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McCain: Obama ist ein anständiger Mann

Nach tagelangen Attacken vor allem von seiten Sarah Palins auf Barack Obama zieht John McCain die Notbremse: Am Freitag sagte er bei einem Townhall-Meeting mit Anhängern: „Obama ist ein anständiger Mann, vor dem Sie als Präsident keine Angst haben müssen.“

Damit hat John McCain seine eigene Anständigkeit unter Beweis gestellt. Nach den Angriffen der letzten Tage, bei denen Obama in die Nähe von Terroristen gerückt wurde, hatte man daran langsam zweifeln können.

Dass dieser fiese Wahlkampfstil, geprägt von McCains neuem Wahlkampfmanager Steve Schmidt, hatte John McCain eigentlich nicht gelegen. Seine Vizepräsidentschaftskandidatin Sarah Palin hatte von Anfang an keine Hemmungen, einen dreckigen Wahlkampf zu führen. Von ihr waren die Terrorismus-Angriffe ausgegangen.

Jetzt hat John McCain wieder die Kontrolle über seine Kampagne übernommen. Er will mit Konzepten und mit seinem Charakter gewinnen (oder lieber verlieren), und das ehrt ihn.

Bei den republikanischen Versammlungen der letzten Tage waren immer mehr verhetzte Anhänger laut geworden: Manche hatten bei der Erwähnung von Obamas Namen „Terrorist“ gerufen und „kill him“.  

Bei der Versammlung, die McCain zur Wende veranlaßte, hatte eine Frau gesagt: „Ich habe über ihn gelesen. Er ist ein Araber.“ Wieder stellte sich McCain gegen die Menge: 

„I don’t trust Obama,“ a woman said. „I have read about him. He’s an Arab.“

„No, ma’am,“ McCain said several times, shaking his head in disagreement. „He’s a decent, family man, [a] citizen that I just happen to have disagreements with on fundamental issues and that’s what this campaign is all about.“ (Mehr hier.)

John McCain hat das unselige Spiel lange mitgespielt. Jetzt stellt er sich gegen seine eigene Kampagne. Das ist ehrenhaft und geziemt einem „Maverick“.

Es zeigt allerdings: Die Republikaner sind am Ende.

 

Liveblogging: Die zweite Debatte Obama-McCain

(23:30h) Obama hat das Wichtigste geschafft: Er hat einfühlsamer als sein Opponent die Sorgen der Mittelschicht angesprochen – unbezahlbare Gesundheitskosten, Energiekosten, Arbeitslosigkeit und das generelle Gefühl, dass es ungerecht zugehe in der amerikanischen Gesellschaft der Bailouts und Foreclosures.
John McCain versuchte, auch auf diesem Feld zu punkten. Aber sein Vorschlag, er werde den Finanzminister anweisen, alle faulen Hypotheken aufzukaufen, damit Hausbesitzer entlastet werden, wird ihm vielleicht noch auf die Füße fallen. Mit anderen Worten: John McCain wird jedem Amerikaner in Nöten ein Häuschen kaufen, um nicht als böser gefühlloser Bush-Republikaner dazustehen. Das wirkt ein bißchen verzweifelt.

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McCain versuchte, Obama zugleich links (im Sozialen) und rechts (in der Aussenpolitk) zu überholen. Eben noch kritisiert er Obama für seine angeblichen Steuerpläne und dafür, dass er die Regierung immer mehr ermächtigen wolle – und dann kommt er selbst mit dem größten Häuslekaufprogramm der Weltgeschichte?
Hätter er nicht eher als wahrer Konservativer sprechen sollen: Leute, es tut mir leid, wir können uns bestimmte Dinge nicht mehr leisten, wir müssen zurück zu amerikanischen Tugenden, für die ich stehe? Er hat es nicht mal versucht. Sein einziges ernsthaftes Ziel war, Obama als Führunsgperson zu diskreditieren. Es ist ihm nicht gelungen.
Obama führt in ersten Umfragen deutlicher als zuvor.

(22:37h) Obama endet mit einem Plädoyer für einen erneuerten amerikanischen Traum, der unter Bush (und Senator McCain) vor die Hunde gekommen sei. Bisschen kitschig, aber schön, wie er seine einfache Herkunft ins Spiel bringt und Amerika dafür dankt, dass er eine Chance bekommen hat.
McCain variiert noch einmal den Wert seiner Erfahrung in unsicheren Zeiten. Er hat seine Intonierung deutlich geändert: Hier spricht jemand, der verstanden hat, dass ernste Zeiten kommen. Und er empfiehlt sich als alten Fahrensmann.
Auch dies ist eine klare Alternative: Obama appeliert an eine alte Hoffnung, die betrogen worden sei. McCain bringt sich als Steuermann in schwerer See an.

(22:31h) Würden die Kandidaten Israel verteidigen, falls Iran es angreift? McCain nimmt den Ball auf und spricht von einem „zweiten Holocaust“, den es zu verhindern gelte. Obama läßt sich die Butter hier nicht vom Brot nehmen: Keine Nuklearwaffen für Iran, auch die militärisch Option wird nie vom Tisch genommen – aber zuvor gehe es um effektivere Diplomatie. Und um wirtschaftlichen Druck, für den es noch unausgeschöpfte Mittel gebe. Will er immer noch mit Iran reden? Ja, er gesteht aber ein, dass es vielleicht nicht funktionieren werde. Dann sei man aber in einer sehr starken Position, eben weil man die diplomatischen Mittel ausgeschöpft habe.

