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Islamkritik ohne Hass

Die libertäre Zeitschrift ef (eigentümlich frei) beschäftigt sich mit den Schwierigkeiten der Islamkritik, sich gegen Dumpfbackentum abzudichten und findet dabei lobende Worte für unsereinen. Das soll natürlich nich unentdeckt bleiben:

Der „Zeit“-Journalist Jörg Lau führt seit langem ein äußerst islamkritisches, aber durchweg seriöses Blog, in dem Abscheulichkeiten ausbleiben. Das ist kein Zufall.

Ganzer Text hier.

(Dank an Mitblogger lebowski.)

 

Ströme von Gift ?

„Ströme von Gift“ – ein nachdenklicher Artikel zum Thema Kommentarfreiheit im Internet von Heribert Seifert in der NZZ. Ausgangspunkst ist ein schäumender „islamkritischer“ Kommentar, den ich hier hatte stehen lassen, weil er mich schockiert hatte. Dieser und andere Kommentare hatten mich bewegt, die Kritik der Islamkritik ernster zu nehmen. Etwas läuft da gewaltig schief, und die Frage ist, wie man scharfe, auch einmal betont polemische Kritik ermöglicht und zugleich das Abgleiten ind Stammtischdumpfheit und Hass verhindert.

Nicht nur wir hier haben das Problem, wie der Artikel zeigt:

Viele Zeitungen bieten auf ihren Online-Ausgaben dem Publikum die Möglichkeit an, Kommentare zu placieren. Oft sind diese Meinungen allerdings kaum durch argumentative Vernunft geleitet.

«Islam ist faschistisch. Wer meint, hierzulande zum Terror-Gott Allah beten zu müssen, sollte schleunigst das Land verlassen. Der islamische Terror-Gott Allah ist eine Geisteskrankheit, die zwangsläufig zu Unterdrückung, Steinigung, Terror, Gewalt usw. führt.» Dies schrieb ein Nutzer namens Claudius Valentin zu einem Kommentar des «Zeit»-Redaktors Jörg Lau zum Streit um den Bau einer Kölner Zentralmoschee. Eine ganze Seite lang wütete der aufgebrachte Islam-Gegner gegen die Muslime als die «neuen Nazis». Hier schrieb jemand mit Schaum vor dem Mund und einem ganzen Holzlager vor dem Kopf, überwältigt von rasendem Ausdruckszwang. Mit ein paar Mausklicks konnte er die Gelegenheit nutzen, seine Ansichten auf der Website des seriösen Hamburger Wochenblatts einem grossen Publikum bekanntzumachen. Autor Jörg Lau setzte darunter: «Ich lasse diesen Kommentar hier so stehen, aus dokumentarischen Gründen. Es soll nicht heissen, dass hier etwas geschönt wird.»

Ist es das, was Jürgen Habermas im Juni 2006 mit einer Fussnote im Manuskript seines Dresdner Vortrags über «Politische Kommunikation in der Mediengesellschaft» gemeint hat?

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Demokratisierung bedeutet Islamisierung

Im Guardian ist William Dalrymple der Meinung, dass die Neocon-Politik der pro-Demokratie-Intervention im Nahen Osten den politischen Islamismus erst so richtig in den Sattel gehoben hat.

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William Dalrymple

Mir ist diese Sicht der Dinge schmerzlich, weil auch ich mir viel von den Interventionen versprochen habe. Aber ich finde, Dalrymples Analyse ist schwer von der Hand zu weisen. Kernzitate:

Democracy is not the antidote to the Islamists the neocons once fondly believed it would be. Since the US invaded Afghanistan and Iraq, there has been a consistent response from voters wherever Muslims have had the right to vote. In Lebanon, Iran, Iraq, Palestine, Pakistan, Egypt, Turkey and Algeria they have voted en masse for religious parties in a way they have never done before. Where governments have been most closely linked to the US, political Islam’s rise has been most marked.

