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Warum die ägyptische Revolution (sogar für Israel) gut ist

Auf dem Tahrir-Platz ist ein Mythos gestorben, der jahrzehntelang die Politik im Nahen Osten bestimmt hat: Wenn erst der israelisch-palästinensische Konflikt gelöst wäre, würden alle anderen Konflikte und Miseren in der Region endlich lösbar. Der bequeme Umkehrschluß lautete, ohne die Lösung der Palästinafrage könne es keine Entwicklung in der arabischen Welt geben.
Nützlich war dieser Irrglaube für alle Beteiligten, außer für die Menschen in Palästina, um die es angeblich ging: Für die radikalen Islamisten zwischen Gaza und Teheran, weil er den Hass auf den jüdischen Staat am Kochen hielt. Für die versteinerten Regime der Region bot er eine Ausrede fürs Stagnation und Unterdrückung zuhause. Der Westen mußte sich , auf den „Friedensprozess“ starrend, nicht mit den skandalösen Zuständen bei den arabischen Partnern beschäftigen. Und Israel rechtfertigte Quertreiberei, Kompromißlosigkeit und forcierte Siedlungspolitik: Es fehlte nur der richtige „Partner für den Frieden“, dann würde sich im Handumdrehen alles wenden.
So wurde der so genannte „Friedensprozeß“ zum unlösbare Konflikt, mit dem sich alle in Wahrheit bestens eingerichtet hatten – und zur Legitimation für Staus-Quo-Denken.
Dieser Deal ist vor aller Augen geplatzt. Die jungen Revolutionäre in Kairo haben keine Israel-Flaggen verbrannt, und keine Palästina-Parolen gerufen. „Wir haben genug von Diktatoren“, sagt die ägyptische Intellektuelle Mona Eltahawy, „die unser Mitleid mit den Palästinensern instrumentalisieren und diesen Konflikt missbrauchen, um unser eigenes Leben auf Eis zu legen.“ Jahrzehntelang war das einzige Ventil für den Frust der arabischen Massen der Hass gegen Israel und den Westen – auch im verbündeten Ägypten. Derselbe Mubarak, der sich als Garant des Friedens anpries und Israel half, die Blockade Gazas aufrechtzuerhalten, erlaubte und schürte gezielt den Israelhass, wenn es ihm innenpolitisch in den Kram passte. Mubarak bekämpfte Islamisten, aber er brauchte sie auch als Rechtfertigung für seine Unterdrückung jeglicher Opposition. Die Wut der Unterdrückten machte sich im Hass auf Israel, den Westen und das mit ihm kollaborierende Regime Luft. Was umgehend wiederum noch mehr Unterdrückung und das Wegsehen des Westens dabei rechtfertigte.
Es kann nicht schlecht für Israel sein, dass dieses Spiel vorbei ist. Es lieferte das beste Propagandamaterial für seine Feinde. Die Menschen vom Tahrir-Platz glauben nicht mehr, was die arabischen Regime und ihre radikalen Feinde unisono gepredigt haben: Dass der Nahostkonflikt der Schlüssel zu ihrer Misere ist. Die Demonstranten sind gegen Unfreiheit, Korruption und Ungerechtigkeit ihres eigenen Regimes aufgestanden. Es ist eine historische Ironie, dass Israel, das sich gerne als einzige Demokratie in der Region preist, nun durch die ägyptische Demokratiebewegung einen Pfeiler seiner Weltordnung wanken sieht. Israeliten an der Seite des Pharaos? Ein Widerspruch in sich.
