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Amerikanisches Krisentagebuch III

Eine ältere Dame im Café in Rockport, Massachusetts, fängt unaufgefordert an, sich für den amerikanischen Präsidenten zu entschuldigen. Der Auslöser ihrer Rechtfertigungssuada ist die Tatsache, dass wir aus Europa kommen: „Sie wissen ja hoffentlich, dass wir ihn nicht gewählt haben. Hier in Massachusetts hat kein Mensch George Bush gewählt. Wir haben noch nie für die gestimmt.“ Sie arbeite als Bibliothekarin am MIT, gibt sie uns zu wissen. Mir dient diese Reaktion auch zur Erinnerung, dass Massachusetts mit seinem eingefleischten Demokraten-Stolz und Kennedy-Kult nicht für die USA im Ganzen steht. Aber andererseits wird gerade heute berichtet, dass Obama auch in Ohio vorne liege.

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Der deutsche Botschafter spricht in Harvard. Er nennt die Weltprobleme, die das transatlantische Verhältnis herausfordern werden. Nummer eines ist die Finanzkrise. Dann kommt die globale Erwärmung und die Abhängigkeit von fossiler Energie. Dann „nukleare Proliferation“ – das Wort Iran fällt nicht. Viertens radikalen Extremismus (auch islamistischer Art). Fünftens „failed states“. Sechstens Armut. Siebtens die transatlantischen Institutionen (NATO inklusive). Achtens Russland, China, Afghanistan und Iran – und die Zukunft der internationalen Strukturen im Licht dieser Konflikte. Die Reihenfolge ist einigermassen frappierend. Iran hätte vor kurzem noch ganz oben gestanden. Der Nahe Osten wird am Ende mehr pflichtschuldig erwähnt. Es gibt erstaunlicher Weise keine Einwände gegen diese Rangfolge von den amerikanischen Anwesenden. Vor Jahr und Tag noch hätte man an der jeweiligen Rangfolge der Probleme die transatlantischen Differenzen kenntlich machen können – hier Venus Europa, da Mars Amerika. Vorbei? In wenigen Wochen hat sich eine radikale Neuordnung der Prioritäten durchgesetzt. Vielleicht eine Rückkehr zum Wesentlichen?

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Meine Vermieterin Kim weiß aus Georgia zu berichten, dass die Menschen stundenlang anstehen, um jetzt schon am early voting teilzunehmen. Hunderttausende neue Wähler seien dabei, die vorher nie zur Wahl gegangen sind – vor allem unter den Schwarzen. Kim ist selber schwarz. Als ich behaupte, diesmal würde die Rassenfrage nicht so sehr ins Gewicht fallen, weil die realen Probleme zu stark seien, bleibt sie skeptisch: „Das Rassenthema ist tief eingegraben in unserer Gesellschaft.“ Ausserdem sei die Wirtschaftskrise nicht unbedingt ein starkes Argument für Obama: Der sei nicht viel besser qualifiziert als McCain, um die Finanz-Probleme zu lösen, sagt Kim. Für sie scheint die Aussenpolitik eine starke Rolle zu spielen: Amerikas Ansehen in der Welt, der Irakkrieg. Und im Innern die immer weiter wachsende Ungerechtigkeit der amerikanischen Gesellschaft. Mein Eindruck ist, dass sich bei Obamas Anhängern eine Art magisches Denken Bahn bricht: Nur ja nicht voreilig den Sieg beschreien, nur ja nicht zugeben, wieviel für einen daran hängt – es mag Unglück bringen. Klug ist das ja auch, denn: „it ain’t over until the fat lady sings“.