Noch eine wichtige Pointe Dalrymples, die auch die Debatten hier betrifft: Die Rede vom „Islamofaschismus“, der die islamische Welt bedroht, hat auch die Funktion, die Probleme auf eine intrinsische Krise der islamischen Welt zurückzuführen (die es unabweisbar gibt), und den Einfluß der revolutionären westlichen Politik zu verschleiern:

Yet in concentrating on the violent jihadi fringe, we may have missed the main story. For if the imminent Islamist takeover of western Europe is a myth, the same cannot be said for the Islamic world. Clumsy and brutal US policies in the Middle East have generated revolutionary changes, radicalising even the most moderate opinion, with the result that the status quo in place since the 1950s has been broken.

Dalrymple buchstabiert dies an Ägypten und Pakistan durch, wo islamische Parteien signifikant dazugewinnen, seit wir in Afghanistan und Irak interveniert haben und seit wir zugleich die dubiosen Regime in der arabischen Welt demonstrativ als Alliierte im Kampf gegen den Terrorismus stützen.

Moreover, the religious parties tend to be seen by the poor, rightly or wrongly, as representing justice, integrity and equitable distribution of resources. Hence the strong showing, for example, of Hamas against the blatantly corrupt Fatah in the 2006 elections in Palestine. Equally, the dramatic rise of Hizbullah in Lebanon has not been because of a sudden fondness for sharia law, but because of the status of Hassan Nasrallah, Hizbullah’s leader, as the man who gave the Israelis a bloody nose, and who provides medical and social services for the people of South Lebanon, just as Hamas does in Gaza.

The usual US response has been to retreat from its push for democracy when the „wrong“ parties win. This was the case not just with the electoral victory of Hamas, but also in Egypt: since the Brothers‘ strong showing in the elections, the US has stopped pressing Mubarak to make democratic reforms, and many of the Brothers‘ leading activists and business backers, as well as Mubarak’s opponent in the presidential election, are in prison, all without a word of censure from Washington.

Mit dieser Politik, so Dalrymple, beschädigen wir uns selbst. Wir brauchen einen Dialog mit den politischen Islamisten.

 

Gottsucher und Islamisten

Eine Kollegin, die es wissen muss, weil sie viel mehr vom Islamismus versteht als ich, schreibt Folgendes:

hallo Jörg,
du schreibst: „neben Köhler etwa der frühere deutsche Botschafter Murad Winfried Hofmann oder der Berliner Imam Mohammed Herzog – sind spirituelle Sucher, keine politischen Islamisten.“

diese aufzählung ist für herzog und köhler eine beleidigung. in deiner einschätzung von murad hofmann liegst du wirklich falsch – er ist einer der vordenker eines gesellschaftssystems auf rein „islamischer“ grundlage mit demokratischem antlitz (keine trennung von staat und religion – er ist akteur eines islamismus im demokratischen gewande). dafür giibt es in seinen reden, büchern, vorträgen massengaft belege. hofmann propagiert ein islamisches gesellschaftssystem in form einer schurakratiyya oder theodemokratie aufbauend an überlegungen von maududi usw.
islamismus ist eine ideologie, ein gesellschaftskonzept, und islamismus begint nicht erst bei gewalt und totalitarismus. köhler und herzog haben solche geselschaftsvorstellungen nicht, auch wenn köhler sich mehr islamische ethik und moral im öffentlichen raum wünscht, was aber etwas anderes ist, als es murad hofmann propagiert.

Und ich fürchte, sie hat Recht. Diese Differenzierung ist notwendig.

 

Kann es einen privatisierten Freizeit-Islam geben?

Der kluge Zafer Senocak hat einen Essay über diese dringende Frage geschrieben.

Kernzitat:

Das Kernproblem heißt: Kann ein Muslim sich jenseits des Koran und der koranischen Vorschriften gesellschaftlich und politisch orientieren? Und wie drückt sich eine solche Orientierung in seinem Privatleben aus?

Kann er sich zur Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau, zur Gleichberechtigung aller Bürger, unabhängig von ihrer Glaubensorientierung bekennen, ohne islamische Prinzipien zu verletzen?

Er kann es eigentlich nicht. Bislang jedenfalls. Wenn er sich zu einer anderen Gesellschaftsordnung bekennt als der islamischen gibt es immer Erklärungsbedarf. Auch deshalb steht der türkische Ministerpräsident Erdogan, ein bekennender Muslim, unter Druck.

