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Krise? Welche Krise?

Jedenfalls in der deutschen Rüstungsindustrie, deren beide Großkunden Griechenland und Türkei kräftig zugefaßt haben. Aus einem Bericht des Stockholmer SIPRI:

„The volume of Germany’s arms exports increased by 70 per cent between 1999–2003 and 2004–2008 and its share of the global market rose from 7 per cent to 10 per cent. Much of this increase was due to exports to European destinations, which grew by 123 per cent. The two biggest recipients were Greece and Turkey, which between them accounted for nearly a third of German exports. In recent years, both countries have received Leopard-2A4 tanks and licensed produced sub marines.“

Deutschland behauptet sich nach den USA und Rußland und vor Frankreich als Nummer drei der weltweiten Rüstungsexporteure. So recht paßt das nicht zu unserem Selbstbild der friedlichen „Mittelmacht“. Deutschland ist durch seine Rüstungsexporte eindeutig eine heimliche Großmacht.

 

Pakistan: Das Militär als Komplize der Extremisten

David Kilcullen, der von mir hier bereits mehrfach erwähnte Soldat und Counterinsurgency-Vordenker, hat gestern vor dem Militärausschuss des amerikanischen Kongresses ausgesagt. Sein Thema war die Lage in Pakistan, wo die Taliban immer näher an Islamabad heranrücken.

David Kilcullen (links, mit Sonnenbrille) im Irak

Kilcullens Bilanz ist niederschmetternd. Für die 10 Milliarden Dollar Militärhilfe seit 2001 haben die USA nichts bekommen, was für eine Verbesserung der Sicherheitslage spricht.  Im Gegenteil. Mit Hilfe oder stillschweigendem Komplizentum des Militärs und des Geheimdienstes gewinnen die Radikalen immer mehr Boden – in Pakistan und Afghanistan.

Kilcullens Liste der Ereignisse in seiner Zeugenaussage ist höchst alarmierend. Er schlägt vor, das Militär nur noch unter strengen Auflagen zu fördern und sich vielmehr auf den Aufbau der Polizei zu konzentrieren, die wesentlich wichtiger im Kampf gegen die Terroristen sei. Und ausserdem sei die Polizei der einzige Akteur, der wirklich „als Institution Aktien darin hat, Recht und Gesetz aufrecht zu erhalten, den Staatskollaps zu verhindern und den Extremismus zu bekämpfen, statt sich (wie das Militär, JL) auf den Kampf gegen Indien vorzubereiten.“

Seine Konklusion lautet: „Statt weiter vorzugeben, dass Pakistan ein schwacher, aber williger Partner gegen den Extremismus sei, müssen wir erkennen, dass (…) wesentliche Teile des pakistanischen Sicherheits-Establishments Komplizen des Feindes sind, sei es durch ihre eigene Unfähigkeit, unter Einschüchterung oder aus böser Absicht. (…) Unsere Hilfe für die Polizei zu erhöhen – und damit die Polizei effektiv zur primären Kraft der Aufstandsbekämpfung zu machen – während wir alle Hilfe für das Militär durch zivile Autoritäten leiten und dadurch größere Verantwortlichkeit erreichen, dies ist der richtige Weg. Im Jahr 2009 ist es zu spät für Prävention. Wir müssen den Verfall stoppen und im kommenden Jahr die Lage stabilisieren, um dann in der Folge Extremismus und Militanz zurückdrängen zu können.“

 

Interview mit einem pakistanischen Taliban

Während die Taliban die Entspannungspolitik der pakistanischen Regierung im Swat-Tal offenbar als Aufforderung betrachten, nun auf Islamabad vorzurücken, versuchen die säkular gesinnten Teile der pakistanischen Öffentlichkeit ihren Galgenhumor zu behalten.

Ein Beispiel aus der Tageszeitung „Dawn„, die in Karatschi erscheint.

Ein Journalist versucht, sich ein Interview mit einem Taliban-Führer vorzustellen:

Salaam, Jamat Bin Jihad Bhai

Walaikumaslam!