(22:26h) Gibt es einen neuen Kalten Krieg mit Rußland? McCain sieht das nicht kommen, warnt aber eindringlich vor Putin und plädiert für einen Natobeitritt Georgiens und der Ukraine. Es gehe darum, einig Härte gegenüber Rußland zu zeigen. Obama stimmt McCain zu, und er will sogar noch moralische und finanzielle Untertsützung für die ehemaligen Trabantenstaaten der Sowjetunion. Obama macht es klug: Wo auch immer es geht, stimmt er McCain zu, und zeigt sich damit präsidentiell. Er muss in der Aussenpolitik nur zeigen, dass er gleichermassen kompetent ist, McCain aber muss ihn völlig aus der Bahn werfen, weil die Aussenpolitik sein Pfund ist. Das schafft er heute nicht.

(22:18h) McCain fängt fast jeden Beitrag mit einer Attacke an: Jetzt geht es um Obamas Idee, in Pakistan militärisch gegen Osama bin Laden vorzugehen. Das stellt McCain als unvorsichtige und unerfahrene Äusserung hin. Der Punkt, den er schon letztes Mal ausgewalzt hat, ist so wichtig, weil alles davon abhängt, dass McCain es schafft, seinen Opponenten als gefährliche Wahl hinzustellen. Darum bricht Obama nun auch die Regeln und stellt seine Position klar, obwohl das nicht vorgesehen ist. Und schickt hinterher, McCain habe zur Vernichtung Nordkoreas und zur Bombardierung Irans aufgerufen. So viel zur Ruhe, die aus Erfahrung kommt.

(22:08h) Obama nimmt McCains Satz auf, er „verstehe nicht“, was die Sicherheitsbedürfnisse Amerikas seien: In der Tat verstehe er nicht, warum Amerika in Irak einmarschiert sei, während Osama Bin Laden weiter in Afghanistan sei. McCain habe damals falsch gelegen. Amerikas Platz in der Welt sei heute prekärer als vor acht Jahren wegen der falschen Politik George Bushs und John McCains. Obama plädiert für ein Handeln im Einklang mit der internationalen Gemeinschaft, etwa in Darfur. McCain legt den Finger in Obamas Wunde: Er sei für den frühen Abzug aus dem Irak gewesen, und damit wäre Petraeus‘ Erfolg nie möglich gewesen.
Richtig, aber wiegt das schwerer als die mangelnde Urteilskraft bei der Entscheidung über den Beginn des Krieges?

(22:03h) Obama macht einen Punkt, indem er seine an Krebs gestorbene Mutter anführt: Sie habe noch auf dem Totenbett mit den Versicherungsfirmen streiten müssen. In so einem System sei etwas grundsätzlich falsch. Er werde die Verbraucher schützen, während John McCain weitere Deregulierung für die Versicherungsfirmen durchsetzen wolle.

(21:58 h) Wenn Obama einfühlsam über die Sorgen der Menschen spricht, die sich die Gesundheitskosten nicht mehr leisten können, macht er gute Punkte. Wenn er McCains Plan angreift, zeigen die Zustimmungslinien nach unten. Bei McCain ist es genauso. Die Leute wollen Lösungen hören, und sie wollen merken, dass jemand ihre Sorgen ernst nimmt.

(21: 52h) McCain sagt, er werde die Frage nach der Reform der sozialen Sicherungssysteme beantworten, aber er tut es nicht: Er lobt Reagan (zum zweiten Mal), was ein bisserl sentimental wirkt. Und dann schweift er lange über nukleare Energie ab (Ich war auf Kriegsschiffen mit Nuklearantrieb, die sind sicher!).
Obama plädiert für eine Regierungsinvestititon in grüne Energie. Wie beim Internet wird eine erste Anstrengung gebraucht, damit dann eine blühende Industrie darauf aufgebaut werden könne.
McCain distanziert sich von Bush und Cheney, dessen Energiegesetz er wegen der Bevorteilung der Ölindustrie nicht zugestimmt habe, während „der da“ sehr wohl dafür gestimmt habe. er triumphiert, aber das Publikum bei CNN zieht nicht mit. McCains Grundproblem: Wie sich von Bush distanzieren, ohne opportunistisch zu wirken?

(21:38h) McCain schlägt eine Ausgabensperre für alle Bereiche ausser Verteidigung vor. Und dann verteidigt er seine These, man müsse alle Bereiche zugleich reformieren: „Ich werde einem Kranken nicht sagen, er müsse warten, bis wir die Energie im Griff haben. Wir sind Amerikaner, wir können mit mehrern Dingen zugleich fertig werden.“ Guter Punkt.
Obama kommt immer wieder mir den Steuervorteilen, die McCain den großen Unternehmen gewähren wolle. (McCain will aber allen Steuererleichterungen bringen – wie auch immer man das finanzieren will.) Eine Ausgabensperre in allen Bereichen sei ungerecht, sagt er, man müsse Prioritäten setzen. McCain wiederum greift Obama wegen seiner geplanten Steuererhöhungen an: Das würde die Wirtschaftr abwürgen in dieser eh schon prekären Lage. Wir wollen, sagt er, niemandes Steuern erhöhen. Die beiden Profile werden so immerhin recht klar. Es gibt eine klare Alternative zwischen einer Steuerpolitik, die ausgleicht (Obama) und einer Steuersenkungspolitik, die vor allem auf Ankurbelung der Wirtschaft setzt. Dass beide unter den jetzigen Umständen kaum finanzierbar wären, steht auf einem anderen Blatt. Wegen des Formats kann der Moderator keine klärenden Nachfragen stellen.