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Joseph Nye von der Harvard Universität – Erfinder des Konzepts soft power – hält es für möglich, dass Obama von Osama eine „October Surprise“ drohen könne. Der letztere könnte sich nämlich durch Herrn Obamas „soft skills“ gefährdet sehen, durch welche die Weltmeinung wieder für das verhasste Amerika eingenommen werden könnte. Und um dies zu verhindern könnte Osama versucht sein, etwas anzustellen, das McCain in die Hände spielt. Da ist etwas dran: Obama könnte in der Tat das Spiel der Qaida durchkreuzen, weil er Amerika (für den Anfang jedenfalls) das offensichtlich Feindliche nimmt. Er wäre – gerade wegen seines kenyanischen Vaters und seiner Jugend in Indonesien – schwerer als Feind und „Kreuzfahrer“ zu brandmarken. Aber die Vorstellung, dass die Qaida-Planung auf den amerikanischen Wahlkampf hin berechnet werden könnte, riecht mir dann doch zu sehr nach Verschwörungstheorie.

 

Amerika hat seinen Kredit überzogen

Wir müssen Andrew J. Bacevich lesen.

Im August hat dieser Professor für internationale Politik am Boston College ein Interview gegeben, in dem alles angesprochen ist, was kurz darauf so spektakulär schief ging. Geradezu unheimlich, wie klar dieser Mann das Unheil kommen sieht. Bacevich ist ein West-Point-Absolvent und Vietnam-Veteran, ein konservativer Mann, dessen Sohn sein Leben als Soldat im Irak ließ.

Wenn so ein Mann solche Dinge sagt, dann ist das ein weiteres Indiz dafür, dass in Amerika vieles in Bewegung ist. Ich kenne derzeit keine kühlere, radikalere Kritik von kenntnisreicher Seite:

Mehr hier. Und hier. Und hier. Und hier.

 

Powell für Obama – es wird eng für McCain/Palin

Colin Powells Unterstützung für Obama hat mich zunächst skeptisch gemacht: Powell ist vor allem dadurch in Erinnerung, dass er sich zum Vehikel der Bush-Regierung gemacht hat, um den Irak-Krieg zu begründen. Powell war derjenige, der die UN in einer schändlichen Rede mit den hochgejazzten „Beweisen“ versorgt hat für Saddam Husseins Massenvernichtungswaffen – die dann nie gefunden wurden.

Aber vielleicht ist seine Wende darum eben so bedeutsam: Hier ist ein Republikaner, ehemaliger Aussenminister Bushs, dem sein Gewissen keine Ruhe läßt und der seine Schande wieder gut machen will – indem er der Bush-Regierung und ihrer Fortsetzung unter John McCain ein Ende bereiten hilft.

Und wie er redet, ist wirklich beeindruckend. Er geißelt den Rechtsruck seiner Partei und zweifelt wegen Palin an der Urteilskraft McCains, den er als Menschen sehr schätzt.

Er ist der erste Prominente, der den Mut und die Klarsicht hat, dem Rechtsdrall der eigenen Partei entgegenzutreten. Etwa in der Mitte seiner Einlassungen kommt er auf die „Obama ist ein Muslim“-Hetze zu sprechen und macht den entscheidenden Punkt: Schön und gut dem zu entgegnen, er sei ein guter Christ. „Aber was, wenn er ein Muslim wäre? Wollen wir einem sieben Jahre alten muslimischen Jungen, der davon träumt, Präsident der USA zu werden, diesen Traum versagen. Das ist nicht amerikanisch.“ Und dann erzählt er von einem muslimischen Soldaten, der im Irak gefallen ist – für die USA.

Respekt.

 

Lau regt sich mal wieder sinnlos auf

Martin Ebbing, Korrespondent in Teheran, kritisiert meine Kritik an Mary Robinsons Kopftuch in Teheran:

Laus Zorn erregt das oben zu sehende Foto von der Konferenz „Religionen in der modernen Welt“, die gestern in Teheran eröffnet wurde. Es handelt sich dabei um eine Dialogreihe, in der politische Größen dieser Welt in recht langweiligen Reden über die Bedeutung von Religionen und ihr Verhältnis zueinander räsonieren. In Teheran sind diesmal u.a. der ehemalige UN Generalsekretär Kofi Annan, der ehemalige italienische Ministerpräsident Romano Prodi, der ehemalige portugiesische Präsident Jorge Sampaio, der ehemalige norwegische Premier Magne Bondevik und die ehemalige irische Präsidentin Mary Robinson dabei.