How are you today?
Why do you want to know?
Just asking, sir.
You ask too many questions.
But I’m here to interview you!
No, I will speak and you will listen.
But …
Shut up, damn fool man!
But …
Quiet, or I’ll have you beheaded!
Gulp!
What?
I gulped.
Gulped what?
Err … air perhaps?
I thought I told you no questions!
But …
Keep quiet, you kaali  chapati!
Kaali chapati?
Yes, that’s what you insects eat in Karachi, don’t you?
Do we? And what do you guys eat?
Is that a question?
Gulp!
You gulped again.
Yes.
Are you drunk?
No!
I think you are. I’ll have you flogged. Weiter„Interview mit einem pakistanischen Taliban“

 

Steinmeier: Warum atomare Abrüstung unseren Interessen dient

Aus einem Gespräch, das ich gestern mit dem Kollegen Peter Dausend zusammen geführt habe:

DIE ZEIT: Herr Steinmeier, nach der Woche der drei Gipfel wird die Erde atomwaffenfreie Zone, der globale Finanzmarkt geregelt und die Türkei EU-Mitglied. Wie viel Traum steckt darin?

Frank-Walter Steinmeier: Wenn man nicht weiß, wo man hinwill, findet man nicht den Weg. Deshalb ist so unschätzbar wichtig, dass der amerikanische Präsident in Prag die atomwaffenfreie Welt als Ziel seiner Politik beschrieben hat. Das ist Vision und Realismus zugleich. Für mich ist dies das wichtigste Ergebnis der letzten Woche. Ich freue mich natürlich, dass die neue amerikanische Regierung den Weg geht, den ich auf der Münchner Sicherheitskonferenz Anfang Februar vorgeschlagen habe. Andere in Deutschland redeten da noch der nuklearen Abschreckungsstrategie das Wort.

ZEIT: Geht es Barack Obama darum, die Glaubwürdigkeit des Westens wiederzugewinnen? 

Steinmeier: Obama weiß, dass wir uns von eigenen Widersprüchen befreien müssen, wenn wir überzeugender gegenüber anderen auftreten wollen. Die Glaubwürdigkeit von Appellen zur atomaren Enthaltsamkeit bleibt begrenzt, wenn man seine eigene Sicherheitspolitik auf atomare Abschreckung gründet. Niemand ist naiv, besonders Obama nicht – er weiß genau, wie schwierig es sein wird, Iran zum Einlenken beim Atomprogramm zu bringen. Das wird leichter zu erreichen sein, wenn die Atomwaffenstaaten selbst abrüsten.

ZEIT: Die Europäer sind begeistert von Obama, wollen aber keine neuen Lasten übernehmen. In Amerika werfen ihm manche schon Schwäche vor.

Steinmeier: Der Vorwurf ist unberechtigt und zeigt lediglich, dass es auch in den USA noch eine Innenpolitik gibt. Und dass da so manchem konservativem Thinktank die Neuausrichtung der Außenpolitik nicht passt, wundert mich gar nicht. Auch in Deutschland spürt man ja ein gewisses Unbehagen in konservativen Kreisen. Ich halte es da mit anderen US-Kommentatoren: Auf seiner Europareise hat Obama für die USA das vielleicht kostbarste Gut in internationalen Beziehungen wieder neu aufgebaut: Glaubwürdigkeit.

ZEIT: Die USA haben eine Dialogoffensive gestartet. Was kann die deutsche Rolle dabei sein?

Steinmeier: Russland, China oder Syrien: Auch in Deutschland glaubten in den letzten Jahren viele, Gesprächsverweigerung sei eine besonders markige Form der Politik. Heute will man daran nicht gern erinnert werden. Die neue US-Regierung sieht genau, wer in den letzten Jahren, in der Phase der Abschottung und Abgrenzung, in der Außenpolitik die Dialogkanäle offengehalten hat. Deshalb sucht sie jetzt verstärkt das Gespräch mit uns. 

Mehr morgen in der ZEIT.

 

Obama in Ankara

Zitat des Tages:

„Let me say this as clearly as I can: the United States is not at war with Islam. In fact, our partnership with the Muslim world is critical in rolling back a fringe ideology that people of all faiths reject.

But I also want to be clear that America’s relationship with the Muslim world cannot and will not be based on opposition to al Qaeda. Far from it.

 

 

We seek broad engagement based upon mutual interests and mutual respect. We will listen carefully, bridge misunderstanding, and seek common ground. We will be respectful, even when we do not agree. And we will convey our deep appreciation for the Islamic faith, which has done so much over so many centuries to shape the world for the better — including my own country. The United States has been enriched by Muslim Americans. Many other Americans have Muslims in their family, or have lived in a Muslim-majority country — I know, because I am one of them.“

 

Ein Gipfel, zwei Bilder

Angeblich ist ja in London die Welt zusammengewachsen. Man hat sich über massive Finanzhilfen für arme Länder, über eine Austrockung von Steueroasen und Grundregeln für die Finanzmärkte geeinigt.