(21:26h) Eine Fragerin möchte wissen, warum man den Politikern noch trauen soll. Obama verweist darauf, dass George Bush mit einem ausgeglichenen Haushalt angefangen hat, den er von Clinton übernahm. Wieder identifiziert er McCain mit dieser Politik der großen Ausgaben bei gleichzeitiger Bevorteilung der Reichen. McCain wiederum geht frontal gegen Obama vor, den er als den am weitesten links stehenden Sentor aller Zeiten hinstellt, der immer für weitere Ausgaben gestimmt hat. McCain scheint sich deutlich besser zu fühlen als beim letzten Mal, deutlich lockerer schlendert er zwischen den Menschen herum. Befragt, welche Prioritäten er zwischen Energie, Gesundheitsreform und Sozialreformen setzen würde, schweift er weit ab und sagt schlichtweg, man könne alles gleichzeitig machen.
Obama setzt Energieunabhängigkeit als erste Priorität. Gesundheit kommt als zweites. Als drittes setzt er Bildungspolungspolitik auf die Tagesordnung. Er klingt hier deutlich fokussierter als sei Gegner.

(21:18 h) McCain greift sehr aggressiv an: Obama und seine „Genossen“ hätten dafür gesorgt, dass die Kreditistitutionen wie Fannie Mae und Freddie Mac sich mit schlechten Krediten übernommen haben.
Obama spricht zunächst zu dem Frager, dem er das Bailout-Paket erläutert. Dann wendet er sich seinem Kontrahenten zu, den er als bekennenden Deregulierer brandmarkt. Dann kriegt er sich wieder ein und sagt: „Sie sind aber nicht daran interessiert zu hören, wie Politiker hier mit dem Finger aufeinander zeigen.“ Gut erkannt, die Leute haben genug Sorgen.

(21:14 h) McCain, befragt darüber, wen er als Finazminister einsetzen würde, sagt ominös: es müsse jemand sein, mit dem die Menschen sich instinktiv identifizeren können (das Thema seiner Anti-Obama-Taktik).
Obama kontert mit seiner bewährten Taktik – „Senator McCain is right“ -, sehr präsidentiell und ruhig zu antworten und seinen Opponenten zu vereinnahmen, statt sich auf den Kampf einzulassen.

(21:09) Obama geht sofort auf die Bush-Regierung und ihre Deregulierungspolitik los, mit der er McCain identifiziert. Er plädiert für Regullierung der Finanzmärkte. Und schon fällt das Zauberwort: Middleclass! Ihr braucht jemanden, der für Euch da ist, einen Anwalt der kleinen Leute.
McCain beginnt merkwürdiger Weise mit der Energiepolitik, dann findet er zum Thema zurück: er wird versuchen, die Immobilienpreise zu stabilisieren. Der Finanzminister wird die schlechten Hypotheken aufkaufen.

(18:54h) So viel vorweg zur Vorbereitung: Die heutige Debatte ist eigentlich keine. Es gibt ein 31seitiges Memorandum, in dem beide Parteien die genauen Regeln festgelegt haben.
Die Debatte findet demnach im „Town-Hall“-Format statt. Das heißt, die Kandidaten müssen auf Fragen aus dem Publikum reagieren. Die Publikumsfragen wurden natürlich vorher gesiebt – nicht von den jeweiligen Kampagnen, sondern von der Gallup-Organisation. So soll klargestellt werden, dass die Fragesteller in etwa repräsentativ für das ganze Land sind.
Auch aus dem Internet kommt etwa ein Drittel der Fragen. Es sind leider keine Nachfragen erlaubt, weder für den Moderator Tom Brokaw, noch für die Fragesteller.
Die Kandidaten dürfen sich auch nicht direkt angehen. Es ist sogar festgelegt, welchen Raum in der Arena sie betreten dürfen.
So kann das Ganze zu einem sterilen Verfahren werden. Ich denke allerdings, dass die aggressiven Vorgeplänkel, über die ich hier berichtet habe, für einige Spannung sorgen werden. Die beiden werden sich hart angehen, und sei es auch um die Ecke.
Das Gute an diesem Format: Die beiden Kontrahenten dürfen keine vorbereiteten Notizzettel mitbringen. Sie dürfen lediglich während der Debatte Notizen aufschreiben.
Zwei Stunden noch!

(11:22h) Heute Nacht um 3h MEZ werde ich hier wieder live die Präsidentschaftsdebatte begleiten.
Es ist einiges an Dramatik zu erwarten, nachdem beide Kandidaten einen deutlich aggressiveren Wahlkampf führen: McCain setzt darauf, Obama durch Angriffe auf seinen Charakter zu unterminieren (daher die Veröffentlichungen über radikale Bekannte des demokratischen Kandidaten). Und Obama versucht McCain im Gegenzug mit der Ideologie der Deregulierung um jeden Preis zu identifizieren, die an der gegenwärtigen Krise schuld sei.
McCain sieht sich der Schwierigkeit gegenüber, dass ein negativer Charakterwahlkampf in einer Zeit großer ökonomischer Sorgen wie eine Ablenkung vom Eigentlichen aussehen kann.
Und Obama steht vor dem Problem, dass er einerseits angreifen muss, andererseits damit riskiert, als „wütender schwarzer Mann“ dazustehen und vor allem ältere weiße Wähler zu verschrecken, die er dringend braucht.
Beste Vorrausetzungen für einen spannenden Abend (Morgen).

 

Obama – befreundet mit einem Terroristen?

Sarah Palin hat am Wochenende einen Vorgeschmack auf die härteren Tage gegeben, die im amerikanischen Wahlkampf bevorstehen – zumal seit das republikanische Ticket in den Umfragen weiter zurückfällt.

Sie warf Barack Obama vor,  er pflege „kumpelhafte Beziehungen zu Terroristen“ (palling around with terrorists).