Zutreffend erwähnt Lau, bei der Veranstaltung gehe es auch darum, dem „Reformer“ Khatami (die Anführungszeichen sind von Lau, der Ahmadinejads Vorgänger eine „Flasche“ nennt) eine „große Bühne zu geben, damit der 2009 vielleicht gegen Ahmadinedschad antreten kann“.

„Kann man machen“, gibt sich Lau gönnerisch, aber auf keinen Fall machen kann man seiner Ansicht nach, was Frau Robinson gemacht hat.

„Tugendterror“ und „Freiheitsberaubung“. Da schäumt die Feder.

Lächerlich erscheint mir eher, dass Lau ausgerechnet Mary Robinson, die bis zum Jahr 2002 UN Hochkommissarin für Menschenrechte war (was Lau nicht erwähnt), „Anbiederei an den Tugendterror“ vorwirft. In diesem Amt hat sie es an Kritik an der Menschenrechtspraxis des Irans nicht missen lassen. Im übrigen war zur selben Zeit Khatami Präsident.

Es sagt einiges, dass trotz dieser damals recht heftigen und öffentlich ausgetragenen Differenzen Frau Robinson bereit ist, einer Einladung nach Teheran zu folgen. Vielleicht ist Khatami doch weniger eine „Flasche“ und mehr ein „Reformer“ als Lau glauben mag.

Ja, was sagen die „jungen Frauen im Iran, die jedes Jahr zu Hunderten verhaftet werden wegen ‚bad hijab‘“ zum Tuch auf dem Kopf von Robinson? Nichts. Sie wissen nur zu genau, dass

a. das Tragen von Kopftüchern im Iran für Frauen aller Konfessionen gesetzlich vorgeschrieben ist

b. Khatami auch als Gastgeber der Konferenz keine Möglichkeit hat, dieses Gesetz aufzuheben

c. Khatami den Hardlinern die Vorlage bieten würde, auf die sie nur gewartet haben, wenn er öffentlich mit einem weiblichen Gast auftreten würde, der kein Kopftuch trägt.

Vielleicht weiß Jörg Lau das nicht und wahrscheinlich ist es ihm auch nicht klar, dass die überwiegende Mehrheit der von den politischen Verhältnissen im Land Frustrierten den Dialog auf jeden Fall einem provozierten Einreiseverbot wegen mangelndem Kopftuchs vorzieht.

Wenig vertraut scheint Lau auch mit der Praxis von IRNA, der staatlichen Nachrichtenagentur, zu sein, aus jeder Äußerung eines westlichen Staatsgastes eine Lobhudelei auf den Iran zu stricken – notfalls auch indem man Sätze aus dem Zusammenhang reißt oder sie in ihr Gegenteil verbiegt.

Ich bin fast geneigt, ein Kopftuch darauf zu wetten, dass Bondevik das nicht gesagt hat, was ihm bei IRNA in den Mund gelegt wird – oder zumindest nicht so.

Eigentlich ist DIE ZEIT doch im Durchschnitt eine ganz manierliche und manchmal auch nachdenkliche Zeitung. Mich geht es ja nichts an, aber irgendwie erscheint mir Jörg Lau da fehl am Platze. (Hier mehr.)

Bei dem letzteren Punkt bin ich zwar dezidiert anderer Meinung. Ich bin auch sehr „manierlich“, und also passe ich auch sehr gut in eine „manierliche“ Zeitung.

Aber vielleicht hat Ebbing ja Recht, und ich habe mich hier an der falschen Stelle aufgeregt.

Ich bin mir allerdings über die Vorschriften im Iran im klaren, und ich kenne auch die Praxis von IRNA. Aber auch Frau Robinson und Herr Bondevik kennt sie, und müßte entsprechend handeln.