Doch weder er noch seine Partei können dieses Problem lösen. Eine Partei ist keine Denkschule. Die AKP islamisiert die Türkei nicht. Die Reformen, die diese Partei in die Wege geleitet hat, haben offenkundig mehr mit den Kopenhagener Kriterien der EU zu tun als mit den Rechtsnormen aus Mohammeds Zeiten.

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Zafer Senocak

Ihre Wähler erwarten eine weitere Modernisierung der türkischen Gesellschaft, eine Öffnung des politischen Systems, die Etablierung eines Rechtsstaats, wirtschaftlichen Aufschwung. Sie erwarten nicht die Einführung der Scharia, sie leben mehrheitlich einen Islam, der Privatangelegenheit geworden ist.

Doch darf es, kann es einen solchen Freizeit-Islam überhaupt geben? Muslimische Theologen und Philosophen stehen schon ziemlich lange, nämlich seit dem Anbruch der Moderne vor über einem Jahrhundert, genau vor dieser Fragestellung.

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Dschihadisten als Herausforderung für Muslime

Leser und Mitblogger emcee schreibt zu den Dschihadisten Fritz und Daniel:

Ich bin selber Konvertit und bin von fundamentalistischer Vereinnahmung bisher verschont geblieben. Alhamdulillah. Ich bin immer noch schockiert von den Ereignissen der Sauerländer Mujahidiin. Hier gibt es etwas, was wir Muslime mit zu verantworten haben. Hier wäre eine deutlichere Sprache des KRM sehr angebracht.
Wir Muslime haben deutlicher und energischer als je zuvor dieses Problem endlich zu lösen.

Möge ALLAH diesen Verblendeten das Handwerk legen. Amin.

 

Die Wiederkehr der politischen Theologie

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Mark Lilla, einer der besten Kenner der europäischen Ideengeschichte, veröffentlicht dieser Tage ein Buch, das einen fälligen Perspektivenwechsel versucht: The Stillborn God. Religion, Politics and the Modern West.
Ich habe 2003 eine Stellungnahme von Mark Lilla vor dem drohenden Irak-Krieg für DIE ZEIT übersetzt, die sich heute als eine der hellsichtigsten Äusserungen von Intellektuellen aus jenen erregten Tagen erweist.
Eine Kurzfassung des Buchs ist im aktuellen New York Times Magazine zu lesen. Der Essay bietet sehr schönes Material für unsere Debatte:
Lilla schlägt vor, dass wir uns von der Vorstellung verabschieden, dass das Zeitalter der politischen Theologie vorbei sei.
Der Westen ist nicht der Normalfall mit seiner „Great Separation“ zwischen menschlichen und göttlichen Dingen – sondern die welthistorische Ausnahme, das große, gewagte – und für die meisten Menschen auf der Erde irrwitzig gewagte – Experiment. Es gibt keine historische Notwendigkeit für den Rest der Welt, uns auf diesem Weg zu folgen. Wir sind die unwahrscheinliche Ausnahme. Und wir können es uns nicht leisten zu warten, bis die anderen unserem Beispiel folgen (wozu sie ohnehin keine Lust zu haben scheinen). Wir brauchen einen modus vivendi zum Leben in einer Welt (oft in einer Gesellschaft) mit Menschen, die die Anprüche der politischen Theologie keineswegs absurd finden. Und vielleicht kann es uns helfen, diesen modus zu finden, wenn wir uns der Unwahrscheinlichkeit der westlichen Entwicklung bewusst werden, indem wir zurückgehen zu den Religionskriegen, zu Hobbes, zu Rousseau, zur „liberalen Theologie“, zum politischen Messianismus – also zu den Höhen und Tiefen unserer eigenen politischen Theologie. Das tut Lilla in seinem Essay und in seinem Buch.