Der Vorwurf geht zurück auf eine Geschichte der New York Times, in der Obamas Beziehung zu Bill Ayers rekonstruiert wird, einem der Gründer der marxistisch-terroristischen „Weatherman“-Gruppe. Ich muss hier die von der Times referierten Fakten nicht rekapitulieren. Nur soviel:

„Mr. Obama, 47, has played down his contacts with Mr. Ayers, 63. But the two men do not appear to have been close. Nor has Mr. Obama ever expressed sympathy for the radical views and actions of Mr. Ayers, whom he has called “somebody who engaged in detestable acts 40 years ago, when I was 8.”

Ich kann in Obamas Kontakten zu Ayers wenig Problematisches finden. Allerdings stehe ich ziemlich fassungslos vor der Tatsache, dass ein politischer Irrer wie Ayers es in Chicago zum „Distinguished Professor“ für Erziehungswissenschaften (!) gebracht hat. Wäre es angesichts seiner radikalen Opposition gegen das „Schweinesystem“ anno ’68ff. nicht angemessen gewesen, eine gewisse Schamdistanz zu eben jenem System zu halten, statt dann mirnichtsdirnichts ins Establishment aufzusteigen? Ekelhaft, sowas.

Und hier liegt auch ein Problem für den demokratischen Kandidaten: Von solchen Kreisen sollte man aus Gründen politischer Hygiene grundsätzlich Distanz halten. Wer einst im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte für Terror als politisches Mittel gestanden hat und bis heute ein ungeklärtes Verhältnis zur Gewalt hat, gehört in die politische Isolation.

Obama hat sich allerdings in deutlichen Worten von den „widerwärtigen Akten“ distanziert, für die Ayers gestanden hat. Und es gibt keine Indizien, dass er je für den Radikalismus des „Weather Ungergrounds“ irgendwelche Sympathien gehabt hat (die ja ohnehin retrospektiv gewesen wären, des Alters wegen). Die Times zitiert in dem Artikel Obamas Kompagnon bei der Harvard Law Review, einen späteren Bush-Mitarbeiter: Obama war ein pramatischer Linker, der den Radikalen eher ein Dorn im Auge war.

Die McCain-Palin-Kampagne braucht dringend Stoff, um die Basis zu begeistern, die wegen der schlechten Wirtschaftslage von der Fahne geht.

Es wird deutlich, dass die Dame hier in die Offensive geht, nicht der alte Soldat. Dem Ehrenmann McCain selber liegt dergleichen nämlich überhaupt nicht.

McCain ist ein Mann, der zuviel erlebt hat, um sich auf die Fiesigkeiten eines solchen Wahlkampfs einzulassen. (Jedenfalls bisher.)

John McCain hatte übrigens selbst einen radikalen Freund: David Ifshin, einen der Studentenführer, die seinerzeit gegen den Vietnamkrieg demonstriert haben. Ifshin kam nach Nordvietnam, als McCain dort einsaß, um Amerikas Krieg öffentlich zu denunzieren. Solche Reisen nach Hanoi wurden damals als Hochverrat angesehen. Doch McCain hat Ishin später eine rührende Rede gewidmet, in der er versuchte, die Wunden zu heilen, die der Vietnam-Krieg gerissen hatte. Am 16. Mai 2007 sprach McCain vor Studenten der Columbia Universität über David Ifshin:

„I had a friend once, who, a long time ago, in the passions and resentments of a tumultuous era in our history, I might have considered my enemy,“ Mr. McCain said. „He had come once to the capitol of the country that held me prisoner, that deprived me and my dearest friends of our most basic rights, and that murdered some of us. He came to that place to denounce our country’s involvement in the war that had led us there. His speech was broadcast into our cells. I thought it a grievous wrong and I still do.“

„When he returned to his country he became prominent in Democratic Party politics,“ the senator said. „He still criticized his government when he thought it wrong, but he never again lost sight of all that unites us. We met some years later. He approached me and asked to apologize for the mistake he believed he had made as a young man. Many years had passed since then, and I bore little animosity for anyone because of what they had done or not done during the Vietnam War. It was an easy thing to accept such a generous act, and we moved beyond our old grievance,“ Mr. McCain said.

„We worked together in an organization dedicated to promoting human rights in the country where he and I had once come for different reasons. I came to admire him for his generosity, his passion for his ideals, for the largeness of his heart, and I realized he had not been my enemy, but my countryman . . . my countryman …and later my friend. His friendship honored me. We disagreed over much. Our politics were often opposed, and we argued those disagreements. But we worked together for our shared ideals,“ the senator said.

Große Sätze. McCain hat Ifhsin geschätzt, weil jener  eine radikale Revision seines Denkens vorgenommen hatte (anders als Ayers).

Unwahrscheinlich, daß wir diesen McCain, der im politischen Gegner den respeltablen Menschen sieht, in der nächsten Zeit hören werden.

Er wird vielleicht schweigen und Sarah Palin das Feld überlassen.

Sie hat offenbar weniger Skrupel als er, persönlich zu werden.

