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Was sind die russischen Argumente für den Krieg wert?

Mein Beitrag aus der morgigen ZEIT, Nr. 35, S. 6:

Der russische Botschafter in Berlin, ein eleganter Mann um die fünfzig mit exzellenten Deutschkenntnissen, vertritt sein Land seit vier Jahren mit Charme und urbanem Chic. Wladimir Kotenew ist bei aller Loyalität gegenüber seinem Förderer stilistisch ein Anti-Putin, ohne machohafte Machtgesten. Doch an diesem Mittwoch, dem ersten Tag nach Einstellung der Kampfhandlungen im Kaukasus, steht der sonst so konziliante Botschafter sichtlich unter Strom. Er hat die deutsche Presse geladen, um sie in dem riesigen stalinistischen Herrschaftsgebäude Unter den Linden mit der offiziellen Lesart des Kaukasus-Krieges vertraut zu machen: »Hinterlistige Georgier«, sagt er mit verbissener Miene, hätten Zchinwali überfallen. Sie hätten »Kinder und alte Frauen zermalmt«, Menschen in Kirchen verbrannt und Friedhöfe planiert. Eine »Tragödie von unvorstellbarem Ausmaß« und ein »versuchter Völkermord« gingen auf das Konto des »größenwahnsinnigen« Präsidenten Saakaschwili. Russland habe lediglich seinen »Friedenseinsatz« zum Schutz des Völkerrechts fortgesetzt, ganz wie der Westen im Kosovo.
Im Auftritt des Botschafters liegen Wut und Genugtuung, Bitterkeit und Triumphgefühl auf eine überraschend undiplomatische Weise offen zutage. Er wirkt wie befreit, wenn er voller Sarkasmus vom »ausgezeichneten Englisch« und den »großartigen Beratern« des georgischen Präsidenten redet. Ob Russland sich nicht international isoliere durch sein Vorgehen, wird Kotenev gefragt. »Ach, wissen Sie, Russland war fast immer allein«, gibt er zurück. Russlands Argumente würden sowieso abgetan, winkt er ab.
Wie stichhaltig also sind die russischen Argumente?

Erstens: Wir mussten unsere Friedenstruppen verteidigen

Wer angefangen hat, wird sich vielleicht nie ermitteln lassen. Die Georgier behaupten, Weiter„Was sind die russischen Argumente für den Krieg wert?“

 

Krauthammer: Bestraft Russland!

Nach Robert Kagan macht nun auch Charles Krauthammer mobil zum neuen Kalten Krieg. Die Russen müssen isoliert und bestraft werden. Aber wie?

„1. Suspend the NATO-Russia Council established in 2002 to help bring Russia closer to the West. Make clear that dissolution will follow suspension. The council gives Russia a seat at the NATO table. Message: Invading neighboring democracies forfeits the seat.

2. Bar Russian entry to the World Trade Organization.

3. Dissolve the G-8. Putin’s dictatorial presence long made it a farce but no one wanted to upset the bear by expelling it. No need to. The seven democracies simply withdraw. Then immediately announce the reconstitution of the original G-7.

4. Announce a U.S.-European boycott of the 2014 Winter Olympics at Sochi. To do otherwise would be obscene. Sochi is 15 miles from Abkhazia, the other Georgian province just invaded by Russia. The Games will become a riveting contest between the Russian, Belarusian and Jamaican bobsled teams.“

Vor allem aber solle Washington sich unmissverständlich hinter die Saakaschwili-Regierung stellen, zur Not sogar noch als Exilregierung, falls die Russen sie von der Macht vertreiben sollten. Das würde eine Legitimation für die Unterstützung und Bewaffnung des „georgischen Widerstands“ bringen, meint Krauthammer.

Und fügt hinzu, George Bush sollte  Vladimir Putin eine Kopie des Films „Der Krieg des Charlie Wilson“ schicken, um ihn an die Möglichkeiten zu erinnern, „die Russen bluten zu lassen“. (Was Krauthammer dabei ignoriert: Der Film beschreibt die Vorgeschichte des Desasters in Afghanistan, das nach der amerikanischen Unterstützung des Widerstandes (und durch sie!) entstand.)

Crazy. Das ist alles präpotentes Gedröhne, das die amerikanische Ohnmacht übertönen soll und sie doch nur spürbar macht.

Die Strategie, mit der Unterstützung Georgiens die amerikanische Einflußsphäre bis in den Kaukasus auszudehnen, ist vorerst gescheitert. Das kann man bedauern. Aber es hilft nichts, über Phantasien vom „georgischen Widerstand“ die Anerkennung dieser Tatsache zu  verweigern.

 

Was Ahmadinedschad wirklich über Israel gesagt hat

Iran hat gestern Raketen getestet, die von ihrer Reichweite her geeignet wären, Israel oder amerikanische Basen im Nahen Osten zu treffen.

Das ist die jüngste Eskalationsstufe in einem sich erhitzenden Streit um das iranische Atomprogramm. Vor kurzem erst hatte Israel eine Übung über dem Mittelmeer durchgeführt, die als Demonstration der Stärke gegenüber Iran gesehen wurde.

In diesem Zusammenhang ist ein Streit interessant, der vor einigen Monaten aufkam. Darin geht es darum, obder iranische Präsident wirklich im Oktober 2005 gesagt habe, Israel müsse „von der Landkarte getilgt werden“. Die Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur hatte in der Süddeutschen diese Lesart der Rede in Frage gestellt.(Eine Antwort der Islamwissenschaftlerin Mariela Ourghi findet sich hier.)

Amirpurs stärkstes Argument zur Relativierung der Äußerungen des iranischen Präsidenten bezieht sich allerdings gar nicht auf den Wortlaut seiner Äußerungen, sondern auf seine verfassungsmäßige Stellung im Herrschaftssystem des Iran. Er sei nicht der Oberbefehlshaber (sondern der Revolutionsführer Chamenei). Er könne also gar nicht über Krieg und Frieden entscheiden. Seine Äußerungen erscheinen daher irrelevant, zumal sich Chamenei distanziert habe.