Nicht nur Israel, sondern alle Beteiligten des „Friedensprozesses“ (der keinen Frieden brachte und längst kein Prozeß mehr war) müssen die Perspektive umdrehen: Könnte es nicht sein, dass nicht der arabisch-israelische Frieden die Voraussetzung für Entwicklung, Wohlstand und Demokratie ist – sondern umgekehrt: Demokratie und eine freie arabische Zivilgesellschaft die Voraussetzung für einen echten Frieden? Jetzt gibt es erstmals eine Chance darauf.
In Israel überwiegen noch die Mahner und Bremser: Heißt Demokratisierung in der Region nicht immer Islamisierung? Wer sichert künftig die Grenze nach Gaza, wo die Hamas, ein Zweig der ägyptischen Muslimbrüder, regiert? Wird ein demokratischeres Ägypten den Friedensvertrag mit Israel einhalten, den die Militärherrscher mit Israel schlossen und vor ihrem Volk nie zu rechtfertigen brauchten?
Das sind wichtige Fragen, wenn auch die apokalyptische Zuspitzung überrascht. Denn das Unerwartete und Befreiende an den letzten Wochen war doch, dass die viel beschworene „arabische Straße“ diesmal nichts von Israel will und auch den Westen nicht hasst.
Es scheint fast, als sei eben dies schwer zu verdauen: Für Israel liegt auch eine narzißtische Kränkung darin, dass Arabien endlich anfängt, sich mit sich selber zu beschäftigen. Doch in langer Sicht kann diese Wende für Israel eine ungeheure Entlastung und den Beginn der ersehnten Normalisierung bedeuten: Die Welt, ja nicht einmal der Nahe Osten, dreht sich nicht um Israel.
Noch überwiegt der Schock darüber, dass die vermeintlich starken Diktatoren schwach, ihre riesigen Geheimdienste ahnungslos und die garantierte Stabilität in Wahrheit brüchig war. Israels Chance liegt darin, nun den Frieden „von unten her aufzubauen“, sagt Natan Sharansky, ein ehemaliger Minister unter Ariel Sharon. Er ist noch eine einsame Stimme: Sharansky, der selber als Jude in der Sowjetunion aufwuchs und als Freiheitskämpfer inhaftiert war, erkennt sich in den jungen Tunesiern und Ägyptern wieder, die ein Leben „frei von Angst und Orwellschem Doppeldenken“ führen wollen. „Wenn die freie Welt den Menschen auf der Straße hilft und sich zu ihrem Alliierten macht,“ sagt er, „statt sich mit Diktatoren zu verbünden, dann gibt es eine einmalige Chance, einen neuen Pakt zwischen der freien Welt und der arabischen Welt zu schließen. Israel wird unter den Nutznießern sein, wenn die Araber sich mit ihren realen Problemen beschäftigen.“
Die ägyptische Armee hat signalisiert, dass sie alle internationalen Verträge garantieren will, also auch den Frieden Ägyptens mit Israel. Das sollte Israel beruhigen – und für die kommende Herausforderung stärken, die ein demokratischer Wandel mit sich bringt. Statt eines Friedens allein mit den Generälen wird man Frieden mit 80 Millionen Ägyptern schließen müssen. Und mit den 4 Millionen Palästinensern, die auch frei von Angst leben wollen.