Martin Ebbing meint, es lohne sich das Spiel der Mullahs mitzuspielen und man vergebe sich dabei nichts.

Ich habe den Eindruck, dass das so gar nichts bringt. Und dass man sich in der Tat lächerlich macht bei dieser Art Scheindialog. So läuft es nämlich jetzt schon seit ca. 3 Jahrzehnten. Und wo stehen wir? Diese europäische Anbiederei bringt genausowenig wie die totale Kontaktsperre der USA. Wir brauchen einen Neuanfang.

 

After Georgia and George W. – What’s left of the West

Im folgenden mein Vortrag in Harvard am Center for European Studies:

There is a warning sign at french railway crossings. It reads: Attention! An incoming train can hide another one! „Attention! Un train peut en cacher un autre!“
I should have remembered this while choosing the title for this talk. But no. Instead I went for the obvious pun about Georgia and George W. That seems a little outdated today. Because that’s what happened in the last 6 weeks: While looking out for one train, we were hit by a second one.
I should have remembered this warning while choosing the title. But no. Instead I went for the obvious pun about Georgia and George W. That seems a little outdated today.
Because that’s what happened in the last 6 weeks:
While looking out for one train, we were hit by a second one.
Who cares about Georgia these days? What happened to what seemed to be the most serious crisis since the Iraq war?

Looking back after three weeks of economic turmoil, the Georgian conflict almost looks dwarfed in relation to the worries that we are now facing.
This fact is very telling in itself: It speaks to the situation of the EU and the US that a conflict that seemed to remind of the Cold War has been overshadowed by a crisis of a completely different order. Let’s put it this way: The West’s room for action in the Georgian crisis will be determined by the outcome of the financial crisis. The „financial crisis“ is much more than this wording suggests. I will adress this later in the talk.
Anyhow, I am here at CES to try and find out which way transatlantic relations could go after these eight years. Are we going to see a more divided and more fragmented west in an increasingly multipolar world? Or are we going to see a resurgence of power block politics under a new headline – liberal democracies vis à vis autocratic regimes? A little bit later I will briefly discuss two major publications dealing with this alternative.
Where do we stand in transatlantic relations at this very moment? I would like to play time machine with you and go back more than five years to a very significant moment.
It is the eve of the Iraq war. Weiter„After Georgia and George W. – What’s left of the West“

 

Liveblogging: McCain vs Obama, letzte Runde

22:55h McCain hat Boden gutgemacht, vor allem beim Wirtschaftsthema. Er wirkte besorgter, wärmer, nicht so abgehoben wie sonst. Aber dann hat er die Sache mit Ayers übertrieben und konnte nicht aufhören, Obama immer wieder anzugreifen. Gereicht hat die Performance nicht, um das Spiel auf den Kof zu stellen. Obama nutzte die Gelegenheit, sehr präsidentiell auszusehen. Er hat weder wütend auf die Angriffe reagiert, noch hat er selbst Palin angegriffen. Er konnte am Ende bei Bildung und Abtreibung punkten. Brilliant war er nicht. Aber für ihn kam es darauf an, dass die Leute sich daran gewöhnen, dass er bald der Präsident sein könnte und das nicht völlig bizarr ist. Er hat das geschafft. McCain wiederum wirkte – verständlicherweise – zuweilen sehr angespannt. So sehen keine Sieger aus.

22:32h Die Debatte ist insgesamt merkwürdig zahm, wie gelähmt. Man kann kaum einen Bezug zur Schwierigkeit der Lage sehen. Erst im Schluß-Statement schlägt McCain den passenden Ton an. Aber er verstolpert seine Sätze, sagt zweimal, er werde ein „careful steward of your tax dollars“ sein. Er stellt sich in eine „lange Reihe von McCains“ und bietet sich als erster Diener an.

Obama nutzt den Schluß zum Angriff auf McCain und schließt dann mit Versprechungen ab – wir wünschen allen Menschen alles Gute (Ausbildung, Gesundheitsversicherung, Wohnung).