Das ist zunächst ein valides Argument, das geeignet erscheint, die israelische Debatte zu entdramatisieren. Nur weil Ahmadinedschad etwas gegen „das Regime, das Jerusalem besetzt hat“ sagt, läßt das noch nicht auf eine unmittelbare Bedrohung Israels schliessen.

Aber irrelevant ist es wohl auch nicht, was der gewählte Präsident sagt (auch wenn er mit Tricks an die Macht kam). Er spricht zwar nicht für das gesamte iranische System, aber wohl doch für den stärker werdenden militärisch-revolutionären Apparat, wie er in den Revolutionsgarden und den Bassidsch organisiert ist und immer mehr auf den iranischen Staat zugreift.

Und dann lohnt es sich vielleicht doch zu prüfen, ob die Rede tatsächlich nur eine Prophezeiung über das Ende des „Besatzerregimes“ enthält, wie Amirpur suggeriert. Anders gesagt: Was heißt für ihn eigentlich „Besatzerregime“?

Ich halte Amirpurs Lektüre für unhaltbar und verharmlosend. Davon kann sich jeder überzeugen, der bei der Bundeszentrale für Politische Bildung die komplette Neuübersetzung  der Rede durch den Sprachendienst des Deutschen Bundestages liest.

–    Eingangs der Rede ermahnt Ahmadinedschad seine Zuhörer, dass sie, wenn sie die Parole „Tod Israel“ [marg bar Isrāyīl] auszurufen hätten, sie diese Parole „richtig und von Herzen“ ausrufen sollten
–    wenn Achmadinedschad vom „Besatzerregime“ spricht, meint er nicht die konkrete israelische Besatzung der Westbank oder von Teilen Jerusalems, sondern Israel per se
–    er spricht in der Rede davon, dass das „Regime welches Jerusalem eroberte“ vom „hegemonialen System und der Arroganz“ (i.e. der Westen) gegründet worden sei, was ein „schweres Vergehen … gegen die islamische Welt“ darstelle: „Zwischen der Welt der Arroganz und der Welt des Islam tobt ein historischer Kampf, welcher Hunderte von Jahren zurückreicht.“ Das stellt die Gründung Israels in den Zusammenhang einer vermeintlichen Verschwörung der westlichen „Arroganz“ gegen den Islam. Die Gründung Israels ist also ein kriegerischer Akt in einem jahhrundertealten Konflikt. Es geht mithin um weit mehr als Palästina und die Rechte der Palästinenser.
–    Ahmadinedschad sagt: „Während dieser letzten 300 Jahre brachen die letzten Bollwerke der islamischen Welt zusammen und die Welt der Arroganz gründete das Regime, das Jerusalem besetzt hält als einen Brückenkopf für die Herrschaft über die islamische Welt.“
–    der Präsident führt aus, dass „Brückenkopf“ ein militärischer Fachausdruck sei: „Wenn zwei Gruppen oder Heere aufeinander treffen, und eine Seite die Initiative ergreift und zur gegenüberliegenden Seite hin vorstößt, einen Abschnitt des Territoriums erobert und es befestigt; wenn sie dann zur Verstärkung dort eine Festung errichten um die [eigene] Zone auszuweiten‚ dann nennen wir dies einen Brückenkopf.“ Also betrachtet er Israel im Ganzen als militärische Einrichtung des Westens. Und in einem Brückenkopf gibt es keine Zivilisten – dies ist mithin eine implizite Rechtfertigung jeglichen Angriffes auch gegen einfache Bürger Israels.
–    entsprechend heißt es in der Rede weiter: „Dieses Besatzerregime stellt tatsächlich einen Brückenkopf der Welt der Arroganz im Herzen der islamischen Welt dar. Sie haben eine Festung errichtet, von der sie ihre Herrschaft auf die gesamte islamische Welt ausdehnen wollen. Darüber hinaus gibt es weder Grund noch Zweck für dieses Land.“ Weder Grund noch Zweck! Das bedeutet: Kein Existenzrecht!
–    in diesem Kontext ist nun der betreffende Satz zu bewerten, um den es in dem Streit vordergründig geht. Ahmadinedschad bezieht sich damit auf den Titel der Konferenz: „Eine Welt ohne Zionismus“. Ist das überhaupt möglich, so sagt er, fragen viele. Und dann zählt er den Niedergang des Schahregimes, den Niedergang des Kommunismus und den Fall Saddams auf – Ereignisse, die auch niemand für möglich gehalten hätte. Aber Khomeini hätte diese Dinge immer schon vorausgesagt. Dann kommt der entscheidende Satz:
–    „Unser lieber Imam [Khomeini] sagte auch: Das Regime, das Jerusalem besetzt hält, muss aus den Annalen der Geschichte [safha-yi rōzgār] getilgt werden. In diesem Satz steckt viel Weisheit. Das Palästina-Problem ist keine Frage in welcher man in einem Teil Kompromisse eingehen könnte.“ Das „Palästina-Problem“ besteht in der Existenz Israels.
–    man muss den Satz schon komplett aus dem Kontext reissen, um suggerieren zu können, der iranische Präsident kritisiere hier bloss die Besatzung Jerusalems und der Westbank und fordere im Einklang mit UN-Resolutionen deren Ende

–     der „unrechtmäßige Zustand“, den der iranische Präsident beenden will, ist nicht weniger als die Existenz Israels. Daran läßt seine Rede keine Zweifel. Das „Regime, das Jerusalem besetzt hält“, ist der Staat Israel. Selbst nach einem Ende der Besatzung gäbe es in Achmadinedschads Logik für Israel „weder Grund noch Zweck“

–    es geht hier also nicht um die Rückgabe besetzter Gebiete, sondern um das Auflösung des Staates Israel und mehr noch die Löschung Israels aus der Geschichte. Es ist die Pflicht der Muslime, in dem Jahrhunderte alten Kampf für diese Revision des Unrechts zu arbeiten. Das Unrecht besteht in der Existenz dieses Staates Israel per se, für den es „weder Grund noch Zweck“ gibt, ausser der Eroberung der islamischen Welt als Brückenkopf zu dienen. „Wipe off the map“ (im deutschen als „von der Landkarte tilgen“ wiedergegeben) beschreibt das Ziel Ahmadinedschads also zutreffend, selbst wenn es sich dabei nicht um eine wörtliche Übersetzung handelt. Es ersetzt eine zeitliche Metapher („aus den Annalen oder Seiten der Geschichte tilgen“) durch eine räumliche („von der Landkarte tilgen“).