 

Ankara, Teheran, Kairo

Am 11. Februar, dem Jahrestag der Iranischen Revolution, hat Präsident Achmadinedschad diese Rede gehalten, in der er wieder gegen Israel hetzt. Er spricht in bewährter Manier von einem „satanischen“, „verbrecherischen zionistischen Regime“, das der Ursprung allen Übels in der Region sei. Die westlichen Mächte der Finsternis, die es dort installiert haben, werden freundlich gebeten, das „verbrecherische, teuflische Regime“ auch wieder zu deinstallieren.
Es ist übrigens der selbe Tag, an dem die Demokratiebewegung in Ägypten Mubarak zum Teufel jagt. Eine Bewegung, die mit dem verlogenen Anti-Israel-Spiel bricht und sich um die Missstände daheim kümmert: Unfreiheit, Korruption, Ungerechtigkeit. Kairo, Tahrir, das ist in gewisser Weise das Gegenteil von dem was Machmud A. auf dem Azadi-Platz in Teheran inszeniert (der auch nach der Freiheit benannt ist). Eine postislamische, post-postkolonialistische Revolution junger Leute, die sich nicht von der Welt abschotten, sondern endlich Anschluss an sie finden wollen.

Und so ist es nur folgerichtig, wenn in Teheran gestern gerufen wurde: „Mubarak, Ben Ali, der nächste ist Seyyed Ali.“ (i.e. Khamenei)
Um noch einmal auf die Türkei zurückzukommen: Präsident Güls Besuch – 4 Tage im Iran mit über 100 Geschäftsleuten – ist unter den derzeitigen Umständen ein Skandal. Von mindestens einem Toten bei den Protesten im Iran wissen wir bisher. Wie kommt die Türkei dazu, diesem Regime einen derartigen großen Bahnhof zu bereiten? Einem Regime, dessen Kasperletheater-Parlament heute dazu aufruft, den Anführern der Grünen Bewegung als „Verderber auf Erden“ den Prozess zu machen (der dann wohl nur mit der Todesstrafe enden könnte).
Gül hatte einem Reporter der Zaman auf seinem Flug folgendes zu sagen :

Speaking to a group of reporters en route to Egypt on Monday, Gül estimated that the events in Egypt and Tunisia will have an impact across the Middle East, saying all countries in the region will get their share from what happened in Egypt.

“People are making reforms, which leaders fell short of doing,” said Gül aboard the plane, emphasizing that the Middle East has been undergoing a fundamental, albeit late, transformation. He explained that the honor of the Egyptian people was damaged during the authoritarian rule and that their anger was not addressed by the administration.

Und was ist mit der Ehre des iranischen Volks? Wird die durch die autoritäre Herrschaft seiner Führung nicht verletzt?
Ich möchte nie wieder türkische Kritik an der westlichen Doppelmoral hören.

 

Amerika unterstützt iranischen Protest

Die Frage, die ich gestern noch etwas skeptisch gestellt hatte – ob Amerika im Licht der tunesischen und ägyptischen Ereignisse umdenkt und sich deutlicher an die Seite der Demokratiebewegungen in der Region stellt – kann heute als beantwortet gelten: Ja.

Secretary of State Hillary Rodham Clinton has expressed support for the tens of thousands of protesters in Iran’s capital, saying they deserve to have the same rights that they saw being played out in Egypt and are part of their own birthright.

„Let me, clearly and directly, support the aspirations of the people who are in the streets in Iran today,“ Clinton told reporters after meeting with the Republican speaker of the House of Representatives, John Boehner.

„What we see happening in Iran today is a testament to the courage of the Iranian people, and an indictment of the hypocrisy of the Iranian regime — a regime which over the last three weeks has constantly hailed what went on in Egypt,“ Clinton said.

„We wish the opposition and the brave people in the streets across cities in Iran the same opportunities that they saw their Egyptian counterparts seize.“

Clinton spoke after an Iranian opposition website said dozens of people were arrested on Monday while taking part in a banned rally in Tehran to support popular uprisings which toppled the governments in Egypt and Tunisia in recent weeks.

Großartig! Endlich die richtige Sprache. Ich bin sehr froh, dass die USA nicht zusehen, wie Teheran versucht, auf zynische Weise die Errungenschaften der Demokratiebewegung im Ägypten als „islamisches Erwachen“ zu kapern. Die Proklamationen von Khamenei und Achmadinedschad über den Aufstand in Ägypten sind lächerlich: Alle die Helden der ägyptischen Revolution wären im Iran längst im Knast.

 

Kareem Amer: Meine Erlebnisse im Folterknast des ägyptischen Militärs

Kareem Amer, den ich hier vor einer Woche gefeiert habe, war unterdessen wieder fast eine Woche in Haft. Auf  „Daily Beast“ beschreibt er, was er und sein Freund mitgemacht haben – in den Händen des Militärs, das nun immer mehr zum entscheidenden Faktor in der Krise des Landes wird:

On February 7, a group of thugs attempted to confiscate his friend’s videotapes after they left Tahrir Square. The thugs handed the blogger and filmmaker over to military police for having violated the curfew. Amer spent one day in a local prison and was later shipped to an army jail in what he described as „the middle of the desert.“

I asked Kareem if the prison was similar to Borj Al Arab, the jail where he spent the last four years for having criticized the Egyptian dictator and „insulted“ Islam. „No way,“ he said. „This prison was like a trash-can. The cell was tiny and the bathroom was disgusting. They did not allow us to shower even once since we were arrested. People were treated harshly and severely tortured on a daily basis. They were tortured in front of our eyes–water-boarded, beaten with sticks, and electrocuted.