 

Palin-Biden, der Morgen danach

Ich habe wahrlich genug zu dem gestrigen Duell geschrieben.
Nur so viel zu den Reaktionen, die mich einigermassen perplex zurücklassen: Ich denke nicht, dass man dieses Duell auf die geschmäcklerische Art und Weise rezipieren kann, wie es vielerorts passiert.
Ach, sie ist doch ein frisches Gesicht! Warum nicht einmal jemand, der middle America repräsentiert? Sie hat sich doch tapfer geschlagen für einen Außenseiter! Gemessen an den Erwartungen hat sie alle positiv überrascht! Eine junge Frau, die sich nicht einschüchtern läßt! Etc, etc. 
Unfaßlich. Wir reden hier über eine Kandidatin für das derzeit mächtigste Amt der Welt.
Jawohl, Vizepräsident ist seit 8 Jahren der wichtigste Job in Washington, nicht Präsident. Und diese Frau hat in der Debatte verlangt, das Amt im Cheney’schen Sinn weiterzuführen. Nicht zeremoniell und helfend wie es traditionell verstanden wurde. Sondern operativ und machtvoll.
Und die Frau, die sich das zutraut, ist nicht bereit, eine echte Pressekonferenz zu geben, ohne Skript durch ihre Trainer und Berater? Wo leben wir denn? In Putins Rußland?
Es ist unglaublich, dass John McCain uns diese Frau als Kandidatin  präsentiert. Eine ungeheuerliche Verantwortungslosigkeit, ausgerechnet von dem Mann, der sich als erfahrener und urteilskräftiger Mann für dieses Amt empfiehlt.
Die New York Times faßt es so zusammen:„In the end, the debate did not change the essential truth of Ms. Palin’s candidacy: Mr. McCain made a wildly irresponsible choice that shattered the image he created for himself as the honest, seasoned, experienced man of principle and judgment. It was either an act of incredible cynicism or appallingly bad judgment.
Nichts hinzuzufügen.

p.s. Hier eine kleine Hilfe zum Verstehen der Palinschen Rede:

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Palin gegen Biden – die Debatte

Cambridge, Mass. – Biden gibt den Charmeur: „It’s a pleasure to meet you, Governor, and to be with you…“ Dann kommt er gleich auf Obama und dessen Haltung zum Bailout zu sprechen. „Wir werden uns auf die Mittelschicht konzentrieren“, und das unterscheidet uns von unseren Konkurrenten, so Biden.

Palin spricht sofort die Ängste in der Bevölkerung an. Sie wendet sich direkt ans Volk und erwähnt die Konkurrenz überhaupt nicht. Sie schaut Biden nicht an. Sie wirkt sehr selbstsicher. (21:07h)

Biden erinnert an McCains Satz, die Grundlage der Wirtschaft sei stark . Die Frage war allerdings, wie die beiden Kandidaten die Polarisierung Washingtons überwinden wollen. Beide machen keine Anstalten zu Versöhnlichkeit. (21:11h)

Palin kritisiert die Mentalität derjenigen, die sich mit dem Hauskauf übernommen haben. Sie appeliert an die konservative Vernunft, nicht über die eigenen Verhältnisse zu leben. Klarer Punkt für Palin. Biden antwortet mit einer Attacke auf McCain, dessen witschaftspolitische Kompetenz er immer wieder in Abrede stellt. Das zieht nicht so gut, weil er keine eigene Position formuliert. (21:15h)

Biden ist wieder – und viel zu lange – damit beschäftigt, seinen Herrn und Meister zu verteidigen. Palin hingegen spricht, als wäre sie selbst die Spitzenkandidatin. Und das ist sie ja auch. Biden wirkt dagegen, als hätte man ihn geschickt, eines anderen Sache zu vertreten. Wieder Punkt Palin, die völlig ruhig wirkt. (21:17h)

Biden macht endlich Punkte, als er über die Mittelschicht und ihre Sorgen spricht. Die Mittelschicht muss endlich entlastet werden. Die Reichen, sagt er, zahlen nicht mehr Steuern als unter Ronald Reagan. Endlich hat er sein Thema gefunden und spricht selbst direkt zum Wähler. (21:19h)

Palin leiert die alte Lehre der Republikaner herunter, dass  der Staat nur aus dem Weg gehen muss, damit die Wirtschaft endlich Arbeitsplätze schaffen kann. Damit ist heute kein Blumentopf mehr zu gewinnen. (21:21h)

Biden kontert, er wolle nicht Umverteilung, sondern Fairness für die Mittelschicht. Dann verliert er sich in den Einzelheiten der Gesundheitspolitik. Am Ende schließt er mit seiner vorbereiteten Pointe ab: „Das nenne ich die ultimative ‚Brücke ins Nichts‘.“ Sein Refrain ist: keine weiteren Steuererleichterungen für Reiche! (21:24h)

Palin hat ein professionelles, gleichmäßiges Lächeln auf, allerdings von der stählernen Sorte. Dennoch: Sie scheint sich wohlzufühlen. Sie legt eine kleine Selbstlob-Orgie ein, was sie alles für die „Menschen in Alaska“ getan habe. Das tut man eigentlich nicht, bringt auch keine Punkte. Und dann wieder die populistischen Sprüche gegendie „Gier an der Wall Street“. Chuzpe von der Partei, die lange die schützende Hand über Wall Street gehalten hat! (21:26h)

Biden hat keinen Stoff mehr: Jetzt erwähnt er zum dritten Mal den angeblich von McCain beabsichtigten 4 Milliarden-Steuervorteil für Exxon. Langsam muss  er eine andere Platte auflegen. Palin ernennt McCain zum einsamen Warner vor der Finanzkrise. Glaubt ihr aber niemand, dass McCain davon umgetrieben gewesen sei. (21:29h)

Palin kommt wieder auf ihre eigene Verdienste in Alaska zurück. Sie stolpert minutenlang herum – dann findet sie den Faden. Sie sagt den Leuten im wesentlichen: Energieunabhängigkeit kriegen wir auch mit Öl hin. In Alaska haben wir noch viel davon. (21:3h)

Palin wieselt herum, als es um den menschlichen Anteil an globaler Erwärmung geht: Sie wolle jetzt nicht in die Ursachenforschung gehen.

Biden kontert, der Klimawandel sei menschengemacht, und es sei wichtig, die Ursache zu kennen, damit man mit vernünftigen Lösungen kommen könne. Er will neue Jobs schaffen durch die erneuerbaren Energien.