Insgesamt war das eine merkwürdig verhaltene Angelegenheit. Vielleicht lag’s am Sitzen, das wirkt aggressionshemmend.

22:23h Obama mischt in seiner Einlassung zur Bildung linke und konservative Elemente: Er will eine „Armee“ neuer Lehrer gewinnen und bedürftigen Zuwendungen geben im Ggeenzug für Dienst an der Gemeinschaft. Und dann redet er den Eltern ins Gewissen, sie müssten die Glotze ausschalten und das Videospiel wegnehmen und eine Sehnsucht nach Wissen in den Kindern wecken. McCain ist hier wieder sehr unkonzentriert und sagt, Geld sei nicht die Lösung. Stimmt ja immer irgendwie, aber auch nicht.

22:16h Endlich eine klare Alternative: Obama bekennt sich zum status quo in Abtreibungsfragen, McCain sagt, er werde den Supreme Court zwar nicht nach parteilichen Gesichtspunkten besetzen, aber jemand, der für das Recht auf Abtreibung eintrete, könne nicht in Frage kommen. (Also doch.) McCain greift immer wieder an und versucht Obama als jemanden hinzustellen, dem das Leben eines Ungeborenen nichts wert ist. Der alte Herr ist der Herausforderer. Obama ist Establishment, er regiert schon. (Merkwürdige Optik.)

22:08 h Obama hat einen free ride mit seinem Konzept zur Gesundheitsreform. McCain wendet sich „meinem alten Freund Joe, dem Klempner“ zu, verspricht ihm einen Steuervorteil für seine private Gesundheitsvorsorge und warnt vor Obamas Konzept: da würden nämlich einfache Leute gezwungen, einer Sache beizutreten, ob sie’s wollen oder nicht. Schwacher Angriff, der Wunsch nach erschwinglicher Gesundheitsvorsorge ist einfach zu weit verbreitet, um das als Horror erscheinen zu lassen.

Wiederholt geht McCain gegen Obamas Plan vor, der bedeute „big government“. Das ist lachhaft in Zeiten, in denen täglich neue Banken verstaatlicht werden – von Republikanern. Wenn er gegen „die Regierung“ redet, kommt McCain richtig in Fahrt. Aber die Leute brauchen heute eine aktive Regierung, um sie zu schützen.

21:58h Wieder zunächst Vorteil McCain: Er verteidigt das Freihandelsabkommen mit Kolumbien. Amerika müsse mit Kolumbien zusammenarbeiten, auch bei der Drogenbekämpfung. Obama hat erst Schwierigkeiten, seine Ablehnung zu begründen. Dann kommt er aufs Thema der Energieeffizienz, vor allem für Autos, als wichtigen Bestandteil der Energiepolitik. Das ist ein heisses Thema bei der aktuellen Finanzlage der privaten Haushalte.

21:52h McCain hat noch eine gute Phase bei der Frage nach der Unabhängigkeit von importiertem Öl. Er kann hier seine Differenz von Bush klarmachen, ohne Bush überhaupt zu erwähnen. Obama hat eigentlich nicht viel anderes vorzuschlagen. Die beiden Kandidaten sind sich bei der Energiepolitik relativ nahe.

21:48h Jetzt müssen beide ihre Vizepräsidenten verteidigen. Obama stellt Biden als einen guten Progressiven dar – für den kleinen Mann, für neue Energiepolitik, erfahrener Aussenpolitiker. McCain preist Palin als ein Modell für weibliche Karrieren. Obama traut sich nicht, sie anzugreifen (vielleicht klug so!). McCain hingegen geht frontal auf Biden los, der oft falsch gelegen habe. Da sieht er besser aus, freier.