(…)

How could the Egyptian army commit such violations given that they claim to be neutral or even on the side of the people? „What neutrality?“ Amer responded angrily. „They are on the side of the regime. They are humiliating the people. You would not have believed what we saw in this short period in prison.“

On Friday, all the prisoners Kareem was with were suddenly and unexpectedly freed. „Thousands of prisoners were released, even those who had killed soldiers,“ Amer said. „They abandoned us in the middle of the night on a desert highway that connected Suez City with Cairo. We were stopped by a military tank that almost opened fire on us. But when they found out we had been in a military prison, they let us go. A truck was stopped and it took us to Cairo.“

Kareem and Samir’s experience is a microcosm of the brutality of the Egyptian regime. Thousands are being held in prison and torture is commonplace. Tens of journalists have been arrested by army intelligence and they are apparently targeting those who work with foreign and American media outlets.

While the army has gone to great lengths to protect the headquarters of state security, they failed to protect the people of Egypt as they were beaten and killed in the streets by thugs on horseback and camelback. (…)

 

Mubaraks Endspiel

Sandmonkey deutet die Ereignisse von gestern Abend:

1) Mubarak is not going to leave office without bloodshed. Any attempt for a peaceful exit has been discarded by his regime, and they are intending to fight the will of the people until the end.

2) Mubarak has burned the image of Hossam Badrawy and the Wisemen Council with his speech. Hossam Badrawy, the secretary general of the NDP, was the face of the NDP that announced Mubarak’s intenetion to abdicate power later tonight. Now the man has no credibility. Same goes for the Wiseman Council, since Mubarak’s speech was focused on how he has met their demands, which don’t include him leaving. If most of them don’t quit their posts today, I would be greatly surprised.

3) We are seeing the first possible split in the power structure in Egypt: It seems that the Armed Forces are in one camp, and the president, intelligence agencies and the republican guard in another camp. If you add to the equation the Ministery of Interior and the protesters, you have 4 players right now in an intensely unpredictable power struggle. We are now awaiting the second statement from the High council of amred forces to clearify their position once and for all. Whether the army is with or against the people will determine a lot of today’s outcome.

4) Mubarak has now put the US in a corner: He double-crossed the White House, and announced his intentions to fight foreign intervention. Adding to that the news of the arab aid, he is sending the US a clear message: „I could tell you and your aid to go to hell, and get the money from the arabs instead. Where does this leave your precious Israel? If you don’t want us to cause problems on that front,  you better shut up about what we will do and get with the program, or else!“

If you take all of those factors into consideration, the situation starts looking intensely ominous. If the regime and the army has split, we could see major fighting and bloodshed today. If the Army is with the President, then they will all turn their guns on the Protesters, who are determined not to live under Mubarak rule for one extra day. It also means that he put on the line the future of the transitional government with Omar Suleiman in charge, because Suleiman’s fate seems intensely intertwined with the President now. This has become a fight for survival: it’s either the regime or the people. The bad news is, the regime has all the weapon and organization. The good news is, the people are determined and increasing in numbers and the army might step in and save us all unnecessary bloodshed.

It all depends on the army’s statement now.

Das Statement ist nun da. 10 Minuten vor den Freitagsgebeten hat ein Sprecher der Armee verkündet, man werde freie und faire Wahlen unterstützen (ohne ein Datum zu nennen). Und die Armee stellt sich auch hinter die Übertragung der Macht auf Suleiman. Die Aufhebung des Notstands wird den Protestierenden unter Bedingungen in Aussicht gestellt. Ob das reicht, um ein mögliches Blutbad nach Protesten zu verhindern?

 

Kairo ist nicht Teheran

Charles Krauthammer schreibt in der Washington Post, Amerika brauche angesichts der demokratischen Welle im Nahen Osten eine „Freedom Agenda“. Er zieht eine Analogie zum Kalten Krieg, in dem die USA auch für die Freiheit und gegen den Totalitarismus standen – damals den Kommunismus der Sowjetunion. Heute sei der Islamismus die Gefahr, und Iran eine „Sowjetunion im Kleinen“, mit Satellitenstaaten wie Syrien, Libanon und Hamastan. Wie seinerzeit im Kalten Krieg müssen die USA der Beteiligung von Totalitären an den neu entstehenden Regierungen widerstehen. Man habe kürzlich im Libanon und zuvor in Gaza gesehen, was passiert, wenn man da nicht aufpasst. Für Ägypten heißt dies: keine Regierungsbeteiligung der Muslimbrüder.