Über die passendere Wiedergabe des Sinnes läßt sich ein Geschmacksstreit führen, in der Sache bleibt er irrelevant, wie die genaue Lektüre der Rede zeigt:

–    Im übrigen, wenn man einmal bei der wörtlichen Übersetzung bleibt: ein „Regime aus den Annalen der Geschichte tilgen“ Bedeutet das: Nicht einmal eine Erinnerung in den Annalen soll von Israel bleiben, Israel soll ungeschehen gemacht werde? Ist das kein Vernichtungswunsch?
–    Ahmadinedschad will keinen Zweifel an seiner Absicht lassen: „Kann eine [gemeinsame] Front es dulden, wenn in ihrer Mitte eine fremde Macht entsteht? Dies würde eine Niederlage bedeuten und wer immer die Existenz dieses Regimes anerkennt, hat in Wirklichkeit die Niederlage der islamischen Welt unterschrieben.“
–    Er sagt weiter: „Unser lieber Imam [Khomeini] hat in seinem Kampf gegen die Welt der Arroganz das Regime, das Jerusalem besetzt, zu seinem Hauptangriffspunkt gemacht. Ich zweifle nicht daran, dass die neue Welle, die im geliebten Palästina begonnen hat, und welche wir heute in der islamischen Welt beobachten, eine Welle der Moral ist. Sie hat die gesamte islamische Welt erfasst und wird sehr bald den Schandfleck [Israel] aus dem Schoß der islamischen Welt beseitigen – und das ist machbar.“
–    Später wiederholt er, die „Eliminierung des zionistischen Regimes (wird) glatt und einfach sein“.
Ahmadinedschad erklärt schließlich noch, dass die Palästinenser selbst gar nicht über diese Dinge entscheiden können. (Sie wären also auch nicht zu einer Verhandlungslösung autorisiert.) Die Palästinafrage ist nämlich das Problem der gesamten islamischen Welt: „Menschen, die in einem geschlossenen Raum sitzen, können darüber nicht entscheiden. Das islamische Volk kann es nicht erlauben, dass diese historische Feindschaft im Herzen der islamischen Welt existiert.“
Zusammengefasst: Der Gesamtkontext der Rede, so wie sie komplett vom Sprachendienst des Bundestages übertragen wurde, lässt keinen anderen Schluss zu, als dass der iranische Präsident
–    Israel jegliche Legitimität abspricht
–    Israel als Teil einer westlichen Verschwörung gegen „den Islam“ betrachtet
–    die „Eliminierung“ Israels darum als Pflicht jedes Muslims in einem jahrhundert alten Kampf begreift
–    schon die Anerkennung der Existenz Israels als Einwilligung in die Niederlage des islamischen Welt versteht
–    der Jugend Mut machen will, sich nicht entmutigen zu lassen beim Kampf gegen Israel, denn die „Beseitigung dieses Schandflecks im Schoß der islamischen Welt ist machbar“.
Diese Rede – das will ich hier klar sagen – ist trotz ihrer Anstößigkeit keine Rechtfertigung für einen Krieg gegen Iran. Sie steht im Widerspruch zu dem, was die Mehrheit im Iran denkt, und bildet auch keinen Konsens im Herrschaftsapparat des Landes ab.

Aber sie gibt durchaus Grund zur Sorge. Es ist inakzeptabel, dass der Präsident des Iran solche massiven Drohungen gegen einen anderen Staat ausspricht und ihm sein Existenzrecht bestreitet.

Wir dürfen diese Rede nicht aus Furcht vor einem Krieg verharmlosen. Sie bleibt eine Ungeheuerlichkeit. Es steht zu hoffen, dass das iranische Volk bei den Wahlen im nächsten Jahr diesen Schandfleck aus seiner Mitte entfernt.

 

Türken, vergeßt die Vorurteile, schaut nach vorne!

Die frisch zur Vize-Landeschefin der Hamburger CDU gewählte türkischstämmige Aygül Özkan, appelliert heute in der türkischen Tageszeitung SABAH an türkische Bürger in Deutschland, Vorurteile ihnen gegenüber weniger Beachtung zu schenken und sich stattdessen mehr auf die eigene Zukunft zu konzentrieren.

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Es sei falsch anzunehmen, dass die Türen für Bürger mit Migrationshintergrund stets versperrt seien. Sie sei dafür der beste Beweis, dass sogar in der CDU Migranten hohe Positionen einnehmen könnten. Dafür sei es aber dringend notwendig, dass „Jugendliche mit Migrationhintergund eine Ausbildung machen oder eine Hochschule besuchen“, so Özkan.

(Özkan ist 36 Jahre alt und in Deutschland aufgewachsen. Ihr Vater war Schneider. Sie ist erfolgreiche Managerin: sie leitet die Hamburger Niederlassung des Logistikkonzerns TNT mit 400 Mitarbeitern.

Und sie steht für einen Tonwechsel in der Selbstbeschreibung der neuen deutsch-türkischen Elite. Man beachte den Kontrast zu Faruk Sen, der wie andere Migranten-Lobbyisten (wie etwa Kenan Kolat, Safter Cinar und Hakki Keskin) seiner Generation einfach nicht aus dem Opfer-Diskurs herausfindet. Dass es eine Frau und Unternehmerin ist, die hier einen anderen Ton anschlägt, ist auch kein Zufall. Hier ein Interview.)

 

Zu Faruk Sens Vergleich der Türken mit den Juden im Dritten Reich

Irgendetwas ist hier faul.

