Ikone der schwulen und lesbischen Bürgerrechtsbewegung. Doch Penn zeigt uns den Liebenden, den Empörten, den Mitfühlenden, der das Recht aufs Anderssein erkämpft und doch über die Min-derheitenpolitik hinauswill. Nicht normal sein müssen und doch das Anderssein nicht feti-schisieren: Ohne Angst anders sein, darum
geht es. Das ist kein Minderheiten-, sondern ein Menschheitsthema. 

Mickey Rourke als Wrestler – das klingt nach einer geballten Ladung Camp. Doch in dem ledrig-maskenhaften Fleischklops von einem Mann zuckt ein empfindsames Herz, das durch einen Infarkt sein Recht verlangt. Früher hätte Rourke diesen Typen mit einer Überdosis Pathos und Selbstmitleid gespielt – Marlon Brando auf Anabolika. Irgendetwas ist mit Rourke in der langen Zeit seiner Leinwandabstinenz passiert. Im altern-den Körper des Testosteronmonsters regt sich See-lenhaftes. Ein echter Mann darf keine Angst vor den eigenen Gefühlen haben. Wer Paul Mazurskys The Wrestler (Kinostart: 26. Februar) sieht, wird schmerzlich daran erinnert, dass die weiße Unterschicht aus dem amerikanischen Kino nahezu vollständig verbannt ist. Dass sie ausgerechnet in diesem Krisenjahr mit Rourke zurückkehrt, könnte man für Vorsehung halten.

Noch drei große Männerrollen sind zu erwähnen: Heath Ledger wird zu Recht postum für seinen abgründigen Joker geehrt werden, der im guten Batman das Schlimmste hervorbringt. Frank Langella weiß aus Richard Nixon (Frost/Nixon) einen fast sympathischen, unglücklichen Aufsteiger herauszupräparieren. Und Richard Jenkins, bekannt aus Six Feet Under, hat endlich eine Hauptrolle (The Visitor) als verstockter Professor aus Neuengland, der durch ein Pärchen illegaler Einwanderer seine lange verschüttete Menschlichkeit wiederfindet. 

Um die Frauen muss man sich in diesem Jahr Sorgen machen. Und dafür steht leider der Erfolg Kate Winslets, die auf dem besten Weg ist, sich selbst auf die Verkörperung des attraktiven Opfers festzulegen. Sie ist gleich mit zwei Studien- über zu kurz gekommene Weiblichkeit auf dem Markt: In Revolutionary Road gibt sie eine Ehefrau, die an den engen fünfziger Jahren zuschanden geht, und selbst die NS-Täterin Hannah im Vorleser (Kinostart 26. Februar) gerät ihr zur Studie über zu spät erblühte Weiblichkeit. Das sollte bei einer klugen und schönen Frau, die auch anders kann, den Kitsch-Alarm auslösen.

Debra Winger in den achtziger Jahren

Ob die Akademie den Mumm hat, statt Wins-let die junge Anne Hathaway für ihre Bravourleistung in Rachels Hochzeit zu belohnen? Seit Brokeback Mountain weiß man, dass Hathaway mehr kann als betörend mit ihren Rehaugen funkeln. Sie spielt die Exjunkie-Schwester, die Schuld auf sich geladen hat und nun in Selbsthass und -mitleid zu versinken droht, mit befreiender Energie. Jonathan Demme ist mit diesem Film endlich wieder da. Und er hat die große Debra Winger für eine Nebenrolle mitgebracht (wo war sie bloß?). Das ist kein geringer Trost in diesem eher schwachen Oscar-Jahr. 

… und heute, mit 52 Jahren

 

Pakistan bald ganz in Händen der Taliban?

In Pakistan ist eine heftige Debatte entbrannt über die Strategie der Regierung, einen Deal mit den Taliban zu machen. Auf der erfreulicher Weise grundüberholten Website der Zeitung Dawn (Karatschi) kann man sich davon ein Bild machen.

Dies ist der Mann, mit dem die Regierung in Islamabad sich nun arrangiert hat: Maulana Sudi Mohammad. Er führt dieTehreek-e-Nafaz-e-Shariat-e-Mohammadi an – die „Bewegung zur Durchsetzung islamischer Gesetze“ (was ja nun auch gelungen ist).

Im letzten Frühjahr wurde Sufi Mohammad aus dem Gefängnis entlassen, in das ihn die Musharraf-Regierung gesteckt hatte. 2001 hatte er von Pakistan aus die afghanischen Taliban untertsützt.

I.A.Rehman, ein bekannter Kolumnist und Menschenrechtsaktivist, hält weitere Deals mit den taliban für die einzige Lösung. Doch er hat große Furcht vor den Folgen für ganz Pakistan:

As things stand, the US’s ability to win the new Afghan war in coming years seems doubtful. Neither the USPakistan will be buffeted by almost irresistible storms. nor Nato has an exit strategy. Only two possibilities emerge: either the messy war will continue for another decade, or the Taliban will be brought into the ruling coalition which they will eventually dominate. In either case,

If fighting continues in Afghanistan, militants from the tribal areas keep up their fight there alongside the Taliban. Consequently, militancy in Pakistani territories would grow. The US pressure on Islamabad to fight the extremists and the latter’s inability to comply could strain relations to a breaking point. In that event, the survival test for Pakistan would be tough.