Nicht geeinigt hat man sich über ein Konkunkturprogramm der Größe, die die Amerikaner für geboten halten. Die Deutschen feiern das als Sieg über amerikanische Unvernunft, die ja die Krise erst verschuldet hat. Die Amerikaner fürchten, dass es am Ende eine Niederlage für alle wird, wenn die Welt in die Depression rutscht. 

Und wie unterschiedlich man die Rolle der Staatenlenker auf dem Gipfel sieht, zeigen folgende Snapshots von den Websites des Weissen Hauses und des Kanzleramtes heute morgen.

Auf Obamas Website fehlt eine bekannte Politikerin im roten Kostüm beim Gruppenfoto der Mächtigen.

Auf Angela Merkels Site hingegen steht eine relaxte Kanzlerin, während Obama von rechts durchs Bild schreitet. Bildunterschrift: „Gipfel war ein Erfolg“. Für sie offenbar, aber auch für Obama?

Spürnase: Jeannine Kantara

 

Anders Fogh Rasmussen darf nicht Nato-Chef werden

Mein Porträt aus der ZEIT von morgen:

Das hat es so noch nicht gegeben: Die Regierungschefs Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens haben sich auf einen neuen Nato-Generalsekretär geeinigt. Die Amerikaner signalisieren Zustimmung. Doch dann greift der Premier eines anderen Mitgliedslandes zum Telefon, ruft den Auserkorenen an und erklärt ihm, warum er leider trotz allerhöchster Protektion nicht infrage komme. Damit nicht genug: Der Störenfried wendet sich anschließend an die Presse und macht seine Ablehnung öffentlich. So geschehen am Wochenende, als der türkische Premierminister Erdoğan den Medien in Ankara eröffnete, dass die Türkei den dänischen Ministerpräsidenten Anders Fogh Rasmussen nicht als politisches Gesicht der Nato akzeptieren werde. 

 

Der 56-jährige Rechtsliberale Rasmussen regiert bereits seit 2001 in Kopenhagen, immer aus der Minderheitenposition, zusammen mit den Konservativen, geduldet von den Rechtspopulisten der Folkeparti. Rasmussen hat das sozialdemokratische Machtmonopol in Dänemark gebrochen, die Steuern gesenkt, das Land in zwei Kriege geführt und die schärfsten Ausländergesetze Europas verabschiedet. Er hinterlässt ein anderes Dänemark, wenn er nun auf den Posten des Generalsekretärs wechseln sollte, wie es sein Wunsch ist. 

Ob es allerdings dazu kommt, ist unterdessen fraglich geworden. Weiter„Anders Fogh Rasmussen darf nicht Nato-Chef werden“

 

„Krieg gegen den Terrorismus“ ist zuende

Jedenfalls der Gebrauch des Begriffs. Das sagte die amerikanische Aussenministerin Hillary Clinton Reportern auf dem Flug nach Den Haag, wo sie heute an der Afghanistan-Konferenz teilnimmt.

Es gebe keine Direktive zum Wortgebrauch. Die Obama-Regierung habe einfach aufgehört, das Wort zu benutzen.

Gut so. Es war von Anfang an eine dumme Idee, einen Krieg gegen eine Methode zu führen.

Und dann kam noch hinzu, dass die Phrase für die Propaganda zur Vorbereitung des Irak-Krieges gebraucht wurde. Und der Krieg gegen Saddam Hussein hatte mit dem internationalen Terrorismus nun wirklich gar nichts zu tun.

Ironie der Lage: Während uns die Worte ausgehen, um den Konflikt zu beschreiben, wird die Lage immer dramatischer, vor allem in AfPak. Der „lange Krieg“ ist noch lange nicht vorbei: 

Replying to a question on the plane bringing her to The Hague, Clinton declared: „As you said, the administration has stopped using the phrase, and I think that speaks for itself, obviously.“

The secretary of state, who was to take part in an international conference on Afghanistan in the Dutch administrative capital, said of the phrase: „I haven’t heard it used. I haven’t gotten any directive about using it or not using it. It’s just not being used.“

The Bush administration that preceded Obama in the White House used the „war on terror“ to justify its intervention in Iraq, as well as its imprisonment of detainees at Guantanamo in Cuba and secret CIA prisons abroad.