As the states of the Arab Middle East throw off decades of dictatorship, their democratic future faces a major threat from the new totalitarianism: Islamism. As in Soviet days, the threat is both internal and external. Iran, a mini-version of the old Soviet Union, has its own allies and satellites – Syria, Lebanon and Gaza – and its own Comintern, with agents operating throughout the region to extend Islamist influence and undermine pro-Western secular states. That’s precisely why in this revolutionary moment, Iran boasts of an Islamist wave sweeping the Arab world.

(…)

We need a foreign policy that not only supports freedom in the abstract but is guided by long-range practical principles to achieve it – a Freedom Doctrine composed of the following elements:

(1) The United States supports democracy throughout the Middle East. It will use its influence to help democrats everywhere throw off dictatorial rule.

(2) Democracy is more than just elections. It requires a free press, the rule of law, the freedom to organize, the establishment of independent political parties and the peaceful transfer of power. Therefore, the transition to democracy and initial elections must allow time for these institutions, most notably political parties, to establish themselves.

(3) The only U.S. interest in the internal governance of these new democracies is to help protect them against totalitarians, foreign and domestic. The recent Hezbollah coup in Lebanon and the Hamas dictatorship in Gaza dramatically demonstrate how anti-democratic elements that achieve power democratically can destroy the very democracy that empowered them.

(4) Therefore, just as during the Cold War the United States helped keep European communist parties out of power (to see them ultimately wither away), it will be U.S. policy to oppose the inclusion of totalitarian parties – the Muslim Brotherhood or, for that matter, communists – in any government, whether provisional or elected, in newly liberated Arab states.

Ich fürchte nur: Weder die USA noch irgendeine andere westliche Macht hat dabei nennenswerten Einfluss. Und das liegt wiederum daran, wie wir unseren Einfluss bisher ausgeübt haben, beziehunsgweise wie nicht. Wir haben das Regime bedingungslos gestützt und der Opposition jenseits der MB keine Aufmerksamkeit geschenkt. Unsere Außenpolitik braucht immer Leute, mit denen man Deals machen kann, feste Strukturen, am besten schon so,  dass sie perfekt zu unseren eigenen passen (eine linke, eine rechte, eine liberale Partei). Alles andere, was sonst so in der Gesellschaft herumwuselt, ist irrelevant. Indem wir die Breite der Gesellschaft ignoriert haben, haben wir das Spiel des Regimes und er MB mitgespielt, die sich wechselseitig stärken und voneinander ihre Legitimiation beziehen („Ich halte euch die vom Leib!“  – “ Wir sind die einzige organisierte Opposition!“).

Auch Charles Krauthammer gessteht zu, dass die USA wohl nicht das letzte Wort haben werden über die Frage, wer wieviel mitreden wird in einer künftigen Regierung. Ich finde, er hat recht, die Obama-Regierung für ihre Gratis-Anerkennung der MB zu kritisieren. Bevor die Brüder mitmachen dürfen, stellen sich viele berechtigte Fragen. Sie werden auch von Ägyptern gestellt, und darum sollte die US-Regierung dem nicht vorgreifen mit einem Blankoscheck für „nichtsäkulare Kräfte“. (Man stelle sich mal die Aufregung vor, irgendjemand von außen würde Amerika raten, nichtsäkulare Kräfte sollten einbezogen werden in die Beratung einer neuen Verfassung.)

Richtig ist auch, dass der Westen säkulare demokratische Kräfte mit Ressourcen, Beratung und diplomatisch unterstützen sollte. Aber wie? Der Kalte Krieg ist vorbei. In einer globalisierten Medienwelt mit Facebook und Twitter funktioniert kein „Kongress für Kulturelle Freiheit„.

Vielleicht werden mich die Ereignisse Lügen strafen, aber bei aller Vorsicht wegen der künftigen Rolle der MB sehe ich eigentlich nicht, warum die Ereignisse in Tunesien und Ägypten in die große Erzählung des Kampfes gegen den neuen Totalitarismus (Islamismus) passen sollen. Es gibt Islamisten unter den Protestierenden und ausgeschlossen ist nicht, dass islamistische Parteien profitieren könnten. Aber zunächst einmal ist hier eine pluralistische Freiheitsbewegung zu sehen, die unsere Unterstützung verdient.