Aber man sieht es nicht auf den ersten Blick. Denn auf den ersten Blick geht es um folgendes: Der Direktor des Zentrums für Türkeistudien, Faruk Sen, vergleicht in einer türkischen Zeitung die Lage der Türken in Europa mit den Juden. Darauf wird er in der Öffentlichkeit heftig kritisiert. Der Vorstand des Essener Forschunsinstituts trifft sich zu einer Dringlichkeitssitzung, kritisiert den „unverantwortlichen Vergleich“ und beantragt die Abberufung Sens von seinem Posten: dieser habe „dem deutsch-türkischen Verhältnis, der Integrationspolitik und vor allem dem Stiftungszweck schwer geschadet“. Denn: „Zweck der Stiftung ist die Förderung von Wissenschaft und Forschung, mit deren Hilfe vertiefte Kenntnisse über das Zusammenleben von Türken und Deutschen, Hilfen für die Integration der Zugewanderten sowie ein gesteigertes gegenseitiges Verständnis erreicht werden sollen. Nicht nur die aktuellen Äußerungen des Direktors widersprechen dem Stiftungszweck nachhaltig. Sie schädigen darüber hinaus die Reputation des Zentrums.“

Das klingt erst einmal plausibel, und vor Kenntnis des ganzen Falles und des corpus delicti – des betreffenden Artikels aus dem Magazin „Referans“ – hätte ich hier auch zugestimmt. Es ist dumm und integrationsfeindlich, den Türken eine Opferrolle einzureden, indem man sie mit den Juden vergleicht. Wer so etwas sagt, hat an der Spitze eines Forschungsinstituts, das mit öffentlichen Geldern über Türken in Deutschland publiziert, nichts zu suchen. Erledigt.

Allerdings ist es nicht ganz so einfach. Ich habe mir den Text übersetzen lassen, er liegt mir komplett vor. (Hier eine online-Version der „WELT“.) Erstens hat Sen sich gleich für seine Äußerung entschuldigt. Faruk Sen hat auch schon mit der Vorsitzenden des Zentralrats der Juden, Charlotte Knobloch, telefoniert, um seine Absichten klarzustellen. Und da wird es interessant. Denn wer den ganzen Text liest und ihn in seinem Kontext begreift, der wird sehen, dass es Sen in seinem Kommentar eigentlich gar nicht um die Türken in Europa geht, sondern um die Juden in der Türkei. Sen hat seinen Kommentar eigentlich geschrieben, um einen türkisch-jüdischen Geschäftsmann, Ishak Alaton, in seinem Kampf gegen den Neonationalismus und Antisiemitismus in der Türkei zu unterstützen. Dabei benutzt er ein falsches und fahrlässig verzerrendes Bild der Lage der Türken in Europa. Aber er tut dies, um den Türken nahezulegen, sich mit den Juden zu indentifizieren und sich in sie hineinzudenken, statt sie als das Fremde und Feindliche abzulehnen und auszusondern.

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Osmanischer Jude

Sen erinnert an das Leid der Juden in Europa durch den Ausrottungsversuch der Nazis. Er erinnert auch an die Geschichte der Türken und Osmanen als Judenretter – 1492 vor der Reconquista und im Dritten Reich als Zuflucht für Tausende.

Und dann kommt er auf die Gegenwart zu sprechen, und da wird es hanebüchen:

Die mehr als fünf Millionen Türken in Europa seien „die neuen Juden Europas“, sie würden  “ – wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß und unterschiedlichen Erscheinungsformen – wie die Juden diskriminiert und ausgeschlossen“.

Sen schreibt dies, um folgenden Punkt zu machen: Er hat in einem Interview mit Ishak Alaton gelesen, dieser sehe sich in der Türkei von einem „staatlich gelenkten Antisemitismus“ bedroht. (Hier ein Gespräch mit dem Tagesspiegel, nach dem Skandal geführt.) Nachdem Alaton diese Äußerung getan hatte, brach eine Welle nationalistischer Empörung gegen  Alaton los. Darüber ist Sen empört und  hält nun dagegen:

“In was für eine Situation sind wir heute in der Türkei angelangt – wo es doch die Türkei war, die in den 30er Jahren den unterdrückten Juden Deutschlands die Türen geöffnet hat und sie trotz allem Druck und unverschämten Angeboten aufgenommen hat.“  Und weiter: „Dass Ishak Alaton, der in einer Liste mit den ehrenhaftesten Menschen in der Türkei in jedem Fall unter den ersten 10 erscheinen würde, sich solchen Gefühlen hingibt hat mich sehr besorgt. Der  Angriffssturm gegen ihn nach diesem Interview hat mich erinnert, welchen verschiedenen Ereignisse wir in Deutschland lebenden Türken  ausgesetzt waren und hat meine Sorge erhöht. Verehrter Ishak bey… wir als europäische Türken wissen um die Wichtigkeit Ihrer Person für dieses Land. Sie haben in Europa Fünfmillionenzweihunderttausend Gleichgesinnte – die neuen Juden Europas. Die antisemitische Einstellung einiger Gruppen in der Türkei sollte Sie nicht besorgen, das türkische Volk und wir als die neuen Juden Europas stehen hinter Ihnen.“
Also: Ich finde die Sache mit den „neuen Juden“ abenteuerlich und dumm. De facto läuft das auf eine Verharmlosung des Holocaust hinaus.

Aber: Ganz offensichtlich geht es Faruk Sen darum nicht. Nur mit viel bösem Willen kann man diese Absicht in seinen Text hineinlesen.

Er will die Türken ja gerade bei ihrer Ehre als Judenretter packen und mahnt: Wie weit ist es mit uns gekommen, die wir einst stolz waren, die Juden vor den Europäern gerettet zu haben, wenn wir jetzt den Antisemitismus bei uns zuhause hoffähig machen!

Darum finde ich, es ist genug, wenn Sen die Dummheit seines „wir-sind-die-neuen-Juden-Arguments“ einsieht, das er im übrigen gar nicht gebraucht hätte, um seinen Punkt zu machen.