Palin verweist wieder auf die Milliarden Barrel Öl in Alaska. Die Demokraten verhindern durch ihre Ablehnung des Bohrens vor der Küste die Lösung der amerikanischen Energieprobleme. (21:38h)

Jetzt gehts zu den kulturkämpferischen Themen: Biden setzt sich für die Rechte von Homosexuellen ein.

Palin erwähnt die traditionelle Familie, betont dann aber, sie sei „tolerant“ und habe nichts gegen Besuchsrechte im Krankenhaus und Gleichbehandlung bei Versicherungspolicen.

Biden will auch keine neue Definition der Ehe. Sie soll nicht für Homosexuelle geöffnet werden. Allerdings soll es eine zivilrechtliche Gleichstellung geben.

Und das ist doch schon mal eine Meldung: Der Kulturkampf ist vorbei. Es gibt zwischen Links und Rechts keinen Streit mehr um die Rechte von Lesben und Schwulen. (21:41h)

Palin verteidigt den „Surge“ und behauptet, Amerika sei auf dem Weg zum Sieg im Irak. Wenn nur die bösen Demokraten nicht gegen die Unterstützung der Truppen gestimmt hätten. Gähn!

Biden greift endlich an und sagt den Satz: Wir werden den Krieg im Irak beenden. „Das ist der fundamentale Unterschied zwischen uns.“ Palin versucht zurückzuschießen: „Ihr Plan ist eine weiße Fahne!“ Sie wirkt nicht sicher dabei. Es ist auch lächerlich, wenn die Alaska-Gouverneurin sich hier gegen Biden erhebt, der sich seit Jahren mit dem Krieg beschäftigt (und selber ursprünglich dafür war). Kein Punkt. Schwach. (21:46h)

Biden hat eine sehr starke Strecke, als er auf den wahren Kampfplatz im Krieg gegen den Terrorismus  verweist: Afghanistan und die pakistanische Grenze zu dem Land. Das ist die schwache Seite McCains und Palins: Sie müssen behaupten, der Irak sei die zentrale Front. Und sie wissen, dass das nicht stimmt. Klarer Punkt Biden. (21:51h)

Palin plappert McCains Kritik an Obamas vermeintlicher Iran-Position nach: er wolle sich mit Ahmadinedschad an einen Tisch setzen. Sie wirkt auf diesem Feld nicht zuhause und sehr unfrei. Auch zu Israel leiert sie brav die Positionen herunter: Zweistaatenlösung, kein neuer Holocaust etc. Aber da gibt es keinen Kontrast zur Gegenseite.

Biden greift an: Die Nahostpolitik der Bush-Regierung ist ein einziges Versagen. Hamas und Hisbollah als Gewinnler der „Demokratisierung des Nahen Ostens“.

Palin kann nur antworten, sie sei so froh, „daß wir beide Israel lieben“. Sie sagt ganz generell und unspezifisch, es habe unter Bush „massive Fehler gegeben“, und nun werde der „Wandel“ kommen. Biden kontert sehr gut, er habe noch nicht gehört, wie sich McCains Positionen von Bush unterscheiden. Er läßt sich das „Change“-Logo nich stehlen. (21:57h)

In Afghanistan will Palin die Politik des Surge anwenden. Biden hat die New York Times gelesen, in der heute der leitende General  gesagt hat, die Übertragung aus dem Irak sei nicht möglich. Palin fällt zunehmend in sich zusammen. Sie hat hier einfach nichts entgegenzusetzen.

Jetzt versucht sie es doch und behauptet, der General habe das nicht gesagt. Und es werde eben doch gehen. Wie ein trotziges Kind. (22:00h)

Biden wird damit konfrontiert, dass er für die Interventionen in Bosnien war. Er steht dazu, die Intervention sei ein Erfolg gewesen und habe Leben gerettet.

Palin schaltet um auf niedlich: „Es ist so offensichtlich, daß ich ein Washington-Außenseiter bin.“ Süß. Während du, Biden, suggeriert sie, immer wieder hin und her geschwankt bist zwischen Falke und Taube. Funktioniert nicht: „Außenseiter“ übersetzt sich hier einfach als ahnungsloses Greenhorn. (22:07h)

Palin möchte, man sieht es, dass es endlich vorbei ist (ausser wenn man vielleicht noch ein bißchen über Wasilla und den großen Staat Alaska reden könnte).

Biden wird gefragt, was er tun würde, wenn der Präsident stürbe: Er nutzt das sehr geschickt, um Obamas Programm noch einmal aufzusagen – Mittelschicht fördern, Afghanistan gewinnen, Amerika wieder mit der Welt versöhnen. Souverän.

Palin weiss nicht so recht, was sie sagen sagen soll. Sie wird McCains Weg fortsetzen, dann baut sie irgendwie Wasilla ein. Die Regierung soll den Leuten einfach aus dem Weg gehen, sagt sie. Ob das funktioniert, wenn die Menschen sich Schutz und Regulierung wünschen? Habe da meine Zweifel. (22:12h)

Palin flüchtet in die Familiengeschichte. Gleich wird sie ihre alte Tante zuhause  am Bildschirm grüßen. Sie spricht über die Wichtigkeit von Erziehung, aber das bleibt – wie alles in der zweiten Hälfte – sehr kursorisch. McCain, enthüllt sie, habe ihr Energie-Unabhängigkeit als Feld in der Regierung versprochen.

Biden wird kein spezifisches Feld haben, sondern er sieht sich eher als Berater. Und dann zischt er plötzlich einen scharfen Angriff gegen Cheney als „gefährlichsten Vizepräsidenten unserer Geschichte“ hervor. Er will den Vizepräsidenten wieder auf seine bescheidenen verfassungsmässigen Funktionen zurückführen.