21:40h Obama muss sich für Ayers rechtfertigen. Er macht das ganz ruhig, indem er seinen Kontakt herunterspielt und auf die involvierten Republikaner verweist. McCain schaut ein bisschen irre, während Obama die alten Geschichten erklärt. Hat er was erreicht? Obama hat die ganze Zeit schon gesagt, er wolle lieber zum Thema des Abends sprechen. (Ob das alles irgendjemanden interessiert, der nicht eh schon von den entsprechenden Gruppen vorinformiert ist – also die begehrten Independents? Unwahrscheinlich.)

21:39h Obama ist in der Klemme: Er will nicht auf das Thema einsteigen. Er will nicht zurückkoffern. Dadurch sieht er teilweise zu zahm aus. Aber wenn er dann immer wieder mahnt, wir sollten zum Thema zurückkehren, sieht er präsidentieller aus als der alte Herr.

21:33h Der Moderator Bob Schieffer spricht die häßliche Seite der Kampagne an, die Charakterattacken. McCain gibt sich leutselig: Es tue ihm leid „wegen beider Kampagnen“. er gibt sich verletzt durch die Vorwürfe, er und Palin hätten rassistische Ressentiments geschürt.

Obama läßt das Thema an sich abperlen: Die Leute interessiert das nicht, sagt er, daß wir uns hier beharken. Wir müssen Rezepte zur Besserung der Lage bringen.

McCain antwortet beleidigt und stilisiert sich zum Opfer einer „noch nie dagewesenen Negativkampagne“.  Geschickt? Aber der Kriegsheld jetzt als Opfer?

21:27h Obama hakt ein und merkt, dass er damit McCain in der Falle hat: Er greift ihn wieder als Fortsetzung von Bush an. Damit bringt er in die Lage, sich wieder zu verteidigen und von Bush zu distanzieren. Das sieht nicht gut aus, selbst wenn er es ehrlich meint.

21:23h: McCain wird endlich seinen Satz los, der ihn von Bush distanzieren soll: „Wenn Sie gegen Bush kandidieren wollen, dann hätten Sie vor vier Jahren antreten sollen. Ich bin nicht Bush.“ Er habe gegen die Ausgabenpolitik rebelliert, Obama nicht. Gute Angriffe, McCain kommt in Schwung.

21:21h Endlich die Frage nach dem explodierenden Defizit! „Ignorieren Sie nicht beide die Realität?“ Obama: Wir haben über unsere Verhältnisse gelebt! Aber er will nicht sagen, welche seiner Vorschläge nicht finanzierbar sind. Stattdessen spricht er von den Privilegien der Versicherungsbranche, die er wegnehmen will. Und schon ist er wieder bei Mehrausgaben – Investitionen in Energie-Unabhängigkeit.

McCain sagt das Gleiche: Wir werden tausende neue Jobs bei erneuerbaren Energien schaffen. Immer wieder sagt er, er „wisse“, wie er dem Steuerzahler Millionen einsparen könne. Und dann kommen eher kleine Beispiele. Beide sind sehr schwach, irgendwie gehemmt.

21:11h Beide Kandidaten sind gereizt. Sie wetteifern darum, wer den Leuten die größten Steuergeschenke macht. Angesichts der Wirtschaftslage ist das lachhaft. Der Moderator fragt nicht nach. Schlecht.

Heute findet die letzte Redeschlacht der beiden Kandidaten statt. Ich werde hier wieder ab 3h MEZ (21h EST) live bloggen.

Die McCain-Kampagne steht vor einer Entscheidung. Die scharfen Attacken der letzten Wochen haben nichts gebracht. im Gegenteil: je härter man Obama anging und als unpatriotisch hinstellte, ja gar als Terroristenfreund, um so mehr zog er in den Umfragen davon. Mittlerweile gibt es teilweise zweistellige Vorsprünge in entscheidenden Staaten.

Wird McCain also heute bei der letzten Debatte weiter auf Angriff und persönliche Disqualifizierung seines Opponenten setzen? Er hat es angekündigt: „I am going to say it in his face!“

Unterdessen erwarten die Wähler klarere Sprache über die dramatische Wirtschaftslage. Die Enteignungen von Häusern gehen weiter, die Arbeistlosigkeit steigt, Kredite sind schwer zu bekommen, die Rentenplanungen vieler Menschen stehen auf der Kippe.