Es ist genug, wenn er sich dafür entschuldigt und seinen Vergleich zurückzieht.

Darum muss man ihn nicht seines Amtes entheben.

Es wird haarsträubend, wenn einem Mann, der mutig (wenn auch mit einem unbrauchbaren Vergleich) gegen den Antisemitismus seines Herkunftslandes streitet, ausgerechnet in Deutschland dafür der Ruf eines Antisemiten oder Holocaust-Relativierers angehängt wird.

Festzuhalten bleibt: Faruk Sen hat sich vor einen jüdischen Unternehmer gestellt, der sich über wachsenden Antisemitismus in der Türkei beschwert hatte. Es gibt leider nicht viele, die so etwas tun würden.

In diesem Monat wird der nordrhein-westfälische Integrationsminister Armin Laschet (CDU) über Faruk Sens Abberufung entscheiden müssen. Er sollte bessere Gründe haben – am besten ein paar fachliche – , sich gegen diesen Mann zu entscheiden als eine missglückte Kolumne in bester Absicht.

p.s. Der Zentralrat der Juden in Deutschland scheint unterdessen der gleichen Ansicht zu sein.

 

Warum die Europäer etwas gegen Muslime haben

In der New York Times warnt Noah Feldman die Europäer, ihre Vorbehalte gegen Muslime kritisch zu überprüfen. Feldman ist selber in einem orthodox jüdischen Umfeld aufgewachsen. Er sieht in der europäischen antimuslimischen Stimmung ein Indiz, dass Europäer es immer noch nicht gelernt haben, „mit Differenz zurecht zu kommen“. Ich wehre mich gegen die Assoziation mit dem Antisemitismus. Aber an dem Verdacht, Europäer hätten grundlegende Probleme mit der Akzeptanz einer kulturell und religiös anderen Minderheit, ist trotzdem etwas dran:

One factor that cannot be ignored is the threat of terrorism, so closely associated today with radical Islam. In London, Madrid and Amsterdam, terrorist acts have been perpetrated by Muslim immigrants or (more worrisome still) their children. Yet it must be remembered that Europe has also suffered homegrown terrorist attacks, motivated by everything from national liberation (in the cases of the Irish Republican Army or the Basque E.T.A.) to radical leftism (Baader-Meinhof and the Brigate Rosse). Europeans are, therefore, to a degree acclimated to terror, undercutting its power as an explanation. And in the U.S., which on Sept. 11 suffered much greater terrorist damage than any European country ever has, anti-Muslim bias does not have the political weight that it does in Europe.

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Noah Feldman Foto: Council on Foreign Relations

Well-meaning Europeans sometimes argue that unlike the U.S., their countries are traditionally “homogeneous” and have little experience with immigration. Generalized anti-immigrant feeling, they suggest, has come to rest on Muslims simply because they are increasingly visible. In France, the specter of the “Polish plumber” undercutting French workmen’s wages played a role in recent votes, suggesting the possibility of an equal-opportunity bias. But hostility to Eastern European migrants, though real enough, still does not run as deep as corresponding hostility to Muslims.

The perception of cultural difference may help explain this disparity. Muslim immigrants are depicted in European political rhetoric as not merely backward but also illiberal, contradicting Europe’s now-prevalent commitment to tolerance of homosexuality and sex out of wedlock. At the same time, Muslims are thought to be forcing their children to maintain practices like the head scarf, which is banned in many French schools.

Certainly it is reasonable for free societies to encourage immigrants to adopt their own liberal values. A Dutch requirement that potential immigrants view a film depicting topless bathers and gay couples may seem a little childish, but it is not a human rights violation, and it may even help prepare immigrants for the different world they are poised to enter. Schools should teach the values of the surrounding society, including respect for different lifestyles. Nevertheless, a hallmark of liberal, secular societies is supposed to be respect for different cultures, including traditional, religious cultures — even intolerant ones. There is something discomfiting about a selective respect that extends to the Roman Catholic Church, with its rejection of homosexuality and women priests, but excludes Islam for its sexism and homophobia.

This leaves another, more controversial explanation for anti-Muslim attitudes in Europe: even after 60 years of introspection about the anti-Semitism that led to the Holocaust, Europeans are not convinced that culturally and religiously different immigrants should be treated as full members of their societies. European anti-Semitism between the world wars featured accusations of criminality, religious backwardness, genetic inferiority and, above all, the impossibility of assimilation. And it is no coincidence that significant numbers of the Jews in Western Europe were immigrants or children of immigrants from farther east.

The U.S. had its own terrible legacy of legalized racism in the form of the Jim Crow laws, which Hitler imitated for his own purposes. In the aftermath of World War II, however, we began slowly and agonizingly to come to terms with this past. Racial bias is still with us, but so is self-consciousness about our problems and how they must be overcome.

In Europe, by contrast, Hitler’s horrifying success at killing so many Jews meant that the burgeoning postwar societies of the continent never had to come to terms with difference, because it was to a great extent eradicated. Today, as the birthrate for European Muslims far outstrips that for their neighbors, it is as if Europe’s discomfort with difference is being encountered for the first time. In theory, Europe remembers the Holocaust. But the depth of that memory may be doubted when many Europeans seem to have forgotten that their continent was home to other outsiders well before the arrival of today’s Muslim minority.

 

Wer hat Angst vorm schwarzen Mann? Schwierigkeiten mit Obamas Kandidatur

Meine Kollegin Jeannine Kantara, Mitarbeiterin im Hauptstadtbüro der ZEIT, schrieb folgenden Zwischenruf, der sich kritisch mit dem Sprach-Krampf auseinandersetzt, der deutsche Kommentatoren überfällt, wenn sie über Barack Obamas Kandidatur schreiben:

Im vergangenen Sommer fragte ich einen befreundeten amerikanischen Journalisten während seines Deutschlandsbesuchs, ob er glaube, dass Barack Obama der nächste US-Präsident werden könnte. Die Obama-Euphorie in den USA war in vollem Gange und auch in Deutschland beschäftigte man sich zunehmend mit dem Phänomen Obama.
Mein Freund wurde sehr nachdenklich und antwortete: „Ich glaube, der Rassismus wird noch sein hässliches Gesicht zeigen.“ Auf beiden Seiten des Atlantiks.