Palin kommt zum vierten Mal mit ihrer Alaska-Efahrung, die sie qualifiziere, in der Energiepolitik  eine führende Rolle zu spielen. Und dann sagt sie, sie verstehe die vielen Menschen, die sich keine Gesundheitvorsorge leisten können. (Will sie ihnen etwa eine Versicherung geben?)

Biden punktet abermals mit einem Plädoyer für einen Wechsel. Die Leute haben genug, sie wollen „Change“. Palin wirft Phrasen um sich vom „Maverick“ McCain, der den wahren Wechsel verkörpere.

Biden greift nun frontal an und sagt, McCain sei eben kein Querkopf gewesen, er habe im wesentlichen immer mit Bush abgestimmt. (22:26h)

Palin bringt zum xten Mal ihre Erfahrung in Alaska im Spiel. Bisschen zu oft.

Biden hat sich für den Schluß eine Geschichte zurechtgelegt, in der er sich bescheiden gegenüber Jesse Helms verneigt, eine der kontroversen rechten Figuren. ein

Palin bezieht sich auf Ronald Reagans Freiheitsideale und leiert etwas herunter über die Mittelschicht, Verteidigung, und die Freude, ein Amerikaner zu sein. Alles sehr kursorisch.

Biden malt ein schwarzes Bild der letzten acht Jahre, bevor er dann die gleichen amerikanischen Werte und Tugenden beschwört wie seine Kontrahentin.  Sie müßten allerdings, suggeriert er, erst wieder ins Recht gesetzt werden von Obama und seiner Wenigkeit.

Sarah Palin wirkt sehr erleichtert, geradezu aufgekratzt, als sie Biden für die Debatte dankt. (21:33h)

Sie ist nicht zusammengebrochen unter dem unwahrsacheinlichen Druck, der sich – vor allem durch ihre grauenhaften Interviews – aufgebaut hatte. Sie hat mit Anstand überlebt. Und mit ihr wird noch zu rechnen sein. Niemand hat erwartet, dass sie bei der Aussenpolitik gewinnt. Es war genug, dass sie Biden die ersten zwanzig Minuten lang scheuchen konnte – in der Innenpolitik. Biden hat insgesamt gewonnen, kein Zweifel. Aber Diese Debatte wurde darum überall mit Spannung erwartet, weil man sehen wollte, ob Sarah Palin untergeht. Sie wußte das und hat erfolgreich dagegen angekämpft. Insofern war das ein Erfolg, obwohl Senator Biden gewonnen hat. Sarah Palins Geschichte ist noch nicht zuende. (23:21h)

 

Liveblogging: Palin vs. Biden

Die Debatte der Kandidaten ums Amt des Vizepräsidenten wird hier erwartet wie das Endspiel zu Fußballweltmeisterschaft bei uns zuhause.

Eine neue Umfrage der Washington Post sieht Palins Stern bei ihrer Anhängerschaft im Sinken begriffen, seit sie sich mit eier ganzen Reihe ungeschickter Interviewsnäher vorgestellt hat.

Palin hat bis heute keine einzige echte Pressekonferenz gegeben, bei der Reporter Gelegenheit zu unerwartbaren Fragen gehabt hätten.

Das ist schon sehr bemerkenswert für eine Gouverneurin, die mit solchen Ritualen ja eigentlich vertraut sein sollte.

In der Umfrage der Washington Post und des Senders ABC äußern sich 60 Prozent sehr skeptisch über Palins Eignung als Vizepräsidentin. (Wäre McCain nicht der älteste Bewerber in der US-Geschichte, würde das nicht so ins Gewicht fallen.)

Ich bin trotzdem nicht so sicher, dass sie nicht gewinnen kann: Palin ist in der guten Situation, Angreiferin und Opfer zugleich spielen zu können. Sie kann Biden herausfordern auf der inhaltlichen Seite – und dann, wenn er etwa zu einer überheblichen Welterklärungsantwort ansetzt, wie man es von ihm kennt, kann sie die Newcomerin geben, die vom Establishment niedergemacht wird. Dass sie eine Frau ist, wird dabei helfen: Elchjägerin und Sexismusopfer in einer Person, das Spielchen wurde schon in den letzten Wochen weidlich gespielt. Für Biden spannt sich da eine Riesenfalle auf, Bin gespannt, wie er damit umgeht.

Ich werde die Debatte heute auf der Großleinwand in der John F. Kennedy School of Government verfolgen, und dabei live bloggen.

Vielleicht findet sich ja der ein oder andere Schlaflose, der ab 3 Uhr MEZ dabei sein will.

 

Zukunftsneid. Warum glaubt niemand mehr an den Fortschritt?

 Mein Beitrag aus dem aktuellen Heft des Merkur:

Wenn ich die Selbstauskunft der britischen Zeitschrift The Economist lese, packt mich jedes Mal der Neid: »Diese Zeitung«, steht da, wird seit dem Jahr 1843 veröffentlicht, »um teilzunehmen an dem harten Wettstreit zwischen der Intelligenz, die vorwärts drängt, und einer unwerten, ängstlichen Ignoranz, die unseren Fortschritt verhindert«. Das altliberale Bekenntnis des Economist mit seiner in 165 Jahren ungebrochen kämpferischen Fortschrittsidee, die sich in großer Selbstverständlichkeit gegen »ängstliche Ignoranz« stellt, macht mich eifersüchtig.