Ein Problem mit dieser großen Erzählung, in die Krauthammer nun alles einpassen will, ist auch folgendes: Der Westen hat nach 9/11 selber keine konsistente Politik gemacht. Den Krieg in Afghanistan konnte man als Kampf gegen den islamistischen Extremismus verstehen. Aber mit Saddam Hussein wurde ein säkularer Diktator gestürzt (ausgerechnet der Erzfeind jener neuen Komintern-Zentrale in Teheran !), der sehr viel mehr mit Hosni Mubarak gemein hatte als mit Ajatollah Chamenei. Die Islamisten konnten erst nach seinem Sturz im Irak Fuß fassen und mussten unter großem Blutzoll zurückgeschlagen werden (wer weiß für wie lange). Das ist eine der seltsamen Inkonsistenzen dieser Jahre: Der Westen hat einen säkularen Diktator gestürzt und damit Irak ins Machtfeld Teherans gebracht. Jetzt stürzen die Ägypter ihren Diktator, und der Westen schaut ängstlich zu und lässt die Demonstranten im Stich. Man muss sich einmal vorstellen, wie das von Kairo aus betrachtet erscheinen muss.

 

Frank Wisners ägyptische Geschäftsinteressen

(Screenshot: JL)

Peinlicher geht’s nimmer. Frank Wisner, der Mubarak weiter im Amt sehen will, hat massive Geschäftsinteressen beim ägyptischen Regime.

Zitat aus dem Independent von gestern:

Mr Wisner is a retired State Department 36-year career diplomat – he served as US ambassador to Egypt, Zambia, the Philippines and India under eight American presidents. In other words, he was not a political appointee. But it is inconceivable Hillary Clinton did not know of his employment by a company that works for the very dictator which Mr Wisner now defends in the face of a massive democratic opposition in Egypt.

So why on earth was he sent to talk to Mubarak, who is in effect a client of Mr Wisner’s current employers?

Patton Boggs states that its attorneys „represent some of the leading Egyptian commercial families and their companies“ and „have been involved in oil and gas and telecommunications infrastructure projects on their behalf“. One of its partners served as chairman of the US-Egyptian Chamber of Commerce promoting foreign investment in the Egyptian economy. The company has also managed contractor disputes in military-sales agreements arising under the US Foreign Military Sales Act. Washington gives around $1.3bn (£800m) a year to the Egyptian military.

Mr Wisner joined Patton Boggs almost two years ago – more than enough time for both the White House and the State Department to learn of his company’s intimate connections with the Mubarak regime.

 

Die NDP ist tot, es lebe die NDP

Die Zentrale der ägyptischen Regierungspartei NDP mag abgebrannt sein, die Struktur steht noch. Arabist hat freundlicherweise eine aktualisierte Version des Organigramms der Führung angefertigt. Vielleicht wird man es noch gelegentlich überarbeiten müssen. Aber: Kann die Opposition, die sich (bisher) auf keinen einzigen Namen einigen kann, dem etwas entgegensetzen?

 

Wie man die Muslimbrüder (vielleicht) in Wahlen schlagen kann

Ein früheres Mitglied der Muslimbrüder fragt, wie die säkularen Kräfte in Ägypten sich auf die kommenden Wahlen vorbereiten müssen:

Why are the secular democratic forces in Egypt so much weaker than the Muslim Brotherhood?

One reason is that they are an amalgam of very diverse elements: There are tribal leaders, free-market liberals, socialists, hard-core Marxists and human rights activists. In other words, they lack common ideological glue comparable to the one that the Brotherhood has. And there is a deep-seated fear that opposition to the Muslim Brotherhood, whose aim is to install Shariah once they come to power, will be seen by the masses as a rejection of Islam.

What the secular groups fail to do is to come up with a message of opposition that says “yes” to Islam, but “no” to Shariah — in other words, a campaign that emphasizes a separation of religion from politics. For Egypt and other Arab nations to escape the tragedy of either tyranny or Shariah, there has to be a third way that separates religion from politics while establishing a representative government, the rule of law, and conditions friendly to trade, investment and employment.

The bravery of the secular groups that have now unified behind Mohamed ElBaradei cannot be doubted. They have taken the world by surprise by mounting a successful protest against a tyrant.

The secular democrats’ next challenge is the Brotherhood. They must waste no time in persuading the Egyptian electorate why a Shariah-based government would be bad for them.