Knapp ein Jahr später ist Barack Obama Präsidentschaftskandidat der Demokraten, und mein Freund behielt dennoch Recht. Ausgerechnet am 5. Juni 2008, dem Tag nach Barack Obamas historischem Sieg bei den demokratischen Vorwahlen in den USA, titelt die Berliner tageszeitung über einem Foto des Weißen Hauses: „Onkel Baracks Hütte“. Deutlicher lässt sich die Verachtung für den möglicherweise ersten schwarzen US-Präsidenten nicht zum Ausdruck bringen. Der Hinweis auf die tragische Romanfigur des alles erduldenden Sklaven Tom, der mit seinem Leben bezahlt, ist beleidigend und ein kalkulierter rhetorischer Tiefschlag. Vergeblich die Hoffnung, deutschsprachige Kommentatoren hätten ihre Vorurteile in Bezug auf Barack Obamas Hautfarbe endlich hinter sich gelassen haben. Fehlanzeige!

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Überraschen müssen solche Ausfälle nicht, denn links und liberal bedeutet nicht automatisch antirassistisch. Eine nähere Betrachtung der allgemeinen deutschsprachigen Medienresonanz auf Barack Obama seit Bekanntgabe seiner Kandidatur Anfang 2007 offenbart, wie sehr stereotype Vorstellungen über schwarze Menschen noch immer in vielen hiesigen Redaktionen verwurzelt sind.
Die Reaktionen auf Obama reichten von Überraschung und Verunsicherung, über Misstrauen und Verspottung, bis hin zu Euphorie und Verklärung. Dabei ist das Medieninteresse an dem bisher unbekannten Senator durchaus berechtigt. Man will alles erfahren über seine persönliche Biografie und seine politische Agenda. Doch bleiben Analysen und Kommentare allzu oft an Äußerlichkeiten hängen. Hier offenbart sich ein Dilemma: Wie soll man diesen ungewöhnlichen Mann beschreiben, der so schnell nicht wieder von der Bildfläche verschwinden wird?
Die stilistische Ideenvielfalt scheint in dieser Hinsicht unerschöpflich. Barack Obama ist mal „afroamerikanisch“ oder „schwarz“, mal „farbig“ oder „dunkelhäutig“, mitunter auch „braun“ (taz) oder „halbschwarz“ (FAS, Emma) und schließlich „weder schwarz noch weiß“ (Welt) In der FAZ ist er mal „Mulatte“, mal „Farbiger, aber kein Afroamerikaner“. Die Kolumne „West Wing“ auf Spiegel Online glaubt, Obama sei „für viele Amerikaner auch zu schwarz“, um ins Weiße Haus einzuziehen, während die ZEIT fragt, was passiert, wenn durch Obamas Präsidentschaft „das Weiße Haus nicht mehr weiß“ wäre. Wenigstens bringe er „Farbe in den politischen Betrieb in Washington“, freut sich die taz, sucht an anderer Stelle allerdings nach einer komplexeren Erklärung. Unter der Überschrift: „Alles, nur nicht weiß“ schreibt das Blatt: „Man scheint sich einig, dass der Mann nicht schwarz ist, jedenfalls nicht so schwarz, wie es Jesse Jackson war, der immer mal wieder Präsident werden wollte.“ Und einige Zeilen weiter: „Dennoch ist Obama aber auch ganz entschieden nicht weiß. Dieses Nichtweiß-Sein ist, anders als sein Schwarz-Sein, nicht so ausgeblendet aus dem allgemeinen Bewusstsein“.

Spätestens an dieser Stelle blendet der Leser sein Bewusstsein aus. Beruhigend klingt auch die Versicherung kürzlich im ARD-Presseclub, Obama sei „gar nicht so schwarz ist, wie alle glauben“. Auch die Weltwoche stellte Erstaunliches fest: „Der in Harvard ausgebildete Sohn eines Kenianers und einer weissen Amerikanerin sieht vor ländlichem Publikum ebenso weiss aus wie ein Wall Street Banker“. Ob dies allerdings Obamas Wahlchancen erhöht, bleibt fraglich. Um sich genau diese nicht zu verderben, empfiehlt ihm die taz: „Abwarten und nicht schwarz werden“.

Die mitunter abstruse Farbenlehre einiger Kommentatoren stimmt nachdenklich, ebenso wie die häufige, unreflektierte Verwendung des Begriffs »Rasse«. Dass es sich dabei lediglich um die Übersetzung des englischen Wortes »race« handelt, reicht als Erklärung nicht aus. »Rasse« hat im Deutschen noch immer einen bitteren Beigeschmack. Da wird munter geschrieben über „Rassenidentitäten“ und „Rassenspannungen“ (taz), über „Rassenmotiv“ und „Rassenproblematik“ (SZ) und „Rassenpolitik“ (Welt) und „Rassenfrage“ (Tagesspiegel) und „Rassenschranken“ (Zeit). Die NZZ versucht es mit „rassischer Integration“ und die FR findet, „die Rassenkarte sticht nicht“. In Bezug auf Barack Obama scheinen solche Bedenken wie weggewischt. So druckte beispielsweise die Zeitschrift Emma einen Artikel aus der New York Times nach, der sich mit dem historischen Verhältnis zwischen Bürgerrechts- und Frauenbewegung in den USA auseinandersetzt. Der Orginaltitel lautet: „Rights vs. Rights: An Improbable Collision Course“. In der Übersetzung von Emma wird daraus „Rasse sticht Geschlecht“. Und während deutschsprachige Kommentatoren seit dem Auftauchen von Barack Obama sich intensiv mit rassistischen Ressentiments in den Vereinigten Staaten beschäftigen, bedienen sie diese gleichzeitig selbst. Selbst „Amerika-Kenner“ kommen mitunter zu seltsamen Schlüssen. „ So unglaublich es klingen mag: Die USA sind kein rassistisches Land mehr“, verkündete die Frankfurter Rundschau kurz nach Bekanntgabe von Obamas Kandidatur. „Längst ist die amerikanische Gesellschaft durch die massive Einwanderung so durchmischt, dass die für den Rassismus so wichtige Vorstellung der Blutsreinheit selbst dem letzten Wohnwagenbewohner in Georgia unglaubwürdig geworden ist“. Unglaublich – das findet auch Claire McCaskill, demokratische Senatorin von Missouri und mögliche Kandidatin für das Amt der Vizepräsidentin. In einem Interview mit dem Sender CNN sagte sie kürzlich: „Rassismus und Sexismus gedeihen nach wie vor in unserem Land.”