Obama wird sich Fragen zur Finanzierbarkeit seiner Vorschläge gefallen lassen müssen. Man darf gespannt sein, wie er auf eventuelle direkte persönliche Angriffe reagiert. Sich als „wütender schwarzer Mann“ zu präsentieren, wäre sicher ein Fehler, weil es ihn für zögerliche Wähler schwerer verdaulich macht. Die Republikaner hätten ihn freilich gerne genau in dieser Ecke.

Es wird bestimmt ein spannender Abend (Morgen).

 

Die politischen Kosten der Krise

Während die Aktienmärkte sich ein wenig von den schlechtesten Wochen seit Jahrzehnten erholen, beginnen die intellektuellen Aufräumarbeiten.
Die politischen Kosten der Finanzkrise werden erst allmählich sichtbar.
Vor wenigen Jahren noch hat man Investoren aus dem Nahen Osten aus Sicherheitsgründen von strategisch wichtigen Punkten verscheucht (siehe Dubai-Ports-Deal).
Heute schaut man mit bangem Blick auf Fonds aus Nah- und Fernost und fürchtet, dass sie sich weiter zurückziehen könnten. Der Historiker Niall Ferguson hat kürzlich erläutert, dass die Staatsfonds aus Asien und dem Nahen Osten eine Hoffnung für die Amerikaner sind. Man kann also schon ahnen, wie sich die Perspektive auf die nationale Sicherheit durch die Rezession verändern wird.
Diejenigen, die den Boom finanziert haben, vor allem also die Chinesen, werden eines Tages ihre Schecks einlösen. Werden wir eine starke westliche Position im Bezug auf Menschenrechte und Demokratie in China, Tibet etc. sehen? Ich glaube nicht.
Das Gleiche gilt für den Umgang mit Rußland. Einem Land, bei dem Island um Knete anklingeln muss, damit ein Staatsbankrott vermieden werden kann, wird niemand sehr selbstbewußt entgegentreten. Die Nato-Erweiterung um Georgien und die Ukraine ist tot, egal was die offiziellen Verlautbarungen sagen.
Amerika und die Europäer werden sich die laufenden Kriege noch weniger leisten können. Der Druck auf den Rückzug wird stärker werden, jedes zusätzliche Engagement wird schwerer zu begründen sein.
Der Westen – mit den USA vorneweg – wird sich zunehmend Hinweise auf seine Doppelmoral anhören müssen: Als Lateinamerika und Asien in der Krise waren, hat man dien betroffenen Ländern die bittere Medizin der Privatisierung von Staatsbetrieben, Öffnung der Märkte und fiskalische Disziplin verschrieben. Nun, da der Westen betroffen ist, sind Verstaatlichung, Regulierung und astronomische Verschuldung plötzlich ok?
Das wird man uns noch ewig vorhalten. Die Zeit, da der Westen mit den von ihm geführten Institutionen bestimmen konnte, wie Krisen gesteuert werden, ist vorbei.
Glaubwürdigkeit ist politischer Kredit. Auch der ist dahin.
p.s. Hier ein interessantes Stück zum Weiterlesen.
(Ich werde morgen hier in Harvard einen Vortrag zum Thema halten müssen. Wenn ich damit nicht untergehe, stelle ich ihn später hier ein.)

 

McCain doch wieder an der Dreckschleuder

Ich fürchte, ich muss einiges zurücknehmen, was ich hier in den letzten Tagen über John McCain geschrieben habe, nachdem dieser Obama gegen seine eigenen Anhänger veteidigt hatte. McCain hatte Obama einen „anständigen Mann“ genannt, vor dem man als Präsident keine Angst haben müsse. Jetzt lässt er seine Leute wieder über den angeblichen „Terroristenfreund“ Obama herziehen. Handelt es sich beim Senator aus Arizona um eine multliple Persönlichkeit? Oder hat McCain seine eigene Kampagne nicht mehr im Griff?
Beides spräche nicht für seine Chancen.