Ein paar Zitate:

„So we are heirs to the Great Separation only if we wish to be, if we make a conscious effort to separate basic principles of political legitimacy from divine revelation. Yet more is required still. Since the challenge of political theology is enduring, we need to remain aware of its logic and the threat it poses. This means vigilance, but even more it means self-awareness. We must never forget that there was nothing historically inevitable about our Great Separation, that it was and remains an experiment. In Europe, the political ambiguities of one religion, Christianity, happened to set off a political crisis that might have been avoided but wasn’t, triggering the Wars of Religion; the resulting carnage made European thinkers more receptive to Hobbes’s heretical ideas about religious psychology and the political implications he drew from them; and over time those political ideas were liberalized. Even then, it was only after the Second World War that the principles of modern liberal democracy became fully rooted in continental Europe.

And so we find ourselves in an intellectual bind when we encounter genuine political theology today: either we assume that modernization and secularization will eventually extinguish it, or we treat it as an incomprehensible existential threat, using familiar terms like fascism to describe it as best we can. Neither response takes us a step closer to understanding the world we now live in.

It is a world in which millions of people, particularly in the Muslim orbit, believe that God has revealed a law governing the whole of human affairs. This belief shapes the politics of important Muslim nations, and it also shapes the attitudes of vast numbers of believers who find themselves living in Western countries — and non-Western democracies like Turkey and Indonesia — founded on the alien principles of the Great Separation. These are the most significant points of friction, internationally and domestically. And we cannot really address them if we do not first recognize the intellectual chasm between us: although it is possible to translate Ahmadinejad’s letter to Bush from Farsi into English, its intellectual assumptions cannot be translated into those of the Great Separation. We can try to learn his language in order to create sensible policies, but agreement on basic principles won’t be possible. And we must learn to live with that.

Similarly, we must somehow find a way to accept the fact that, given the immigration policies Western nations have pursued over the last half-century, they now are hosts to millions of Muslims who have great difficulty fitting into societies that do not recognize any political claims based on their divine revelation. Like Orthodox Jewish law, the Muslim Shariah is meant to cover the whole of life, not some arbitrarily demarcated private sphere, and its legal system has few theological resources for establishing the independence of politics from detailed divine commands. It is an unfortunate situation, but we have made our bed, Muslims and non-Muslims alike. Accommodation and mutual respect can help, as can clear rules governing areas of tension, like the status of women, parents’ rights over their children, speech offensive to religious sensibilities, speech inciting violence, standards of dress in public institutions and the like. Western countries have adopted different strategies for coping, some forbidding religious symbols like the head scarf in schools, others permitting them. But we need to recognize that coping is the order of the day, not defending high principle, and that our expectations should remain low. So long as a sizable population believes in the truth of a comprehensive political theology, its full reconciliation with modern liberal democracy cannot be expected.

But if we cannot expect mass conversion to the principles of the Great Separation — and we cannot — we had better learn to welcome transformations in Muslim political theology that ease coexistence. The best should not be the enemy of the good.

In the end, though, what happens on the opposite shore will not be up to us. We have little reason to expect societies in the grip of a powerful political theology to follow our unusual path, which was opened up by a unique crisis within Christian civilization. This does not mean that those societies necessarily lack the wherewithal to create a decent and workable political order; it does mean that they will have to find the theological resources within their own traditions to make it happen.“

Amen!

 

Zur Debatte um die Wende im Irak: 600 Leichen in Bagdad in einem Monat

Wende im Irak? Nach einem moderat positiven Spiegel-Titel über die Lage im Land wird auch bei uns debattiert, ob es im Irak gar nicht so desaströs aussieht, wie es in den letzten Jahren schien.
Hier Material zu der beginnenden Debatte, ob das Desaster noch abgewendet werden kann.
In nur einem Monat – zwischen dem 18. Juni und dem 18. Juli 2007 wurden in Bagdad mindestens 592 oftmals verstümmelte Leichen gefunden – Opfer schiitischer und sunnitischer Todesschwadrone. Hier die anschauliche Statistik des Grauens:
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Deutschland rückt nach links

And now for something completely different: Ich habe eine längere Analyse zu einem Trend der deutschen Politik verfasst – die Seite 3 der heutigen Print-Ausgabe.
Die ZEIT hat das Meinungsforschungsinstitut Emnid beauftragt zu erfragen, wie links Deutschland denkt (fühlt). Die überraschenden Ergebnisse und meine Erklärung hier.