Warum es solche progressiv-liberale Selbstgewissheit hierzulande – jedenfalls als bedeutsame politische Strömung – nie gegeben hat und vielleicht auch niemals geben kann, muss an dieser Stelle nicht erklärt werden. Nur so viel: Im selben Jahr 1843, in dem der schottische Hutmacher und spätere Parlamentsabgeordnete James Wilson den Economist gründete, um Freihandel und gesellschaftlichen Liberalismus zu propagieren, reiste Heinrich Heine durchs winterliche Deutschland, dessen Rückständigkeit er im darauffolgenden Jahr sein sarkastisches Denkmal setzte. Der erste Economist und Deutschland. Ein Wintermärchen sind Gründungsdokumente zweier Gestalten des Liberalismus: offener Kampf für den Fortschritt dort, elegisch-bittere Klage über seine Verhinderung hier.

Wer in den ängstlichen und am Ende zunehmend verbitterten siebziger und achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts aufgewachsen ist, für den wird das Wort »Fortschritt« wohl für immer einen verbotenen und leicht frivolen Klang behalten. Merkwürdig ist das allerdings: Denn man legte damals ja eigentlich großen Wert darauf, als »progressiv« zu gelten. Doch zu den »Progressiven« zu gehören bedeutete, auf den Fortschritt in Wissenschaft und Technik herabzuschauen und sich über den »Fortschrittsglauben« der Zeit zu mokieren.

Das war nicht immer so gewesen. Weiter„Zukunftsneid. Warum glaubt niemand mehr an den Fortschritt?“

 

Muslime und Evangelikale als Herausforderung der säkularen Gesellschaft

Gestern habe ich folgenden Vortrag beim Goethe-Institut in New York gehalten (Marcia Pally, deren Buch zum Thema sehr zu empfehlen ist, sprach über die Evangelikalen in Amerika):

Ladies and Gentlemen,
a friend of mine who reports on Islam in Europe for the New York Times Magazine has a book coming out. Its title is: Reflections on the Revolution in Europe. Immigration, Islam and the West.  Christopher Caldwell borrowed the title obviously from Edmund Burke’s 1790 book Reflections on the Revolution in France. Is he overstating his case by using the term revolution?
Hardly. There are major changes going on – in terms of demographics, culture and domestic as well as foreign policies of the European countries – and many of them relate to immigration.
And the most contentious thing about this situation is this: Religion is back to haunt the European public as a political challenge. Some of our most lively debates during the last years were about headscarfs in public schools and courtrooms, cartoons making fun of religious sensitivities, mosque-building-projects and so on. It would be an understatement to say that the Europeans have been taken by surprise. There is widespread anger, shock and resentment about the fact that the issue of religion in the public sphere is on the table once again. Had we not settled these problems once and for all?

Religious belief was a private matter, we thought. Less and less people cared about religion anyhow, attended sunday service or listened to what the pope had to say. But with the Muslims there is a new and incresingly vocal group of pious people that wants to be taken serious, wants to find a place in the framework of church-state-relations – or maybe even challenge that very framework.

There is an analogy between evangelicals in the US and muslims in Europe: Both groups stand for the unresolved in the relation between religion and secular society. Both groups remind the majorities in the US and in Europe that our societies are not as secular as we tend to think they are.
Europeans tend to put their light under a bushel, when asked about their religious affiliation. We tend to play our religion down. A good european is either non-religious or he does not make a public stance of it. In America, there is completely different attitude: Weiter„Muslime und Evangelikale als Herausforderung der säkularen Gesellschaft“

 

Friedman: Wir hätten die Nato nicht erweitern sollen

Tom Friedman hat heute in der New York Times einen Kommentar, der sich in die russische Sichtweise einübt.

Wir hätten die Nato nach dem Ende der Sowjetunion nicht ausdehnen sollen, um Rußland nicht in die Defensive zu drängen. Das hat Putins Regiment nämlich einfacher gemacht, weil wir seine Weltsicht plausibler gemacht haben – Rußland als eine eingekreiste, gedemütigte Macht, die durch Öl und Kanonen auf Genugtuung drängt.

„It seemed to us that since we had finally brought down Soviet communism and seen the birth of democracy in Russia the most important thing to do was to help Russian democracy take root and integrate Russia into Europe. Wasn’t that why we fought the cold war — to give young Russians the same chance at freedom and integration with the West as young Czechs, Georgians and Poles? Wasn’t consolidating a democratic Russia more important than bringing the Czech Navy into NATO?

All of this was especially true because, we argued, there was no big problem on the world stage that we could effectively address without Russia — particularly Iran or Iraq. Russia wasn’t about to reinvade Europe. And the Eastern Europeans would be integrated into the West via membership in the European Union.

No, said the Clinton foreign policy team, we’re going to cram NATO expansion down the Russians’ throats, because Moscow is weak and, by the way, they’ll get used to it. Message to Russians: We expect you to behave like Western democrats, but we’re going to treat you like you’re still the Soviet Union. The cold war is over for you, but not for us…

Despite all the pious blather about using NATO to promote democracy, the belief in Russia’s eternal aggressiveness is the only basis on which NATO expansion ever made sense — especially when you consider that the Russians were told they could not join. The other premise was that Russia would always be too weak to endanger any new NATO members, so we would never have to commit troops to defend them. It would cost us nothing. They were wrong on both counts.

The humiliation that NATO expansion bred in Russia was critical in fueling Putin’s rise after Boris Yeltsin moved on. And America’s addiction to oil helped push up energy prices to a level that gave Putin the power to act on that humiliation.“

Ja, da ist auch was dran. Allerdings wird Putin hier doch allzusehr nur als Getriebener dargestellt, und nicht so sehr als eiskalter Akteur, der er auch ist.

Hier übrigens kann man eine Zusammenfassung (eng.) der Doktorthese von Vladimir Putin über die strategische Bedeutung der Öl- und Gasreserven lesen.