Wie erklären sich die neuesten TV-Spots, in denen Obama wiederum in die Nähe des ehemaligen Weather-Underground-Mitglieds William Ayers gerückt wird? Und dies, obwohl die unabhängige Website factcheck.org alle Behauptungen der vorherigen Attacken McCains und Palins widerlegt hat?

Am heutigen Montag veröffentlichte das Republican National Comittee folgendes Video:

Ich kann darin nur eine fortschreitende Hilflosigkeit sehen – angesichts der zeitweilig schon zweistelligen Führung Obamas in den Umfragen.

Selbst die schärfsten Neocon-Einpeitscher, wie etwa William Kristol in der NYT, raten McCain mittlerweile, dieses Spiel zu lassen:

„The bad news, of course, is that right now Obama’s approval/disapproval rating is better than McCain’s. Indeed, Obama’s is a bit higher than it was a month ago. That suggests the failure of the McCain campaign’s attacks on Obama.

So drop them.“

Ist McCain noch beratbar? Am Mittwoch werden wir’s wissen. Dann folgt die letzte Debatte der beiden Opponenten.

 

Obama is a decent person

(Mein Post von vorgestern ist von Ron Argentati ins Englische übersetzt worden. Thanks, Ron.)

11 October 2008

John McCain played this disastrous game for too long a time and now he’s forced to confront his own supporters. That’s the honorable thing to do and it befits his maverick image.

Germany – Die Zeit – Original Article (German)

After almost daily attacks on Barack Obama, mainly by Sarah Palin, John McCain has slammed on the brakes. On Friday, he said in a townhall meeting with supporters that Barack Obama was “a decent person and a person that you do not have to be scared of as president of the United States.”

With that, John McCain gave proof of his own decency. After the attacks of recent days when Obama was accused of “palling around” with terrorists, people were beginning to wonder about McCain.

This nasty attack style, introduced by McCain’s new campaign manager, Steve Schmidt, didn’t exactly arrive at an opportune moment. Weiter„Obama is a decent person“

 

Dreckswahlkampf funktioniert nicht (mehr)

An diesem Wahlkampf ist vieles ungewöhnlich – von den beiden Kandidaten angefangen bis zu den besonderen Umständen. Darum scheint sich hier auch ein ehernes Gesetz der US-Wahlen zu brechen: Dass der Oktober dreckig wird, und dass der Ruchloseste dabei gewinnt – so wie etwa George H. W. Bush gegen Michael Dukakis, oder auch George W. Bush erst gegen McCain und dann gegen Gore und Kerry.
Wir stehen nun am Ende einer Woche voller Charakter-Attacken auf Obama – und was hat es gebracht? Obama liegt erstmals landesweit über 50 Prozent:

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Und daraus folgt dann McCains Wende. Sie könnte auch etwas damit zu tun haben, dass er selber schon einmal – vom jetzigen Präsidenten Bush – auf das Fieseste ausgetrickst worden ist (siehe Link oben).
Weil seine Adoptivtochter Bridget (ein Waisenkind aus Mutter Theresas Einrichtung) aus Bangladesch stammt und dunkler Hautfarbe ist, dachte seinerzeit die Bush-Kampagne, man könne im Süden den Wählern suggerieren, McCain habe ein uneheliches schwarzes Kind. Es wurden tatsächlich Umfragen durchgeführt, ob der Senator mehr oder weniger Chancen haben würde, wenn bekannt würde, dass er ein „illegitimes“ Kind mit einer Schwarzen hat. Diese Umfragen dienten dazu, das Gerücht erst in die Welt zu setzen. Jeman, der solches erlebt hat – von den eigenen Parteifreunden – kann vielleicht nicht damit leben, dass die eigene Kampagne in die gleiche Richtung entgleitet.