If Taliban of any hue come into power in Afghanistan, the pressure on Pakistan to allow a similar dispensation in the Frontier region will increase manifold. Even now, the tribal areas are not prepared to merge with the NWFP. In future, they may claim freedom to join Pakistan or Afghanistan, and in the latter case, they may well want to take NWFP along – a possibility many Pakhtuns may not choose to resist.

Whatever happens in Afghanistan, Pakistan will face in FATA and perhaps the NWFP a situation that resembles the present US predicament. The Pakistan Army may have the capacity to lay the territory to waste while killing hordes of people, but it will not – and cannot – do that. For one thing, the army will risk its unity if it strikes out against ideological allies and, for another, the state will be overwhelmed in the aftermath of an unwelcome war.

The sole option will be to buy a truce by separating the Shariah lobby from the terrorists and creating FATA and PATA as a Shariah zone, which may quickly encompass the Frontier province. The question then will be whether Pakistan can contain the pro-Shariah forces within the Frontier region.

Dagegen schreibt Shaheen Sardar Ali, der zur zeit in England lehrt, dass das Arrangement eine Missachtung des demokratischen willems der Mehrheit sei, die auch im Swat-Tal  g e g e n  die religiösen Parteien gestimmt habe:

Now, once again the spectre of Sufi Mohammad rises over the mountains of Timergara wooed by the NWFP government as the vehicle for peace in Swat and the region of Malakand. A few basic questions demand answers. Are the people of Swat and Malakand a different breed of Muslims to the rest of the province and the country? One hopes not. If we are all God-fearing Muslims and if Sharia as defined by Sufi Mohammad et al, is the only way forward for peace and prosperity, then ought we not, as a country, embrace it? Why try it out only in Malakand; why not simultaneously in Islamabad, Lahore, Karachi and Multan?

Democracy and the will of the people carries no meaning if gun-toting individuals can legitimately take over a population. Members of the national and provincial assemblies are of no further relevance in Swat and Malakand and must resign from office forthwith. After all, the NWFP government has found its counterparts in power and governance in non-state actors who apparently represent the will of the people. That the people of Swat out-voted members of religious parties and voted in the ANP appears to be lost on the government of the ANP itself.

(Beide Stücke sind auf der Dawn-Website zu finden. Leider funktionieren direkte Links nicht.)

 

Der Vormarsch der Taliban in Pakistan

Das Auswärtige Amt hat, wie heute gemeldet wurde, einen Regionalbeauftragten für Afghanistan und Pakistan benannt – den derzeitigen Botschafter in Indien, Bernd Mützelburg. Er wird für Obamas Mann in der Region, Richard Holbrooke, der deutsche Ansprechpartner sein.
Und warum wir dringend eine neue Politik mit regionalem Ansatz für beide Länder brauchen, geht etwa aus dieser Meldung hervor:
Die pakistanische Regierung hat einen Deal mit den Taliban gemacht, der die Durchsetzung des Schariarechts im Swat-Tal mit sich bringen wird. In anderen Worten: Die pakistanische Regierung übergibt den Taliban und der mit ihr verbandelten islamischen Geistlichkeit die Hoheit über einen Kernbestandteil der Nordwestprovinz. Pakistan sieht immer mehr nach einem failed state aus:

Once one of Pakistan’s most popular holiday destinations, the Swat valley is now mostly under Taleban control.

Thousands of people have fled and hundreds of schools have been destroyed since the Taleban insurgency in 2007.

Chief Minister of North West Frontier Province Ameer Hussain Hoti announced a bill had been signed that would implement a new „order of justice“ in the Malakand division, which includes Swat.

The bill will create a separate system of justice for the whole region.

The BBC’s M Ilyas Khan, who was recently in Swat, says the Taleban had already set up their own system of Islamic justice, as they understand it.

Their campaign against female education has led to tens of thousands of children being denied an education, our correspondent says.

 

Wie die Religionen Darwin akzeptieren (oder nicht)

Dies hier sind amerikanische Zahlen, und somit ganz bestimmt nicht geradlinig übertragbar auf hiesige Verhältnisse.

Dennoch interessant: Katholiken in den USA haben eine höhere Aufgeschlossenheit für die Evolutionstheorie als die Mainstream-Protestanten.

Und Muslime sind nahezu zweimal so häufig bereit, Darwin zu akzeptieren wie die Evangelikalen.

Buddhisten, Hindus und Juden sind ganz vorneweg, was auch mit ihrem Vorankommen in den Naturwissenschaften korreliert.

Mehr hier.