Mehr als bei jedem anderen Kandidaten thematisieren und kommentieren deutschsprachige Medien die physischen Attribute Barack Obamas. Wir haben viel erfahren über sein gutes Aussehen, die schlanke Figur, die samtige Stimme. Über die Furchen in seinem Gesicht und dass er „der wahrscheinlich einzige Politiker ist, der trotz Segelohren umwerfend aussieht“ (Weltwoche). Er sei „der heißeste Politiker, den Amerika zurzeit zu bieten“ habe, schwärmt der Stern, und erwähnt gleich zweimal in einem Artikel, dass der „oberste Hemdknopf immer offen“ stehe. „Seine kurzen, kraus belassenen Haare“ seien „Ausweis der eigenen Rassen-Loyalität“, weiß die Süddeutsche Zeitung zu berichten. Dieser Mann „anderer Hautfarbe“ habe eine „Wahnsinns-Aura“ und „tanzte viel besser“ als Hillary Clinton, schwärmt Brigitte. Die Financial Times Deutschland bescheinigt ihm gar „die größte Ethno-Kompetenz“ und verspricht im Hinblick auf seine Heimatinsel Hawaii: „Wenn Obama Präsident wird, dann kommt wahrscheinlich auch die nächste Tiki-Welle. Mit Hularock und Blumenketten.“

Besondere Beachtung finden auch Obamas erotische Eigenschaften. Selbst die feministische Zeitschrift Emma bescheinigt ihm „den meisten Sexappeal“. Spiegel Online ereifert sich „Obama wählen ist wie eine aufregende Affäre.“ Er sei „mitreißend“, stehe für „Leidenschaft“ und biete „politische Poesie“. Doch eine Warnung sei ausgesprochen, da so manche „liebetolle Fremdgängerei schließlich reumütig da ende, wo sie begann – zu Hause “. Nicht Sexappeal und Charisma, sondern „Erfahrung, Nervenstärke, Gelassenheit“ sind Garanten für eine gute Präsidentschaft – Eigenschaften, die man eher Hillary Clinton zuschreibt. „Niemand fragt, wenn es brenzlig wird, ob der andere spritzig, lustig, erotisch, anregend, wagemutig oder inspirierend ist“, weiß man im „West Wing“ von Spiegel Online. Als die Nominierung Obamas immer wahrscheinlicher wird, folgen weitere Erklärungsversuche, „warum Amerikaner nie wählen, was sie wirklich wollen“. Der amerikanische Wähler leide nämlich, laut Spiegel Online, „unter multipler Persönlichkeitsstörung“.

Vielleicht liegt die Verunsicherung der deutschen Medien durch Obama auch daran, dass sie sich noch nie ernsthaft mit einem schwarzen Mann auseinandersetzen mussten, dessen Einfluss über die Unterhaltungsbranche oder den Sportbereich hinausgeht. Der so unbeirrt und zielsicher danach strebt, der mächtigste Politiker der Welt zu werden. Und dessen Chancen dafür außerordentlich gut sind. Was bedeutet es, wenn die „nichtwestliche Menschheitsmehrheit im Weißen Haus“ regiert (Zeit). Genauer gesagt, die nicht-weiße Menschheitsmehrheit? Apokalyptisch prophezeit die „Welt“, am Tage seines Amtseids werde „die Mall schwarz vor Schwarzen sein“.

Sollte Barack Obama wirklich im November Präsident werden, müssten einige Kommentatoren ihre Wortwahl künftig genauer überdenken oder darauf hoffen, dass dieser „Hohlschwätzer“ (FTD), diese „Bowling-Niete mit Gangster-Connection“ und „Kandidat für die Chill-Out-Zone“ (Spiegel Online) sich zweifelsohne als „ein echter Mann“ (ZEIT) und Gentleman erweist oder dass er bzw. jemand aus seinem Team keine deutschen Zeitungen liest.

Doch auch wenn Barack Obama nicht ins Weiße Haus einzieht, wäre eine Sensibilisierung im Hinblick auf rassistische Sprache wünschenswert. Dann wären Deutschlands Kommentatoren vorbereitet auf einen Anwärter oder eine Anwärterin mit „Migrationshintergrund“ für das Bundeskanzleramt. Er oder sie wird kommen – früher oder später.

 

Zuwanderer besser auswählen!

Gunnar Heinsohn findet im Tagespiegel einiges Lobenswerte an der Rede des Bundespräsidenten über „Arbeit, Bildung, Integration“. Vor allem seine Einlassungen zur Einwanderungspolitik. Ich stimme zu:

„Er (der Bundespräsident, JL) erinnert uns an Nationen, die aus unserer Sicht etwas ganz Merkwürdiges tun: Sie verlangen von Fremden dasselbe wie von ihren eigenen Kindern. Diese werden es nur dann einmal besser haben, wenn sie bessere Qualifikationen erwerben als ihre Eltern. Ganz entsprechend können Neuankömmlinge dem zulassenden Gebiet und damit auch sich selbst nur dann etwas geben, wenn sie Fähigkeiten mitbringen, die über dem Niveau der zukünftigen Heimat liegen oder dort noch gar nicht vorhanden sind. In den Worten des Präsidenten: ,,Manche westlichen Demokratien wählen ihre Zuwanderer so intelligent aus, dass die höher gebildet sind als im Durchschnitt die Einheimischen.“

Natürlich hätte Horst Köhler im gleichen Atemzug solche Demokratie schelten können, dass sie einfach jene abweisen, die dann bei uns Unterhalt findet. Das zu unterlassen, hat gewiss auch die Diplomatie geboten. Aber hätte er Kanada dafür getadelt, dass fast hundert Prozent seiner Einwanderer hochqualifiziert sind und nicht nur fünf wie bei uns, dann hätte er aus Redlichkeit noch etwas hinzufügen müssen: Kanada ist weltweit die erste Nation, in der die Kinder der Zuwanderer in allen Tests intelligenter abschneiden als die Kinder der vor Ort Geborenen. In Deutschland hingegen liegt das Leistungsniveau der Migrantenkinder tiefer unter dem landeseigenen Durchschnitt als irgendwo sonst auf der Welt.

Der Bundespräsident weiß um diese Zahlen. Aber diplomatisch verhält er sich eben nicht nur gegenüber unseren Verbündeten, sondern sanft bleibt er auch im Umgang mit den Politikern der eigenen Republik. Nun bleibt abzuwarten, ob der präsidiale Takt zum Anlass genommen wird, seine Ermutigung gleich wieder in den Wind zu schlagen oder dazu, auch hierzulande mit einer ,,kluge Einwanderungspolitik“ zu beginnen.“

 

Der große Massenvernichtungswaffen-Bluff

Maureen Dowd, eine Wiedergeburt der legendären Journalistin Hildy Johnson aus meinem Lieblingsfilm „His Girl Friday“, hat auf unnachahmbar ätzende Weise in der New York Times George W. Bushs Farewell-Tour durch Europa kommentiert. Hier ist ihr Kommentar zu seinem Besuch bei Gordon Brown:

Asked by The Observer reporter about W.M.D. in Iraq, W. replied: “Still looking for them,” sparking a strange moment of levity. Mr. Bush continued: “We didn’t realize, nor did anybody else, that Saddam Hussein felt like he needed to play like he had weapons of mass destruction. It may have been, however, that in his mind all this was just a bluff.”

Yeah, who could have ever guessed that a wily, deceitful and debilitated Arab dictator might huff and puff, not wanting rivals in the neighborhood to know the weapons cupboard was bare? Maybe some of those psychologists specializing in boastful, malignant narcissists and Middle East cultural experts working in our $40 billion-a-year intelligence units should have been able to figure it out?

Ist was dran.

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Maureen Dowd

Und dies hier ist Rosalind Russell als Hildy Johnson:

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Warum ein Einbürgerunsgtest gut für Migranten ist

Aiman Mazyek vom Zentralrat der Muslime hat seine Interviewäußerung zu einem Einbürgerungstest jetzt noch einmal in einem Editorial für die WELT präzisiert. Sehr gut. Weiter so:

„Als ich vor ein paar Tagen einen neuen bundesweiten Einbürgerungstest begrüßte, erlebte ich eine Welle der Entrüstung in meiner Community und in den türkischen Medien. Da war die Rede davon, dass ich naiv sei zu glauben, dass hier eine neue sachliche Seite aufgeschlagen werde. Oder: Alles, was die CDU vorschlägt, kann nur gegen uns sein. Viele sind auch fälschlich davon ausgegangen, dass ich einen Gesinnungstest gutheiße.

Wir brauchen in unserem Land beim Thema Einwanderung Identitätsstiftung und eine Kultur der gegenseitigen Anerkennung und Wertschätzung.
Ich bin überzeugt, dass ein Einbürgerungsritual ein wichtiger Bestandteil dieser neuen Integrationskultur sein kann. …

Ich appelliere dafür, Parteitaktik und ideologische Scheuklappen einmal zu Hause zu lassen und einen Einbürgerungstest nicht per se abzulehnen. Vielmehr sollten wir unseren Sachverstand bei der Beurteilung der Fragen und bei der Umsetzung der Tests anbieten.

Ein Blick über den Teich zeigt, wie identitätsstiftend und erfolgreich eine funktionierende Einwanderungspolitik, zu der auch ein Test gehört, ist. Der Einbürgerungswillige bereitet sich dort intensiv auf den Test vor. Er freut sich zusammen mit Kind und Kegel, in einem feierlichen Akt seinen Beitritt zu den Vereinigten Staaten von Amerika zu bekunden – keine Naivität, sondern gelebte Praxis.

Ich frage mich, warum können wir in Deutschland nicht auch einen Feiertag daraus machen? Darüber sollten wir allesamt nachdenken und nicht miesepetrig dagegen opponieren.“

Völlig anderer Meinung ist Ekrem Senol in seinem JurBlog: Er hält auch den neuen Test für eine Schikane, ganz wie damals den Baden-Württembergischen Gesinnungstest.
Ganz grundsätzlich lehnt er Einbürgerungstests aber auch nicht ab, und das ist allerdings etwas Neues:
„Es muss aber auch festgehalten werden, dass generelle Kritik an Einbürgerungstest nicht der richtige Weg ist. Jedes Land sollte das Recht haben, seinen künftigen Bürger auszuwählen. Die Ausgestaltung der Auswahl kann auch in Form eines Einbürgerungstest geschehen. Erforderlich wäre aber ein gewisses Augenmaß, Sachlichkeit und Fingerspitzengefühl. Um Gefühle geht es schließlich nicht selten bei einer Einbürgerung für den Einbürgerungsbewerber. Begriffe wie Heimatgefühl, Loyalität, Solidarität finden nicht selten Verwendung in diesem Kontext. Die erneut an den Tag gelegte kühle, unsensible Vorgehensweise der CDU aber zeigt alles andere, als dass die CDU aus den Fehlern der jüngsten Vergangenheit gelernt hätte.“
Ich teile das nicht. Aber wir sind von einer abstrakten Debatte mit verallgemeinernder Kritik auf dem Weg zu einem zielführenden Streit um die Erfordernisse eines Einbürgerungslandes. Fortschritt ist machbar, Herr Nachbar.